Protokoll der Sitzung vom 21.06.2019

Das Wort „Bürokratie“ gibt es schon seit 1894. Da taucht es nämlich das erste Mal in „Meyers Konversations-Lexikon“ auf. Man hat mit dem Wort „Büreaukratie“ damals die „Schreibstubenherrschaft“ bezeichnet und meinte damit „eine kurzsichtige … Beamtenwirtschaft“.

Der Soziologe Max Weber hat 1922 die Bürokratie als „rationale“ Form der „legalen Herrschaft“, auch für Unternehmen, bezeichnet.

Das Wort oder der Begriff „Bürokratieabbau“ ist ein Schlagwort in der Politik und bezeichnet die Reduzierung der Überregulierung eines Behördenhandelns bzw. die Reduzierung von Kosten.

Nun hat Herr Minister Althusmann auch davon gesprochen, wie viele Milliarden eingespart werden können. Das sind für mich immer fiktive Summen. Deswegen habe ich einfach einmal nachgeschaut: Was hat das denn für einzelne Firmen bedeutet? - Ich bin auf ein Muster gestoßen. Das ist zwar schon aus dem Jahr 2003, aber ich glaube, es wird doch ganz deutlich, was für Kosten hier entstehen. Dort geht es nämlich um Kleinbetriebe mit 10 Beschäftigten, die Bürokratiekosten von knapp 3 800 Euro pro Jahr aufbringen müssen. Kleinbetriebe mit 20 bis 49 Mitarbeitern kommen da etwas günstiger weg; die liegen bei knapp 2 000 Euro pro Jahr. Also bedeutet Bürokratieabbau tatsächlich auch die Senkung finanzieller Belastungen für Betriebe.

Aber lassen Sie uns doch einfach einmal in unseren Koalitionsvertrag schauen! Was steht dort eigentlich zum Bürokratieabbau? - Auf Seite 88 unseres Koalitionsvertrages können Sie lesen, dass die SPD und die CDU sich zum gemeinsamen „Abbau überflüssiger Bürokratie“ bekennen. Weiter können Sie dort lesen, dass die Landesregierung „den Abbau überflüssiger Bürokratie … vorantreiben“ will. Wie man das gemeinsam erreichen will, ist im Koalitionsvertrag an Beispielen beschrieben - zugegebenermaßen noch nicht ganz ausführlich.

Herr Minister Althusmann hat Ihnen aber hier heute Morgen eine ausführliche Auflistung der Maßnahmen zum Bürokratieabbau erläutert. Ich glaube, das hat ganz deutlich gemacht, dass die Landesregierung an einem Strang zieht. Und glauben Sie mir: Sie zieht auch in die richtige Richtung.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung von Mareike Wulf [CDU])

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nun erteilte ich das für die FDP-Fraktion Herrn Kollegen Bode.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Althusmann, ich nehme Ihnen durchaus ab und finde es gut, dass Sie sich sehr stark für den Bürokratieabbau einsetzen. In der Tat ist Bürokratie ein Übel, ein störendes Ereignis, das Menschen und Unternehmen an ihrer eigentlichen Tätigkeit hindert und das Wirtschaftswachstum erschwert. An ihrem Abbau müssen wir gemeinsam arbeiten. Damit haben Sie vollkommen recht.

Aber was ist eigentlich das Problem bei Bürokratieabbau? - Wir haben es auch hier gerade gehört: Gegen Bürokratie sind wir ja alle. Und alle sind auch irgendwie für Bürokratieabbau - solange es so allgemein bleibt, dass nur das Wort „Bürokratie“ da steht, aber nicht der konkrete Punkt.

In jedem einzelnen Punkt wird es dann natürlich schwierig. Denn Bürokratie ist einmal von uns allen eingeführt worden, in den unterschiedlichsten Formen - in Regeln, Gesetzen, Verordnungen - und auf den unterschiedlichsten Ebenen. Jeder hatte damals ein gutes Argument für sich, mit dem er diese Regelung forderte.

Es gibt kein Erkenntnisdefizit zu der Frage, welche Regelungen Bürokratie auslösen. Es gibt ein Handlungsdefizit. Diejenigen Regelungen, die wirklich überflüssig ist, muss man benennen, und in der öffentlichen Diskussion muss man dafür stehen, dass man sie tatsächlich abschafft.

