Protokoll der Sitzung vom 27.02.2019

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herr Weil, Sie als Ministerpräsident sind für das Nichthandeln dieser Landesregierung verantwortlich. Das ist wichtiger als die bundespolitische Profilierung in irgendwelchen Interviews. Wer von den jungen Leuten, die bei Ihnen waren, soll Sie morgen denn noch ernst nehmen und glauben, dass Sie den Klimaschutz ernst nehmen, wenn Sie es nicht einmal schaffen, sich gegen diesen Koalitionspartner durchzusetzen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Solange das so bleibt, liegt - mit Verlaub - der Verdacht nahe, dass Sie beide sich hier im Hause einfach abgesprochen haben: Die SPD kann ankündigen, muss aber nicht liefern, weil der Koalitionspartner ausbremst, und Dr. Althusmann steht vor seiner Klientel gut da, weil er sagen kann: Ich habe es geschafft, die kommen nicht zum Handeln.

Das ist ein beschämendes Theater. Das ist durchschaubar. Übernehmen Sie alle hier im Hause endlich Verantwortung - hier in Niedersachsen und auch im Bund, und zwar nicht nur in Interviews!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Weil, das Haus brennt. Die Zeit des Redens ist vorbei. Jetzt heißt es, endlich Farbe zu bekennen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun Frau Kollegin Rebuschat.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Bitte, Frau Kollegin!

(Unruhe)

- Ich darf um Ruhe im Plenarsaal bitten. Das betrifft alle Fraktionen.

(Karsten Becker [SPD] spricht mit Jo- hanne Modder [SPD])

- Wir warten noch einen Moment, Frau Kollegin, damit Sie hier die Aufmerksamkeit des Hauses haben, auch die von Herrn Becker vielleicht. - Vielen Dank.

Bitte, Frau Kollegin!

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinen heutigen Redebeitrag möchte ich mit einer Geschichte beginnen. Vielleicht kennen Sie sie schon, aber ich möchte Sie trotzdem einmal in Erinnerung rufen. Die Geschichte heißt „Die Harvard-Orange“.

In dieser Geschichte zankten sich zwei Schwestern einst um eine Orange. Jede der beiden Schwestern wollte die Orange unbedingt haben. Nachgeben wollte aber keine der beiden Schwestern. Jede bestand ganz vehement auf ihrer Position: „Ich will die Orange haben!“ - „Nein, ich will sie haben!“ Die Schwestern sprachen aber nicht miteinander darüber, warum jede von ihnen diese Orange unbedingt haben wollte. Sie sprachen nicht über ihre Gründe, über ihre Motivation und über die Interessen hinter ihren Positionen, was sehr betrüblich war. Denn wenn sie über ihre Interessen hinter ihren Positionen gesprochen hätten, wenn sie darüber gesprochen hätten, warum jede von ihnen diese Orange unbedingt haben wollte, dann hätten sie etwas gemerkt. Sie hätten gewusst, dass die eine Schwester nur die Orangenschale für ihren Kuchen brauchte und die andere Schwester den Saft der Orange trinken wollte.

Was lernen wir von diesen Schwestern und von dieser Geschichte? - Wir lernen, dass der bloße Austausch von Forderungen, die bloße Wiederholung von Positionen nicht reicht, um in einer Frage voranzukommen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Für wirkliches Vorankommen, für echte Lösungen müssen wir hinter die Positionen schauen und offen und ehrlich über Interessen, Gründe und Motivationen sprechen, auch und eigentlich erst recht, wenn die Interessen offenbar miteinander im Konflikt stehen.

Was hat das alles jetzt mit dem Ministerpräsidenten, dem Klimawandel und dem Antrag zur Aktuellen Stunde zu tun? - Ich finde, eine ganze Menge. Die Wahrheit ist nämlich, dass wir es uns als Gesellschaft in der Frage des Klimaschutzes nicht einfach machen können und hier offensichtlich Konflikte lösen müssen. Ich habe insgeheim gehofft, dass Fridays for Future bei uns im Landtag an prominenter Stelle zum Thema wird.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das hätten Sie ja machen können! Ihre Fraktion hat das nicht getan!)

Denn für mich, für meine Partei, für meine Fraktion sind die Verantwortung für unsere Erde, wie wir sie kennen, und die Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung für nachkommende Generationen eine der wesentlichen Fragen überhaupt auf der politischen Agenda.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Genau deshalb möchte ich vom moralischen Zeigefinger so mancher geäußerten Kritik an der Bewegung Fridays for Future - teilweise auch aus den Reihen meiner Partei, aus anderen Ebenen - Abstand nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Klammer auf: Unterrichtschwänzen kann ich natürlich trotzdem nicht gutheißen. - Klammer zu.

