Vielen Dank, Herr Minister. - Rein theoretisch kann dazu gesprochen werden, aber ich sehe keinen Bedarf, sodass wir jetzt zu Tagesordnungspunkt 39 übergehen können.
1Die Antworten zu den Anfragen 2 bis 46, die nicht in der 20. Sitzung des Landtages am 22. Juni 2018 behandelt und daher zu Protokoll gegeben wurden, sind in der Drucksache 18/1180 abgedruckt.
Tagesordnungspunkt 39: Erste Beratung: Zukunft der Geburtshilfe in Niedersachsen sichern - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/1065
Danke schön. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine beiden Kinder verdanken ihre unfallfreie Ankunft auf diesem Planeten den Hebammen im Städtischen Klinikum in Braunschweig, und dafür bin ich bis heute voller Dank.
Diese persönliche Erfahrung mit Hebammen prägt natürlich auch mein Bild von diesem Beruf bis heute. Mein Sohn z. B. hat sich gemächliche 28 Stunden Zeit gelassen, selbst einmal einen Blick in den Kreißsaal zu werfen. Da ist man als werdende Mutter froh, wenn wenigstens die Hebammen wegen des Schichtwechsels zwischendurch fit und ausgeruht sind, weil man sich ja selbst schlecht aus dem Vorgang herausziehen kann. Gut, wenn die dann neue Energie mitbringen und heimlich Tee mit viel Traubenzucker anrühren.
Das Bild von der Hebamme ist natürlich zuerst das der Geburtshelferin bei der Geburt. Ein Arzt steht da nicht - das kann er nicht - stundenlang daneben, macht Mut oder beruhigt. Er lässt kein Bad ein, er zaubert nicht heimlich den besagten Traubenzucker aus der Tasche, und er erteilt nicht genau die Befehle, die für Mutter und Kind in dem Moment richtig sind.
Aber Hebammen haben auch eine soziale Aufgabe. Sie begleiten junge Familien vor und nach der Geburt. Schon mal drei Monate lang abends stundenlang versucht, ein brüllendes Baby zu beruhigen? Oder ein Kind gehabt, das partout - trotz allem Zureden - nicht verstehen wollte, wie das mit dem Stillen funktioniert, was ich also von ihm erwarte? Oder haben sich - trotz Puppenwickelkurs in der örtlichen Volkshochschule - am lebenden Objekt plötzlich neue Fragen aufgetan? Für all diese und noch viel mehr Fragen und Aufgabenstellungen sind Hebammen in der Nachsorge, nach der Entbindung, für viele junge Frauen der wohl wichtigste Ansprechpartner, genau wie für mich vor 21 Jahren.
Der eine oder die andere hat eine Oma zur Hand. Es ist aber bei Weitem nicht mehr so, dass die zeitlich und örtlich verfügbar ist und man sie immer fragen könnte. Für alle Fragen, die sich rund um das Neugeborene ergeben - und jeder, der sich ernsthaft selber darum bemüht hat und nicht nur seine Frau sich hat bemühen lassen, weiß, wie viele das sind -, gibt es einen kompetenten Ansprechpartner: die Hebamme.
Der Beruf der Hebamme ist mehr als Geburtshilfe. Er erfüllt eine wichtige soziale Aufgabe. Die Entwicklung der Hebammenwissenschaft als Sozialwissenschaft mit hohem medizinischen Anteil muss also im gesellschaftlichen Interesse liegen.
Wir alle haben vor ein paar Jahren die Diskussion um die wahnsinnig gestiegenen Beiträge zu den Haftpflichtversicherungen verfolgt. Da ist eine tragfähige Lösung gefunden worden, bei der man erst einmal bleiben sollte.
Die Fallpauschalen in der Abrechnung tauchen immer wieder in der Diskussion auf. Die müssen im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Es ist eine Tendenz zu beobachten, dass viel mehr Kaiserschnitte durchgeführt werden, als es medizinisch unbedingt angesagt wäre. Auf keinen Fall darf die Vergütung der Leistungen hier einen falschen Anreiz schaffen. Da müsste einmal genauer hingeguckt werden, was die Hintergründe sind.
Ein anderes Problem drängt in absehbarer Zeit besonders: In den kommenden Jahren gehen deutlich mehr Hebammen in den Ruhestand, als wir momentan ausbilden. Schon jetzt ist es für Schwangere ein Riesenproblem, überhaupt eine Hebamme zu finden. Neulich habe ich in einem Radiobeitrag die Empfehlung gehört - sie war lustig gemeint, aber darauf läuft es hinaus -, sich am besten schon vor dem Schwangerschaftstest eine Hebamme zu besorgen. - So weit darf es nicht kommen.
