Protokoll der Sitzung vom 18.05.2018

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist gut und richtig, dass unter der rotgrünen Landesregierung massiv in die Schutzeinrichtungen investiert wurde. Ich freue mich auch über das, was ich gerade von der Ministerin gehört habe, nämlich dass sie das Thema Wohnungslosigkeit und Frauen bearbeitet. Das ist gut. Auch Investitionen in die Barrierefreiheit der Frauenhäuser, wie sie die neue Landesregierung nun plant, sind wichtig; denn Frauen und Mädchen mit Be

hinderungen sind tatsächlich besonders stark gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden.

Das sind alles gute Ansätze. Doch wie ich schon in der Aktuellen Stunde gesagt habe: Auch die schönste stufenlose Rampe nützt der Frau im Rollstuhl nichts, wenn drinnen im Frauenhaus gar kein Platz mehr frei ist.

Daher fordern wir die Landesregierung auf, aktiv zu werden: Setzen Sie sich für einen Rechtsanspruch und für eine sichere Finanzierung ein! Damit es auf keinen Fall dazu kommt, dass eine Frau und ihre Kinder, die von Gewalt bedroht sind, allein auf der Straße stehen gelassen werden. Lassen Sie uns gemeinsam etwas dagegen tun.

Danke.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort Frau Abgeordnete Pieper. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Byl, Sie haben völlig recht: Gewalt gegen Frauen ist kein Einzelphänomen. Jede vierte Frau erlebt in ihrem Leben mindestens einmal Gewalt u. a. durch ihren Lebenspartner. Dies zeigen auch mehrere Studien, die u. a. vom Bundesministerium in Auftrag gegeben wurden. Polizeilich registriert ist nur ein geringer Teil der Beziehungstaten. Lange Zeit war das leider auch ein Tabuthema. Insofern eint es uns, dass wir uns freuen, dass es nun wirklich präsent wird.

Gewalttaten, die im sozialen Nahraum begangen werden, sind schwerwiegend. Die Frauen erleiden zum Teil schwerste Körperverletzungen. Es gibt Vergewaltigungen und versuchte oder vollendete Tötungen. Frauen werden größtenteils Opfer ihrer Ehemänner oder Exehemänner, ihrer Freunde oder Exfreunde. Und vor allen Dingen: Es passiert in allen sozialen Schichten. Wir als CDU-Fraktion sagen klar und deutlich: Jeder, aber wirklich jeder, Fall ist einer zu viel; denn dahinter verbergen sich dramatische Lebensschicksale. Das ist meines Erachtens nicht hinnehmbar.

Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zeigt auf, dass wir immer wieder genau hinschauen müssen. Er zeigt mögliche Lösungen, um Frauen die nötige Hilfestellung zu

geben. Oftmals sind nicht nur sie betroffen, sondern auch die in der Familie oder der Lebenspartnerschaft lebenden Kinder.

Auch der Europarat hat sich dieses Themas bereits 2011 angenommen und die sogenannte Istanbul-Konvention verabschiedet. Man hat es sich darin zur Aufgabe gemacht, seinen Fokus europaweit auf die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu lenken und hat mit Inkrafttreten am 1. August 2014, die Länder aufgefordert, diese Konvention zu ratifizieren. Deutschland hat dies Ende 2017 getan und nun sind wir alle - Bund, Länder und auch Kommunen - gefordert, die bereits getätigten Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen zu überprüfen und gegebenenfalls bedarfsgerecht im Sinne der Konvention nachzusteuern.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits am 22. Februar dieses Jahres hat sich die Sozialministerin Dr. Reimann im Rahmen unserer Fachausschusssitzung diesbezüglich positioniert, indem sie sagte:

Aktuelle Ereignisse zeigen uns leider immer wieder die Notwendigkeit, Frauen nicht nur zu fördern, sondern auch zu schützen. Zum einen vor alltäglichem Sexismus, indem wir z. B. stärker auf ihn aufmerksam machen.

Auch die Veranstaltung zum Internationalen Frauentag am 8. März 2018 „Wir sagen Nein zu Sexismus - auch in der Werbung!“ hat dies noch einmal sehr klar verdeutlicht.

