Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass Sie die Forderung der FDP nach einem Ostfrieslandplan aufgegriffen und einen solchen in Ihrer Antwort auf Frage 3 - nach der Strategie, um Ostfriesland kurz-, mittel- und langfristig zu stabilisieren - in Aussicht gestellt haben, hier aber eher ein Sammelsurium von Einzelprojekten aus Einzelreferaten dargestellt
haben, möchte ich Sie konkret fragen: Wie sieht der von Ihnen angekündigte Ostfrieslandplan in der Struktur insgesamt aus?
Da wir uns auf Fragen aus dem Plenum generell mit aller Sorgfalt und Ernsthaftigkeit vorbereiten, ist es keinesfalls ungewöhnlich, dass meine Mitarbeiter mir als Denkstütze für bestimmte Antworten einen Zettel reichen. Ich habe gehört, dass das zu Zeiten anderer Minister in diesem Amt auch so gewesen sein soll.
Der Abgeordnete Ulf Thiele hat vor Kurzem - genauso wie ich - über einen „Ostfrieslandplan“ gesprochen und die Auffassung vertreten, dass das Land dafür eine Summe von 1 Million Euro in den Haushalt aufnehmen lassen müsse. So war es zumindest der Presse zu entnahmen. Aber letztendlich ist es Sache des Haushaltsgesetzgebers, über die konkrete Finanzausstattung 2020 zu entscheiden. Der Beschluss ist ja noch nicht gefallen. Ich persönlich kann Ihnen sagen, dass das MW diesen Vorschlag ausgesprochen positiv beurteilt. Wir werden unseren Teil dazu leisten, einen Ostfrieslandplan zum Wohle der Region mitzugestalten, so wie ich es selbst auch angekündigt habe.
Konkret: Wir brauchen eine sehr stringente und nach vorn gerichtete Innovationsstrategie, die die bestehenden regionalen Stärken fokussiert und ausbaut und dabei auch weitere Perspektiven entwickelt. Das Ganze wird in einem ersten Ansatz unter den Arbeitstitel „Projektfabrik“ gefasst, der alle regionalökonomischen Akteure bündeln soll, also im Besonderen die IHK, die Handwerkskammern, die Ems-Achse, Landkreise, Städte, die Hochschule und vor dem Hintergrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation sicherlich auch die Regionaldirektion.
Ich stelle mir einen solchen Ostfrieslandplan wie folgt vor - das ist noch unvollständig, wir wollen ihn ja erst einmal entwickeln, aber man muss ja eine ungefähre Vorstellung davon haben, wohin man will -:
In Ostfriesland finden sich große und mittelständische Firmen in typischen Kompetenzbereichen wie Energie, Maschinenbau, Bauwesen und maritimen Industrien sowie im Bereich der Informationstechnologie. Die Beschäftigungsentwicklung in den Landkreisen Aurich und Leer liegt über dem Landesdurchschnitt. In der Stadt Leer arbeiten im Moment ca. 400 hochqualifizierte Beschäftigte in einem örtlichen IT-Cluster. In Aurich liegt der Schwerpunkt auf Energie und Maschinenbau rund um die Unternehmensgruppe Enercon und seine Zulieferer - oder Partner, wie auch immer man es bezeichnen will.
Dort ist der industrielle Sektor in den letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsen, im Übrigen anders als im bundesweiten Durchschnitt. Emden ist einer der größten Produktionsstandorte des
Volkswagen-Konzerns, und der Hafen gehört zu den größten Umschlagplätzen für den Automobilexport in Deutschland. Aber auch der Dienstleistungssektor ist in der Region Ostfriesland besonders stark. Ebenso sind die Bereiche Bildung - vorneweg die Hochschule -, Gesundheit, Verwaltung, Handel, Versicherung und insbesondere Tourismus und Gastronomie sehr stark präsent, deutlich stärker als im Landesdurchschnitt.
