Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass auf zwei Ereignisse kurz eingehen.

Das eine sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Verden gegen drei Terroristen der dritten Generation der RAF. Erster Hinweis: Es ist, wie gesagt, ein laufendes Ermittlungsverfahren. Zwei

tens: Es gibt bis heute - Stand heute - keine Erkenntnisse darüber, dass es um neue terroristische Aktivitäten geht, sondern im weiteren Sinne um Beschaffungskriminalität dieser Generation von Terroristen. Die Ermittlungen laufen. Heute Abend wird in „Aktenzeichen XY“ darüber berichtet werden.

Das andere ist die heutige Berichterstattung in der Braunschweiger Zeitung über einen Vorfall in der Silvesternacht im Karstadt-Parkhaus in Braunschweig. Dort hat es Ausschreitungen von betrunkenen Erwachsenen gegeben. Flüchtlinge, Migranten waren nach bisherigen Erkenntnissen nicht beteiligt. Es handelte sich wohl überwiegend - mit allen Vorbehalten - um Studenten, die sich alkoholisiert jedes Jahr in diesem Parkhaus treffen und das eine oder andere veranstalten. In diesem Jahr ist es eskaliert. Die Polizei ist eingeschritten, hatte die Lage jederzeit unter Kontrolle, wie mir versichert wurde, und aufgrund eines Ankreuzfehlers wurde der Vorfall von der zuständigen Polizeidienststelle zunächst als nicht pressefrei eingestuft. Einer Anweisung des zuständigen Lagekommissars, die Pressefreiheit wieder herzustellen, ist nicht unmittelbar gefolgt worden. Es lag hier also keine Absicht, sondern schlicht ein Versehen vor. Es gab auch gar keinen Grund, dieses Ereignis in irgendeiner Weise zu verharmlosen oder zu verschweigen.

Aber zurück zur Sicherheitslage. Die Polizei wird auch in Zukunft die Lage sehr genau beobachten. Wir werden auch zukünftig die Kriminalität genauestens erfassen, um ein präzises Bild der Lage zu bekommen und daraus Schlüsse für die Polizeiarbeit zu ziehen. Die Polizei wird auch weiter konsequent und entschlossen gegen Straftäter vorgehen und dabei alle Ressourcen sinnvoll nutzen. Ein sinnvoller und angemessener Einsatz von Ressourcen bedeutet dabei einen starken Personalansatz, sofern dieser erforderlich ist, aber auch eine bedarfsgerechte Nutzung der Führungs- und Einsatzmittel.

Wir werden außerdem die sehr gute Arbeit fortsetzen und ausbauen, die z. B. die Sonderkommission „Zentrale Ermittlungen“ in Braunschweig, die Soko ZERM, bisher geleistet hat. Die dortige enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten gewährleistet in besonderem Maße eine konsequente und zeitnahe Strafverfolgung in den Fällen, in denen sie auftritt. Diese guten Erfahrungen haben mich veranlasst, an den anderen Standorten der Landesaufnahmebehörde

ebenfalls entsprechende Ermittlungseinheiten einrichten zu lassen.

Selbstverständlich werden wir auch die länderübergreifende und bundesweite Zusammenarbeit intensiv fortsetzen. Das heißt z. B., dass die bisher in anderen Bundesländern gewonnenen Erkenntnisse zur massenhaften sexuellen Belästigung nach einsatztaktischen Gesichtspunkten bewertet und in die Einsatzvorbereitung und Einsatzplanung der Polizeibehörden einbezogen werden. Um möglichst frühzeitig auf solche Ereignisse vorbereitet zu sein und diesen vorzubeugen, hat das Landespolizeipräsidium bereits Gespräche mit den Flächenbehörden geführt.

Seit dem vergangenen Oktober ist in Niedersachsen zudem eine landesweite Reserve eingesetzt, die sogenannte Landesbereitschaft der Bereitschaftspolizei. Sie steht zur Bewältigung aktueller Einsatzlagen zur Verfügung. Die Polizeibehörden haben darüber hinaus ihre Ad-hoc-Interventionsfähigkeit nach eigener Lagebeurteilung sichergestellt.

