Protokoll der Sitzung vom 21.01.2016

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Calderone. - Es folgt sodann für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Ronald Schminke. Herr Schminke, ich erteile Ihnen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der CDU-Antrag ist in keiner Weise geeignet, Verbesserungen bei der Umsetzung des Mindestlohns in der Landwirtschaft zu erzielen.

(Jörg Bode [FDP]: Doch!)

Aber ich vermute einmal, dass Sie das auch gar nicht im Sinn haben; denn sonst hätten Sie den Antrag völlig anders formuliert.

(Adrian Mohr [CDU]: Haben Sie eben eigentlich zugehört?)

Meine Damen und Herren, wir werden diesen Weg jedenfalls nicht mitgehen; denn der Mindestlohn ist inzwischen ein Erfolgsmodell geworden, und daran wollen wir keine Abstriche hinnehmen.

Die CDU hat uns einen Antrag vorgelegt, der rechtliche Mängel beinhaltet - weil er auf bestehende tarifliche Normen überhaupt keine Rücksicht nimmt. So gibt es in allen Tarifverträgen z. B. Ausschluss- bzw. Verfallfristen, wonach eine Lohnzahlung nach Ablauf einer bestimmten Zeit verfällt und der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin jeglichen Anspruch darauf verliert. Sie aber wollen es mit Ihrem Antrag nun möglich machen, dass ein

Arbeitnehmer seinen Lohn am Ende des Beschäftigungsverhältnisses erhält, sofern er dieses mit seinem Arbeitgeber ausgemacht hat.

Meine Damen und Herren, wir sind hier nicht bei „Wünsch dir was“. Und wir kennen auch die harte Realität auf den Höfen, von der Sie sprechen. Wer hat denn im Erntebetrieb das Sagen? Welcher Erntehelfer hat denn wohl den Mut, die Unterschrift zu verweigern, wenn der Arbeitgeber mit einem Standardschreiben vor ihm steht?

Wir kennen auch die Rechtsprechung unserer Arbeitsgerichte zu solchen Vorgängen. Vor dem Arbeitsgericht würde jede Leistungsklage betroffener Arbeitnehmer scheitern. Also kann man solche Regelungen mit einseitigem Nachteil für die Arbeitnehmer überhaupt nicht mitmachen. Das verbietet schon der Anstand.

Ebenso verhält es sich mit den Regelungen bei Insolvenz. Auch dieses Risiko kann man den Arbeitnehmern nicht alleine aufbürden. Das ist einfach rechtlich nicht möglich, und das machen wir auch nicht mit.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dammann-Tamke zu?

Nein. Aber es ist ja eine Kurzintervention möglich.

Wenn es Ihnen ernsthaft darum geht, die Lohnzahlungen sicherer zu gestalten, dann reden Sie doch mit den Tarifpartnern über Regelungen, die Lohnzahlungen für Arbeitnehmer auf ein Sammelkonto mit namentlicher Zuordnung bei einer Bank oder Sparkasse einzuzahlen. Denn dann wäre das Geld auch tatsächlich sicher, weil es vorhanden wäre und weil es der Arbeitnehmer auch abrufen kann. Diese Möglichkeit gibt es; sie wird zum Teil auch schon genutzt.

Sie wollen ferner keine Aufzeichnung der Arbeitszeiten und bezeichnen sie als überflüssige aufwendige Bürokratisierung. - Auch die Dokumentation der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit wurde von Arbeitgeberseite inzwischen automatisiert. Das Problem ist also längst kein echtes Problem mehr. Das hat man, zugegebenen nach einer Anlaufphase, wo es nicht so gut lief, gut im Griff. Wir werden den Teufel tun und das erneut zur Disposition stellen, meine Damen und Herren. Das machen wir nicht mit!

