Protokoll der Sitzung vom 13.04.2016

Meine Damen und Herren, uns stellen sich auch noch weitere Fragen, z. B. ob die Verbände das muslimische Leben hier in Niedersachsen tatsächlich repräsentieren. Kann man wirklich eine 90prozentige Vertretung annehmen, auch wenn die Mitgliedschaft bei maximal 20 % liegt? Kann man hier einfach den Faktor 4 anlegen? - Wir haben erhebliche Zweifel, dass das eine geeignete Vorgehensweise ist.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Dies sind Fragen, die wir diskutieren möchten. Unter Berücksichtigung dieser Eckpunkte sind wir bereit, in Gespräche zu diesen Fragen einzutreten. Aber ich sage auch deutlich: Rein kosmetische Änderungen

werden nicht ausreichen. Wir werden hier substanziell neu verhandeln müssen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Für die Fraktion der SPD folgt die Kollegin Johanne Modder. Bitte sehr! Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Birkner, ich will mich vorneweg ganz herzlich für Ihren wirklich sehr sachlichen und nach vorne gerichteten Beitrag bedanken. Wir nehmen Ihr Angebot an, zu konkreten Verhandlungen zu kommen. Dafür herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich finde, das Thema ist in der Aktuellen Stunde auch richtig angesiedelt. Ich habe mich zwar über den Titel gewundert, aber geschenkt! Ihr Beitrag hat das gerade sozusagen korrigiert.

Herr Dr. Birkner, ich bin wie Sie der Auffassung, dass die Landesregierung alles geliefert hat. Die Vertragsentwürfe liegen seit Dezember vor. Die beiden Oppositionsfraktionen haben sich an den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst gewandt, um eine Reihe von Fragen zu klären, aber auch um eine rechtliche Beurteilung zu bekommen. Die FDP war so freundlich, uns das Gutachten des GBD zur Verfügung zu stellen. Auch dafür ganz herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Im Zuge der öffentlichen Beteiligung ist uns eine Reihe von Stellungnahmen aus unterschiedlichen Richtungen zugegangen: von der Konföderation evangelischer Kirchen, vom Katholischen Büro, von den kommunalen Spitzenverbänden und von vielen anderen mehr. Es hat also eine sehr breite öffentliche Beteiligung stattgefunden, wobei ich ausdrücklich hinzufüge, dass es natürlich auch eine breite Medienberichterstattung gab.

Nach der sehr ausführlichen und, wie ich finde, differenzierten Stellungnahme der Kirchen und der Debatten hier im Niedersächsischen Landtag war klar, dass wir, wenn wir eine breite Zustimmung zu diesen Verträgen erreichen wollen, zu Veränderungen kommen müssen. Das haben sowohl die

Landesregierung als auch die Regierungsfraktionen auch immer wieder kommuniziert. Ich betone das hier ausdrücklich noch einmal, und ich stehe auch persönlich dafür.

Bislang bin ich aber davon ausgegangen, dass sich die Fraktionen nach Vorliegen des Gutachtens des GBD gemeinsam mit der Landesregierung sehr ernsthaft daran arbeiten, zu welchen Änderungen und zu welchen Klarstellungen es im Vertragswerk kommen muss, um zu einem erfolgreichen Abschluss zu kommen und um ein wichtiges Signal an die muslimischen Verbände zu senden. Ich finde, auch die Aktuelle Stunde im Februar hat in die richtige Richtung gezeigt.

Aber inzwischen sind bei mir zumindest Zweifel entstanden, dass insbesondere die Damen und Herren der CDU weiterhin eine Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung haben.

(Unruhe bei der CDU)

- Ich sage das in aller Ruhe, und das kann ja auch geklärt werden.

Ich will das auch begründen. Die Verhandlungen mit den islamischen Religionsgemeinschaften DITIB und Schura sowie der Alevitischen Gemeinde Deutschlands, die ja durch Ihren ehemaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff angestoßen und begonnen und durch die Regierung McAllister fortgesetzt wurden, haben in der heutigen Zeit aufgrund der großen Flüchtlingsbewegung eine ganz besondere Bedeutung gewonnen. Wer will das abstreiten?

Das Zustandekommen der Verträge ist aus meiner Sicht wichtiger denn je. Es wäre aber auch ein wichtiges Signal in die islamischen Glaubensgemeinschaften hinein und ein wichtiges Zeichen für die Integration.

In den Verträgen ist die Absicht dokumentiert, dass die vielen in Niedersachsen lebenden Musliminnen und Muslime an unserer Gemeinschaft teilhaben sollen und dass sie zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung bereit sind - etwas, was sie im Übrigen schon seit vielen Jahren praktizieren. Wer jetzt aber - und das sage ich in aller Sachlichkeit - die Anforderung stellt, dass in den Verträgen die Verpflichtung der muslimischen Verbände zur Arbeit gegen den islamistischen Extremismus enthalten sein muss, begibt sich nach meiner Meinung auf einen sehr schmalen Grat. Das, meine Damen und Herren, müssen wir miteinander ausdiskutieren, weil im Bereich der Prävention die Glaubensgemeinschaften schon seit vielen Jahren eine en

ge Zusammenarbeit mit der Landesregierung, und zwar auch schon mit der vorherigen, praktizieren.

(Ulf Thiele [CDU]: Genau! Und darum spricht ja auch nichts dagegen, es im Vertrag festzuschreiben!)