Herr Minister Althusmann, Sie haben hier tatsächlich einige Regelungen benannt. Sie haben das Tariftreue- und Vergabegesetz als eines Ihrer Beispiele zum Bürokratieabbau erwähnt. Ja, es ist wahr: Sie haben als Landesregierung - ein Dreivierteljahr nachdem die SPD einen Entwurf eingereicht hat - einen Entwurf zur Änderung des Tariftreue- und Vergabegesetzes eingereicht. Aber welche Änderungen sieht dieser Entwurf vor? Mit einer Novelle bauen Sie ja nicht per se Bürokratie ab.

Sie wollen den Schwellenwert leicht anheben. Sie sehen im unterschwelligen Vergaberecht einen Verweis auf Bundesrecht vor.

An die tatsächlichen bürokratischen Regelungen - nämlich die Nachweispflichten für kleine Unternehmen, was ILO-Kernarbeitsnormen etc. angeht -, die Aktenordner, die bei jeder kleinen Ausschreibung für Handwerksbetriebe fällig werden, gehen Sie nicht heran. Die tatsächlichen bürokratischen Hemmnisse gehen Sie höchstens oberflächlich an, indem einige Bereiche nicht mehr in der Ausschreibung sein sollen.

Wenn man sich Ihren Entwurf ernsthaft anschaut, dann muss man sich die Frage stellen, wer in Ihrem Haus ihn tatsächlich gelesen hat. Herr Minister Althusmann, wenn dieser Gesetzentwurf so von diesem Parlament beschlossen würde, würde er in Niedersachsen Chaos auslösen. Sie verweisen nämlich auf eine Regelung des Bundes, in der steht, dass ab dem 1. Januar 2020 alle öffentliche Vergaben - also auch alle Vergaben der Kommunen - nur mit einem speziellen Softwaretool für Vergaben durchgeführt werden dürfen, das bisher nur für den Bereich oberhalb der EU-Schwellen vorgesehen war. E-Mail-Verkehr und andere Ausschreibungen sind untersagt. Wenn dieser Landtag Ihr Gesetz im Herbst dieses Jahres beschließt, könnten die Kommunen im nächsten Jahr keine kleine Ausschreibung mehr machen.

Wenn Sie den Bürokratieabbau ernst nehmen, dann sollten Sie an diese Regelungen ernsthaft und in der Tiefe herangehen - und nicht noch mehr Probleme auslösen, als man jetzt schon hat.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, schauen wir uns die andere Regelung an, die Sie erwähnt haben: die A1-Bescheinigung. Wir haben das hier im Landtag diskutiert. Es ist ja nun nicht eine großartige Erkenntnis dieser Landesregierung, dass man hier Bürokratie abbauen muss. Es gab eine Anfrage der FDP, die auf das Problem hingewiesen hat. Insofern haben wir - auch vor Ihrer Einladung, daran mitzuwirken - dies schon getan. Und die Landesregierung hat gesagt, sie sieht keinen Anlass, sich darum zu kümmern. Dann haben wir hier einen Antrag gestellt.

Ich persönlich habe das Gefühl, die Aktivität der Landesregierung mit dem Ziel, etwas bei der A1Bescheinigung zu ändern, hat damit zu tun, dass Sie selber nach Brüssel gefahren sind, eine A1Bescheinigung brauchten und ich angekündigt habe, Sie dort zu kontrollieren. Ehrlicherweise muss ich sagen: Sie hatten eine A1-Bescheinigung. Aber das war keine Eigeninitiative.

Von daher würde ich mir wünschen, dass Sie die Dinge aufgreifen und intensiv - auch mit dem Koalitionspartner - darüber streiten.

Nehmen wir beispielsweise die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge! Seit Jahren werden die Sozialversicherungsbeiträge von den Handwerksbetrieben zweimal erhoben: einmal als Schätzung Anfang des Monats, einmal als Spitzabrechnung Ende des Monats. Wenn man einfach nur einen Termin machen würde, würde eine Bearbeitungswelle im Handwerk entfallen, und man könnte sich tatsächlich um Bauaufträge kümmern. Vielleicht könnte auch mehr gebaut werden, wo doch im Bauhandwerk Fachkräftemangel herrscht.

