Protokoll der Sitzung vom 09.03.2016

Frau Heilgenstadt, was ist es denn mit der Präventionsarbeit an den Schulen? - Es ist ja gut, dass Sie das in den Fortbildungsveranstaltungen aufgreifen, aber entscheidend ist doch, dass das systematisch und flächendeckend in den Unterricht integriert wird.

Welche Rolle spielt die Prävention bei der Ausbildung der Lehrer bzw. der pädagogischen Kräfte insgesamt? - Dort tun Sie zu wenig. Da reicht auch nicht der Verweis auf die Beratungsstelle; denn die greift doch viel zu spät. Wenn sich die Angehörigen an die Beratungsstelle wenden, haben sie eine Radikalisierung doch bereits wahrgenommen. Dann ist das Kind doch schon in den Brunnen gefallen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Minister, in einer Diskussion im Januar 2015 - Hintergrund war eine Dringliche Anfrage der CDUFraktion - haben Sie auf die Nachfrage, warum das Violence Prevention Network sein Programm in Niedersachsen nicht mehr fortführt, geantwortet:

„Nach Einschätzung der niedersächsischen Polizei war eine Beteiligung zu der damaligen Zeit - ich denke, das ist ein Jahr her - nicht angezeigt, weil es andere Projekte zu fördern galt, die einen höheren Stellenwert genossen haben.“

Herr Minister, das ist lange her, und in der Zwischenzeit ist viel passiert. Ich befürchte aber, dass sich an der grundlegenden Haltung der Landesregierung - nach dem Motto, das ist zwar schon irgendwie ein Thema, aber eben nicht das wichtigste - noch nicht allzu viel geändert hat und Sie im Prinzip immer noch der Meinung sind, das könne nebenbei mit irgendwelchen Einzelmaßnahmen erledigt werden.

Das aber wird nicht gelingen. Nehmen Sie die Islamismusprävention endlich ernst! Vielleicht gelingt es dann, solche Vorfälle künftig zu verhindern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Dr. Birkner. - Jetzt hat sich Ulrich Watermann, SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Watermann!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn dieser Aktuellen Stunde möchte ich ebenso, wie Herr Dr. Birkner es getan hat, sagen: Das Ganze war ein sehr dramatischer Vorfall: ein islamistischer Anschlag auf einen Bundespolizisten in Hannover. Und das Dramatischste ist, dass der Anschlag von einer Minderjährigen ausgeführt wurde. Ein solches Bild hatten wir ja oftmals im Kopf, wenn es darum ging, wie es eigentlich in den Ländern aussieht, in denen Kinder in den Krieg geschickt werden.

Aber wenn ich die heutigen Diskussionsbeiträge höre, wenn ich höre, wie man hier bestimmte Strukturen angreift, dann frage ich mich schon, was man eigentlich im Jahr 2009 getan hat, als dieses Kind bei dem Hassprediger war. Die Erkenntnisse lagen ja im Jahr 2009 vor. Welche Programme sind denn seinerzeit entwickelt worden? - Ein Programm seinerzeit war, vor Moscheen zu beobachten. Aber wer hat sich denn auf den Weg gemacht und das ernsthaft entwickelt, was Sie von CDU und FDP heute einfordern, nämlich Hilfen für Familien anzubieten?

(Johanne Modder [SPD]: So ist es!)

Ist es nicht vielleicht so, dass nicht nur die damalige Regierung, sondern wir alle diese Gefahren falsch eingeschätzt haben? Müssen wir nicht vielleicht gemeinsam einräumen, dass dieser Fall nicht so einfach ist, wie er hier dargestellt worden ist?

Die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt man hier die Radikalisierung erkennen konnte. Wie kann es sein, dass ein Vater, der dies bei seiner Tochter festgestellt hat, sich jetzt den Medien öffnet, wo er doch in elterlicher Verantwortung schon früher entsprechend hätte handeln müssen?

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wie ist es denn eigentlich mit der Verantwortung, die wir nicht nur an den Schulen, sondern auch im Elternhaus einfordern? Welche Angebote haben Sie denn damals gemacht, sich damit an den Schulen auseinanderzusetzen? - Wenn wir diesen Fall ernsthaft betrachten, müssen wir doch gemeinsam einräumen, dass unsere Gesellschaft

keine Antwort auf die Frage hat, wie Minderjährige zu Gewalt geführt werden.

Und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es zu kurz gegriffen, nur darauf abzuheben, wie die Altersgrenze, ab der der Verfassungsschutz Daten speichern darf, aussehen soll.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Vielmehr geht es darum, zu verhindern, dass Kinder geschult werden, Gewalt auszuüben. Wir müssen also nicht das einzelne Kind beobachten, sondern das Umfeld, in dem es geschult wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund muss man auch die Frage, ob man die Altersgrenze richtig gesetzt hat, neu bewerten. Ich finde es jedenfalls bewundernswert, dass hier einige schon Erkenntnisse haben, während ich das Ganze auch nach der Anhörung noch nicht abschließend beurteilen kann.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr rich- tig!)

