Protokoll der Sitzung vom 24.10.2019

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der AfD in der Drucksache 18/3925 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, der Beschlussempfehlung des Ausschusses ist mit großer Mehrheit gefolgt worden.

Wir kommen nun zum letzten Tagesordnungspunkt am heutigen Tage, zu dem

Tagesordnungspunkt 31: Abschließende Beratung: Aufforderung zur Änderung der Anlaufbedingungsverordnung (AnlBV) - Antrag der Fraktion der AfD - Drs. 18/2766 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung - Drs. 18/4716

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung und gebe zunächst dem Kollegen Stefan Henze von der AfD-Fraktion das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Mit diesem Tagesordnungspunkt kommen wir auf den Themenkomplex „Steigerung der Sicherheit im Schiffsverkehr“ zurück - wir haben das ja unter dem Tagesordnungspunkt 23 schon mal angerissen; darauf werde ich gleich auch noch einmal kurz eingehen -, diesmal jedoch ausschließlich durch die schiffspolizeilichen Mittel.

Derzeit befahren viele Großschiffe mit mehr als 10 m Tiefgang - entsprechend war es bei der „MSC Zoe“ - das rund 20 km nördlich der Ostfriesischen Inseln verlaufende Verkehrstrenngebiet „Terschelling German Bight“. Wir wollen aus Gründen der Gefahrenabwehr - ich wiederhole: der Gefahrenabwehr - zukünftig alle Schiffe mit einem Tiefgang von mehr als 10 m auf den rund 60 km nördlich dieser Küste verlaufenden Tiefwasserweg mit einer durchgehenden Wassertiefe von 30 m verweisen. Ich habe gehört, auch die holländischen Kollegen bewegen sich in diese Richtung.

Dies bedeutet erheblich mehr Sicherheit für die Schifffahrt, aber auch für die Küsten und deren Bewohner. Im Tausch für die vorgeschlagene Rechtsänderung geht es um nur bis zu zwei Stunden mehr Fahrzeit für Reeder. Ich denke, das ist hinnehmbar.

Liebe Kollegen der anderen Fraktionen, es wäre klug, Berlin mit uns zu dieser Rechtsänderung aufzufordern. Die Kompetenz dazu liegt nach dem Seeaufgabengesetz beim Bund bzw. konkret nach § 9 Seeaufgabengesetz beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur als Verordnungsgeber. Das haben wir in unserem Entschließungsantrag technisch berücksichtigt. Da man in Berlin aber bekanntlich davon träumt, Küstenanrainer zu sein und wir in Niedersachsen es tatsächlich sind, fehlt es dem Bund natürlich an entsprechendem Problembewusstsein. Genau das hat das Abstimmungsverhalten im Bundestag zu dem fast gleichlautenden Antrag unserer Fraktion dort gezeigt. Niedersachsen ist hier also dringend gefordert, sich im Interesse der Bürger an der Küste im Bund durchzusetzen.

Liebe Landesregierung, Ihre weichgespülte Bundesratsinitiative vom Februar 2019 - Bundesratsdrucksache 68/19 - ist das krasse Gegenteil von konkret und hilft auf keinen Fall, die nächste Havarie zu vermeiden. Ich fordere Sie alle um der Sache willen und trotz des im Unterausschuss deutlich gezeigten Desinteresses noch einmal auf, unserem Entschließungsantrag für mehr Küsten- und Seesicherheit zuzustimmen, auch und gerade unter dem Aspekt, dass die Holländer zu „MSC Zoe“ neuerdings etwas gesagt haben. Ich denke, wir werden hier in Niedersachsen zu dem gleichen Ergebnis kommen. Daher bitte ich Sie noch einmal, hier zuzustimmen. Es kann nicht sein, dass wir hier die Sicherheit weiterhin aufs Spiel setzen.

(Beifall bei der AfD)

Danke schön, Herr Kollege Henze. - Für die CDUFraktion hat der Kollege Oliver Schatta das Wort. Bitte sehr!

(Beifall bei der CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist zwar schon etwas später, aber die Themen bleiben interessant. Wir

sprechen heute Abend über die Aufforderung zur Änderung der Anlaufbedingungsverordnung, kurz AnlBV. - Das ist schon eine ziemlich coole Sache!

