Protokoll der Sitzung vom 26.10.2018

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Jetzt folgt Herr Kollege Helge Limburg mit der ersten Zusatzfrage für Bündnis 90/Die Grünen. Bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen, dass natürlich - unter Juristinnen und Juristen ist das bekannt - ein Anfangsverdacht auch durch Strafanzeigen von Opfern entstehen kann, frage ich Sie, welche Maßnahmen denn die Landesregierung bislang seit Bekanntwerden der Studie unternommen hat, um Opfer dazu zu er

muntern und darin zu bestärken, dann auch tatsächlich Strafanzeige gegen ihre Peiniger zu erstatten.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Limburg, das mit dem Ermuntern ist immer eine schwierige Sache. Ich habe vorhin gesagt, wie Opfer das möglicherweise empfinden.

Niedersachsen ist, was Hilfsangebote für Opfer und Opferbegleitung angeht, sehr gut aufgestellt. Neben anderen Opferhilfeeinrichtungen haben wir die Stiftung Opferhilfe, die mit elf Opferhilfebüros in der Fläche präsent ist. An die können sich Opfer, die überlegen, was sie machen sollen, jederzeit wenden. Wie Sie wissen - ich hoffe jedenfalls, dass Sie es wissen -, haben wir eine Website, aus der sich alle Informationen ergeben.

Das sind die - wenn Sie so wollen - Ermunterungen, die wir geben können. Wir kennen keine Opfernamen. Wer sich erkundigen will, kann das jederzeit an verschiedenen Stellen tun.

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die nächste, die zweite Zusatzfrage für die SPD stellt Herr Kollege Zinke. Bitte sehr!

Herr Präsident, vielen Dank. - Frau Ministerin, was tut denn die Justizministerin, wenn die Kirchen am Ende die Akten nicht herausgeben?

Frau Ministerin, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zinke, einerseits würde ich erst einmal das tun, was, glaube ich, meine Aufgabe als Landesministerin ist: Ich würde zunächst auf der politischen und Gesprächsebene versuchen, das Ergebnis zu verändern.

Andererseits hängt es, was die Ermittlungsverfahren angeht, ganz massiv davon ab, was wir bis dahin haben. Wenn wir dann Ermittlungsverfahren

gegen Unbekannt haben - z. B. auf dem Weg, den ich Ihnen gerade als möglich geschildert habe -, wären weitere Maßnahmen - Stichwort „Durchsuchungen“ - eventuell möglich. Es hängt wirklich immer von dem Stand der Ermittlungsverfahren ab. Das ist der ganz normale Weg.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Meine Damen und Herren, Zusatzfragen sind - - -

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ich habe gerade eine Wortmeldung abgege- ben!)

- War das eine Meldung zu einer Zusatzfrage oder für die Aussprache?

(Helge Limburg [GRÜNE]: Zu einer Zusatzfrage!)

- Dann sind Sie jetzt dran, Herr Limburg. Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident. Diese Form der Fragestunde ist noch nicht so alt. Insofern müssen wir, glaube ich, alle noch ein bisschen üben.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, vor dem Hintergrund, dass Sie gerade zu Recht auf die Sensibilität des Themas „Strafanzeige durch Opfer“ hingewiesen haben, frage ich die Landesregierung, ob sie nach Bekanntwerden der Missbrauchsstudie Kontakt mit dem Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Herrn Rörig, aufgenommen hat, um sich mit ihm darüber auszutauschen, was man tun kann, um Opfer zu bestärken und zu unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Einen Moment, bitte, Frau Ministerin!

Ich darf den Herrn Kameramann bitten - - - Es fühlen sich einige Kolleginnen und Kollegen gestört, weil der Eindruck entstanden ist, dass man in ihre Unterlagen hineinzoomt. - Das passiert nicht. Wir kennen unsere Vereinbarung. Nur zur Sicherheit.

Frau Ministerin, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Limburg, nein, Niedersachsen ist nicht an den Bundesbeauftragten herangetreten, um zu fragen, was man tun kann. Unsere Opferhilfeeinrichtungen sind so professionell aufgestellt und, wie ich mit Stolz sagen kann, so gut, dass ich, ehrlich gesagt, nicht sehe, welchen Sinn eine solche Kontaktaufnahme zu Herrn Rörig hätte, was Herr Rörig uns raten könnte.

