Protokoll der Sitzung vom 17.12.2019

Bitte schön, Herr Kollege Calderone!

Ich bin da recht beruhigt, Herr Kollege Limburg. Wenn Sie wollen, dann können Sie jetzt reden. Bitte!

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das finde ich gut!)

Herr Kollege Calderone, ich habe Ihnen eben das Wort erteilt.

(Christian Calderone [CDU] begibt sich zu seinem Platz zurück - Zurufe)

- Wenn Sie sich nach diesem Kurzauftritt noch einmal melden wollen, ist Ihnen das natürlich gestattet.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU sowie Zustimmung von Johanne Modder [SPD])

Es liegt eine weitere Wortmeldung vor, die der Kollegin Niewerth-Baumann. Sie ist aber bestimmt genauso gnädig gestimmt - das sehe ich schon an der Mimik -, und insofern hat jetzt der Kollege Limburg das Wort. Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, dass ich ein sehr konservativer Mensch bin;

(Heiterkeit - Jörg Hillmer [CDU]: „Kon- servativ“ heißt ja nicht langsam!)

insbesondere in Parlamentsangelegenheiten bin ich sehr konservativ. Insofern begrüße ich die Geste von Herrn Calderone und von Frau NiewerthBaumann ausdrücklich, dass hier der Tradition

gefolgt wird und die stärkste Oppositionsfraktion - wie auch bei den anderen Einzelplänen - mit der Aussprache beginnt. Vielen Dank für diese vorweihnachtliche Geste.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Gesten allein ist es im Justizhaushalt aber natürlich leider nicht getan. Wir alle sind uns - das möchte ich zu Beginn herausstellen - darüber einig, dass die Justiz als dritte Staatsgewalt eine herausragende Bedeutung für das Funktionieren eines freien, sozialen und demokratischen Rechtsstaats hat. Ohne eine unabhängige und starke Justiz ist die effektive Durchsetzung von Rechten und auch von Pflichten in diesem Land nicht möglich. Insofern verdient es die Justiz, dass sie ausreichend beachtet, aber eben auch ausreichend ausgestattet wird, und zwar sowohl mit personellen als auch mit sachlichen Mitteln.

(Vizepräsidentin Petra Emmerich- Kopatsch übernimmt den Vorsitz)

Dazu muss man sagen, dass der Haushalt der Landesregierung an dieser Stelle Licht und Schatten präsentiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Sicherlich ist positiv hervorzuheben, dass es genau wie in den Vorjahren - wie in verschiedensten Regierungskonstellationen - grundsätzlich Stellenaufwüchse gibt. Diese werden aber ganz offenkundig den gegenwärtigen Herausforderungen nicht gerecht. Darauf hat meine Kollegin Piel schon heute Morgen in der Generaldebatte hingewiesen.

Natürlich ist es begrüßenswert, dass die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU die Kraft finden, mit der politischen Liste wichtige Zeichen zu setzen. Das anerkennen wir ausdrücklich. Aber es stellt sich dann immer auch die Frage: Warum ist das im Sommer beim Entwurf der Landesregierung nicht in ausreichendem Maße priorisiert worden?

Hervorheben möchte ich z. B. den Bereich der Sozialgerichte. Darüber, Frau Ministerin Havliza, haben wir schon im letzten Jahr, im Jahr 2018, an dieser Stelle gesprochen. Ich hatte das angemerkt. Sie hatten dann darauf hingewiesen, dass Sie davon ausgehen, dass sich die Lage wieder beruhigen und entspannen wird. Wir beide wissen nun ein Jahr später - natürlich kann man immer sagen: hinterher ist man immer schlauer -: Die Lage an den Sozialgerichten hat sich eben nicht entspannt.