(Beifall bei der CDU)

Aber im Grundsatz begrüße ich erst einmal, dass unter zum Teil sehr, sehr jungen Schülerinnen und Schülern überhaupt so ein großes Bewusstsein und so viel Interesse für den Klimaschutz bestehen. Diese Einschätzung teile ich mit dem Ministerpräsidenten. Deshalb finde ich es gut, dass er sich mit Vertretern der Bewegung getroffen hat. Wie sollen junge Menschen schließlich das politische Engagement für sich entdecken, wenn sie respektlos behandelt werden? Ich kann, liebe Frau Piel, keinen Grund zur Kritik daran finden, dass sich der Ministerpräsident mit der Bewegung getroffen hat.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD - Anja Piel [GRÜNE]: Ich ha- be mich nicht darüber beschwert, dass er sich mit ihnen getroffen hat!)

Und trotz großen Respekts vor jungen Menschen, die sich auf die von ihnen gewählte Weise für ein Anliegen einsetzen, möchte ich mir noch ein paar Gedanken dazu erlauben.

Komplexe Themen laden leider gewaltig zu grober Vereinfachung ein. Klimaschutz und Umweltpolitik sind zutiefst komplexe Unterfangen - nicht nur, weil alles irgendwie mit allem zusammenhängt und so viele verschiedene Lebens- und Politikbereiche in Wechselwirkung mit unserer Umwelt und mit unserem Klima stehen, sondern auch, weil es nun einmal Dinge gibt, die von notwendigen Entscheidungen wie dem Kohleausstieg in ihrem Wesen zutiefst verändert werden. Wir können nicht so tun, als gebe es in der Umwelt- und Energiepolitik überhaupt keine Interessenkonflikte.

(Glocke der Präsidentin)

Ja, es muss im Interesse aller Menschen sein, die Erderwärmung abzubremsen und mittelfristig zu stoppen, weil jeder Mensch auf diesem Planeten davon berührt ist. Wie manche das bis heute nicht verstanden haben können, ist mir, ehrlich gesagt, ein absolutes Rätsel. Und doch gibt es in Klimaschutzfragen mehr Facetten, mehr Dinge in Einklang zu bringen als die Frage nach Abschaltdaten für die Kernkraftwerke oder die Kohlekraftwerke.

Es gilt, eine zuverlässige Energieversorgung ohne Stromausfälle zu gewährleisten, wenn die Kernkraftwerke vom Netz gehen. Es gilt, vom Strukturwandel betroffenen Menschen eine neue Lebensgrundlage ermöglichen zu können. Es gilt, erneuerbare Energien zu fördern und trotzdem unsere Energiequellen so sorgfältig und umsichtig zu transformieren, dass in der Privatwirtschaft auch noch Geld für die Forschung und die Entwicklung kreativer, innovativer und klimafreundlicher Technologien bleibt. Es gilt ebenso, in der Versorgung mit Energie unabhängiger von kritikwürdigen Regimen zu werden.

Das alles sind Facetten, die miteinander in Konflikt geraten können. So ehrlich müssen wir sein. Die möglichen Interessenkonflikte müssen ganz offen diskutiert werden.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Aber nicht die nächsten 20 Jahre!)

Am Ende des Tages steht sonst im schlimmsten Fall nämlich gar keine Lösung. Diese Diskussion um den Ausgleich konkurrierender Interessen ist in der Gesellschaft anzuleiten und voranzutreiben.

(Glocke der Präsidentin)

Das ist Kernaufgabe von Politik. Diese Aufgabe ist zwar nicht sexy. Sie ist nicht so sexy wie die moralische Bewertung, die Einforderung, der Austausch von Positionen. Aber sie ist viel wichtiger, um Fortschritte und echte Lösungen zu erzielen. Dafür bin ich als junger Mensch in die Politik gegangen.

Möglich, dass ich vor 15 Jahren selbst bei Fridays for Future mitgegangen wäre.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das können Sie auch jetzt noch, Frau Kollegin!)

Aber meine Erfahrung zeigt: Das wirksame Mittel für die nötigen Lösungen in der Klimapolitik ist die mühevolle Kleinarbeit in der Diskussion -

Sie müssen jetzt leider zum Schluss kommen, Frau Kollegin!

Ja, das mache ich.

- das ehrliche Abwägen von Interessen, das Brüten über Ideen, wie Sorgen und Existenzängsten unterschiedlicher Natur der Wind aus den Segeln genommen werden kann.

Und der Ort für all diese Dinge sind die Parlamente und die Parteien, die Ortsräte, die Stadt- und Gemeinderäte, die Samtgemeinde- und Bezirksräte, die Landtage, der Bundestag und natürlich das Europäische Parlament. Deshalb wünsche ich mir in Zukunft deutlich mehr junge Mitstreiterinnen und Mitstreiter in der Politik, den demokratischen Parteien und den Parlamenten und auch Unterstützung von euch, liebe Fridays-for-Future-Anhänger. Denn das könnte wirklich etwas verändern.

Danke schön.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der SPD)