Das Problem ist: Solange wir keine Opfer kennen - namentlich oder wie auch immer -, sind wir im weiteren Agieren ein bisschen gehandicapt. Man kann einfach nur sagen: Wir sind da. Kommt, wenn ihr zu uns kommen wollt.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Jetzt haben wir aber den Status erreicht, dass keine weitere Zusatzfrage angemeldet ist. Damit ist dieser Teilkomplex erledigt.

Wir treten in die Aussprache ein.

Die Landesregierung hat das Zeitkontingent von 15 Minuten bereits jetzt um einiges überschritten, sodass ich die Redezeit für die Redner in der Aussprache nach Status quo auf 5 Minuten erhöhe.

Es beginnt Herr Dr. Birkner, FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich, denke ich, vergegenwärtigen, worum es hier geht und vor welchen Problemen man steht, ohne den Anspruch zu haben, dass es dafür einfache Lösungen gibt.

Wir haben eine Studie, die auf mehreren Hundert Seiten ausführt, dass es mehr als tausend Täter und mehrere Tausend Opfer gibt. Diese Studie ist nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt worden, also nach einem nachvollziehbaren Standard, und zwar nicht nur von Experten mit sozialwissenschaftlichen Kompetenzen, sondern auch von Experten mit kriminologischer Kompetenz, nämlich Strafrechtsprofessoren. Das heißt, die wissen sehr wohl, wovon sie reden. Sie wissen sehr wohl, wie die Umstände, die ihnen durch die Auswertung der Akten zur Kenntnis gelangt sind, unter einen Strafrechtstatbestand zu subsumieren sind und wie sie im Ergebnis zu würdigen sind. Das heißt, man hat eigentlich schon etwas, was sehr ernst zu nehmen ist. Es ist nicht ein bloßes

Gerücht oder Ähnliches, sondern etwas Substantiiertes, das wirklich schwerste Straftaten dokumentiert. Man muss sich vergegenwärtigen, dass nach der Studie 60 % der Opfer Kinder - d. h. unter 14 Jahren - gewesen sein sollen.

Aus der Studie ergibt sich alleine für das Bistum Hildesheim, dass mindestens vier Täter noch am Leben sind, gegen die nach der Studie selbst oder nach der Auskunft des Bistums Hildesheim selbst keine Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauchs erstattet worden ist. Das sind Umstände, die schon sehr schwerwiegend sind und die es natürlich auch dann - - - Ich verstehe, dass auch aus Sicht der Justiz angesichts des Umstandes, dass Tatzeit, Tatort und Begehungsart nicht so konkret sind, schwer ist, diesen Widerspruch auszuhalten. Aber erst einmal ist klarzumachen, dass ein Widerspruch zwischen der Deutlichkeit der Studie und der Aussagen dort einerseits und dem Handeln und den rechtlichen Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft andererseits besteht. Die Frau Ministerin hat gerade dargestellt, wie die Staatsanwaltschaft das einschätzt.

Es stellt sich natürlich die Frage, wie die Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften damit umgehen. Die Frau Ministerin hat ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaften keinen Anfangsverdacht sehen.

(Zuruf)

- Sie betonen immer per Zuruf: „gesehen haben“. Wir wollen natürlich wissen, was heute ist. Es ist doch kein Problem, mit den Generalstaatsanwaltschaften entsprechend zu telefonieren. Ich denke, dass die Informationen eigentlich vorliegen müssten.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Wenn man einen Anfangsverdacht verneint - was sicherlich auch eine Wertungsfrage ist -, ist doch das Mindeste, dass Vorermittlungen geführt werden. Wie viele Vorermittlungsverfahren laufen eigentlich, AR-Verfahren, UJs-Verfahren? Ich gehe davon aus, dass zumindest so etwas eingeleitet worden ist.