Darum ist es überfällig, dass die Koalition drei zusätzliche Richterstellen an den Sozialgerichten schafft. Das finde ich gut. Ausreichend ist das angesichts der Anzahl der Sozialgerichte in Niedersachsen aber nicht. Sie wissen, dass das nicht einmal eine Stelle pro Gericht in diesem Land ist. Darum wird es der Justiz im Flächenland zumindest an der Stelle nicht gerecht. Wir beantragen hierzu eine deutlich größere Aufstockung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Sommer hatte man das Gefühl, dass die Justizministerin zur Gegenfinanzierung für verschiedene Stellen insbesondere den Bereich der Zuwendungen an freie Träger als Sparbüchse gesehen hat. Das betrifft z. B. die Zuwendungen zum Täter-Opfer-Ausgleich. Auch die Anlaufstellen für Straffälligenhilfe und Ähnliches mussten um die Weiterförderung bangen. Auch hierbei ist es gut, dass die Koalitionsfraktionen das repariert haben.

Aber damit, Frau Ministerin, haben Sie dennoch ein Signal an die freien Träger gesetzt, wenn Sie deutlich machen: Uns, der Hausspitze, ist das im Grunde genommen nicht wichtig. Wir schlagen hierzu Kürzungen vor, weil wir das alles für entbehrlich halten. - Das halte ich für ein Riesenproblem. Denn die Justiz besteht natürlich aus Richterinnen und Richtern und aus Staatsanwälten, aber Justiz ist mehr als das: Justiz umfasst auch die wichtige Arbeit der Justizverwaltung. Die Justiz umfasst auch die Arbeit der freien Träger im Bereich der Straffälligenhilfe und des Täter-OpferAusgleichs, die von uns eine angemessene Unterstützung verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben im vergangenen Jahr wie auch in den Jahren davor auch im Bereich der ordentlichen Justiz und der Verwaltungsgerichtsbarkeit immer wieder Überlastungsanzeigen bekommen. Da

muss man schon mal fragen: Wo können wir etwas tun, um nicht immer nur neue Stellen zu schaffen, sondern um auch einmal Überlastungen abzubauen bzw. keine neuen zu schaffen?

Sie haben, als Sie das niedersächsische Polizeigesetz mit ausdrücklicher Billigung der Justizministerin hier verabschiedet haben, exakt null zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter im Haushalt vorgesehen, obwohl Sie eine Vielzahl neuer Befugnisse, die gerichtlich kontrolliert werden soll, geschaffen haben, und obwohl Sie mit dem Gesetz zusätzliche Haftmöglichkeiten und zusätzliche Überwachungsmaßnahmen geschaffen haben.

All dies bindet natürlich Arbeitskräfte bei Richterinnen und Richtern. Trotzdem lassen Sie sie de facto im Regen stehen! Keine einzige Stelle gibt es dafür. So kann man gute Gesetzgebung nicht machen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Dr. Marco Genthe [FDP]: So ist das!)

Als Große Koalition haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben, flächendeckende Einlasskontrollen an allen niedersächsischen Gerichten zu schaffen. Sie wissen, dass auch wir natürlich nichts gegen zusätzliche Sicherheit haben.

Aber dieses Konzept in einem Flächenland umzusetzen - flächendeckende Kontrollen rund um die Uhr in jedem Amtsgericht in der Fläche -, ist aus unserer Sicht erstens eine völlige Überreaktion auf die tatsächliche Situation im Land und auch nicht das, was mir in den Gesprächen aus der Richterschaft als Bedarf rückgemeldet wird.

Zweitens ist das dann auch ein ganz erheblicher nicht nur technischer, sondern auch personeller Aufwand, der geleistet werden muss - es sei denn, Sie wollen in Kauf nehmen, dass es dann Überlastungen bei den Wachtmeisterinnen und Wachtmeistern oder sogar in der Verwaltung gibt, wenn sie auch noch hilfsweise herangezogen werden soll.

Das alles kann es nicht sein. Richtig wäre es hier, zu Maß und Augenmaß zurückzukehren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Bereich des Strafvollzugs sehen Sie - das finden wir gut - in der politischen Liste Sanierungen und die Schaffung zusätzlicher Haftplätze vor. Aber erstens sind dann natürlich nicht nur räumliche Haftplätze zu schaffen, sondern es ist auch für eine angemessene Personalausstattung zu sorgen. Das vermissen wir bzw. das wäre wohl die Aufgabe des Ministeriums, da schnellstens nachzulegen.