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Worum geht es? - Es geht darum, Schiffe mit mehr als 10 m Tiefgang nicht mehr im küstennahen Verkehrstrennungsgebiet „Terschelling German

Bight“ - ca. 20 km nördlich der Ostfriesischen Inseln -, sondern im 40 km weiter vom Festland entfernten Gebiet „German Bight Western Approach“ fahren zu lassen. Es geht zum Schutz unseres Wattenmeers um Ladungsverlust durch Aufsetzen und um Rollbeschleunigungen, vornehmlich bei modernen Schiffen mit weit ausfallenden Spanten und dem dadurch bestimmten geringen Auftrieb, mit der Gefahr der Krängung. So weit, so gut. Auch geht es um einen Unfall, um den Unfall der „MSC Zoe“ im Januar dieses Jahres.

Was ist ein Unfall? - Ein Unfall ist ein plötzliches, zeitlich und örtlich bestimmbares und von außen einwirkendes Ereignis, bei dem eine natürliche Person unfreiwillig einen Körperschaden bis hin zum Tod erleidet - also einen Personenschaden - oder eine Sache unbeabsichtigt beschädigt wird - somit ein Sachschaden.

Plötzlich, zeitlich und örtlich bestimmbar und von außen einwirkend: Dazu kann man auch sagen, dass Unfälle unvorhersehbar sind und einzelne Fälle beschreiben, wie eben in diesem Antrag.

Im Begründungstext des Antrags geht es schließlich um einen besonderen Fall unter besonderen Bedingungen in der Deutschen Bucht bzw. in unserem Wattenmeer: Bedingungen, die zwar selten herrschen, aber möglich sind.

Was würde es bedeuten, wenn wir die Anlaufbedingungsverordnung in der Nr. 6 der Anlage zu § 1 Abs. 1 um einen Buchstaben e) „Schiffe mit einem Tiefgang von mehr als 10 m“ erweitern? - Richtig, es beträfe alle Schiffe: zu jeder Zeit, bei jeder Wetterlage, bei jeder Mondphase und bei jedem Ebbstrom und jedweder Ladungssituation sowie Schiffsart.

Das würde in der Praxis bedeuten, dass jedes Schiff mit mehr als 10 m Tiefgang statt in der küstennahen „Terschelling German Bight“ einen Umweg von zwei Stunden zu fahren hätte, nämlich in der „German Bight Western Approach“. Das bedeutet dann ebenso einen höheren Schadstoffausstoß.

Ich persönlich würde eine praxisnahe individuelle Betrachtung der Wetterlage, der Mondphasen und weiterer relevanter Parameter bevorzugen, um betreffende Schiffe gegebenenfalls umzuleiten. Es ist ja auch so, dass wir eine Meldungs- und Hörbereitschaft haben. Schiffe, die gefährliche Güter in verpackter Form oder als Massengut transportieren, haben ihre Reise einschließlich der Details zu den gefährlichen Gütern bei der Zentralen Meldestelle des Havariekommandos anzumelden.

Nun zu der Grenze von 10 m Tiefgang: Die Grenze von 10 m ist ja auch relativ undefiniert gesetzt. Denn was würde bei 9,85 m oder bei 9,75 m passieren, wenn die Lage dann zu einem Schaden führt? - Wir sehen, es ist schwierig.

Schwierig ist auch die Definition im Antrag insgesamt; denn die Stabilität von Schiffen ist von relativ vielen Faktoren abhängig, insbesondere von der im Antrag angesprochenen Schiffskrängung. Dazu gehören Form und Größe des Schiffsrumpfs, Masse und Massenverteilung des Schiffskörpers, Ladungsgewicht und Ladungsverteilung, also die Trimmung, Verhalten der Ladung, also z. B. die eventuelle Beweglichkeit von Schüttgut oder Fahrgästen, dynamisches Verhalten des Schiffes, z. B. bei Kursänderungen, bei hoher Geschwindigkeit, freie Oberflächen - flüssige oder verbreite Ladung, Inhalte teilweise gefüllter Tanks - und Kranlasten.

Weitere in Betracht zu ziehende Betriebsbedingungen sind Seegang, Wind und Strom, Vereisungsgefahr des Überwasserschiffs, also die Eislast, und die Wasserdichte, also das Verhältnis von Salzwasser zu Süßwasser.

Wir sehen also, dass man das Gefahrenpotenzial nicht allein in Tiefgang angeben kann. Vielmehr ist es die Physik, und Physik ist spannend.

(Zustimmung bei der CDU)

Die grundsätzlichen Parameter der Stabilität eines Schiffes sind der Gewichtsschwerpunkt und der Auftriebsschwerpunkt, auch Form- oder Verdrängungsschwerpunkt genannt, sowie die sich aus ihnen ergebende metazentrische Höhe.