Meine Damen und Herren, in den Verträgen bekennen sich die islamischen Landesverbände und die Aleviten zum Grundgesetz und zur Niedersächsischen Verfassung. Damit ist ein klares Bekenntnis zu unseren Grundrechten und Grundfreiheiten gegeben. Wer sich zu unseren Rechten bekennt, der wird sich auch gegen jede Form von Kriminalität und insbesondere gegen den terroristischen Extremismus stellen. In den Verträgen ist aus meiner Sicht also schon die Grundlage für das gelegt, was z. B. Sie von der CDU extra noch einmal aufnehmen wollen.

Mit dem Bekenntnis zu unserem Grundgesetz ist auch das Bekenntnis zur Religionsfreiheit verbunden. Die muslimischen Verbände bekennen sich dazu mit der Unterzeichnung der Verträge! Einer nochmaligen ausdrücklichen Erwähnung, wie Sie, Herr Thümler, sie gefordert haben, bedarf es nicht, z. B. weil es das Recht zum Austritt aus einer Religion, wie wir es formal durch den Austritt aus der christlichen Kirche tun können, im theologischen Sinne im Islam nicht gibt.

Wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht einerseits die Freiheiten des Grundgesetzes einfordern und andererseits die Freiheit zur Religionsausübung gleich wieder durch unsere eigene Vorstellung von einem kirchlich verwalteten Glauben einschränken und vorgeben, dass der Glaube bitte schön nach den Regeln der christlichen Kirche auszuüben ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Sinn der Verträge, meine Damen und Herren, liegt doch darin, die Religionsfreiheit des Grundgesetzes mit Leben zu füllen und einen Beitrag für Integration und für das friedliche Zusammenleben dieser Religionen zu leisten.

Ich bitte daher sehr eindringlich darum - hier noch einmal mein Dank an die FDP -, dass wir uns jetzt zusammensetzen und uns sehr ernsthaft den Vertragswerken zuwenden, um sie zum Abschluss zu bringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Modder. - Für die Fraktion der FDP folgt jetzt Kollegin Anja Piel. Bitte sehr!

(Helge Limburg [GRÜNE]: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen!)

- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entschuldigung!

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Die Richtung stimmt schon!)

- Der Aufmerksamkeitstest ist geglückt.

Bitte sehr, Frau Piel!

Herr Präsident! Ich spreche für Bündnis 90/Die Grünen und nicht für die FDP. Aber das haben Sie ja bereits korrigiert.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Christian Grascha [FDP]: Da- rauf legen wir auch Wert!)

Mein Dank gilt erst einmal meinen beiden Vorrednern für die sachliche Einbringung.

Die FDP fordert von der Landesregierung, sich zu den Vertragsverhandlungen mit den muslimischen Verbänden DITIB und Schura und der Alevitischen Gemeinde zu erklären. Aber in dem wichtigsten Punkt hat sich die Landesregierung bereits erklärt, und zwar an prominenter Stelle, nämlich im Text des vorliegenden Vertrags selbst. Darin bekennt sich Niedersachsen gemeinsam mit den Vertragspartnern dazu - ich zitiere -, „das friedliche und gedeihliche Zusammenleben aller Menschen in einem freiheitlich-pluralistischen Gemeinwesen zu fördern und zu festigen und in der Absicht, stets für Werte wie Humanität, Solidarität, soziale Gerechtigkeit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau einzutreten“.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta übernimmt den Vorsitz)

Erklärt hat sich auch die FDP. Sie hat erklärt, dass sie dem Vertrag in der aktuellen Fassung nicht zustimmen könne. Wir haben von Herrn Birkner soeben gehört, dass es der FDP im Wesentlichen darum geht, dass die Punkte, in denen festgeschrieben wird, was das Bundesverfassungsgericht geklärt hat, zu deklaratorisch sind. Ich gehe nicht davon aus, dass die FDP es ablehnt, dass Muslime und Aleviten an bestimmten Feiertagen, die in Deutschland keine gesetzlichen Feiertage

sind - wie Weihnachten oder Ostern -, von ihren Arbeitgebern freigestellt werden können.

In den vergangenen Tagen wurde aber auch immer wieder die Frage gestellt - und das irritiert mich ein bisschen -, ob die Verbände DITIB und Schura, mit denen die Verträge verhandelt wurden, überhaupt die richtigen Verhandlungspartner sind. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition daran erinnern, dass die Vorgängerregierung die Regelungen zum islamischen Religionsunterricht, zur Justizseelsorge und auch zur Islamischen Fakultät an der Universität in Osnabrück gemeinsam mit denselben Verbänden ausgearbeitet hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das waren DITIB und Schura, und ich denke, sie haben sich in Bezug auf die Ansprechpartner nicht so sehr verändert und stehen immer noch zur Verfügung.

Hinter den Verbänden, mit denen die Landesregierung hierüber spricht, versammeln sich viele der hier lebenden Musliminnen und Muslime. Sie sind schon lange unsere Ansprechpartner. Wir können nicht erkennen, was sich an ihnen seit dem Ende Ihrer Regierungszeit wesentlich verändert haben soll.

Meine Damen und Herren, mein Verständnis für die Kritik an dem Vertrag endet allerdings an einem Punkt, und da bin ich Frau Modder ausgesprochen dankbar für ihre klaren Worte. Ich meine den Punkt, dass die Bekämpfung des islamistischen Extremismus im Vertrag als Aufgabe festgeschrieben werden soll.

Herr Birkner, Sie haben ausdrücklich gesagt, dass deklaratorische Punkte nicht aufgenommen werden sollten. Daran möchte ich Sie an dieser Stelle erinnern.