Ich will darauf verzichten, das etwa ein Dutzend Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten aufzuzählen, sondern möchte nur kurz einen Blick auf die Arbeitsmarktzahlen werfen, weil es ja erst mal um die Beschreibung des Status quo geht: Wie hat sich eigentlich der Arbeitsmarkt, die Arbeitslosenquote in der Region entwickelt?
Von dem Ergebnis dieser genaueren Betrachtung war ich auch überrascht. Im Januar 2019 lag die Arbeitslosenquote im Bezirk Emden-Leer der Agentur für Arbeit noch bei 7,1 %. Das setzte sich dann über die nächsten Monate wie folgt fort: 7,1 %, 6,5 %, 5,9 %, 5,6 %, 5,5 %, 5,8 %, 5,8 %, 5,5 % und 5,5 %. Das sind die Monate des Jahres 2019; das sind unsere letzten Zahlen. Das heißt, die Quote ist von etwas über 7 % auf 5,5 % gesunken, und das, obwohl wir im letzten Jahr bereits eine Freistellung von rund 700 Mitarbeitern bei Enercon hatten.
Das ist die Kurzbeschreibung der Situation. Auf Basis dieser Grunddaten kann man sich nun überlegen, was wir im Rahmen eines Ostfrieslandplans auf den Weg bringen wollen.
Erstens: das Kompetenzcluster Mobilität. Die Batteriezellfertigung in Deutschland muss nachhaltig und regenerativ erfolgen, wenn die elektromobilen
Fahrzeuge in Zukunft tatsächlich dem Prinzip der Nachhaltigkeit entsprechen wollen. Wir wissen, dass die sehr energieintensive Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien für die Elektromobilität gerade in Ostasien derzeit im Wesentlichen durch Kernkraft und Kohleverstromung und noch nicht durch regenerative Energien erfolgt. Von daher setzt Deutschland mit dem Projekt in Salzgitter, das VW auf den Weg gebracht hat, und mit weiteren Produktionskapazitäten, die in Deutschland noch errichtet werden sollen, ein richtiges Zeichen.
Die Entscheidung von VW für Salzgitter schließt eine Kooperation mit möglichen Fertigungskapazitäten in Emden und Aurich - in Ostfriesland im weitesten Sinne - angesichts der Produktionsziele von etwa 10 Millionen vollelektrischen Fahrzeugen bis 2030 aus meiner Sicht in keinster Weise aus. Da VW künftig auch auf Mild-Hybrid- und auf Plugin-Hybrid-Motoren setzen wird und die Kompetenz für den vollelektrischen Motor jetzt gerade erst in Salzgitter aufgebaut wird, wird es Ziel der Landesregierung sein, gemeinsam dafür zu sorgen, eine Perspektive in der Region Ostfriesland für den Kernstandort der ID-Fertigung aufzuzeigen und sich dafür einzusetzen, dass die Batteriezellfertigung auch dort eine realistische Chance erhält.
Auch für das Batterierecycling sehe ich in unserem Bundesland neben der Region Braunschweig und Helmstedt erhebliches Potenzial. Die Batteriezellen der Zukunft werden voraussichtlich eine Lebensdauer von etwa acht Jahren haben, und schon heute stellt sich die Frage des Recyclings von etwa 90 % der Batterieinhaltsstoffe. Auch hier kann sich die Region Ostfriesland zu einem Kompetenzcluster entwickeln.
Die Produktion der Ladesäuleninfrastruktur in Deutschland hinkt den tatsächlichen Ausbauzielen der Elektromobilität dramatisch hinterher. Es wird von 1 Million notwendigen Ladesäulen gesprochen. Die Automobilbauer haben sich gemeinsam mit der Bundesregierung erst einmal für 50 000 verpflichtet. 15 000 davon wird die Automobilindustrie bereitstellen. Es stellt sich aber auch die Frage der Speicherkapazitäten. Im Zuge der Entwicklung und der Produktion des ID ergeben sich aus dem derzeitigen Strukturwandel also wiederum neue Chancen für die Region Ostfriesland.
