a) Wird die ambulante Pflege nicht ausreichend finanziert? - Anfrage der Fraktion der FDP - Drs. 18/3302
In einer Pressemitteilung ihres Hauses forderte Sozialministerin Carola Reimann die Refinanzierung von Tariflöhnen und Wegezeiten, wie es das Bundesgesetz vorsieht. Als Kostenträger sind die Pflegekassen zuständig für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung. Die Ministerin führte daher ebenfalls aus: Die Kassen müssen ihrer Verantwortung für eine gute Pflege in Niedersachsen gerecht werden.
Hintergrund dieser Aussage ist, dass die Weigerung der Kostenträger, in der ambulanten Pflege Gehälter nach Arbeitsvertragsrichtlinien oder auf Tarifniveau zu bezahlen, die ambulante pflegerische Versorgung in Niedersachsen in Gefahr bringt, weshalb auch größere Betreiber von ambulanten Pflegediensten wie die AWO und die Diakonie an die Öffentlichkeit gehen und auf die verhärtete Haltung der Pflegekassen aufmerksam machen.
1. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass Niedersachsen im Bundesvergleich den letzten Platz bei der Vergütung für ambulante Pflegeleistungen belegt und alle Kassen der Nachbarländer, auch in Sachsen-Anhalt und Thüringen, zwischenzeitlich höhere Vergütungen zahlen?
2. Die Ministerin hat an die Kassen appelliert, angemessene Löhne für die Pflegekräfte und Wegegebühren zu refinanzieren. Belässt die Ministerin es bei dem Appell, oder beabsichtigt sie, weitere Maßnahmen zu treffen, und wenn ja, welche?
3. Wie bewertet die Landesregierung die Verweigerungshaltung der Kassen, und sieht sie dadurch die Sicherstellung der Versorgung gefährdet, wenn Träger ankündigen, aus der ambulanten Pflege auszusteigen?
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Zur Beantwortung hat Frau Ministerin Reimann das Wort. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Das Thema Vergütung in der ambulanten Pflege beschäftigt uns aktuell an wirklich vielen Stellen, so auch heute Morgen in der Aktuellen Stunde.
Es ist gut, sich damit zu befassen; denn jetzt haben wir noch die Gelegenheit, gemeinsam die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass wir zukünftig genügend Pflegekräfte finden. Dazu gehören Tariflöhne und die angemessene Vergütung von Wegezeiten vor allem im ländlichen Raum. Ich erwarte, dass die Vertragspartner hierzu Lösungen finden, die den vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerechte Einkommen ermöglichen.
Zu der ersten Frage nach den Vergütungen im Bundesvergleich: Die schlechte Position Niedersachsens in der Pflege ist ein Nachteil für unsere Beschäftigten und für die pflegebedürftigen Menschen. Sie hat sich über viele Jahre aufgebaut und führt auch dazu, dass Fachkräfte in benachbarte Bundesländer abwandern, weil in Niedersachsen weniger gezahlt wird.
Hier wurde lange zugesehen. Die SPD-geführte Landesregierung hat jedoch einen engagierten und zähen Kraftakt eingeleitet, um diese Situation zu verändern. Denn eines ist ganz klar: Um die Situation in der ambulanten Pflege zu verbessern, müssen die Vergütungen steigen.
Ich erwarte von der Arbeitgeberseite, dass sie Tariflöhne zahlt, und von den Pflegekassen, dass sie diese Tariflöhne refinanzieren. Viel zu lange wurde in Niedersachsen intensiv die Möglichkeit genutzt, durch Vergleiche mit günstigen Privatanbietern die Vergütungssätze auf dem Rücken der Beschäftigten zu drücken.
Wir haben uns auf Bundesebene dafür eingesetzt - das habe ich heute schon gesagt -, dass die Wirtschaftlichkeit von Tariflöhnen und die angemessene Berücksichtigung von Wegezeiten endlich im Gesetz verankert werden. Das ist jetzt auch passiert.