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Dann gibt es neben dem Mindestlohngesetz auch noch eine branchenübergreifende Regelung im Arbeitszeitgesetz - § 16 Abs. 2 -, und die gilt seit 1994. Danach sind werktägliche Arbeitszeiten von über acht Stunden grundsätzlich aufzuzeichnen und auch jede geleistete Stunde an Sonn- und Feiertagen. Und wem haben wir diese sinnvolle Aufzeichnungspflicht im Arbeitszeitgesetz zu verdanken? Wer ist damals dafür verantwortlich gewesen, dass die Bestimmungen im Sinne von mehr Sicherheit und Gesundheitsschutz festgeschrieben wurden und heute noch rechtsgültig sind?

(Jörg Bode [FDP]: Jetzt kommt‘s!)

Die CDU und ihre Schwesterpartei CSU. Und die FDP, Herr Bode, war mit beteiligt. Sie selbst haben das beschlossen, was Sie jetzt mit diesem Antrag quasi einkassieren und plattmachen wollen.

(Christian Grascha [FDP]: Das ist ja Wahnsinn!)

Ich war echt - erschrocken, will ich nicht sagen - erstaunt darüber, dass Ihnen das aus der Feder gekommen ist.

(Jörg Bode [FDP]: Wir haben auch die meisten Mindestlöhne beschlossen, um es einmal ganz ehrlich zu sagen! Das wart nicht ihr!)

Sie beklagen heute das, was Sie selber auf den Weg gebracht haben, und wollen heute in eine andere Richtung laufen und erneut Deregulierung und Entschärfung eines ungeliebten Mindestlohngesetzes vorantreiben. Vielleicht war das damals ja ein Sündenfall, der Ihnen heute leidtut. Vielleicht verstehen Sie auch die Logik Ihres damaligen Handelns nicht mehr. Aber was die Logik angeht, kann ich Sie trösten; denn nicht alles in dieser Welt ist logisch. Sonst würden die Männer heute im Damensattel reiten.

(Heiterkeit - Christian Grascha [FDP]: Herr Kollege, können Sie das erklä- ren? Selbst der Herr Ministerpräsident hat es nicht verstanden!)

Sie sollten allerdings zukünftig besser überlegen, wie Sie Ihre Anträge formulieren, und vielleicht hören Sie auch einfach einmal mit der unglaublichen Hetze gegen einen Mindestlohn auf, den Sie in der GroKo zähneknirschend mitbeschlossen haben und auf den Sie heute stolz sein müssten.

Lesen Sie eigentlich keine Zeitung? Erst heute wurden Zahlen veröffentlicht: über 50 000 geringfügige Jobs weniger, dafür eine Zunahme von über 60 000 Vollzeitjobs im Jahr 2015. Der Mindestlohn ist ein Erfolgsmodell. Das können Sie auch nicht wegwischen. Wer die Aufzeichnungspflicht nicht mehr will, der sorgt dafür, dass der Zoll die Kontrollen nicht mehr durchführen kann. Dann ist das Gesetz erledigt, und wir haben erneut Lug und Trug, Steuerhinterziehung, Sozialversicherungsbetrug und in der Folge noch mehr Altersarmut.

Wir sind angetreten, genau diese Zustände zu bekämpfen, meine Damen und Herren. Wer für Kost und Logis Geld in Abzug bringen will, der kann das im Rahmen der steuerlichen Regelungen tun. Aber er muss auch sicherstellen und sichtbar machen, dass für jede geleistete Stunde der volle Mindestlohn vergütet wurde. Das ist und bleibt unverzichtbar, und das ist dann auch nachvollziehbar und rechtssicher.

Der Mindestlohn wirkt. Er ist inzwischen eine Konjunkturstütze. Aufstockerleistungen sinken, und öffentliche Haushalte werden um mehr als 3 Milliarden Euro entlastet. Das ist die Realität. Auch Ihr Horrorszenario von der großen Massenarbeitslosigkeit ist Gott sei Dank nicht eingetreten.

Meine Damen und Herren, am Ende siegt immer die Wahrheit. Aus den Steinen, die Sie zitiert haben, die Sie uns beim Mindestlohn in den Weg gelegt haben, bauen wir noch schöne Häuser.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Petra Tiemann [SPD]: Sehr schön!)