Eingeführt wurde das einmal, weil die Sozialversicherungssysteme knapp bei Kasse waren. Das sind sie heute aber nicht mehr. Statt die Bürokratie abzubauen und etwas fürs Wirtschaftswachstum zu tun, haben sich die Koalitionspartner in Berlin aber dafür entschieden, eine Mütterrente und andere Wohltaten aus Rentenversicherungsbeiträgen zu finanzieren. Das muss man tatsächlich angehen, wenn man ernst meint mit Bürokratieabbau und nicht nur Sonntagsreden hält.

Sie erwähnen die Regelung, dass man nur ein neues Gesetz macht, wenn man ein anderes abschafft - one in, out out -, als das ideale Instrument. Ja, das ist es auch. Es ist sogar erfolgreich in Niedersachsen praktiziert worden, Herr Minister Althusmann, insbesondere in der Zeit von 2003 bis 2008. Sie haben das damals als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion sogar immer

begrüßt und unterstützt, und Sie haben zur Umsetzung dieser Regelung angehalten. Es war die Regierung Wulff/Hirche, die gesagt hat: Wir müssen die Vorschriften tatsächlich reduzieren. Seitdem ist aber wieder einiges aufgebaut worden.

Es geht hier nicht um die Umsetzung von Bundesrecht und Ähnliches. Nein, diese Landesregierung kann einfach entscheiden, dass sie das tun will. Sie muss es dann aber auch tatsächlich tun und nicht nur Reden halten.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, kommen wir zum Baurecht! Ich unterstelle der Landesregierung nicht, dass sie dem Landtag hier falsch geantwortet hat. Herr Minister Althusmann hat hier das eine gesagt, und Herr Minister Lies hat durch seine Mimik und Gestik und seine entsetzten Nachfragen zu Mitarbeitern das andere dargestellt. Insofern haben wir ein umfassendes Bild von der Haltung der Landesregierung zur Dreimonatsfrist im Baurecht bekommen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Die Antwort der Landesregierung war zwar in ihrer Komplexität unüblich. Aber sie war bestimmt vollständig. Das kann man schon sagen.

Aber daran muss man doch tatsächlich einmal herangehen! Die Fusion Ihrer beiden Positionen wäre doch das Richtige.

Herr Althusmann, wenn Sie sich mit anderen Ländern auseinandersetzen, in denen es diese Dreimonatsfrist gibt, werden Sie sehen: Die Dreimonatsfrist löst das Problem nicht. Sie löst vielmehr aus, dass kurz vor Ende der Dreimonatsfrist alle Bauämter schwachsinnige - Entschuldigung! - Schreiben erstellen, mit denen neue Unterlagen angefordert werden, um sagen zu können: Der Antrag war nicht vollständig, die Dreimonatsfrist läuft neu.

Also muss man zuerst einmal aufstellen, welche Unterlagen der Bauantrag enthalten muss, und eine Bearbeitungsfrist für die Vollständigkeitsprüfung setzen. Danach kann man es dann auch in zwei Monaten schaffen. So steht es übrigens im Wahlprogramm der FDP für die letzte Landtagswahl. Insofern bringen wir uns hier gerne mit Vorschlägen ein. Das wäre ein konstruktiver Weg. Vielleicht können Sie auf diesem Weg einmal gemeinsam in die gleiche Richtung gehen. Das würde allen Beteiligten etwas bringen.

Und dann zu Ihrer Clearingstelle zum BürokratieKostenmonitoring. Ich habe Ihre Pressemitteilung dabei; sie ist aus dem Januar 2019. Darin kündigen Sie an, dass diese Clearingstelle unter der Federführung Ihrer Stabsstelle eingerichtet werden soll. Einen Monat später, am 18. Februar 2019, haben Sie in der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung gesagt - ich zitiere -:

„Ab sofort prüfe eine ‚Clearingstelle‘ jedes geplante niedersächsische Gesetz auf zusätzliche Belastungen für den Mittelstand - und schlage falls nötig Alternativen vor.“

(Minister Dr. Bernd Althusmann: Das ist falsch, das Zitat!)

