Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie heute Morgen in diesem schönen Plenarsaal begrüßen. Gemeinsam mit den Schriftführern wünsche ich Ihnen einen guten Morgen!
Das Plenum ist bereits gut besetzt. Deswegen dürfen wir bereits jetzt die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.
Zur Tagesordnung: Die Einladung für diesen Tagungsabschnitt sowie die Tagesordnung einschließlich des Nachtrages und der Informationen zu den von den Fraktionen umverteilten Redezeiten liegen Ihnen vor. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses mit diesen geänderten Redezeiten fest.
Meine Damen und Herren, der Herr Ministerpräsident hat angekündigt, vor Tagesordnungspunkt 2 über die aktuellen Entwicklungen bei der Volkswagen AG unterrichten zu wollen. Wenn gewünscht - ich sehe, dass das der Fall ist -, wird darüber anschließend eine Aussprache durchgeführt.
Die heutige Sitzung sollte nach dem Ausgangsfahrplan - so will ich es einmal formulieren - gegen 16.45 Uhr enden. Wenn allerdings die Unterrichtung und die Aussprache in dem zu erwartenden Umfang Zeit in Anspruch nehmen, kann alles auch ein bisschen länger dauern.
Für die Initiative „n-21: Schulen in Niedersachsen online“ werden in den kommenden Tagen Schülerinnen des Laurentius-Siemer-Gymnasiums aus Ramsloh und des Albertus-Magnus-Gymnasiums aus Friesoythe mit einer Onlineredaktion live aus dem Landtag berichten. Die Patenschaft dafür haben die Abgeordneten Renate Geuter und KarlHeinz Bley übernommen.
Danke schön, Herr Kollege Klein. Wir dürfen heute also grundsätzlich von einer 100-prozentigen Besetzung des Plenums ausgehen.
Meine Damen und Herren, wie bereits eben mitgeteilt, hat der Herr Ministerpräsident um das Wort gebeten, um hier über die aktuellen Entwicklungen bei der Volkswagen AG zu unterrichten.
Unterrichtung über die Entwicklungen bei der Volkswagen AG - Unterrichtung durch den Ministerpräsidenten
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niedersachsen steht in diesen Tagen gleich vor mehreren großen Herausforderungen, die in ihrer Tragweite derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden können.
Da sind zum einen die anhaltend hohen Flüchtlingszahlen, die das Land, die Kommunen und viele Bürgerinnen und Bürger bis an den Rand der Möglichkeiten fordern - und nicht selten auch darüber hinaus.
Und da ist zum anderen die schwere Krise bei Volkswagen, die uns Mitte September völlig unvermittelt überrascht hat und seitdem in Atem hält.
Meine Damen und Herren, zwischen Niedersachsen und Volkswagen besteht eine überaus enge, eine einzigartige Verbindung.
Natürlich hat diese Beziehung eine wirtschaftliche Grundlage. Volkswagen ist das mit Abstand größte niedersächsische Unternehmen. 120 000 Menschen arbeiten in Niedersachsen bei Volkswagen: an den Standorten Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Hannover, Osnabrück und Emden. Volkswagen ist damit der mit Abstand größte private
Arbeitgeber in unserem Land. In der Automobil- und Zulieferindustrie arbeiten insgesamt rund 200 000 Menschen. Wenn wir dann noch die Dienstleister, Handwerksunternehmen und Familien hinzurechnen, wird klar, wie viele Menschen in unserem Land direkt und indirekt ihre Lebensgrundlage von Volkswagen ableiten.
Das ist es aber nicht alleine. Niedersachsen und Volkswagen verbindet auch die Geschichte. Der Aufbau des Volkswagenwerkes in Wolfsburg erfolgte aus dem von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögen. Daran möchte ich gerne einmal erinnern, weil in diesen Tagen - übrigens ohne jeden Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt - punktuell auch Kritik an einem angeblich zu großen Einfluss von Arbeitnehmern auf dieses Unternehmen geübt wird.
Nach dem Krieg übertrug dann die britische Besatzungsmacht dem jungen Land Niedersachsen die Treuhänderschaft über Volkswagen. Auch nach der Privatisierung 1960 blieb Niedersachsen bis zum heutigen Tag ein maßgeblicher Aktionär von Volkswagen. Nicht ohne Grund haben wir in Niedersachsen über alle Parteigrenzen hinweg gemeinsam gegen eine Abschaffung des VWGesetzes gearbeitet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch diese geschichtliche Verbindung ist noch nicht alles. Aus vielen Rückmeldungen in diesen Tagen wird mir immer wieder klar, wie tief sich die Menschen in unserem Land Volkswagen emotional verbunden fühlen. Ich darf sagen: Auch ich persönlich zähle mich dazu.
So erklärt es sich auch, dass wir alle tief betroffen und entsetzt darüber sind, zu erfahren, dass bei Volkswagen über etliche Jahre hinweg Abgaswerte bei Dieselmotoren manipuliert worden sind. Dieses Vorgehen ist unverantwortlich, völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen.