Zweitens: Kompetenzcluster Energie. Enercon plant eine Verlagerung der Rotorblattfertigung nach Portugal oder in die Türkei. Ab 2020 werden nach meiner Kenntnis zahlreiche Windenergieanlagen in Deutschland wieder aus der Produktion
genommen. Das Recycling von Rotorblättern kann in den derzeit bestehenden Firmen der EnerconGruppe, wenn ich sie einmal so nennen darf, aus meiner Sicht eine neue Produktionsperspektive eröffnen. Das sehen im Übrigen auch die IG Metall und auch Enercon selbst so.
Ostfriesland könnte darüber hinaus im Rahmen der Wasserstoffstrategie des Landes Niedersachsen und der fünf norddeutschen Länder eine entscheidende Funktion einnehmen. Die Produktion grünen Wasserstoffs oder aber die Produktion synthetischer Kraftstoffe wie Methanol könnte hier mit einem innovativen Ansatz vorangebracht werden.
Drittens: Kompetenzcluster Wissenschaft. Neben den vorhandenen Bildungsinstitutionen wie Hochschulen, berufsbildenden Schulen und Volkshochschulen kommt es auch vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfes gerade in dieser Region in den kommenden Jahren darauf an, den Übergang von Schule und Beruf vernünftig miteinander zu verzahnen. Die Start-up-Kultur in der Region zu etablieren, eröffnet neue Möglichkeiten für die Verknüpfung der Bildungseinrichtungen.
Ich gehe davon aus, dass auch die Hochschule Emden/Leer die Projektförderung von Forschungsvorhaben mit Blick auf innovative Antriebe oder aber die maritime Industrie mit Blick auf Wasserstoffantriebe der Zukunft die Entwicklung vorantreiben werden. Ebenso vermute ich, dass die maritime Industrie in den nächsten Jahren neben LNG-Antrieben auch auf Wasserstoffantriebe setzen wird, wie wir es jetzt schon aus Norwegen kennen. Auch hier sehe ich ein erhebliches Innovationspotenzial für Ostfriesland.
Viertens: Kompetenzcluster Tourismus. Das vierte Kompetenzcluster könnte meines Erachtens eine Überlegung derjenigen sein, die sich jetzt um ein Netzwerk oder eine Projektfabrik für Ostfriesland bemühen. Der Kompetenzclusterbereich Tourismus ist wichtig, um den Ostfrieslandplan erst einmal auf den Weg zu bringen. Die Mobilität und den Tourismus in herausragender Weise miteinander zu verbinden, erscheint mir mit Blick auf die Erreichbarkeit Ostfrieslands auf der Schiene, auf der Straße und auf dem Wasser - Letzteres vielleicht nur bedingt - zwingend geboten. Dazu gehört auch die Erreichbarkeit der Ostfriesischen Inseln. Der Tourismus ist einer der entscheidenden Bereiche, die Ostfriesland weiter voranbringen können.
Sollten Sie mit Ihrer Frage angenommen haben, dass wir keinerlei Vorstellungen hätten, wenn wir einen Plan in die Welt setzen, dann dürfte das zumindest widerlegt worden sein.
Vielen Dank, Herr Minister. - Es gibt eine weitere Zusatzfrage von der FDP-Fraktion. Frau Kollegin Eilers, bitte sehr!
Danke, Herr Präsident. - Zu einem Ostfrieslandplan gehört unbedingt auch die Anpassung der Fahrrinne der Ems. Vor etwa einem Jahr hat ein Runder Tisch stattgefunden, an dem Sie, Herr Wirtschaftsminister, teilnahmen und uns Hoffnung darauf machten, dass 2019 mit der Maßnahme begonnen werde. Bislang ist nichts passiert, und die Teilnehmer sind enttäuscht. Deswegen meine Frage: Wann wird die Emsvertiefung endlich realisiert?