Zur zweiten Frage, welche Maßnahmen beabsichtigt sind: Ich habe eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Situation in der Pflege zu verbessern. Dazu gehört unsere Konzertierte Aktion Pflege auf Landesebene. Dabei holen wir die Partner der Selbstverwaltung an einen Tisch und erarbeiten gemeinsam Lösungen. Die ersten Kontakte haben bereits stattgefunden. In den nächsten Monaten werden wir Gespräche auf Spitzenebene
Darüber hinaus werde ich noch in diesem Jahr den Entwurf zu einem Niedersächsischen Pflegegesetz vorlegen. Das wird neben praktischen Verbesserungen auch dafür sorgen, dass wir zukünftig nur noch Investitionsförderung leisten, wenn der Betrieb Tariflohn zahlt.
Eine ganz praktische Hilfe geben wir seit Jahren mit der Richtlinie „Ambulante Pflege im ländlichen Raum“. Hier fördern wir Projekte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Weiterbildung und zur Digitalisierung. Das ist eine ganz handfeste Hilfe insbesondere für kleinere Betriebe. Damit unterstützen wir die Versorgung gerade im ländlichen Raum.
Mit Ihrer dritten Frage hatten Sie mich um eine Bewertung der Versorgungssituation gebeten. Zur Bewertung der Vergütungsverhandlungen habe ich schon etwas gesagt. Bei einem Ausstieg großer Träger wie z. B. der AWO und der Diakonie aus der ambulanten Pflege wären die Auswirkungen ganz erheblich. Es gibt jetzt schon Hinweise, dass es in manchen Regionen schwierig ist, einen ambulanten Pflegedienst zu finden. Von einer akuten Gefährdung der Versorgung sind wir - Stand: heute - aber noch etwas entfernt. Deshalb müssen wir jetzt handeln. Lassen Sie uns also gemeinsam die Bedingungen für die Pflege und die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern! Damit können wir dann auch erfahrene und motivierte Kräfte halten und neue Menschen für die Arbeit in der Pflege gewinnen und begeistern.
Vielen Dank für die Beantwortung, Frau Ministerin. - Wir kommen zu den Zusatzfragen. Die erste Zusatzfrage für die Fraktion der AfD stellt der Kollege Bothe. Bitte sehr!
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich frage die Landesregierung bzw. die Frau Ministerin, ob es Vorbereitungen für den Fall gibt, dass sich die Wohlfahrtsverbände aus der ambulanten Pflege zurückziehen und 16 000 Pflegebedürftige von der Versorgung abgeschnitten sind. Trifft die Landesregierung hierfür Vorbereitungen?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin gesagt, dass ich es nicht für gut halte, wenn aus der Pflege ausgestiegen würde. Dass diese Anbieter das jetzt androhen - das habe ich in der Aktuellen Stunde erläutert -, halte ich nicht für klug.
Aber es ist auch die Frage nach der Rechtsaufsicht, die Sie stellen. Die Länder haben die Aufsicht über die landesunmittelbaren Kassen. Das ist übrigens das Instrument, das der Bundesgesundheitsminister Spahn aktuell versucht, den Ländern zu entziehen. Dagegen wehren wir uns entschieden. Das Gesetz führt den etwas irreführenden Begriff „Faire-Kassenwahl-Gesetz“. Darin ist u. a. enthalten, den Ländern genau diese Rechtsaufsicht zu entziehen. Davon halte ich gar nichts. Ich will Ihnen aber erläutern, wie ein rechtsaufsichtlicher Eingriff begründet werden müsste.
Für einen rechtsaufsichtlichen Eingriff müsste die Versorgungssicherheit nachweislich gefährdet sein. Ebenso müsste die AOK oder eine andere landesunmittelbare Pflegekasse, die unter der Aufsicht steht, die Versorgungssituation gefährden, indem sie ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß wahrnimmt. Die Aufsichtsmittel sind in § 89 SGB IV geregelt. In Absatz 1 heißt es dort:
„Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Die Verpflichtung kann mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden, wenn ihre sofortige Vollziehung angeordnet worden oder sie unanfechtbar geworden ist. Die Aufsicht kann die Zwangsmittel für jeden Fall der Nichtbefolgung androhen. § 13 Absatz 6 Satz 2 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes ist nicht anwendbar.“
Zwangsmittel sind dabei - um das auch noch zu sagen - natürlich insbesondere die Ersatzvornahme und Zwangsgelder. So weit ist es noch nicht.
