Protokoll der Sitzung vom 12.09.2018

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN - Christian Grascha [FDP]: Und was hat das in der Praxis gebracht?)

Übrigens, für die Feuerwehrfreunde unter uns: In dem Gesetzestext heißt es: „Zu berücksichtigende soziale Kriterien können insbesondere sein“. Das heißt, es folgt keine abschließende Aufzählung. Ein weiteres Beispiel, über das wir immer wieder diskutiert haben, übrigens auch in meiner Heimatstadt Osnabrück: Dort gibt es mittlerweile eine Vergabeordnung, in der man all diese Dinge normal geregelt hat. Die Kommunen verlangen die Dinge, die in § 11 geregelt sind. Zum Beispiel können auch Unternehmen, die Mitarbeiter für die freiwillige Feuerwehr freistellen, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge begünstigt werden. Auf die Idee sind Sie offensichtlich nicht gekommen. Das ist ein Punkt, der den Feuerwehren in diesem Land sehr entgegenkommt.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Limburg?

Ja, bitte!

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist jetzt diskriminierend, Herr Kollege!)

Ich ahne, was kommt.

Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Kollege Henning, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich wusste, dass sich das rote Hemd, das ich heute trage, auszahlen würde.

(Heiterkeit - Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wie bewerten Sie den Umstand, dass der für diesen Gesetzentwurf zuständige Herr Wirtschaftsminister weder bei der Einbringungsrede durch den Kollegen Bode noch bei Ihrer Rede hier im Plenarsaal anwesend ist und damit offensichtlich sein Desinteresse an der Parlamentsarbeit bekundet?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Das kann ich Ihnen sagen, lieber Herr Kollege. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir uns mit DGB und IG Bau über die Frage von repräsentativen Tarifverträgen unterhalten wollen. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag:

„Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir zu einem Gespräch einladen, um auf Grundlage der Gesprächsergebnisse zu entscheiden, ob neben dem Bereich des ÖPNV auch für die Bauindustrie kurzfristig die Einhaltung von repräsentativen Tarifverträgen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge angestrebt werden soll.“

Der Kollege Minister ist im Augenblick mit Sicherheit im Gespräch mit den Gewerkschaften, um diese Dinge vorzubereiten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zurufe von den GRÜNEN)

Damit bin ich bei meinem eigentlichen Thema: Ich danke für die Frage; denn wir sehen in der Tat einen gewissen Reformbedarf bei dem Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetz, als Sozialdemokraten, als Koalitionäre.

(Unruhe)

- Herr Grascha, es wäre schön, wenn Sie einfach mal zuhören würden. Das macht die Sache viel interessanter.

Wir haben nämlich Folgendes vereinbart: Wir wollen das Niedersächsische Tariftreue- und Vergabegesetz in der Tat evaluieren und es dem geänderten Bundesrecht anpassen. Wir wollen die Landesvergabevorschriften für Zuwendungsempfänger - das betrifft vor allen Dingen Sportvereine und Privatpersonen - mit den zuwendungsrechtlichen Bestimmungen harmonisieren. Da gibt es nämlich unterschiedliche Regelungen. Das dient dem Bürokratieabbau und stärkt vor allen Dingen das Ehrenamt. Es soll beispielsweise eine Freigrenze für ehrenamtliche Sportvereine geben, die das dann gar nicht mehr anwenden müssen.

Uns als Sozialdemokraten ist aber die Frage der Tarifverträge besonders wichtig. Das will ich noch einmal sehr deutlich sagen. Unsere Position ist: Wo öffentliches Geld fließt, müssen auch Tarifverträge gelten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir vertreten die Position, dass öffentliche Aufträge grundsätzlich zu Tarifbedingungen vergeben werden müssen - davon finden wir im Gesetzentwurf der FDP-Fraktion kein Wort -, um gute Arbeit zu Tarifbedingungen zu garantieren und die heimische Wirtschaft vor allen Dingen vor ausländischer Dumping-Konkurrenz zu schützen. Wir wollen deshalb in einem ersten Schritt über das Bauhauptgewerbe nachdenken und bei öffentlicher Vergabe auch hier repräsentative Tarifverträge zur Anwendung kommen lassen. Die derzeitige Regelung, die sich ja nur am Bau-Mindestlohn orientiert, meine Damen und Herren, begünstigt aus unserer Sicht Tarifflucht und Dumpinglöhne und hilft der Billigkonkurrenz.

