Protokoll der Sitzung vom 23.08.2018

Schönen Dank, Frau Janssen-Kucz. - Für die SPDFraktion spricht nun der Kollege Uwe Schwarz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die gute Nachricht ist schon verkündet worden: Mit 385 000 berufstätigen Ärzten haben wir in Deutschland so viele Ärzte wie noch nie. Allein in den letzten zehn Jahren gab es eine Steigerung um über 60 000.

Es gibt aber auch schlechte Nachrichten: Erstens. Immer weniger Ärzte lassen sich als Hausärzte nieder. Waren es vor 20 Jahren noch 60 % aller Medizinstudenten, sind es heute nur noch 40 %. Das Verhältnis des Anteils von Hausärzten zu Fachärzten hat sich genau umgekehrt. Durch die Kreierung immer neuer Facharztgruppen hat dies die ärztliche Selbstverwaltung im Übrigen zum größten Teil selbst verursacht. Die Folge sind Verteilungskämpfe um die Honorare.

Zweitens. Immer weniger Ärzte wollen als Selbstständige arbeiten. Allein in den letzten drei Jahren stieg der Anteil angestellter Ärzte von 13 % auf 18 %.

Drittens. Der Arztberuf wird immer weiblicher. 63 % der Medizinstudierenden sind Frauen; im Fachbereich der Allgemeinmedizin sind es sogar 75 %. Die gewünschten Rahmenbedingungen für eine Niederlassung haben sich seither deutlich verändert - nicht nur hinsichtlich einer guten Vereinbarung von Familie und Beruf, sondern auch hinsichtlich der deutlich geringeren Bereitschaft, sich alleine niederzulassen. Ärztinnen bevorzugen eindeutig Teilzeitarbeitsplätze oder Gemeinschaftspraxen.

Es liegt also ein gewaltiger Berg von Problemen vor den Akteuren im Gesundheitswesen. Das ist aber nicht erst seit heute so. Das hat schon mit der regionalisierten Bedarfsplanung begonnen. Was nützen Versorgungsbereiche analog den Land

kreisgrenzen? Die Ärzte sitzen dann vielleicht in der Kreisstadt, aber in den benachbarten Grundzentren lässt sich kein Arzt nieder. Trotzdem gilt die Versorgung als gesichert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Lebenswirklichkeit insbesondere von nicht mobilen älteren oder gebrechlichen Menschen hat das rein gar nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir brauchen dringend eine regionalisierte Bedarfsplanung, die diesen Namen auch verdient.

Zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung waren wir in den letzten Jahren in Niedersachsen nicht untätig: Einführung des NiedersachsenFonds in Höhe von 1 Million Euro pro anno, bis zu 50 000 Euro Zuschuss für eine neue Arztniederlassung, Stipendienprogramme für die Hausarztausbildung, Verstärkung der Telemedizin und der Delegationsausweitung, unterschiedliche Modelle in den zwischenzeitlich über 30 Gesundheitsregionen.

An dieser Stelle möchte ich die ausgesprochen vorbildliche Zusammenarbeit hervorheben, die vom Land, den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung geleistet wird, um neue Versorgungsmöglichkeiten zu erproben.

Alle diese Aktivitäten wollen wir mit dem vorliegenden Antrag verstärken und ausbauen. Nicht zuletzt auf Druck der Bundesländer gibt es auf Bundesebene den Masterplan Medizinstudium 2020. Dieser ermöglicht es den Ländern, bis zu 10 % der Medizinstudienplätze vorab Bewerberinnen und Bewerbern zu geben, die sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums als Hausarzt in unterversorgten ländlichen Regionen zu arbeiten.

Diese sogenannte Landarztquote wird in Bayern und NRW schon praktiziert. Unterstützt wird diese Möglichkeit durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass neben der Abinote noch mindestens zwei weitere Kriterien bei der Vergabe von Studienplätzen mit einbezogen werden müssen. Ein Einser-Abi, liebe Kolleginnen und Kollegen, garantiert übrigens nicht von vornherein einen guten Mediziner.

Aktuell - das ist gesagt worden - sind in Niedersachsen 365 von den rund 5 100 Hausarztsitzen unbesetzt. In den nächsten zehn Jahren werden rund 1 000 unbesetzte Hausarztstellen dazukommen. Der Mangel an hausärztlichem Nachwuchs ist gewaltig. Und die Medizinausbildung dauert in der Tat mindestens zwölf Jahre.

