Protokoll der Sitzung vom 08.03.2016

Ich bin diesen Beamtinnen und Beamten für ihre schwierige Arbeit außerordentlich dankbar. Die Polizei in Niedersachsen verdient unser aller Vertrauen und unsere Unterstützung bei ihrer schwierigen Arbeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Grascha [FDP]: Nur warme Worte!)

In diesem Zusammenhang möchte ich gerne eine letzte Bemerkung machen: Der Staat steht in dieser Situation auf dem Prüfstand, das ist richtig. Das gilt aber auch, wie wir wissen, für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dieser Zusammenhalt ist mehr denn je gefordert. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass unsere weiteren Beratungen über einen Vertrag mit den großen muslimischen Glaubensgemeinschaften konstruktiv geführt und erfolgreich beendet werden können.

Migrantinnen und Migranten, die sich als Teil unserer Gesellschaft verstehen und sich die Werte unseres Grundgesetzes zu eigen machen, sind gerade gegenüber den vielen Tausend Flüchtlingen in

unserem Land häufig die besten Botschafterinnen und Botschafter. Die damit verbundene Chance sollten wir nutzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Im Rahmen einer solchen Erklärung besteht natürlich die Versuchung, in aller Breite und bis in das Letzte Beispiele darzustellen und zu würdigen. Ich habe mich bemüht, mich auf Schwerpunkte zu beschränken; es gäbe noch sehr viel mehr zu berichten.

Ist das alles jetzt viel oder wenig, ist es genug? Nach meiner Überzeugung ist es in diesen wenigen Monaten in einer beeindruckenden Breite und Tiefe gelungen, die Integrationsarbeit mit und für Flüchtlinge zu etablieren. Es ist viel, es ist sehr viel, was geschieht. Das kann man sicher sagen. Das ist vor allem ein Kompliment an die vielen Tausend Menschen, die in allen Teilen unseres Landes in vielfältiger Art und Weise mithelfen, sei es beruflich, sei es durch privates Engagement. Die Haltung dieser Menschen - es kann nicht oft genug wiederholt werden - ist vorbildlich! Einen dieser Menschen erlaube ich mir gesondert zu nennen: Unsere Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf, arbeitet ebenfalls ehrenamtlich. Das verdient eine besondere Anerkennung. - Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU: Ui! - Christian Grascha [FDP]: Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!)

Aber sind all diese Maßnahmen genug? Es wird kaum jemanden geben, der auf diese Frage mit einem uneingeschränkten Ja antworten wird. Natürlich sehen wir die Grenzen, an die wir stoßen. Das sind nicht zuletzt finanzielle Grenzen. PeterJürgen Schneider, unser Finanzminister, geht dabei bis an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen.

(Unruhe)

Herr Ministerpräsident, einen Moment, bitte. - Ich darf um Ruhe bitten. - Weiter geht es!

Sie kennen die Zahlen: Im Jahr 2014 hat das Land 170 Millionen Euro im Zusammenhang mit Flüchtlingen aufgewandt. Im Jahr 2015 waren es ca. 620 Millionen Euro, und in diesem Jahr werden es

voraussichtlich 1,3 Milliarden Euro sein - wenn dieser Betrag denn reicht.

Die Kommunen überall in Niedersachsen - das ist die andere Seite - sehen sich unter einem enormen Druck und werden auch finanziell beansprucht. Das Land wird den Kommunen pro Kopf bekanntlich künftig nicht mehr 6 200 Euro, sondern in diesem Jahr 9 500 Euro und im nächsten Jahr 10 000 Euro zur Verfügung stellen.

(Björn Thümler [CDU]: Zu wenig!)

Darüber hinaus stellt das Land den Kommunen für die Liquiditätsstärkung vorab 250 Millionen Euro jährlich bereit.

Wir tun dies aus der tiefen Überzeugung, dass die Arbeit der Kommunen in Niedersachsen im Zusammenhang mit Unterbringung und Integration von Flüchtlingen allerhöchsten Respekt verdient. Wir wollen das so gut wir irgend können unterstützen. Für das Land und für die Kommunen gilt gleichermaßen, dass ein enormes Engagement und die Bereitschaft zum Handeln nahezu unbegrenzt bestehen, aber die Grenzen der Möglichkeiten ebenfalls sichtbar sind. Die Bürgerinnen und Bürger in den niedersächsischen Kommunen müssen darauf vertrauen können, dass auch künftig ihre Heimatgemeinde den berechtigten Erwartungen gerecht werden kann.

Ich habe jetzt eine staatliche Ebene noch nicht erwähnt. Über alles gesehen beteiligt sich der Bund im Jahr 2016 etwa mit 25 % an den Kosten, die im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen entstehen. Ein Viertel - das ist nicht viel, vor allem gemessen an dem Umstand, dass der Bund bekanntlich durchaus seinen eigenen Anteil an der Situation hat.

(Zuruf von der CDU: Sie haben doch verhandelt!)

Ein Viertel - das ist erst recht nicht viel gemessen an der fundamentalen Bedeutung, die Erfolg oder Misserfolg der Integration für die Entwicklung unserer gesamten Gesellschaft haben werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir entscheiden jetzt, in diesem Jahr, darüber, ob die Bundesrepublik in zehn Jahren von sich behaupten kann, die große Herausforderung gemeistert zu haben. Wir stellen jetzt die Weichen dafür, ob unser Land in zehn Jahren stärker oder schwächer sein wird.