Wir appellieren an die Vertragspartner, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Auch in der Vorbemerkung der FDP ist es gerade gesagt worden: Der Sicherstellungsauftrag liegt bei den Kassen. Ich erwarte, dass die Körperschaften öffentlichen Rechts die Gesetze einhalten und in ihren Verhandlungen entsprechend handeln.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Für die Fraktion der SPD stellt der Kollege Holger Ansmann die erste Frage. Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund, dass Frau Ministerin Dr. Reimann bereits angesprochen hat, dass noch in diesem Jahr eine Novellierung des Niedersächsischen Pflegegesetzes in die Wege geleitet werden soll, frage ich, ob dafür neben den bisher bereits angedeuteten Inhalten weitere Inhalte vorgesehen sind.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich hatte es gesagt: Wir werden noch in diesem Jahr den Entwurf für eine Novelle des Niedersächsischen Pflegegesetzes vorlegen. Sie wird neben vielen praktischen Verbesserungen auch dafür sorgen, dass wir zukünftig nur noch Investitionsmittel geben und Förderungen leisten, wenn der Betrieb Tariflohn zahlt. Das ist ein ganz zentraler Punkt.
Die Eckpunkte sehen darüber hinaus vor, dass wir die Stärkung von präventiven und rehabilitativen Ansätzen in der pflegerischen Versorgung unterstützen. Vorgesehen sind zudem die Verpflichtung der kommunalen Gebietskörperschaften zur Durchführung von örtlichen Pflegekonferenzen - die Investitionskostenförderung habe ich genannt - und darüber hinaus die Förderung von festen, unbelegten Kurzzeitpflegeplätzen. Das ist ein großes Thema für die kurzfristige stationäre Unterbringung von Pflegebedürftigen. Wir werden eine Förderung von festen, unbelegten Kurzzeitpflegeplätzen in vollstationären Einrichtungen vorsehen.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Für die FDPFraktion stellt die Kollegin Sylvia Bruns eine Zusatzfrage. Bitte sehr!
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau Ministerin, ich habe eine Frage: Sind Sie bereit, außerhalb des Bereichs, den Sie jetzt angesprochen haben, also außerhalb der Beratung und der Dinge, die Sie jetzt schon tun, in Ihrer Zuständigkeit aufsichtsrechtlich gegen die Pflegekassen vorzugehen und dem Gesetz weiter zu folgen?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe gerade ausgeführt, dass ich großen Wert darauf lege, dass wir die rechtsaufsichtlichen Instrumente im Land behalten. Das ist im Moment durch den Gesetzentwurf, der gerade in dieser Woche durch den Bundesminister Spahn vorgelegt worden ist, akut gefährdet. Er sieht vor, dass all diese rechtsaufsichtlichen Möglichkeiten auf der Bundesebene zusammengefasst werden sollen.
Das will ich dezidiert nicht, weil wir durch die gegenwärtige Regelung im Land eine Situation haben, die es ermöglicht, dass auch Gespräche tatsächlich helfen. Das können Sie an einem guten Beispiel ablesen. Sie erinnern sich an die Klagewelle, die Ende des vergangenen Jahres wegen der Komplexpauschale Neurologie auflief. Tausende von Klagen waren bei den Sozialgerichten anhängig. Daraufhin habe ich mich sehr schnell auf Bundesratsebene dafür eingesetzt, dass diese Pauschalenregelung eine Klarstellung erfährt. Außerdem haben wir Gespräche auf Landesebene geführt, und in dieser Woche hat die AOK erklärt, den allergrößten Teil dieser Klagen zurückzunehmen, sodass das hier im Land kein Problem mehr darstellen dürfte.