An dieser Stelle habe ich allerdings eine andere Meinung als der Kollege Jasper: Angesichts dieses langen Ausbildungszeitraumes stellt sich nach meiner Auffassung jetzt die Frage, ob wir eine Landarztquote einführen wollen oder nicht. Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt: Die Landarztquote ist kein Allheilmittel. Aber sie kann sehr wohl ein außerordentlich wichtiger Baustein sein, wenn es um die zukünftige Hausarztversorgung geht.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört im Übrigen auch, diese endlos lange Debatte über sektorenübergreifende Versorgung endlich zu beenden. Ich will das sehr deutlich sagen: Bisher waren die Akteure im Gesundheitswesen immer nur dann zur Zusammenarbeit bereit, wenn es wirtschaftlich nicht gut lief. Ansonsten wird schon bei zaghaften Ansätzen einer sektorenübergreifenden Versorgung immer der Untergang des Abendlandes vorhergesagt oder im Zweifel den Mitakteuren im Gesundheitswesen die fachliche Qualifikation abgesprochen.

Es macht aber keinen Sinn, wenn krampfhaft niederlassungswillige Ärzte mit immer neuen Ködern gesucht werden und der im Krankenhaus vorhandene Facharzt nicht an der ambulanten Versorgung teilnehmen darf. Es macht auch keinen Sinn, wenn eine Operation sowohl im Krankenhaus als auch ambulant in einer Facharztpraxis durchgeführt werden könnte, aber der niedergelassene Arzt für den gleichen Eingriff deutlich weniger Geld bekommt.

Ich bin sicher: Wir haben Ressourcen für eine hochwertige, qualitativ gute und qualifizierte Behandlung. Dafür brauchen wir aber offenbar verpflichtend ein Miteinander, das die Akteure nicht zu einem Wettbewerb um kostspieligste Behandlungen und zum Abwerben von Patienten bringt. Ohne sektorenübergreifende Versorgungssysteme, private und vor allem kommunale Medizinische Versorgungszentren und eine rasche Umsetzung der Digitalisierung im Gesundheitswesen werden wir die qualitative Versorgung insbesondere im ländlichen Bereich nicht sichern können.

Die Angst vor einer nicht gesicherten medizinischen Versorgung gerade im ländlichen Bereich beschäftigt viele Menschen in unserem Land. Gleichzeitig ist das ein erheblicher Standortnachteil für Kommunen. Die Politik sollte sich nicht übernehmen; sie hat tatsächlich nicht den Sicherstellungsauftrag. Aber sie sollte - und das versuchen

wir mit diesem Antrag - ihre Spielräume und Möglichkeiten nutzen.

Es geht um nicht weniger als die Absicherung der medizinischen Versorgung für unsere Bürgerinnen und Bürger und damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, um ein Kernelement der staatlichen Daseinsvorsorge sowie auch um den sozialen Frieden in diesem Land.

In diesem Sinne freue ich mich auf konstruktive Beratungen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Schwarz. - Zum Abschluss hat sich die Gesundheitsministerin Dr. Carola Reimann gemeldet.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gesundheitsversorgung wird sich in den nächsten Jahren sehr verändern: Neue medizinische Möglichkeiten bieten bessere Behandlungen. Wir werden älter, damit tendenziell aber auch häufiger krank. Junge Leute ziehen in die Städte; Ältere bleiben eher auf dem Land wohnen.

Unser Ziel ist und bleibt es dabei, eine möglichst wohnortnahe, bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger Niedersachsens zu gewährleisten. Wir wollen, dass Haus- und Fachärzteschaft zusammenarbeiten und sich mit Krankenhäusern und der Pflege austauschen. Das erhöht Qualität und auch Wirtschaftlichkeit. Dafür brauchen wir genügend Hausärztinnen und Hausärzte, Fachärztinnen und Fachärzte in der Fläche und eine gute Krankenhaus- und Pflegeversorgung.

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen - kurz: KVN - hat den Sicherstellungsauftrag für die ärztliche Versorgung. Das Land arbeitet hier eng mit der KVN zusammen und unterstützt sie bei dieser Aufgabe. Bei allem Engagement des Landes müssen die Zuständigkeiten hier aber klar bleiben. So arbeiten wir auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung zur Sicherung der ärztlichen Versorgung auf dem Land eng mit der KVN zusammen, um unser gemeinsames Vorgehen abzustimmen.