Ich betone bewusst die Dimension der Herausforderung, vor der wir derzeit stehen. Notwendig ist eine große gemeinsame Anstrengung aller staatlichen Ebenen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die ganze Gesellschaft muss engagiert und mutig die Arbeit der Integration angehen. Wer wollte bestreiten, dass diese Aufgaben, von denen ich spreche, für die Gesamtheit unserer Gesellschaft bedeutsam sind? Wer wollte bestreiten, dass die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist? Genau das sind die Voraussetzungen, die in Artikel 91 a unseres Grundgesetzes für Gemeinschaftsaufgaben des Bundes und der Länder genannt werden.

Bis jetzt fallen darunter die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Verbesserung der Agrarstruktur und die Verbesserung des Küstenschutzes. Daran gemessen ist die Integration der vielen, vielen Tausend Menschen in unserem Land doch wohl allemal eine Aufgabe, an der sich der Bund beteiligten muss. Die Finanzminister aller 16 Länder haben in der vergangenen Woche gemeinsam gefordert, der Bund müsse sich zur Hälfte an den Kosten von Ländern und Kommunen beteiligen. Lassen Sie uns darüber reden, und lassen Sie uns dafür streiten, dass eine solche Gemeinschaftsaufgabe Integration künftig der Rahmen für unser gemeinsames Vorgehen ist. Wir brauchen klare Grundlagen für das Engagement des Bundes, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist viel in Bewegung gekommen. Vieles geht in die richtige Richtung, aber vieles wird auch noch geschehen müssen, damit wir Erfolg haben. Integration ist eine Aufgabe von herausragender Bedeutung, die sich die ganze für mich absehbare Zeit unserer Gesellschaftspolitik stellen wird. Anders ausgedrückt: Wir brauchen jetzt nicht in erster Linie Asylpakete und eine Verschärfung des Asylrechts, wir brauchen Integrationspakete für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Frau Pieper gefällt es.

(Björn Thümler [CDU]: Ja, die hat ge- lächelt! - Christian Grascha [FDP]: Wir sind einfach nur freundlich!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin im Laufe der letzten Monate in vielen Flüchtlingseinrichtungen gewesen. Dort sind mir Menschen begegnet,

vor denen ich großen Respekt habe. Vielleicht sollten Sie sich wenigstens diese Passage einmal in Ruhe anhören.

(Christian Dürr [FDP]: Wir hören die ganze Zeit zu! Wir denken, vielleicht kommt noch was!)

- Ich sage es noch einmal: Dort sind mir viele Menschen begegnet, vor denen ich großen Respekt habe. Sie haben Schicksalsschläge ertragen müssen, die mir in meinem Leben zum Glück erspart geblieben sind. Sie alle suchen Schutz in Deutschland, aber sie hoffen auch, aus ihrem Leben noch einmal etwas machen zu können.

(Zuruf von der CDU: Zwei Millionen?)

Meine Damen und Herren, geben wir ihnen diese Chance, und tun wir damit gleichzeitig unserer gesamten Gesellschaft Gutes!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In Niedersachsen gibt es eine große, beeindruckende Bereitschaft, anzupacken. Die Landesregierung wird alles daransetzen, damit die Integration gelingt. Ich weiß sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft dabei auf unserer Seite. Lassen Sie uns also ebenso realistisch wie beherzt, ebenso pragmatisch wie begeistert an diese Aufgabe herangehen, die wir am Ende nur gemeinsam bewältigen können. Lassen Sie uns auf dieser Grundlage für eine gute, gemeinsame Zukunft aller Menschen bei uns in Niedersachsen arbeiten!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, für die Abgabe der Regierungserklärung.

Meine Damen und Herren, bevor wir gleich in die Aussprache eintreten, will ich noch etwas zu der Abstimmung über den Antrag von Herrn Försterling vorhin nachtragen: Ich hatte das Haus insgesamt abstimmen lassen, und die Mehrheit hat beschlossen, den Punkt nicht in die Tagesordnung aufzunehmen.

(Jens Nacke [CDU]: Gleichstand!)

Ich hätte es mir auch leichter machen und Sie auf § 66 Abs. 1 Nr. 1 unserer Geschäftsordnung hinweisen und abklären können, ob eine Fraktion oder gar zwei Fraktionen in toto oder mindestens

zehn Mitglieder des Landtages widersprechen. Dem wäre wohl so gewesen. Das Ergebnis wäre aber das Gleiche gewesen. - Das nur zur Korrektheit des Verfahrens.

Meine Damen und Herren, der Herr Ministerpräsident hat eine Regierungserklärung abgegeben. Nach unserer Zeitmessung hat sie etwa 38 Minuten gedauert. Nach unseren Gepflogenheiten erhalten für die nun folgende Aussprache die beiden großen Fraktionen die gleiche Zeit - also jeweils 38 Minuten - und die beiden anderen Fraktionen die Hälfte dieser Zeit - also 19 Minuten.

Ich rufe zunächst Herrn Thümler für die CDUFraktion auf. Ich darf um Ruhe bitten und erteile Ihnen das Wort. - Bitte sehr!

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! EU-Sondergipfel und Debatte über Integrationspolitik in Niedersachsen sind zwei Seiten einer Medaille. Die Frage, die sich mir gerade gestellt hat, ist allerdings: Was war eigentlich der Kerninhalt Ihrer Erklärung, Herr Ministerpräsident? Welche Erkenntnisse gab es, und was war daran neu?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Sie hätten zuhören sollen! Das wäre besser ge- wesen!)

Und wenn Sie schon den Sondergipfel ansprechen, der gestern stattgefunden und zu Ergebnissen geführt hat, die sich durchaus sehen lassen können und die insbesondere auch einige in Ihrer Partei nicht für möglich gehalten hätten, dann wäre es doch vielleicht auch sinnvoll gewesen, das Parlament im Einzelnen über die Ergebnisse dieses Sondergipfels zu unterrichten, bei dem sich die Bundeskanzlerin deutlich durchgesetzt hat