Protokoll der Sitzung vom 17.02.2016

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende 2015 kamen nach mehr als zwei Jahren die Gespräche der Landesregierung mit den islamischen Religionsgemeinschaften DITIB und SCHURA sowie der alevitischen Gemeinde über gemeinsame Verträge zu einem vorläufigen Abschluss. Die Vertragsentwürfe liegen Ihnen vor.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger erfahren auf der Homepage des Kultusministeriums, was in diesen Verträgen geregelt werden soll und warum. Sehr geehrte Frau Ministerin Heiligenstadt, vielen Dank für dieses Angebot! Noch nie ist ein vergleichbares Vertragswerk in einem frühen Stadium der Öffentlichkeit so transparent und zugänglich präsentiert worden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Das meint sie jetzt nicht ernst, oder?)

Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn ich heute hier zu Ihnen als Abgeordnete der Regierungsfraktionen spreche, möchte ich doch erwähnen, dass ich in meinem Ehrenamt als Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe an etlichen Verhandlungsrunden teilnehmen durfte.

(Jens Nacke [CDU]: Ach, das gibt es noch?)

Mein Dank gilt deshalb auch besonders der akribischen Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des zuständigen Kultusministeriums sowie der Fachleute aus anderen Ministerien, die vom Bestattungsrecht bis zum Tierschutz ihre Expertise einbrachten.

Ich möchte in meinen Dank ausdrücklich aber auch die beiden Vorgängerregierungen unter Führung der Ministerpräsidenten Wulff und McAllister mit einbeziehen. Denn es war der damalige Ministerpräsident Wulff, der vor fast einem Jahrzehnt den Plan fasste, die gegenseitigen Ansprüche - wie er es nannte - zu regeln.

Herr Ministerpräsident Wulff sagte in Hannover bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung - ich zitiere aus der Tageszeitung Die Welt vom 26. Juni 2007 -: „Ich kann nur hoffen, dass wir in einigen Jahren einen solchen Staatsvertrag bekommen, um Ansprüche beiderseits zu regeln.“

Bei einer früheren Gelegenheit, im Mai 2005, begründete er seine Absicht: „Durch das Setzen solcher positiven Beispiele könne der Fundamentalismus zurückgedrängt werden.“

(Ulf Thiele [CDU]: Es geht um den In- halt! Sagen Sie mal was zum Inhalt!)

Im August 2009 wurden entsprechend erste Gespräche aufgenommen.

Unter Ministerpräsident McAllister kam es nach der Etablierung des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen zu einem weiteren Meilenstein in der Zusammenarbeit mit DITIB und SCHURA in Niedersachsen.

Am 10. Dezember 2012 wurde eine Vereinbarung zur islamischen Seelsorge im Justizvollzug unterzeichnet. In der Presseerklärung des damaligen Justizministers Busemann wird betont, dass diese Vereinbarung - ich zitiere - „unabhängiger Teil der in Aussicht genommenen Vereinbarung des Landes mit den am Vertragsabschluss Beteiligten“ sei.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Busemann, Sie sehen, die Landesregierung fühlt sich diesem

Erbe verpflichtet. Wir knüpfen an die wichtige Vorarbeit der Vorgängerregierungen an. Wir können uns gemeinsam freuen: Niedersachsen wird voraussichtlich das erste Flächenland sein, das einen entsprechenden Vertrag vorlegen kann.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von Jens Nacke [CDU])

- Wir wetten nachher!

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf drei Punkte eingehen, die miteinander in Verbindung stehen.

In der Präambel und in Artikel 1 ist die Verpflichtung zur Anerkennung unserer Wertegrundlagen, unserer Grundrechte - insbesondere der Gleichberechtigung von Frau und Mann - und der demokratischen Grundordnung verankert.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist doch selbstverständlich! - Christian Grascha [FDP]: Das ist dieses soge- nannte Grundgesetz! - Weitere Zurufe von der CDU und bei der FDP - Unru- he - Glocke der Präsidentin)

Das ist eine Selbstverständlichkeit und dennoch ein klares und wichtiges Signal. Auch für unsere Gesprächspartnerinnen und -partner ist das wichtig, weil sie sich so an herausragender Stelle von fundamentalistischen Gruppierungen abgrenzen können.

Bei dieser Gelegenheit sollte vielleicht auch einmal erwähnt werden, dass die Verhandlungen auch aufseiten der islamischen Religionsgemeinschaften vorwiegend von Juristinnen geführt wurden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, wie ich bereits ausgeführt habe, ist Niedersachsen in der glücklichen Situation, mit den großen islamischen Religionsgemeinschaften in unserem Land über langjährige, verlässliche Kooperationspartner zu verfügen. Die Verbände stehen auf dem Boden des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung. Es ist in unser aller Interesse, wenn sich diese bewährten Verhandlungspartner in die gesellschaftliche Arbeit und auch in die entsprechenden Gremien einbringen, um sich dort für einen aufgeklärten Islam starkzumachen.

Sehr geehrte Damen und Herren, auch deshalb hat das Land ein Interesse daran, dass die Ver

tragspartner in die Lage versetzt werden, dauerhafte Strukturen aufzubauen und eine Geschäftsstelle einzurichten. Sie sind unverzichtbare Partner der Landesregierung bei der Prävention und Bekämpfung von religiösem Fundamentalismus. Sie haben sich zuletzt bei der Gründung und dem Aufbau einer niedersächsischen Beratungsstelle gegen Salafismus aktiv eingebracht.

(Jörg Bode [FDP]: Wo steht das denn?)