Frau Abgeordnete Eilers, Sie haben völlig recht, und ich bin hier, ehrlich gesagt, auch ein bisschen sauer. Als Herr Minister Lies und ich die Beteiligten zum Thema Emsvertiefung an den Tisch geholt haben, haben wir gegenüber Herrn Professor Witte von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes sehr deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass nicht wieder im Sinne einer Verzögerungstaktik sämtliche Daten erneut erhoben werden müssen, sondern dass man auf die bestehenden Daten aufbaut und jetzt endlich zu einer Vertiefung kommt. Wir haben dazu einen Antrag im Bundesrat gestellt, wenn ich es richtig weiß.
Ich habe dazu an die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, an Herrn Professor Witte geschrieben. Das Antwortschreiben, das ich kürzlich erhalten habe, ist etwas blumig und hat mich schon ein bisschen auf die Zinne gebracht.
Wir werden den Bund noch einmal an den Antrag erinnern. Ohne sein Zutun wird es nicht funktionieren, da er die Planungsbehörde ist. Wir können nur an ihn appellieren, endlich das Signal zu setzen, dass es zu dieser Emsvertiefung kommt.
Es liegt im Moment also nicht an uns, sondern an der Erhebung der Daten, ob die gesamte Umweltverträglichkeitsprüfung wieder von vorne begonnen werden muss. Dazu gibt es keine klare Aussage des Bundes; ich kann Ihnen das letzte Schreiben von Professor Witte gerne zur Verfügung stellen. Wir setzen uns aber massiv dafür ein, dass es endlich zu dem von uns beiden gewünschten und angekündigtem Vorgehen in Sachen Emsvertiefung kommt.
(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Dafür ist CDU-Staatssekretär Ferlemann zu- ständig, und der kommt aus Nieder- sachsen!)
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Kollege Ahrends von der AfDFraktion. Bitte sehr!
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, am 17. Mai 2019 hat Elon Musk, der Chef von Tesla, in dem Technikportal theverge.com ausgesagt, dass Tesla in zehn Monaten kein Geld mehr hat, wenn keine drastischen Änderungen vorgenommen werden. Hat diese Aussage bei Ihrer Entscheidung, Tesla nicht finanziell zu unterstützen, eine Rolle gespielt?
Die finanziellen Hintergründe von Tesla sind uns nicht vollumfänglich bekannt. In den Wirtschaftszeitungen Deutschlands war in der Tat nachzulesen, dass die Ansiedlung in Brandenburg noch mit einem blauen Wunder enden könnte, weil niemand etwas über die tatsächliche Finanzkraft dieses Konzerns weiß. Manche Wirtschaftskommentatoren haben die Entscheidung zugunsten Deutsch
lands und in diesem Fall für Brandenburg so kommentiert, dass es sich dabei um eine aktienkursrelevante Maßnahme bzw. Strategie gehandelt haben könnte. Wir kennen die Finanzaufstellung dieses Konzerns nicht. Wir waren seit Jahren an dieser Ansiedlung interessiert.
Noch ein kleiner Hinweis zu diesem Thema. Das Land Niedersachsen hat sich auf eine konkrete Presseanfrage hin sehr allgemein dazu geäußert, dass Tesla erneut Interesse gezeigt hat. Am 8. Januar 2017 ist in der Wilhelmshavener Zeitung ein Artikel erschienen, in dem zu lesen ist, dass zuletzt die Stadt Papenburg und die Gemeinde Dörpen öffentlich gemeinsam ihren Hut in den Ring geworfen haben. Bekannt ist auch, dass die Provinz Groningen in den Niederlanden sich ebenfalls Chancen auf die Ansiedlung der Tesla-Fabrik ausgerechnet hatte. Auch Wilhelmshaven hat Anfang 2017 öffentlich gemacht, dass sie sich dafür interessiere. Es ist also keinesfalls so, dass dies alles unbekannt gewesen ist.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Kollege Bley aus der CDUFraktion. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Früher gab es einen Emslandplan und einen Südniedersachsenplan, heute spricht die FDP von einem Ostfrieslandplan.