Protokoll der Sitzung vom 14.11.2018

Wir fordern die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes einzusetzen; denn wir müssen die Arbeitnehmer und Betriebsräte gerade in diesen Zeiten stärken, wenn wir es angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung arbeitnehmerfreundlich gestalten wollen.

(Beifall bei der SPD)

Viele Arbeitnehmer haben Existenzängste und befürchten Arbeitsplatzverluste durch Digitalisierung. Deshalb ist es folgerichtig, die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte zu stärken, um die Folgen der Digitalisierung aufzufangen.

„Mehr Mitbestimmung wagen“, hat einmal ein Bundeskanzler gesagt. Das ist auch die richtige Antwort, die wir als demokratische Kräfte in unserem Land geben sollten, um den Rechtspopulisten in Europa, aber auch in diesem Haus die Stirn zu bieten; denn Digitalisierung bedeutet nicht zwangsläufig Jobverluste, wie die rechte Seite des Hauses den Menschen immer wieder einzuflößen versucht. Nein, Digitalisierung bedeutet auch neue, andere Jobs, deren Ausgestaltung geklärt werden muss. Wer könnte das besser als Gewerkschaften und Betriebsräte, die im Rahmen ihrer Mitbestimmungsrechte von jeher Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen der arbeitenden Menschen in diesem Land genommen haben?

Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass sich die Regierungsfraktionen hier in Niedersachsen laut aktuellem Koalitionsvertrag und auch die Landesregierung zu einer Stärkung der Mitbestimmung der Betriebsräte bekennen und für Tarifautonomie und Tarifbindung eintreten. Wir wollen das Betriebsverfassungsgesetz novellieren.

Aber auch Union und SPD auf Bundesebene haben im Koalitionsvertrag z. B. vereinbart, das allgemeine Initiativrecht für Betriebsräte für Weiterbildung zu stärken. Das ist gerade beim Thema Digitalisierung außerordentlich wichtig; denn die

Ansprüche an die Qualität der Arbeit, die Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und an die Qualität des Arbeitserfolges werden im Zeitalter der Digitalisierung steigen. Deswegen sind Qualifizierungsmaßnahmen unumgänglich, um Jobverluste zu vermeiden - Stichwort: lebenslanges Lernen.

Auch die Bundesregierung setzt sich laut Koalitionsvertrag dafür ein, bei grenzüberschreitenden Sitzverlagerungen, z. B. von Gesellschaften, die nationalen Vorschriften über die Mitbestimmung zu sichern. „Sozialpartnerschaft“ ist hier das Stichwort. Wir als Koalitionäre in Niedersachsen wollen die Bundesregierung ermuntern, diesen Teil des Koalitionsvertrages auf Bundesebene zügig umzusetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht aber nicht nur um die Stärkung der Mitbestimmung, es geht vor allen Dingen auch darum, die Errungenschaften der Sozialpartnerschaft - das will ich an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich sagen - zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern hervorzuheben. Das deutsche Mitbestimmungsrecht, das Betriebsverfassungsgesetz und das System der Sozialpartnerschaft sind wichtige Errungenschaften in Deutschland, die es zu verteidigen und aus unserer Sicht auszubauen gilt. Vor allem aber hat die Sozialpartnerschaft dazu geführt, dass die Bundesrepublik wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich ist.

Die Sozialpartner tragen gemeinsam Verantwortung für gute Arbeitsbedingungen und tragen damit entscheidend zum sozialen Frieden bei. Das Thema sozialer Friede ist für uns ein wichtiger Standortfaktor. Sozialer Friede ist Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und vor allen Dingen für die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte.

Nicht zuletzt haben das Institut der deutschen Wirtschaft mit Sitz in Köln und das Handelsblatt - beide sicherlich gewerkschaftlicher Umtriebe unverdächtig - erst jüngst festgestellt, dass es in Deutschland deutlich weniger Streiks als im restlichen Europa gibt. Einmal die Statistik bemüht: Pro Jahr kommen auf 1 000 Beschäftigte in Deutschland nur sieben arbeitskampfbedingte Ausfalltage. Streikweltmeister sind dagegen die Franzosen mit 123 Streiktagen pro Jahr, gefolgt von den Dänen mit 118 Streiktagen. Deutschland steht nach dieser Statistik des Instituts der deutschen Wirtschaft von 22 untersuchten Nationen gerade einmal auf

Platz 14. Auf Platz 1 stehen, wie gesagt, wegen ihrer Streikfreudigkeit die Franzosen.