Wir setzen darauf, dass die in enger Zusammenarbeit mit den Verbänden entwickelten Angebote des islamischen Religionsunterrichts und der islamischen theologischen Fakultäten dazu beitragen, den friedlichen Islam, der für die Werte unserer Verfassung eintritt und für den unsere Gesprächspartner stehen, an die nächste Generation weiterzugeben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich hoffe sehr, dass es uns gelingt, eine breite Zustimmung zu den Verträgen zu finden, die Rechte und Pflichten beinhalten, aber vor allem anderen ein Zeichen sind - ein Zeichen des Respekts voreinander.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Welche Pflichten sind denn darin ge- nannt?)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nun hat für die CDUFraktion Herr Kollege Hillmer das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gab eine Erkenntnis aus dem Beitrag von Frau Schröder-Köpf. Sie hat gesagt, dass sich die Verhandlungen bzw. Vereinbarungen in einem sehr frühen Stadium befinden und der Vertrag sehr früh veröffentlicht wurde.

(Petra Tiemann [SPD]: Das haben Sie nicht richtig verstanden, Herr Hillmer! - Johanne Modder [SPD]: Sie sollten einfach mal zuhören, was gesagt wird!)

Nach allem, was ich von den muslimischen Verbänden höre, sehen sie sich schon auf der Zielgeraden. Ich glaube, da besteht ein gewisser Widerspruch.

(Zurufe von der SPD - Unruhe - Glo- cke der Präsidentin)

- Ich habe nur auf das reagiert, was meine Vorrednerin gesagt hat.

Meine Damen und Herren, die wesentlichen Vorarbeiten für eine Vereinbarung mit den muslimischen Verbänden waren nämlich schon 2012 unter CDU und FDP geleistet worden. Deshalb bekräftige ich an dieser Stelle gerne noch einmal: Es ist weiterhin unser Bestreben als CDU-Fraktion, in einem Land mit christlichen Traditionen wie Niedersachsen eine breite Akzeptanz für eine solche Vereinbarung zu erreichen.

Ich erinnere daran, dass der islamische und der alevitische Religionsunterricht zu unserer Regierungszeit eingerichtet wurde. Dieser Unterricht trägt ganz erheblich zur Integration bei und ist ein großer Erfolg.

(Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, anknüpfend an das bislang Erreichte sind uns bei diesen Verträgen im Kern zwei Aspekte wichtig:

Erstens. Im Mittelpunkt der Verträge muss die Integration Tausender muslimischer Familien und vor allem auch junger Muslime aus dem Sudan, aus Afghanistan oder aus Syrien stehen, die erst seit wenigen Wochen oder Monaten hier unter uns leben und eine gute Bleibeperspektive haben. Das wird in den nächsten Jahren eine Herkulesaufgabe. Dabei spielt die Religion eine ganz entscheidende Rolle.

Es ist befremdlich, dass der Begriff „Integration“ im aktuellen Vertragsentwurf mit den Verbänden DITIB und SCHURA nicht auftaucht. Für mich und meine Fraktion ist klar: Es darf keine Pseudointegration in Hinterhofmoscheen geben, in denen die Kinder der Flüchtlinge nach Schulschluss kein Wort Deutsch mehr sprechen.

Zweitens. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach mehr als zwei Jahren Arbeit an einem Vertragswerk darf man erwarten, dass die Formulierungen juristisch hieb- und stichfest sind. Man darf erwarten, dass Klauseln, die die Kultusministerin als „deklaratorisch“ bezeichnet, auch wirklich nur das beschreiben, was bereits umgesetzt ist. Leider ist das in der derzeitigen Fassung des Vertrags nicht der Fall.

Ein Beispiel ist die Passage zu den Gebetsmöglichkeiten in Schulen. Das Kultusministerium sagt,

es würden keine neuen, zusätzlichen Rechte gewährt. Ist das wirklich so? - Wer sich die Formulierungen im Detail anschaut, dem kommen Zweifel. Das im Vertragstext Beschriebene bildet nämlich aus unserer Sicht nicht das ab, was an unseren Schulen bereits jetzt gängige Praxis ist, sondern geht erheblich darüber hinaus.

Uns geht es dabei vor allem um zwei Punkte. Erstens. Werden Schulen oder Schulträger verpflichtet, einen Gebetsraum für muslimische Schülerinnen und Schüler einzurichten, wenn diese es verlangen? Zweitens. Inwiefern gibt der Vertragsentwurf Schülerinnen und Schülern das Recht, während der Unterrichtszeit zu beten, insbesondere in einem Gebetsraum?

Diese beiden Punkte, meine Damen und Herren, sind aus unserer Sicht - wie auch viele weitere Fragen - ungeklärt. Wir haben deshalb den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages eingeschaltet. Wir sollten die Einschätzung des GBD in aller Ruhe und Gelassenheit abwarten. Bei einem solch sensiblen Punkt gilt das Prinzip „Sorgfalt vor Eile“.

Natürlich wissen wir nicht, inwieweit die Landesregierung bereit und in der Lage ist, bei den Vertragsentwürfen noch nachzusteuern und handwerkliche Fehler zu korrigieren. Gleichwohl gebe ich zu bedenken: Wir stehen mit unserer Kritik nicht alleine da. Auch in der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe haben Experten jüngst Vorbehalte vorgebracht.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil, was erwarten Sie denn, wenn Sie zwei Jahre lang - inzwischen sind es sogar drei Jahre - Geheimdiplomatie betreiben und dann etwas vorlegen, das mehr Fragen aufwirft, als es Lösungen schafft? Welches Ergebnis haben Sie denn erwartet, als Sie die Federführung Ihrer Kultusministerin Heiligenstadt übertrugen, die nicht nur mit dieser Aufgabe einfach überfordert ist?

(Zustimmung von Jörg Bode [FDP] - Widerspruch bei der SPD)