Darüber hinaus wird natürlich auch die Thematik der erforderlichen Polizeipräsenz im Bereich von Flüchtlingsunterkünften immer wieder angesprochen. Hierzu erfolgt eine tagesaktuelle Bewertung der Einsatzlage - tagesaktuell! Sämtliche Meldungen der Polizeibehörden werden beobachtet - etwaige Auseinandersetzungen, aktuelle Gefährdungen oder das allgemeine Kriminalitätsgeschehen -, sodass im ständigen Austausch mit den jeweils zuständigen Polizeibehörden bewertet wird, ob und gegebenenfalls welche Einsatzmaßnahmen erforderlich sind. Ich betone aber: Das bloße Vorhandensein einer Einrichtung für Flüchtlinge ist dabei aber noch kein Grund für eine pauschale dauerhafte Polizeipräsenz vor Ort.

Meine Damen und Herren, ebenfalls werden wir unseren Weg fortsetzen, die Polizei personell zu stärken, so wie wir dies zuletzt mit dem 2. Nachtragshaushalt 2015 und auch mit dem Haushalt 2016 getan haben. Hierzu nenne ich drei zentrale Fakten.

Erstens. Wir haben dafür gesorgt, dass Niedersachsen aktuell so viele Stellen für die Polizei hat wie noch nie zuvor in der über 60-jährigen Geschichte unseres Landes.

Zweitens. Wir haben aktuell so viele Polizeianwärterinnen und -anwärter in der Ausbildung wie zuletzt Anfang der 1980er-Jahre.

(Jörg Bode [FDP]: Wegen der Pensi- onierungswelle!)

Drittens. Wir werden allein in diesem Jahr voraussichtlich über 1 000 neue Polizeianwärterinnen und -anwärter einstellen. Eine so hohe Zahl an Neueinstellungen hat es in Niedersachsen zuletzt im Jahre 1980 gegeben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Damit kehren wir den allerdings erst gegen Ende Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren von CDU und FDP, eingeleiteten Trend zur Einsparung um; denn mit Ihrer damaligen Zielvereinbarung III für die Jahre 2013/2014 hatten Sie die Einsparung von 100 Stellen veranschlagt.

Auch an anderen Stellen sorgen wir für schnelle, pragmatische Lösungen: Mit unserer Einplattformstrategie für die Polizei werden ab 2017 über 300 Beschäftigte, d. h. Vollzugs- und Verwaltungspersonal, von ihren Aufgaben im IT-Bereich entbunden. IT.Niedersachsen übernimmt diese Aufgaben. Das Personal der Polizei wird dadurch für den Polizeivollzugsdienst oder für Verwaltungsaufgaben frei.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für mehr Entlastung sorgen wir auch durch ein neues niedersächsisches Pilotprojekt. Dabei können zukünftig Großraum- und Schwerlasttransporte auch durch private Begleitfirmen begleitet werden - ein langjähriges Thema, wie Sie alle wissen. Damit entlasten wir die Polizei wieder ein gutes Stück, gerade wenn man bedenkt, dass unsere Beamtinnen und Beamten bisher im Schnitt 50 Transporte pro Tag begleiten müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Neben der Personalstärke sind die Rahmenbedingungen entscheidend, und auch hier werden wir weiter an Verbesserungen arbeiten, meine Damen und Herren. Ich will hier nur einige Punkte nennen, etwa die Polizeiausstattung.

Wir haben etwa zusätzliche Beschaffungen von Führungs- und Einsatzmitteln noch im Haushaltsjahr 2015 vorgenommen. In diesem Zuge erfolgte für rund 3,55 Millionen Euro die Beschaffung von Kraftfahrzeugen, insbesondere zur Verlastung von LEO-Leine-Einheiten und Kräften der Bereitschaftspolizei. Für neue Körperschutzausstattun

gen stehen weitere Haushaltsmittel für die Kräfte der LEO-Leine-Einheiten sowie der BePo zur Verfügung.

Auch mehr Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen darf kein Tabu sein, wobei ich auch sage, dass wir hier realistisch bleiben müssen: Videoüberwachung kann uns dabei helfen, ein besseres Lagebild zu bekommen. Aber sie wird im Zweifel keine Menschenmengen wie in Köln von Straftaten abhalten.