Es gibt Hebammenzentralen; die helfen schon, eine Hebamme zu finden. Es gibt Eltern, die Bewerbungen schreiben, in denen sie, um eine Hebamme zu bekommen, versichern, dass sie ganz pflegeleicht seien. Neulich habe ich von einem Fall gelesen, in dem ein Vater vor dem Büro einer Hebamme campiert hat, damit sie sich nach der Geburt um seine Frau kümmert.
Wir dürfen junge Familien nicht im Regen stehen lassen. Es ist in unseren Augen Aufgabe des Landes, eine Bedarfsanalyse vorzunehmen und sich dann schleunigst Gedanken über die Ausbildungskapazitäten zu machen.
Es kommt nämlich noch etwas hinzu: Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, die Ausbildung der Hebammen bis zum Januar 2020 den europäischen Qualitätsstandards anzupassen. Diese Umstellung ist in fast allen europäischen Ländern schon erfolgt. Schon jetzt haben hier ausgebildete Hebammen riesige Probleme, im EU-Ausland zu arbeiten. Die Ausbildung ist, um den europäischen Standards zu entsprechen, in ein Studium zu überführen. Es ist wissenschaftliches Arbeiten genauso gefordert wie eine zwölfjährige Schulbildung vorweg, und das Anforderungsniveau setzt Abitur voraus. Da auch jetzt in der Praxis alle Auszubildenden an den Hebammenschulen über das Abitur verfügen, ist das ungefähr das Einzige, was sich nicht wirklich ändert.
Unser Antrag formuliert Anforderungen an einen solchen Studiengang. Momentan gibt es in Niedersachsen elf Hebammenschulen, die sinnvollerweise an große Kliniken angegliedert sind. An diesen findet eine praxisnahe Ausbildung statt. Künftig sind an den Hochschulen Lehrstühle zu schaffen, die die wissenschaftliche Grundlage der Hebammenwissenschaft legen, wie in den anderen Ländern der EU. Den Hochschulen muss die Verantwortung für die Ausbildung übertragen werden. Wie eine Einbeziehung der bisherigen Hebammenschulen aussehen kann, muss untersucht werden.
Wir haben z. B. in Niedersachsen an der Hochschule Osnabrück einen ersten solchen Bachelorstudiengang an einer staatlichen Hochschule; auch dieser Studiengang muss dann unweigerlich ganz an die Hochschule verlagert werden. Und an einer privaten Hochschule, der hochschule 21 in Buxte
Es ist zu klären, wie das Personal an den Hebammenschulen eingebunden werden kann. Die Lehrenden leisten hier hervorragende Arbeit, besonders in der praktischen Ausbildung. Diese Kompetenzen werden wir weiter brauchen. Wir müssen sie unbedingt erhalten. Allerdings verfügen nicht alle dieser Lehrenden über die Befähigung, an einer Hochschule zu unterrichten. Da brauchen wir Angebote, wie das nachgeholt werden kann.
Das Studium könnte auf ein duales Studium von vielleicht sieben oder acht Semestern Länge hinauslaufen, mit hohem Praxisanteil. Das und das entsprechende Curriculum sind jetzt dringend in Angriff zu nehmen.
Unser Antrag fordert das Land zum Handeln auf, im Interesse der jungen Familien, im Interesse der Hebammen, in unser aller Interesse.
Eine Anmerkung noch: Abweichend von dem Text in der Tagesordnung beantragen wir, dass der Ausschuss für Soziales die federführende Beratung übernimmt.
Ich bitte unter den Fraktionsführungen zu klären, ob die Federführung geändert werden kann oder ob wir vielleicht streitig abstimmen müssen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP hat einen Entschließungsantrag zum Thema Geburtshilfe mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt.
Frau Kollegin Schütz hat sehr eindrucksvoll eingeführt und praktische Beispiele angeführt. Ich glaube, Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, was Ihre Beteiligung an dem Ganzen angeht. Hebammen waren zweifellos sehr hilfreich. Aber die Frau selber trägt ja doch die Hauptarbeit bei der Angelegenheit.
Der Schwerpunkt des Antrages liegt auf Fragen der Ausbildung, auch wenn wichtige Versorgungsfragen angesprochen werden, wie die Vergütung von Geburtshilfe in unterschiedlichen Settings und die Frage nach einheitlichen Standards.