Zweitens ist doch die beste Kriminalpolitik eine Präventionspolitik, also eine Haftvermeidungspolitik. Das heißt, Sie sollten die Projekte, die wir zur Haftvermeidung haben - Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe und solche Sachen -, viel stärker ausbauen, um zu verhindern, dass Menschen überhaupt in die Situation kommen, dass sie eingesperrt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Zum Bereich Kriminalpolitik: Auch wenn das jetzt scheinbar nichts mit dem Haushalt zu tun hat - an dieser Stelle hat alles mit dem Haushalt zu tun. Wir

haben im vergangenen Jahr lange Debatten über Kleinkriminalität geführt, z. B. über das sogenannte Containern, also über das Entwenden von verwendbaren Lebensmitteln - auch hier im Landtag an verschiedener Stelle. Sie, Frau Ministerin, gehörten ja immer zu denen, die gesagt haben: Nein, das Eigentum ist so wichtig! Wenn jemand Lebensmittel wegschmeißen möchte, dann müssen sie vernichtet werden, und kein anderer darf sie essen! - Das war Ihre politische Linie, und Sie haben betont: Das muss man mit den Mitteln des Strafrechts weiterhin durchsetzen. Da müssen Staatsanwälte und Gerichte ran!

Auch das schafft natürlich Verfahren vor Gerichten für ein - wie Ihnen die Öffentlichkeit sagt - sehr zweifelhaftes Rechtsinteresse, das dahintersteht. Kaum ein Mensch draußen kann verstehen, welches Rechtsgut hier geschützt wird, wenn Leute für das Konsumieren von weggeschmissenen Lebensmitteln verurteilt werden. Auch da hätte man zur Entlastung von Gerichten kommen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie streichen die Abschiebehaftberatung. Wir beantragen natürlich deren Wiedereinsetzung wegen der Schwere des Eingriffs; denn Abschiebehaft ist keine Strafhaft. Sie darf und soll keine Strafhaft sein!

Wir hatten in der Vergangenheit - daher stammt die Abschiebehaftberatung ja - in Niedersachsen eine Vielzahl von Fällen rechtswidriger Abschiebehaft. Bis 2013 ist mindestens zehnmal vom Bundesverfassungsgericht festgestellt worden, dass Menschen hier rechtswidrig in Abschiebehaft waren. Auch das ist übrigens ein Verstoß gegen den Rechtsstaat.

Um hier zu einer effektiven Durchsetzung zu kommen, haben wir diese Beratung vorgesehen, damit die Leute in der Frage unterstützt werden, was eigentlich ihre Rechte sind. Ich bin schon sehr gespannt, wie Sie das ohne die Beratung sicherstellen wollen. Vorschläge dazu habe jedenfalls ich nicht von Ihnen gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Kultusminister hat es gerade schon in der Kultusdebatte angesprochen - das gilt natürlich für viele Ressorts, auch für den Justizhaushalt -: Die Bekämpfung des aufkeimenden Rechtsextremismus, des Rechtsterrorismus und auch des islamistischen Terrorismus ist eine wichtige Aufgabe auch

für die Justiz. Es ist gut, dass die Koalition über die politische Liste Mittel hierzu nachlegt.

Unverständlich bleibt, warum Sie auch in der jetzigen Lage nicht davon wegkommen, immer zu sagen, dass wir alle Extremismusformen gleichzeitig anschauen müssen. Jetzt, im Dezember 2019 - das mag sich ändern, aber jetzt - sagt ja sogar Bundesinnenminister Seehofer, dass der Rechtsterrorismus natürlich die größte Gefahr ist. Warum Sie hier meinen, wir müssten überall hinschauen, bleibt völlig unverständlich.

Zum Zweiten setzen Sie offenbar leider weiterhin allein auf die Stärkung von Sicherheits- und Justizbehörden. Wir werden den Rechtsextremismus nicht allein mit repressiven Maßnahmen bekämpfen können. Wir brauchen eine Stärkung der Zivilgesellschaft bzw. der zivilgesellschaftlichen Arbeit. Das wäre ein wichtiges Signal, um besser gegen den aufkeimenden Rassismus vorzugehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie merken aber auch ganz offen an dem doch relativ geringen Volumen unseres Änderungsantrags - - -

Herr Kollege Limburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Von wem?