Und schließlich gibt es da noch das viel diskutierte Thema der Strafverschärfungen, meine Damen und Herren. Bevor wir hierüber sprechen, sollte zunächst in Betracht gezogen werden, die bereits bestehenden Strafrahmen konsequenter auszuschöpfen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich zusammenfassen: Wir haben Grund zur Wachsamkeit, wir haben in mehreren Fällen auch Grund zum Einschreiten, aber wir haben gerade in Niedersachsen aktuell keinen Grund zur Panik. Und wir haben auch keinen Grund, Flüchtlinge pauschal zu verdächtigen, Straftaten zu begehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielmehr gilt es, Straftaten konsequent zu verfolgen, egal wer sie begeht und welcher Herkunft die Straftäter sind. Die Richtung für die Zukunft muss deshalb weiter lauten: Hinsehen, konsequent handeln, aber bitte nicht hyperventilieren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dies ist der richtige Weg, wenn der Staat zeigen will - und das muss er -, dass er die sicherheitspolitischen Herausforderungen dieser Zeit bewältigen kann. Wenn wir konsequent und entschlossen, aber auch sachlich angemessen vorgehen, dann ist das der beste Weg für ein friedliches Zusammenleben.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Innenminister. - Meine Damen und Herren, ich danke der Landesregierung und dem Innenminister für diese Unterrichtung.

Ich stelle fest, dass die Unterrichtung 16 Minuten gedauert hat. Nach unseren Gepflogenheiten er

halten für die nun folgende Aussprache die beiden großen Fraktionen die gleiche Zeit und die beiden kleinen Fraktionen die Hälfte dieser Zeit. Es ergeben sich also folgende Redezeiten: die Fraktionen der CDU und der SPD jeweils 16 Minuten, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der FDP jeweils 8 Minuten.

Jetzt hat sich für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Jens Nacke zu Wort gemeldet. Bitte sehr, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn, bevor ich auf die Ausführungen des Herrn Minister antworte, eines vorwegstellen, was ich in der Rede des Herrn Minister vermisst habe.

Ich denke, wenn wir in diesem Haus über die Sicherheitslage in Niedersachsen diskutieren, dann steht es uns gut an, uns zunächst einmal bei den Polizistinnen und Polizisten, die draußen im Land jeden Tag für die Sicherheit in diesem Land Sorge tragen, herzlich zu bedanken. Ich möchte das ausdrücklich an den Anfang einer solchen Rede stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dabei möchte ich auch ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des niedersächsischen Verfassungsschutzes einbeziehen, die in dieser Rede überhaupt keine Rolle gespielt haben. Herr Minister, ich finde, auch dieser Dank hätte Ihnen sehr gut zu Gesicht gestanden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Denn das Interessante an den Ausführungen, die Sie hier gerade gemacht haben, Herr Minister, ist eigentlich, wozu Sie im Zusammenhang mit der Sicherheitslage in Niedersachsen nichts gesagt haben. Sie haben nichts gesagt zu der außerordentlichen Arbeitsüberlastung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Sie haben nichts gesagt zur Cyberkriminalität. Sie haben nichts gesagt zum IS und zum Islamismus. Sie haben nichts gesagt zur Terrorgefahr. Gehört das alles für Sie nicht zur aktuellen Sicherheitslage? Gehören der Verfassungsschutz und seine Aufgaben für Sie nicht zur aktuellen Sicherheitslage? - Sie haben wesentliche

Teile, die für die Sicherheitslage in Niedersachsen von Bedeutung sind, einfach weggelassen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Stattdessen, meine sehr verehrten Damen und Herren, reagieren Sie auf die aktuelle Debatte in ganz Deutschland - darauf gehe ich gleich noch ein - und auf die Vorgänge, indem Sie sich in buchhalterischer Statistik mit dieser Quintessenz verlieren: Ausländer sind auch nicht krimineller als Deutsche. Es ist alles in Ordnung. - So einfach können Sie es sich nicht machen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir sind mit dem Umstand konfrontiert, dass sehr, sehr viele Menschen derzeit nach Deutschland kommen und hier Aufnahme begehren, dass im vergangenen Jahr 100 000 Menschen nach Niedersachsen gekommen sind und in Einrichtungen, die vollkommen überfordert sind, untergebracht sind, dort in Zuständen leben, die so kaum noch hinnehmbar sind, und auch noch in Anonymität, weil sie nicht erfasst werden. Offenkundig führt eine solche Situation zu einer zusätzlichen Belastung der Sicherheitslage und natürlich auch zu einer zusätzlichen Belastung der polizeilichen Aufgaben. Dass Sie das einfach ausblenden, wird der Aufgabe nicht gerecht. In Bramsche haben Sie gerade die Besetzung der Polizei zurückgefahren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister, Sie können nicht ins Feld führen, dass Sie davon nichts gewusst haben. Seit Monaten werden Sie von den Gewerkschaften der Polizei auf die aktuelle Lage hingewiesen.

Herr Schilff ist heute dabei und verfolgt die Debatte. Ich begrüße Sie herzlich hier bei uns im Hause.