Sie weisen darauf hin, dass Sie ein Alleinstellungsmerkmal haben: Nur in Niedersachsen ist die Ministerin tätig geworden. - Vielleicht ist die Tatsache, dass das in den anderen Ländern nicht geschehen ist, ein Indiz dafür, dass hier etwas nicht richtig läuft. In Bayern schreiben die Generalstaatsanwaltschaften an die Bistümer. Hier ist die

politische Leitung, die Ministerin, die die Bistümer bittet. Es macht einen Unterschied, ob eine Staatsanwaltschaft, die eine Ermittlungsbehörde ist, oder eine Ministerin, die politische Repräsentantin des Staates ist, um etwas bittet. Die Staatsanwaltschaften - das ist klar - machen Strafverfolgung. Die Ministerin macht politisches - - - Ich weiß nicht, was genau. „Bitte, bitte“ vielleicht? Ich weiß es nicht. Das ist auf jeden Fall zu wenig. Hier muss deutlich werden, dass der Staat einen Strafverfolgungsanspruch hat, selbst in der schwierigen Frage, ob ein Anfangsverdacht vorliegt oder nicht.

Ich halte das Signal, dass Sie als Ministerin diese Gespräche führen, zumindest für problematisch, auch wenn ich Ihre Absichten als durchaus zielführend oder richtig erkenne. Denn der Eindruck, der entsteht, ist fatal. Es entsteht der Eindruck, dass der Staat möglicherweise auf die Kirche Rücksicht nimmt, dass er bei ihr anders vorgeht als z. B. bei VW. Da hat man das die Staatsanwaltschaften machen lassen. Hier ist das nicht der Fall. Das schadet dem Vertrauen der Bürger in einen handlungsfähigen und unparteiischen Rechtsstaat. Im Übrigen schadet es, meine ich, auch den Kirchen, die ein Interesse daran haben, nicht als Privilegierte dazustehen.

Wenn Sie am Ende aber zu dem Ergebnis kommen, dass Sie die Diskrepanz, das Missverhältnis zwischen dem, was in der Studie deutlich gemacht geworden ist, und dem, was man möglicherweise aufgrund der rechtlichen Möglichkeiten bisher machen kann, nicht auflösen können, weil das eine rechtliche Bewertung ist, die man vielleicht auch als Parlament nicht besser wissen muss und besser wissen kann, dann stellt sich die rechtspolitische Frage - da wird es dann politisch, und da ist die Ministerin gefordert -: Wie wollen Sie eigentlich diese Diskrepanz und diesen Widerspruch auflösen? Muss es hinnehmbar sein - auch rechtspolitisch -, dass man auf der einen Seite auf Dauer oder auch in künftigen Fällen solche substanziierten Studienergebnisse und Erkenntnisse einer Institution hat, die das selbst auf den Weg bringt, man aber auf der anderen Seite sagt: „Ja, aber wir können da nichts machen, wir sind auf das Wohlwollen angewiesen“? Wie löst man das auf? Ist es dann möglicherweise diskussionswürdig, zu überlegen, dass man auch in einer solchen Situation Staatsanwaltschaften mindestens die Möglichkeit gibt, Zeugen zu vernehmen?

(Glocke des Präsidenten)

Sie sagen jetzt, Sie wollen die Wissenschaftler vernehmen. Auf welcher Rechtsgrundlage denn? Sie haben - das haben Sie doch selbst ausgeführt - keinen Anfangsverdacht und damit keine Ermittlungsgrundlage für Zeugeneinvernahmen. Alles basiert auf Freiwilligkeit.

(Glocke des Präsidenten)

Die eigentliche Herausforderung - Herr Präsident, ich komme zum Ende -, vor der Sie stehen, ist doch, wie Sie, wenn Sie die rechtliche Würdigung so beibehalten, dass es keinen Anfangsverdacht gibt, mit dem Gerechtigkeitswiderspruch, der da offenkundig ist, rechtspolitisch eigentlich umgehen wollen und wo Sie hier möglicherweise Veränderungen vorschlagen. Dieser Diskussion weichen Sie bisher aus. Ich halte den Weg, den Sie eingeschlagen haben, auch nicht für zielführend. Dies zu ermitteln, ist Sache der Staatsanwaltschaften und nicht Sache der Ministerin.

Vielen Dank.