Ich finde, das kann sich sehen lassen. Deshalb müssen wir gerade im Zeitalter der Digitalisierung die Mitbestimmungsrechte ausweiten, Arbeitnehmer an der Gestaltung ihrer Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen beteiligen und die Sozialpartnerschaft stärken.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss noch erwähnen, dass es in Betrieben mit Tarifbindung, gelebter Mitbestimmung und aktiven Betriebsräten auch deutlich weniger Umgehungen des Mindestlohngesetzes gibt. Deshalb dürfen Arbeitnehmer, wie wir in unserem Entschließungsantrag auch fordern, bei der Gründung von Betriebsräten nicht etwa behindert, sondern sie sollten vielmehr aktiv unterstützt werden, weil die Betriebsratsbildung dazu beiträgt, die Gesetze einzuhalten.

Faire Löhne für gute Arbeit, mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte - das ist unser sozialdemokratischer Anspruch und Leitsatz für die aktive Gestaltung in einer sich im Zeitalter der Digitalisierung rasant verändernden Arbeitswelt.

Über die Details werden wir im Ausschuss diskutieren. Ich bin auf die Vorschläge der anderen Fraktionen gespannt. Vielleicht kriegen wir auch etwas Gemeinsames hin, um gemeinsam die Arbeitsbedingungen der Menschen in diesem Land noch zu verbessern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Henning. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich nun die Kollegin Eva Viehoff gemeldet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, liebe SPD: Der Antrag stellt Richtiges fest, nämlich dass die Tarifpartner und Tarifpartnerinnen gemeinsame Verantwortung für gute Arbeitsbedingungen, für gute Arbeit tragen. Doch wie sieht es eigentlich in Deutschland und in Niedersachsen mit der Tariftreue aus? Denn nur, wenn diese in hohem Maße erreicht wird und vorhanden ist, kann genau diese gemeinsame Verantwortung wahrgenommen werden.

Da sieht es jenseits von Bad-practice-Beispielen von Global Playern wie Amazon auch bei den kleinen und mittleren und bei anderen Unternehmen und in vielen Branchen sehr düster aus. So hat die Hans-Böckler-Stiftung in einer Veröffentlichung gerade in dieser Woche festgestellt, dass im Jahr 2013 noch 60 % der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einem Branchen- oder Tarifvertrag unterlagen und dass dies im Jahr 2017 nur noch für 57 % der Beschäftigten galt. Dieser hohe Wert ist auch nur dadurch zu erreichen, dass der Organisationsgrad bei den öffentlichen Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen mit 98 % besonders hoch ist.

In den anderen Branchen sieht es deutlich anders aus: Finanzen und Versicherungen 83 %, Industrie und Baugewerbe beide 63 %, Gesundheit und Erziehung 60 %, Einzelhandel 40 %, Gastgewerbe 39 % und Information und Kommunikation - der Bereich, in dem die Digitalisierung heute schon angekommen ist - sage und schreibe 19 %.

Die Hans-Böckler-Stiftung stellt auch fest, dass der Organisationsgrad umso höher ist, je größer das Unternehmen ist. Deshalb ist das auch bei Volkswagen so. Ich komme wie der Kollege auch aus Salzgitter und weiß sehr genau: Bei Volkswagen passiert gar nichts ohne den Betriebsrat.

Auch für Niedersachsen lassen sich diese Zahlen wiederholen. Auch hier liegt die Verfasstheit der Beschäftigten nur bei 57 %. Das heißt im Umkehrschluss: 43 % arbeiten ohne Tarifbindung, ohne Flächen- oder Firmentarifvertrag.

Daher noch einmal: Der Antrag ist lobenswert. Eine umfassende Wirkung wird er jedoch erst erzielen, wenn erreicht wird, dass sich die Tarifbindung erhöht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Neben den hier festgehaltenen freundlichen Unterstützungen der Tarifpartner und Tarifpartnerinnen kann Politik mehr tun, ohne in die Tarifautonomie einzugreifen. Dazu gehören Überlegungen - wie auch von der Hans-Böckler-Stiftung angestellt -, wie man z. B. die Mitgliedschaft von Arbeitgeber- und Arbeitgeberinnenverbänden und Gewerkschaften unterstützen kann und somit eben auch die Tarifbindung erhöht und damit auch all die positiven Ziele deutlich breiter erreicht werden. Dazu gehört - das wurde auch schon gesagt -, die Mitbestimmungsrechte genau auf die Beteiligung an dem Transformationsprozess der Digitalisierung auszuweiten. Insoweit freut es mich, dass Initiativen sowohl im Land als auch im Bund gestartet

sind, um hier rechtliche Voraussetzungen zu setzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Den hier formulierten Appell - mehr ist dieser Antrag zurzeit ja noch nicht - kann man ja nicht grundsätzlich ablehnen. Für uns greift er aber zu kurz, weil er ohne Anstrengungen zu einer Erhöhung der Tarifbindung vollumfänglich nur im öffentlichen Bereich wirkt, in anderen Bereichen jedoch nur in der Höhe des Organisationsgrades wirksam wird.