Lassen Sie mich noch einen Satz aus Sicht der Kommunen sagen! Das ist interessant in dem Gesetzentwurf: In § 5 geht es um die repräsentativen Tarifverträge bei der Vergabe von Leistungen im ÖPNV-Bereich. Diesen wollen Sie komplett streichen lassen, meine Damen und Herren. Das ist ein Angriff auf alle kommunalen Busunternehmen. Diesen werden wir Ihnen ebenfalls nicht durchgehen lassen. Das lassen wir nicht zu. Der Gesetzentwurf hätte nämlich verheerende Folgen für die Arbeitsplätze vor allem bei kommunalen Verkehrsunternehmen, die nach Tarif bezahlen; übrigens auch bei privaten Busunternehmen, die zum Teil

auch tarifgebunden sind und sich an Tarifverträge halten müssen. Diese sollen nun nach Vorstellungen der FDP im europaweiten Wettbewerb gegen ausländische, nicht tarifgebundene Verkehrsunternehmen auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns konkurrieren. Das kann nicht funktionieren, meine Damen und Herren. Das ist aus der Zeit gerissen. Das werden wir nicht mitmachen.

Eine letzte Bemerkung - ich sehe, meine Redezeit läuft ab - ein Wort an die AfD: Sie werden ja nicht müde, den sogenannten Altparteien - um den Begriff mal zu verwenden - Vorwürfe zu machen. Sie haben uns vorgeworfen, wir seien keine Partei der kleinen Leute, keine Partei der Arbeitnehmer mehr. Ich stelle fest: Sie haben heute eine Redezeit von null Minuten beantragt, wenn es darum geht, die Arbeitsbedingungen der arbeitenden Menschen durch Vergabe im öffentlichen Vergaberecht zu verbessern.

Jetzt sind Sie deutlich über die Zeit, Herr Kollege.

Ich stelle fest, Sie haben uns überhaupt keine Vorwürfe in dieser Richtung zu machen. Sie haben ja nicht einmal eine Meinung zu diesem Thema.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Henning. - Es ist eine Kurzintervention durch den Kollegen Bode angemeldet worden. Bitte schön!

Herr Präsident! Herr Kollege Henning, ich freue mich, dass Ihre Erklärung, warum Minister Althusmann nicht da ist, dazu geführt hat, dass er gekommen ist. Es kann ja auch schlecht sein, dass Gespräche mit Gewerkschaften wichtiger sind als das Parlament, wo man über Fragen aus seinem Zuständigkeitsbereich diskutiert.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Immerhin hat derjenige, der das alte Gesetz verbockt hat und in dessen Zuständigkeitsbereich die meisten Verstöße und Skandale bei der Vergabe fielen, die Debatte verfolgt. Olaf Lies, herzlichen Dank dafür, dass Sie dies über sich haben ergehen lassen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Henning, zu Ihren Vorwürfen, dass wir die Dinge herausstreichen wollen, die Sie für wichtig halten, empfehle ich Ihnen einmal einen Blick in § 4 Abs. 1 unseres Gesetzentwurfes. Dort haben wir nämlich geschrieben, dass bei entsprechenden Vergaben auch Anforderungen an soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte zugrunde gelegt werden können. Es ist mitnichten so, wie Sie hier gesagt haben, dass diese Dinge gestrichen worden seien. Wir haben sie schlicht und ergreifend auf das Maß reduziert, das erforderlich ist, um die Vergabepraxis unbürokratisch zu halten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben nun gehört, dass auch zumindest die SPD das Vergaberecht als Dauerbaustelle anerkannt hat und Veränderungen haben will. Der Wirtschaftsminister hat vor etwa acht Monaten erklärt, auch er wolle im Vergaberecht entbürokratisieren.