Diese sehr klare, durch nichts zu relativierende Feststellung stelle ich ganz bewusst an den Anfang meiner Ausführungen. Damit ist gegen Gesetze verstoßen und damit ist Vertrauen missbraucht worden. Das darf sich nie wiederholen!
Dieses Entsetzen wird auch von der überragenden Mehrheit der Beschäftigten bei Volkswagen geteilt. Dort arbeiten jeden Tag Hunderttausende, die mit vollem Engagement und hoher Kompetenz hervorragende Arbeit leisten.
Diese Menschen zählen kaum weniger zu den Opfern dieser unverantwortlichen Machenschaften als die Kunden, die sich in ihrem Vertrauen getäuscht fühlen.
Deswegen füge ich eine zweite Bemerkung hinzu, die mir nicht weniger wichtig ist: In Niedersachsen wissen wir ganz genau, was wir an Volkswagen haben. Wir stehen zu diesem Unternehmen, und wir stehen zu seinen Beschäftigten.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU und von Almuth von Below- Neufeldt [FDP])
Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund kurz den Sachverhalt zusammenfassen, wie er sich nach meinem Kenntnisstand in groben Zügen darstellt.
Vor etwa zehn Jahren wurden strategische Überlegungen darüber angestellt, wie Volkswagen in den Vereinigten Staaten mit einem Dieselmotor Erfolg haben könnte. Es sollte ein verbrauchsarmer Motor sein, der bewusst als ökologisches und „grünes“ Produkt positioniert werden könnte. Deswegen sollte der Motor vom Typ EA 189 in den Vereinigten Staaten eingesetzt werden.
Wie wir heute wissen, gelang es dabei jedoch nicht, die strengen Abgaswerte in den USA einzuhalten. Anstatt dies nun klar und deutlich zu thematisieren, ist fatalerweise der Entschluss gefasst worden, eine Software zu entwickeln, die die Abgasentwicklung unterschiedlich steuert, je nachdem, ob sich ein Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet oder im normalen Verkehr. Wo und wann dieser Beschluss gefasst wurde und wer ihn gefasst hat, das ist derzeit Gegenstand intensiver Ermittlungen.
In den Folgejahren erfolgte dann auch ein Einsatz derselben Software in anderen Modellen und auf anderen Märkten. Wer dafür die Verantwortung
Schließlich stellten im Laufe des vergangenen Jahres Wissenschaftler erstmals Abweichungen in der Schadstoffkonzentration zwischen Labortest und Straßentests bei VW-Dieselfahrzeugen in den USA fest. Die amerikanischen Aufsichtsbehörden setzten sich mit Volkswagen USA in Verbindung. Mehr als ein Jahr lang fanden Gespräche statt, bis Volkswagen die Manipulation eingeräumt hat. Dieses Eingeständnis hätte sehr viel früher erfolgen müssen. Ein weiterer schwerer Fehler!
Wo und wann dieses Vorgehen entschieden wurde und wer dafür die Verantwortung trägt, ist auch Gegenstand der Aufklärung.
Seit dem 18. September haben die amerikanischen Behörden diese Vorgänge öffentlich gemacht. Sie sind seitdem Gegenstand einer weltweiten Diskussion.
Um eines unmissverständlich klarzustellen: Minister Olaf Lies und ich persönlich haben ebenfalls erst am 18./19. September erstmals von diesen Vorgängen Kenntnis erlangt, und zwar aus den Medien.
Meine Damen und Herren, die Folgen dieses Verhaltens sind auch knapp einen Monat später noch nicht abschließend zu überschauen. Das gilt in vielerlei Hinsicht.
Technisch geht es darum, die manipulierte Software so schnell wie möglich zu ersetzen und ordnungsgemäße Zustände in den Fahrzeugen herzustellen. Das ist quantitativ und qualitativ eine enorme Herausforderung. Es geht um bis zu 11 Millionen Fahrzeuge, die nur zu einem geringeren Teil in den Vereinigten Staaten und zu einem sehr viel größeren Teil auf den europäischen Märkten in die Werkstätten zurückzurufen sein werden. Dabei ist eine Vielzahl unterschiedlicher Spezifikationen zu berücksichtigen, die wiederum in eine Vielzahl differenzierter Softwareapplikationen und unterschiedliche Anpassungsbedarfe an den Motoren münden müssen.
In der vergangen Woche hat Volkswagen dem Kraftfahrtbundesamt seinen Plan vorgelegt, mit dem nach und nach bis Ende 2016 alle Fahrzeuge, die betroffen sind, in dieser Hinsicht neu ausgestattet werden. Eine ebenso zügige wie sorgfältige Durchführung dieser sehr, sehr anspruchsvollen
Rückrufaktion ist nach meiner Überzeugung gegenüber den Kunden von Volkswagen und gegenüber den betroffenen Ländern absolut vorrangig.
Über die Schadensbeseitigung hinaus sind etliche Straf- und Zivilverfahren unter den jeweils geltenden unterschiedlichen Rechtsordnungen zu erwarten. Dabei stehen derzeit natürlich insbesondere Verfahren in den Vereinigten Staaten im Vordergrund. Damit wird es aber voraussichtlich nicht sein Bewenden haben.