Wir haben hier in den vergangenen Jahren schon häufig über Fragen der geburtshilflichen Versorgung in Niedersachsen debattiert. Dabei haben auch Fragen der Ausbildung eine Rolle gespielt. Auch die hohe Kaiserschnittrate ist hier in der letzten Legislaturperiode intensiv besprochen worden, und das Sozialministerium hat Maßnahmen ergriffen, um diese Rate zu senken.
Schon seit vielen Jahren wird über die Zukunft der Hebammenausbildung debattiert. Der Deutsche Hebammenverband sagt, dass inzwischen 20 Jahre ins Land gegangen sind und noch immer keine richtige Bewegung entstanden ist. Die Hebammenverbände argumentieren mit der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments, die eine grundständige akademische Ausbildung in allen Mitgliedstaaten fordert, um eine solche auch in Deutschland zu erreichen. Deutschland, Luxemburg und Estland haben die Ausbildung bisher nicht akademisiert.
Der Wissenschaftsrat forderte 2012 eine akademische Quote von 10 bis 20 % der Hebammen in Deutschland. Der Deutsche Hebammenverband fordert eine grundsätzliche Akademisierung, also 100 %. Klar ist - unabhängig davon, welche Quote man für richtig hält -, dass die Ausbildung reformiert werden muss, in Richtung auf Akademisierung. Das heißt, die heute schon vorhandenen Studienmöglichkeiten müssen ausgebaut werden; Sie haben die Hochschule Osnabrück und auch die private Hochschule in Buxtehude schon erwähnt.
Die meisten Hebammen werden in Schulen ausgebildet. Niedersachsen hat aber, wie erwähnt, in Osnabrück einen Bachelorstudiengang unter Leitung von Frau Professorin zu Sayn-Wittgenstein und an der Medizinischen Hochschule Hannover - das ist noch nicht erwähnt worden - einen internationaler Masterstudiengang unter Leitung von Frau Professorin Groß eingerichtet.
In Hannover ist - das weiß ich, weil ich hier Abgeordnete bin - zusätzlich Bewegung in die Ausbildung geraten, weil mit der Schließung einer großen geburtshilflichen Abteilung im Klinikum Region Hannover eine traditionsreiche Hebammenschule geschlossen werden musste. Sie wurde mit den anderen Schulen fusioniert, auch unter Beteiligung
Mit dem Gesundheitscampus Hildesheim/Göttingen, der sich in der letzten Wahlperiode zusammengeschlossen hat, werden auch andere medizinische Ausbildungsberufe weiter akademisiert, in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät in Göttingen.
Wir sehen also: In Niedersachsen ist in den letzten Jahren viel geschehen und in Bewegung geraten, und es ist weiter in Bewegung. Weil wir hier so gutes Potenzial haben, kann man weiterdenken.
Für eine weitere Akademisierung, aber auch für gute Forschung braucht es aus meiner Sicht eine feste Zusammenarbeit mit medizinischen Fakultäten. Das darf aber nicht bedeuten, dass die Hebammen hierarchisch unter Professuren für Frauenheilkunde eingeordnet werden. Sie müssen vielmehr eigenständige, gleichwertige Lehrstühle bekommen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass medizinische Geburtshilfe und Hebammenwissenschaft in der Forschung voneinander profitieren können und eng zusammenarbeiten müssen. Daher sollte eine feste Kooperation eines jeden Instituts für Hebammenwissenschaft an Hochschule oder Universität, wie z. B. in Osnabrück, mit einer medizinischen Fakultät vereinbart werden. In Hannover wäre das denkbar unkompliziert. In Göttingen und Hildesheim ist mit dem Gesundheitscampus gute Vorarbeit geleistet worden. Osnabrück lässt sich mit Oldenburg und Groningen zusammendenken, weil Oldenburg ohnehin eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Niederländern hat.
Ich rede nicht einer sofortigen 100-prozentigen Akademisierung das Wort. Unsere schulischen Ausbildungen sind sehr gut, und die ersten Erfahrungen im Bundesgebiet mit dualen Studiengängen - Frau Schütz hat es angesprochen - sind ebenfalls gut. In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird derzeit intensiv über Fragen der Weiterentwicklung der Hebammenausbildung gesprochen. Ich gehe davon aus, dass demnächst entsprechende Ergebnisse kommen werden.
Schade ist, dass bisher auch in Niedersachsen noch nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, einen Modellstudiengang einzurichten. Ich glaube, dass die Einrichtung eines Lehrstuhls für Hebammenwissenschaft an der MHH gut wäre, um die jahrelange Vorarbeit in Bezug auf die Ausbil
dung und die herausragende Hebammenforschung, die von Frau Professorin Groß gemacht wird, für die MHH und für Niedersachsen zu sichern.