Ich will Ihnen einen Kompromissvorschlag machen: Heute hat die Landesregierung in Thüringen - also die links-linke Regierung - gesagt, sie macht ein neues Vergabegesetz, um zu entbürokratisieren, sodass nicht alle Handwerker das vorlegen müssen, was Sie genannt haben, wenn sie ein Angebot machen. Vielmehr soll nur noch der Gewinner einer Ausschreibung etwas Derartiges vorlegen müssen. Vielleicht können wir uns im Wege eines Kompromisses darauf verständigen, dass die, die eine Ausschreibung verlieren, nicht auch noch durch Bürokratiekosten bestraft werden, weshalb sich Unternehmen vielleicht gar nicht mehr um öffentliche Aufträge bewerben, sondern dass wir nur noch den mit der Bürokratie belasten, der tatsächlich gewinnt.

Herr Kollege, Sie sind deutlich über die Zeit. Bitte seien Sie etwas stringenter bei den Kurzinterventionen.

Das ist aus meiner Sicht nicht der beste Weg, aber zumindest ein gangbarer.

(Beifall bei der FDP - Dr. Stefan Birk- ner [FDP]: Die Zeit war gut investiert!)

Vielen Dank. - Herr Kollege Henning möchte antworten. Bitte sehr!

Herr Bode, ich bin dankbar, dass Sie hier im Grunde noch einmal Ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften klargestellt haben. Sie haben die kleine Spitze vorhin wohl nicht als Scherz verstanden. Ich stelle zu den sozialen, ökologischen und sonstigen Kriterien, die Sie im § 4 angeführt haben, fest: Das ist ein halber Absatz. Sie wissen sehr genau, dass das in § 10, § 11 und übrigens auch in § 12 - Beachtung von ILO-Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen - ganz dezidiert im Gesetz steht.

(Jörg Bode [FDP]: ILO gilt!)

- Ach, Herr Bode. Sie wissen es besser. In Ihrem Gesetzentwurf steht das nur noch in einem kleinen Halbsatz in § 4. Das zeigt doch, in welche Richtung Ihr Bürokratieabbau gehen soll: zulasten der Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern, zulasten der Frage der Tarifverträge, zulasten der sozialen Kriterien und auch zulasten der ökologischen Beschaffung. Das alles werden wir nicht mitmachen.

(Christian Grascha [FDP]: Das ist so- was von 90er!)

Einen Satz habe ich im Übrigen vorhin noch vergessen: Wir werden zu Ihrem Gesetzentwurf selbstverständlich eine Unterrichtung im Ausschuss beantragen. Dieser Gesetzentwurf ist teilweise schlicht europarechtswidrig. Darüber können wir gerne im Ausschuss reden. Was die Schwellenwerte angeht, haben Sie sich nämlich mit den Zahlen vertan. Das führt aber heute zu weit. Das kann im Augenblick niemand nachvollziehen. Das machen wir im Ausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Schulz-Hendel das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bemerkenswert, dass Herr Minister Althusmann immer dann zurückkommt, wenn ich spreche.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN)

Der vorliegende Gesetzentwurf hebelt wichtige Rahmenbedingungen, die für einen fairen Wettbewerb der Betriebe, für anständige Bezahlung der Beschäftigten und für ökologische und soziale Standards sorgen, aus. Für diese Rahmenbedingungen, meine Damen und Herren, haben wir unter Rot-Grün gesorgt, und wir brauchen an dieser Stelle alles andere als einen Rückschritt oder Kahlschlag des Vergabegesetzes.