Sehr geehrte Abgeordnete, meines Erachtens muss als Nächstes die Bedarfsplanungsrichtlinie

auf Bundesebene überarbeitet werden. - Der Abgeordnete Schwarz hat gerade schon über die Defizite der aktuellen Richtlinie gesprochen. - Dafür ist die Kassenärztliche Bundesvereinigung verantwortlich. Die entsprechenden Vorgaben werden dann von der KVN umgesetzt. Ich erwarte, dass die neue Bedarfsplanung deutlich macht, wo Versorgungslücken bestehen und Engpässe drohen, und neue Spielräume eröffnet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, schon heute gibt es viele Maßnahmen. Die KVN bündelt unter der Dachmarke „Niederlassen in Niedersachsen“ verschiedene Angebote für Studierende und Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten. Die Landesregierung plant im Rahmen der Unterstützung des Masterplans Medizinstudium 2020 eine deutliche Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze um bis zu 200 für Humanmedizin.

Im Rahmen der bereits genannten Gemeinsamen Erklärung zur Sicherung der ärztlichen Versorgung auf dem Land hat die Landesregierung einen Katalog von Maßnahmen festgeschrieben, mit dem die ärztliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen zukunftsfest aufgestellt wird.

(Glocke der Präsidentin)

Inhalt des Maßnahmenpakets ist u. a. ein Stipendienprogramm für Medizinstudierende, die sich im Anschluss an ihr Studium verpflichten, eine Tätigkeit als Hausärztin oder Hausarzt in einer ländlichen Region aufzunehmen. Das Programm wird sehr gut angenommen. Es konnten bereits 27 Stipendien an interessierte Studierende vergeben werden. Die Resonanz beim medizinischen Nachwuchs in Niedersachsen zeigt mir, dass durchaus ein Interesse an einer hausärztlichen Niederlassung auch außerhalb der Großstädte besteht. Mit dem Förderprogramm schaffen wir Anreize dafür, dass sich Ärztinnen und Ärzte in ländlichen und strukturschwachen Gebieten niederlassen.

Außerdem, meine sehr geehrten Damen und Herren, bietet die Telemedizin Chancen, die medizinische Versorgung in der Fläche zu sichern und zu verbessern. Deshalb werden wir dafür Mittel aus dem Sondervermögen bereitstellen. Wir fördern bereits ein erstes Projekt im Landkreis Gifhorn. Hier arbeiten Ärzteschaft und Pflegedienste in neuer Form mit digitaler Unterstützung zusammen. Das wollen wir auf weitere Standorte ausweiten.

(Glocke der Präsidentin)

Abschließend kann ich sagen: Gute Gesundheitsversorgung wird nur gelingen, wenn alle Beteiligten

gut zusammenarbeiten. In diesem Sinne freue ich mich über die jetzt schon zum Ausdruck gebrachte Unterstützung und auf einen regen Austausch in den Beratungen im Fachausschuss.

Frau Ministerin Reimann, würden Sie erlauben, dass Herr Bothe eine Zwischenfrage stellt?

In der allerletzten Sekunde ja. Bitte!

Vielen Dank, Frau Ministerin, für das Zulassen einer Zwischenfrage.

Meine Frage ist: Wie bewerten Sie den Vorschlag des Kollegen Meyer zum Thema Landarztzuschlag? Plant die Landesregierung, so etwas zu prüfen oder einzuführen, und wie bewerten Sie persönlich diesen Vorschlag?

Vielen Dank.

Das Thema Landarztzuschlag ist auf der Bundesebene in den Koalitionsverhandlungen diskutiert worden. Dafür gab es keine Mehrheit.

Die Diskussion darüber, ob für die ärztliche Versorgung auf dem Land entsprechende Zuschläge gewährt werden sollten, gibt es schon seit geraumer Zeit. Ich kann aber sagen, dass in Niedersachsen die KVN, mit der wir in einer strategischen Partnerschaft sind, für Praxen im ländlichen Raum und auch bei Praxisübernahmen im ländlichen Raum z. B. Umsatzgarantien gewährt. Es gibt sowohl Garantien in Bezug auf die Umsätze als auch Sicherstellungszuschläge im ländlichen Raum. Diese werden aber von der Kassenärztlichen Vereinigung organisiert.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Frau Dr. Reimann. - Jetzt liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Es wird vorgeschlagen, den Antrag federführend in den Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung zu überweisen. Mitberaten soll der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer dafür

ist, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. - Wenn jemand dagegen ist, möge er sich jetzt melden. - Enthält sich jemand? - Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.

Wir kommen nunmehr zum