Weiter sagte die Ministerin:

Zum anderen müssen wir Frauen vor Gewalt schützen. Hier investieren wir vor allem in die Frauenhäuser, in denen Frauen auch kurzfristig Zuflucht finden können. Wir werden daher ein Förderprogramm für den barrierefreien Umbau der Frauenhäuser auflegen und 1 Million Euro zusätzlich investieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen also, dass wir als SPD/CDU-Regierungskoalition bereits Maßnahmen für eine Verbesserung ergriffen haben.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Weitere Maßnahmen waren und sind die permanente Aufstockung der Haushaltsmittel auf jetzt

8,65 Millionen Euro. Davon entfallen rund 4,3 Millionen Euro auf die Frauenhäuser.

Natürlich müssen wir immer wieder überprüfen, wie wir besser werden können - ob bei der Barrierefreiheit oder bei der Finanzierung, die auskömmlich sein muss; denn Kinder werden dabei ja nicht eingerechnet. Die Herausforderungen werden immer komplexer - es ist und bleibt ein fortlaufender Prozess, dem wir alle uns stellen müssen.

Wir haben die Aktionspläne I, II und III und das Programm „Wer schlägt, muss gehen!“. Wir haben das Krisentelefon, wir haben die 34 Beratungs- und Interventionsstellen (BISS), und wir fördern 41 Frauenhäuser und 3 Mädchenhäuser. Natürlich ist die Auslastung überall unterschiedlich.

Der vorliegende Antrag geht auf viele Punkte ein. Bei genauer Betrachtung muss aber auch gesagt werden: Vieles ist bereits umgesetzt, einiges wird zurzeit erarbeitet, und über den einen oder anderen Gedankengang sollten wir im Fachausschuss hinreichend beraten. Denn ein Ziel eint uns: Nicht eine Frau, nicht ein Kind darf Gewalt ausgesetzt werden. Wir alle, Gesellschaft, Bund, Länder und Kommunen, müssen unserer Aufgabe der Daseinsvorsorge mit adäquaten Hilfsangeboten nachkommen.

Ich freue mich insofern auf die Beratung. Und wenn es erforderlich sein sollte, sollten wir uns auch nicht vor einer Anhörung scheuen. Gute, umsetzbare, bedarfsgerechte Lösungen - das ist unser Ziel.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. - Für die SPDFraktion hat nun Frau Kollegin Dr. Wernstedt das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen und damit oft auch gegen Kinder ist ein riesiges gesellschaftliches Problem - das ist hier schon ausführlich erörtert worden -, obwohl engagierte Fachfrauen und -männer, die Kommunen, die Bundesländer und der Bund seit Jahrzehnten Instrumente und Hilfen entwickelt haben und Geld bereitstellen, um den betroffenen Frauen und Kindern zu helfen. Aber - und das ist bei die

ser Entwicklung ein gravierender Nachteil - das in der Regel örtliche Engagement hat zu einem Flickenteppich von Modellen, Finanzierungen und natürlich auch zu Hilfslücken geführt.

Dass auch Deutschland Ende 2017 endlich, nach langen Jahren, die sogenannte Istanbul-Konvention ratifiziert hat - Gudrun Pieper hat es gerade erwähnt -, ist ein überfälliger Schritt gewesen, um die Unterstützung für von Gewalt betroffene Frauen systematisch besser zu gestalten.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen guten Entschließungsantrag zu diesem Thema erarbeitet, der Grundlage für eine gründliche Diskussion im Ausschuss sein sollte. Viele der Forderungen sind ganz im Sinne unserer gemeinsamen Arbeit in der letzten Legislaturperiode.

Von den Fachfrauen in den Frauenhäusern gibt es gute Konzeptpapiere und inzwischen auch Priorisierungslisten, was in Niedersachsen zuerst getan werden sollte. Eine solche Liste hat uns in den letzten Tagen die LAG der autonomen Frauenhäuser zugesandt. An dieser Stelle vielen Dank für diese Arbeit.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Es braucht in der Tat den Lückenschluss in manchen Kommunen, es braucht sicherlich auch mehr Plätze, und über die Schätzwerte in der IstanbulKonvention zum tatsächlichen Bedarf im Land sollte kritisch diskutiert werden.

Wünschenswert, ja, politisch überfällig, ist die Vereinheitlichung der Finanzierung auch mithilfe des Bundes. Der Hilfe- und Finanzierungsbedarf ist differenziert. So haben z. B. Studentinnen oder Frauen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus keinen Anspruch auf Aufnahme in ein Frauenhaus - das gilt auch für manche andere Gruppe von Frauen -, und für Frauen, die arbeiten, sind die Beiträge, die sie selber leisten müssen, relativ hoch. Hier Hürden und Hemmschwellen durch eine einheitliche und verlässliche Finanzierung zu senken, ist ein wichtiges Anliegen.