Im Gewichtsschwerpunkt kann man sich die gesamte nach unten wirkende Gewichtskraft des Schiffes auf einen Punkt konzentriert vorstellen. Bei einer Krängung des Schiffes behält der Gewichtsschwerpunkt seine Lage innerhalb des Schiffes bei, solange alle Massen im Schiff an ihrem Ort bleiben. Wenn also z. B. Ladung übergeht, ändert dies auch den Gewichtsschwerpunkt. Also sehen

wir: Laschen ist wichtig. Und Laschen ist was? - Hafenarbeit! Richtig, liebe Kollegen!

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Es geht weiter mit Physik. Im Auftriebsschwerpunkt kann man sich die gesamte nach oben wirkende Gewichtskraft des verdrängenden Wassers denken. Er ändert seine Lage bei einer Krängung, weil sich die Form des verdrängten Wassers ändert. Bei aufrechter Schwimmlage des Schiffs liegen Gewichtsschwerpunkt und Auftriebsschwerpunkt senkrecht übereinander. Wird das Schiff durch einen äußeren Einfluss gekrängt, bleibt der Gewichtsschwerpunkt auf das Schiff bezogen zwar an seinem Platz, wandert aber insgesamt gesehen zur Seite der Krängung aus. Der Auftriebsschwerpunkt wandert zur selben Seite aus, und zwar ins Zentrum des jetzt verdrängten Wassers.

Wenn der Gewichtsschwerpunkt und Auftriebsschwerpunkt nicht mehr senkrecht übereinanderstehen und der Gewichtsschwerpunkt unterhalb des Anfangsmetazentrums des Schiffes liegt, entsteht ein sogenannter aufrichtender Hebelarm, der das Schiff bei der Wegnahme des krängenden Einflusses in seine Ausgangslage zurückführt.

Ich habe noch zwölf Sekunden.

(Glocke des Präsidenten)

Wir merken also, es ist schwierig, diese Lage zu bewerten, und sie ist nicht einfach bestimmbar. Übrigens sind wir hier auch gar nicht so richtig zuständig. Wir empfehlen deshalb die Ablehnung.

Vielen Dank.

(Heiterkeit sowie starker Beifall bei der CDU und bei der SPD sowie Zu- stimmung bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Schatta. Eigentlich hätte der letzte Satz vollkommen ausgereicht.

(Heiterkeit)

Ich stelle immer wieder fest: Es gibt Kollegen, die schneller reden können, als ich denken kann. Aber jetzt bin ich auch soweit. Ganz herzlichen Dank! Deswegen kommt jetzt auch die nächste Rednerin, nämlich die Kollegin Hillgriet Eilers von der FDPFraktion. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Physik in Bezug auf die Nautik ist spannend. Der Vortrag von Herrn Schatta war es auch. Zudem war er sehr lehrreich.

Wiederum nimmt ein Antrag Bezug auf den Containerverlust der „MSC Zoe“. Die AfD schlägt mit Ihrem Antrag eine Änderung der Verordnung über das An- und Auslaufen in die bzw. aus den deutschen Gewässern vor, so eben auch in die bzw. aus der Deutschen Bucht. Da Herr Schatta die technischen Details gerade sehr gut dargestellt hat, will ich mich kurzfassen.

Ich möchte zunächst daran erinnern, dass man sich immer bewusst sein muss, dass hier jede Änderung mit der IMO abgestimmt werden muss. Außerdem spricht der Antrag der AfD-Fraktion nur einen der möglichen Ansätze an, Havarien zu vermeiden. Das ist auch bei der Diskussion, die wir vorhin geführt haben, als es um die Sicherheit in der Schifffahrt generell ging, sehr deutlich geworden.

Um die Unfallhistorie bewerten zu können, brauchen wir zum einen den Unfallbericht der BSU. Zum anderen brauchen wir eine qualifizierte Abschätzung der Folgen, die die angestrebte Änderung hätte. Denn sollte eine Route weiter eingeschränkt werden, käme es auf der zweiten Route zu vielen Begegnungen großer Schiffskörper, und das könnte bei schwerer See durchaus zu einem Sicherheitsrisiko führen.

Unseres Erachtens ist es noch zu früh, Schlussfolgerungen zu ziehen. Das hat die AfD auch schon im Bundestag bei der Behandlung ihres Antrags erfahren. Es ist müßig, dieselbe Diskussion an dieser Stelle noch einmal zu führen. Und: Ihr Vorwurf, Herr Henze, in Berlin herrsche kein Problembewusstsein, ist schon einigermaßen verwegen - um nicht zu sagen: dreist.

Wir werden den Antrag nicht befürworten.