Herr Minister Althusmann, ganz ehrlich - selbst wenn das Zitat nicht ganz richtig gewesen sein sollte -: Wenn Sie als Landesregierung den Unternehmerverbänden, der Wirtschaft im Januar versprechen, eine Clearingstelle einzurichten, dann ist die Erwartung der Wirtschaft nicht, dass Sie heute, Ende Juni des gleichen Jahres, sagen, Sie wollen in der Landesregierung mal drüber reden, ob und, wenn ja, wie etwas passieren kann. Nein, wenn Sie so etwas sagen, dann erwartet man doch, dass etwas passiert. Aber beim Handeln ist auch hier mal wieder Fehlanzeige!

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, so eine Clearingstelle ist natürlich nicht das allein Seligmachende, wenn es darum geht, die Bürokratie abzuschaffen. Wenn man die Vorschläge, die von dort kommen, ignoriert, dann ändert sich gar nichts! Das gleiche Problem haben wir übrigens auch beim Nationalen Normenkontrollrat.

Herr Minister Althusmann, Sie haben in Ihrer Rede selbst dargestellt, wie wichtig das Umsetzen der Vorschläge ist, damit sich eine solche Stelle auch ernst genommen fühlt. Aber noch ernster genommen fühlen würde sich die Clearingstelle sicherlich, wenn es nur eine gäbe und sich nicht die unterschiedlichsten Stellen in der Landesregierung mit dem ganzen Kram auseinandersetzen würden.

Und machen wir uns bitte nichts vor: Es ist ja auch nicht so, dass uns diejenigen, die Sie jetzt außerhalb der Landesregierung über eine neue Beratungsstelle beteiligen wollen, bisher nicht schon beraten hätten. All diese Verbände, all diese Stimmen, die in dieser Clearingstelle mitwirken sollen, haben jedes Gesetzgebungsvorhaben dieser Landesregierung geprüft und Hinweise gege

ben bzw. Stellungnahmen dazu abgegeben. Das gilt auch für die Vorgängerlandesregierung und vermutlich auch für die zukünftige Landesregierung. Aber die Wahrheit ist doch, dass diese Stellungnahmen im Regelfall nur zur Kenntnis genommen und abgeheftet werden.

Und diese Stellen haben ja auch noch eine zweite Chance; denn sie können auch dem Landtag bei der Gesetzesberatung noch Hinweise geben bzw. dazu Stellungnahmen abgeben. Das heißt, sie werden bei allen Gesetzesvorhaben sogar doppelt gehört. Und wenn dann diese Hinweise nicht umgesetzt werden, dann ist das eine bewusste politische Entscheidung. Dann hat man sich für Bürokratie und gegen Bürokratieabbau entschieden. Das muss man auch mal so offen sagen. - Und das ist ja genau das, wofür die Clearingstelle zuständig gewesen wäre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bürokratieabbau geht uns alle an, dafür sind wir alle verantwortlich. Wir können uns nicht hinter irgendwelchen Stellen oder Beratungen verstecken. Wir müssen den Menschen erklären, welche Regelungen wir für überflüssig halten und warum.

Wir müssen den Menschen aber auch vertrauen. Viele dieser Regelungen sind getroffen worden, um in einem Verfahren bestimmte Fälle auszuschließen. Aber weil diese Fälle nur einen ganz geringen Anteil an den gesamten Fällen ausmachen, müssen die übrigen 99,9 % der Fälle darunter leiden. Von daher müssen wir dafür Sorge tragen, dass auf allen Ebenen nur die wirklich notwendigen Vorgaben und Dokumentationspflichten geregelt werden.

Ich würde mir wünschen, Herr Minister Althusmann, dass Sie das Ganze beim Baurecht jetzt wirklich angehen, und zwar nicht nur mit einer Dreimonatsfrist, sondern so, wie es die FDP in ihrem Wahlprogramm vorgeschlagen hat. Wenn Sie tatsächlich eine wie auch immer geartete Clearingstelle initiieren, dann müsste die Landesregierung aber auch wirklich auf sie hören - und genauso müsste sie die Vorschläge des Normenkontrollrats übernehmen, beispielswiese die zur Zahlungspflicht für Sozialversicherungsbeiträge bei Handwerksbetrieben. Dann würde man etwas nach vorne bringen.

Denken Sie bitte noch einmal zurück an die gute alte Zeit, als Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer die One-in-one-out-Regel von Christian Wulff unterstützt haben! Wenn Sie diese Regel von damals mit Ministerpräsident Weil einfach wieder

einführen würden, dann wäre dem Land sehr geholfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)