Die Durchbrechung der Gewaltspiralen und die Respektierung der Selbstbestimmung bei der Wahl der Hilfen für die betroffenen Frauen sind auch für die mitbetroffenen Kinder von großer Bedeutung. Wer jahrelang hilflos mit ansehen muss, wie der eigenen Mutter Gewalt angetan wird, wie sie erniedrigt und ihrer Würde beraubt wird, für den sind die Voraussetzungen schwierig, um selbst später Konflikte anders zu lösen und eigener Unsicherheit

und Gefühlen von Machtlosigkeit anders zu begegnen als mit Gewalt gegen Sachen oder Menschen.

Nach wie vor erleben viel zu viele Frauen in Deutschland Gewalt und sexuellen Missbrauch. Vor diesem Hintergrund ist es begrüßenswert, dass Niedersachsen an einem Modellprojekt des Bundes teilnimmt, um das Hilfeangebot passgenau für die Bedarfe der betroffenen Frauen zu machen. Dafür wird derzeit eine Lageanalyse durchgeführt, deren Ergebnisse wir Mitte 2019 erwarten.

Aber so lange sollten wir mit ersten weiteren Maßnahmen nicht warten. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU auf Bundesebene ist ein erfreuliches Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Hilfeangebote formuliert worden. Allerdings müssen wir sicherlich aufpassen, dass die ohne Zweifel notwendige Analyse der Lage und Absprachen in Form eines Runden Tisches nicht die gesamte Legislaturperiode umfassen, sondern auch mit der Umsetzung der erörterten Maßnahmen begonnen wird.

Wir werden im Sozialausschuss ausführlich über die guten Vorschläge in diesem Antrag debattieren, uns von der Landesregierung unterrichten lassen und - das möchte ich im guten Einvernehmen mit Gudrun Pieper schon hier vorschlagen - eine Anhörung durchführen, auch um diesem Thema die gebührende öffentliche Aufmerksamkeit zu geben.

Vielleicht gelingt es auch, diesen Antrag gemeinsam zu beschließen. Ich halte es dabei für sinnvoll, auch noch andere Aspekte und Hilfen zur Konfliktbewältigung wie z. B. die Arbeit von Mediationsvereinen wie der „Waage“ in Hannover in die Überlegungen mit einzubeziehen.

Ich bin gespannt auf die Diskussion im Ausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Wernstedt. - Das Wort hat nun für die Fraktion der AfD der Kollege Bothe. Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es bedarf eines breiten politischen Willens, um den dringend notwendigen Rechtsan

spruch auf sofortigen Schutz und sofortige Hilfe in einer Schutzeinrichtung für von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern zu schaffen. Aber ich frage Sie: Ist dieser politische Wille auf Bundesebene wirklich vorhanden?

Am 11. November 2008 fand im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages eine Anhörung zum Thema „Situation der Frauenhäuser“ statt, bei der die Teilnehmer zu der Erkenntnis gelangten, dass es nicht für alle betroffenen Frauen einen niedrigschwelligen Zugang zu Frauenhäusern gibt. - Wohlgemerkt, das war im Jahr 2008!

Ist es in der Folge dieses Erkenntnisgewinns zu einem verwertbaren politischen Handeln gekommen? Hat der Bundesgesetzgeber konkrete Schritte unternommen, um betroffene Frauen einen niedrigschwelligen Zugang zu Schutz und Hilfe rechtlich zu garantieren? - Die Antwort lautet: Nein! In den letzten zehn Jahren hat sich in der Bundespolitik nicht viel für die von Gewalt betroffenen Frauen getan. Es mangelte dem Bundestag wahrlich damals schon nicht an mehrfachen Expertisen, Stellungnahmen, Gutachten und Lösungsvorschlägen von erfahrenen Expertinnen, z. B. von der Frauenhauskoordinierung e. V. und der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser. Dennoch wurde von der Bundespolitik damals und auch in der Zwischenzeit nichts unternommen. Stattdessen wurde das Problem zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben.

(Dr. Thela Wernstedt [SPD]: Kommu- nale Aufgabe!)