Daher sehe ich der Beratung mit Spannung entgegen und gehe auch davon aus, dass wir in diesem Bereich noch das eine oder andere hinzufügen werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Viehoff. - Für die CDUFraktion hat sich nun der Kollege Oliver Schatta gemeldet. Bitte sehr!

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Das ist eine coole Sache!

(Zuruf von der SPD: Du kannst dich gleich wieder hinsetzen! Besser wird es nicht!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitbestimmung und Tarifautonomie sind zentrale Wesensmerkmale unserer Wirtschaftsordnung. Sie sind Erfolgsgaranten für unsere Wirtschaft, auch und gerade in Krisen, auch und gerade vor dem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen in der Arbeitswelt.

In dieser Woche begehen wir ein ganz besonderes Jubiläum, eines der 100-jährigen Jubiläen, die wir sehr zahlreich haben. Wenige Tage nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde nämlich mit dem sogenannten Stinnes-Legien-Abkommen der erste Vertrag zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden unterzeichnet. Das war die Geburtsstunde der Tarifautonomie. Bis heute gilt sie als eine der unverzichtbaren Säulen der sozialen Marktwirtschaft.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Als Partei der sozialen Marktwirtschaft - und eben nicht einer unkontrollierten freien Marktwirtschaft - erkennt die CDU den hohen Wert eines funktionierenden Miteinanders der Sozialpartner ausdrücklich an.

Verantwortungsvolles Unternehmertum schätzt die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur hinsichtlich ihrer eigentlichen Tätigkeit. Es berücksichtigt auch die Auswirkungen unternehmerischer Entscheidungen auf diese. Der demografische Wandel, die Digitalisierung, die wachsende Konkurrenz auf den internationalen Märkten - alle diese Aspekte können wir nur gemeinsam adressieren. Vielfach stochern wir noch im Nebel, was tatsächlich zu tun ist, um den vor uns liegenden Herausforderungen erfolgreich entgegenzutreten. Warum sollten wir dafür nicht stärker das wichtigste Kapital unserer Wirtschaft, den Erfahrungsschatz unserer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, nutzen?

Meine Damen und Herren, wir reden darüber, welche Auswirkungen die Digitalisierung und die Automatisierung auf Arbeitsprozesse und Produktionsverfahren haben werden. Es geht darum, wie wir eine stärkere Nutzung künstlicher Intelligenz mit unseren Vorstellungen eines modernen Datenschutzes vereinbaren. Es geht darum, wie wir dafür sorgen können, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrem gesamten Berufsleben konkurrenzfähig bleiben und mit den technologischen Veränderungen Schritt halten können, auch darum, wie erreicht werden kann, dass beispielsweise Frauen nach einer Familienphase entweder für die Kinder oder für zu pflegende Familienangehörige eine Chance auf eine gute Rückkehr in den Arbeitsmarkt haben. Es geht darum, wie wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser auf den späteren Renteneintritt vorbereiten und das Risiko reduzieren können, dass sie jenseits des 60. Lebensjahres einem zunehmenden Arbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt werden. Schließlich geht es auch darum, Fachkräften attraktive Angebote zu unterbreiten, sodass sie hier in Niedersachsen bzw. in Deutschland bleiben können und nicht ins Ausland abwandern.

Wer heute mit dem Leiter eines ausbildenden Betriebs spricht - das kann ich als Handwerksmeister aus eigenem Leid heraus sagen -, erfährt, dass man die Auszubildenden heute davon überzeugen muss, überhaupt einen Ausbildungsvertrag anzunehmen. Das ist auch in meiner Branche so. Das kenne ich als Innungsmeister und als Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Braun

schweig-Gifhorn. Wir wissen also, wie viel mehr potenziellen Auszubildenden angeboten werden muss, damit sie den Ausbildungsplatz annehmen.

(Vizepräsidentin Petra Emmerich- Kopatsch übernimmt den Vorsitz)

Ein Mehr an Verantwortung kann zusätzlich eine gute Motivation sein, sich dauerhaft an das Unternehmen zu binden und eben nicht gleich nach Ende der Ausbildung weiterzuziehen.

Der vorliegende Antrag ist aus der Sicht der CDU mit Blick auf das 100-jährige Jubiläum ein guter Kompromiss, wie wir Mitbestimmung und Tarifautonomie zukünftig voranbringen und gestalten können. Für die CDU ist ein klares Bekenntnis zur Tarifautonomie von hoher Bedeutung. Anders als Teile unseres Partners, der eher für ein Tarifautonomie-Plus steht, vertrauen wir auf die Kraft der Sozialpartner, das Beste im Sinne der Arbeitnehmer und des Unternehmens zu vereinbaren.

(Beifall bei der CDU)