Vielen Dank, Herr Kollege Schminke. Herr Abgeordneter, Sie ahnen es. Das Präsidium hat kurz beraten, ob der Hinweis auf den Damensattel vielleicht unparlamentarisch sein könnte. Aber wegen erwiesener Unlogik sehen wir von einer Ahndung ab.

(Heiterkeit und Beifall)

Als Nächster hat Herr Kollege Hans-Joachim Janßen, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie

Ihren Antrag nicht zurückgezogen haben. Nach der Ausschussberatung hätten Sie das eigentlich tun müssen. Er ist nicht nur überflüssig, er ist auch noch schlecht recherchiert. Die von Ihnen monierten Aufzeichnungspflichten bezüglich der Arbeitszeit gibt es im Mindestlohngesetz so nicht. Sie kommen aus dem Arbeitnehmerentsendegesetz. Ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag liegt dem zugrunde. Diese Regelungen tragen wir ausdrücklich mit, und wir sind auch überhaupt nicht der Auffassung, dass sie geändert werden müssten. - Das ist der erste Punkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der zweite Punkt. Ihr Vorschlag, den Lohn von Saisonarbeitskräften erst am Ende der Beschäftigung auszuzahlen, schwächt die Rechte der oft aus Osteuropa zu uns kommenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massiv; denn letztendlich können sie mit dem Arbeitgeber nicht auf Augenhöhe verhandeln. Was ist z. B. in der Situation, dass am Ende des Beschäftigungsverhältnisses der Bus auf dem Hof steht, es aber gleichzeitig zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommt? - Dann hat der Arbeitnehmer die große Auswahl, entweder auf die Konfliktbereinigung zu verzichten und mit dem Bus nach Hause zu fahren oder aber seine Rückreise selber zu organisieren und seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Das kann es nicht sein. Deshalb ist auch dieser Punkt schlicht nicht zielführend.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Kost und Logis können schon jetzt rechtssicher zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern abgerechnet werden. Auch das ist im Ausschuss detailliert dargelegt worden. Von daher hätten Sie gut daran getan, diesen Antrag zurückzuziehen.

Mir kommt es schon so vor, als sei Ihr Antrag ein Vehikel. Es geht Ihnen nämlich im Kern doch darum, den nach wie vor ungeliebten Mindestlohn grundsätzlich zu bekämpfen. Dass er endlich durchgesetzt wurde, ist nämlich zweifellos ein großer Verdienst der SPD in der Großen Koalition.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Helge Limburg [GRÜNE] - zur SPD -: Das habt ihr gut gemacht!)

Alles das, was dazu im Vorfeld seitens der CDU geäußert wurde - der Mindestlohn werde massiv Arbeitsplätze kosten und dadurch zu mehr Armut

in Deutschland führen -, ist so nicht eingetreten. Das Gegenteil ist eingetreten: Wir haben deutlich höhere Beschäftigungszahlen in Deutschland. Wir haben 600 000 mehr Beschäftigte als ein Jahr zuvor, im November letzten Jahres. Die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten geht zurück. Auch das ist eine gute Botschaft. Alle Kassandrarufe gegen den Mindestlohn, die Sie indirekt mit diesem Antrag wieder aufwärmen, haben sich in Luft aufgelöst. Die Menschen haben auch wegen des Mindestlohns deutlich mehr Geld in der Tasche. Das ist für unsere Wirtschaft äußerst positiv. Der private Konsum in Deutschland ist längst von der Konjunkturbremse zur Konjunkturlokomotive geworden.

(Gudrun Pieper [CDU]: Das liegt aber weniger am Mindestlohn!)

Wenn man sich die europäische Perspektive ansieht, ergibt sich ein ähnliches Bild. Wir haben mit einer langjährigen Lohnentwicklung in Deutschland deutlich unterhalb der Produktivitätsfortschritte ganz wesentlich zur Destabilisierung des Euro beigetragen, meine Damen und Herren. Das wird wenigstens ein Stück weit im Ansatz durch den Mindestlohn zurückgedreht.

Es gibt also keinen Grund, diesem Antrag zuzustimmen. Entsprechend werden wir ihn heute ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Janßen. - Es folgt für die FDP Herr Kollege Hermann Grupe. Bitte sehr!