Ich kann Ihnen eindeutig sagen, dass ich darüber nachdenke, ob das, was wir in unseren Gesetzentwurf geschrieben haben, weiterhin richtig ist. Aber nach dieser Anhörung einseitige Schuldzuweisungen auszusprechen und die Sicherheitskräfte und die Justiz zu verunglimpfen, halte ich für den völlig verkehrten Weg.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir müssen uns gegen die wenden, die diesen Staat von außen angreifen und dafür Kinder missbrauchen. Aber um dem gerecht zu werden, brauchen wir eine andere Debattenkultur als die, die Sie gestern und heute hier gepflegt haben.

Das, was Sie hier abgeliefert haben, zeigt mir jedenfalls: Sie sind nicht an Lösungen orientiert, sondern am Showdown!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Watermann. - Jetzt hat sich der Minister gemeldet. Herr Minister Pistorius, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen in dieser Aktuellen Stunde über ein äußerst ernstes Thema. Lassen Sie mich deshalb in aller Deutlichkeit vorwegschicken: Die Messerattacke auf einen Bundespolizisten, die ein 15-jähriges Mädchen offenbar mit islamistischem Hintergrund verübt hat, ist ein heimtückisches Gewaltverbrechen, das auf das Schärfste zu verurteilen ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Dem Opfer, aber auch seinen Angehörigen gilt an dieser Stelle unser tiefes Mitgefühl. Ich freue mich allerdings, Ihnen sagen zu können, dass es dem Beamten besser geht, dass er aus dem Krankenhaus entlassen worden ist und auf dem Weg der Besserung ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Strafverfolgungsbehörden danken, die mit Hochdruck daran arbeiten, die Hintergründe der Tat detailliert aufzuklären.

Lassen Sie mich aber noch einen Hinweis geben, der eben schon einmal angeklungen ist: Das Video, das jetzt überall genannt wird, stammt aus dem Jahr 2009. Kultusministerin war zu dieser Zeit nach meiner Erinnerung Frau Heister-Neumann und nicht Frauke Heiligenstadt. Von daher finde ich es einigermaßen despektierlich, sie jetzt verantwortlich zu machen für Vorkommnisse, die 2009 oder davor ihren Anfang genommen und jetzt offenbar ihre Fortschreibung gefunden haben.

(Widerspruch bei der CDU - Jörg Bo- de [FDP]: Das hat doch keiner gesagt! Ich will das nur einmal sehr deutlich sagen. (Beifall bei der SPD)

Sie weisen auf Versäumnisse hin, die angeblich vorliegen. Aber ich will sehr deutlich sagen: Wenn es diese Versäumnisse geben sollte, dann haben die ihren Ursprung in Ihrer Regierungszeit und nicht in unserer, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Reinhold Hilbers [CDU]: Das ist ja eine Frechheit! - Jörg Bode [FDP]: Das ist ja unglaub- lich!)

Lassen Sie mich - - -

(Jörg Bode [FDP]: Sie wollen doch nur davon ablenken, dass Sie nicht die Grünen hinter sich haben!)

- Der Unterschied ist Folgender: Ich habe niemandem eine Schuld zugewiesen, sondern ich habe darauf hingewiesen, dass wir über einen längeren Zeitraum von Ereignissen reden, über einen Zeitraum, den man nicht am 19. Februar 2013 nach Belieben beginnen lassen kann.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Sie ha- ben das gerade gesagt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gleichzeitig müssen wir feststellen, dass dieser Vorfall, auch wenn es in Niedersachsen der erste war, keineswegs der erste Vorfall dieser Art generell war. So hat ein aus der Haft entlassener Islamist im Herbst des letzten Jahres in Berlin auf eine Polizistin mit einem Messer eingestochen, nachdem er sich selber die Fußfessel entfernt hatte. Dieser Fall zeigt - wie auch die Diskussion in Bremen über einen aus der Haft entlassenen AlQaida-Unterstützer -, welche Herausforderungen die Sicherheitsbehörden in Deutschland, in ganz Deutschland, in diesem Zusammenhang zu bestehen haben.

Ich sage auch: Selbst dann, wenn wir alles tun, was sich der eine oder andere vorstellt, werden wir nicht alle Menschen, die aus Syrien oder der Türkei zurückgekommen sind oder zurückkommen - mit welcher Motivation auch immer sie dorthin gegangen sind -, 24 Stunden am Tag überwachen können.

(Zuruf von Dr. Stefan Birkner [FDP])

- Herr Birkner, ich werde dazu gleich noch etwas sagen.

Aber selbst, wenn wir das tun würden - wie mit einer Fußfessel oder mit Observationsteams -, könnten wir Straftaten leider nie zu 100 % ausschließen.

Das ist eine Einsicht, die im Übrigen auch die Chefs von Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern teilen. So hat der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Maaßen, kürzlich in einem Interview der Südwest Presse auf die Frage, ob man alle Gefährder - die Rede war von 1 000 bundesweit - oder Heimkehrer rund um die Uhr überwache, Folgendes geantwortet - ich zitiere -: Eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung aller dieser Per

sonen ist faktisch, aber auch“ - und das dürfte Sie jetzt interessieren, Herr Dr. Birkner, aber natürlich auch alle anderen - „unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht möglich. Das ginge nur in Einzelfällen.“