Menschen, die Sozialleistungen beziehen, befinden sich übrigens immer in prekären Situationen. Machen wir uns nichts vor: Sanktionen verstärken ihre Not und schaffen ihnen neue Probleme, auch dann, wenn die Einschnitte weniger als 30 % betragen. Wer von uns hier hätte die Nerven, Bewerbungen zu schreiben, wenn er sich Sorgen um seine Wohnung machen muss?
Zweitens. Sanktionen sind dem Urteil zufolge nur dann legitim, wenn sie dem Ziel dienen, die Bedürftigkeit zu überwinden und eine eigenständige Existenz durch Erwerbsarbeit zu schaffen. Aber mal ehrlich: Wie soll das denn gehen? Wir nehmen den Menschen ihre Existenzgrundlage, und dann fallen sie plötzlich auf die Füße? - Es gibt Studien, die belegen, dass Sanktionen krank machen können, und zwar physisch und psychisch. Ebenfalls belegt ist: Sanktionen dieser Art führen zu mehr Isolation der Betroffenen, und Sanktionen werden zudem zum Teil zu Unrecht verhängt. Ein Drittel der Widersprüche und Klagen gegen Sanktionen sind erfolgreich - so die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Nach meinem Verständnis macht es keinen Sinn, Menschen noch weiter in existenzielle Notlagen zu bringen. Aber wenn Menschen auch noch völlig zu Unrecht an den Rand der Existenz gebracht werden, ist das aus meiner Sicht nicht mit dem Sozialstaatsprinzip zu vereinen.
Drittens. In der Urteilsbegründung heißt es ausdrücklich: Der Gesetzgeber kann Sanktionen zur Durchsetzung der Mitwirkungspflichten verhängen. - Im Umkehrschluss heißt das aber auch - und deswegen haben wir unseren Antrag gestellt -: Er muss das nicht tun. Wenn man aber doch zwei Handlungsoptionen hat, dann ist man in der Regel gut beraten, die Folgen für die Betroffenen auch mit den Betroffenen abzuwägen.
Wenn ich mit Vertretern der Erwerbsloseninitiativen, der Landesarmutskonferenz, der Wohlfahrtsverbände oder mit denjenigen, die Wohnungslose betreuen, spreche, dann höre ich immer überall das Gleiche: Es darf keine Kürzung mit Blick auf das Existenzminimum geben.
Hartz IV muss einer Förderung und Unterstützung weichen, die die Würde des Menschen wahrt. Das war am Tag der Urteilsverkündung übrigens einhellige Überzeugung.
Meine Damen und Herren, haben Sie mal mit den Betroffenen darüber gesprochen, wie die Zukunft der sozialen Sicherung aussehen könnte? - Denn genau das ist der vom Bundesverfassungsgericht erteilte Auftrag. Ein Urteil ersetzt keine Politik.
Es ist ja schön, wenn der Ministerpräsident nach der Jahresauftaktklausur des Kabinetts mal wieder das gute Betriebsklima in der Großen Koalition lobt. Aber ist es schon ein Wert an sich, wenn jeder Partner weiß, was er dem anderen politisch abverlangen kann? Den Betroffenen nützt das gute Klima der Großen Koalitionen in Hannover und Berlin wenig.
Ausbaden müssen es im Fall von Sanktionen ebenso wie bei der Grundrente oder bei der Kindergrundsicherung die Schwächsten der Gesellschaft. Das ist ein Armutszeugnis, und zwar für die Große Koalition. Niedersachsen hätte seine Chance wahrnehmen können und sie wahrnehmen sollen.
Danke, Frau Kollegin Piel. - Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Holger Ansmann das Wort. Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von Frau Piel angesprochene und heute abschließend zu behandelnde Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bezieht sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November des letzten Jahres, dass Sanktionsregelungen für Bezieherinnen und Be
Wir als SPD-Fraktion sind froh und begrüßen es, dass das Bundesverfassungsgericht Klarheit geschaffen hat und nunmehr Leistungskürzungen unterhalb des Existenzminimums nicht mehr möglich sind. Gerade diese Auswirkung von Leistungskürzungen - 30 % Minderung im Wiederholungsfall, 60 % im erneuten Wiederholungsfall und volle Kürzung der Leistung bei einem weiteren Folgefall - wurde berechtigterweise immer wieder stark kritisiert und hat das Vertrauen in unseren Sozialstaat stark geschwächt. Zukünftig kann im Regelfall eine Leistungsminderung von mehr als 30 % nicht mehr verfügt werden. Das ist richtig und gut so und ein gutes Ergebnis dieses Urteils.
Die verfassungskonforme Umsetzung der Entscheidung dieses Urteils liegt nun beim Bundesgesetzgeber. Das zuständige Ministerium für Arbeit und Soziales hat bereits für das erste Quartal dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt. Dabei ist wichtig - darin sind wir uns einig -, dass mit diesem Gesetzgebungsverfahren auch die verschärften Sanktionen für Leistungsbezieher unter 25 Jahren abgeschafft werden müssen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht nicht ausgeführt, da sich das Urteil auf den konkreten Fall eines älteren Leistungsbeziehers bezieht. Aber für uns ist klar: Erstens gibt es keinen Grund, jüngere Leistungsbezieher anders als ältere zu behandeln, und zweitens braucht gerade dieser Personenkreis, der noch am Anfang seines Erwerbslebens steht, alle Unterstützung für den zukünftigen beruflichen Werdegang und muss vor weiteren schwerwiegenden sozialen Problemlagen geschützt werden.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Minister Heil haben signalisiert, diesen Bereich in den Gesetzentwurf mit aufzunehmen und zu regeln. Wir danken unserer Sozialministerin Carola Reimann, dass sie diese Thematik bereits aufgegriffen hat und sich auf Bundesebene intensiv für eine Vereinheitlichung für alle Altersgruppen einsetzt.
Der Grundgedanke des Arbeitslosengeldes II lautet: Fördern und fordern. - Diesen unserer Auffassung nach richtigen Grundgedanken hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht infrage gestellt. Es kann ja auch nicht falsch sein, wenn Menschen, die staatliche Transferleistungen erhalten, bekannte und zumutbare Mitwirkungspflichten zu erfüllen haben. Dabei geht es einfach um die Einhaltung
von Terminvereinbarungen mit dem Jobcenter oder um die Einhaltung von Vereinbarungen zu Vorstellungsgesprächen bei Arbeitgebern. Die Möglichkeit einer Sanktion führt hier einfach zu mehr Disziplin.
Nicht gerechtfertigt wäre in diesem Zusammenhang die Behauptung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern würden leichtfertig mit der Verhängung von Sanktionen umgehen. Das tun sie nicht. Im Mittelpunkt all ihrer Bemühungen - so unsere Erfahrung und meine persönliche Erfahrung in Wilhelmshaven - stehen die Betreuung und die Vermittlung auf einen Arbeitsplatz. Das ist ihre Motivation und auch ihre Zielvorgabe. Mit oftmals hohem persönlichen Einsatz und nah an den von ihnen Betreuten wollen sie Lebens- und Arbeitsperspektiven für die Arbeitslosen schaffen. Dafür ist ihnen zu danken.
Im Juli 2019 waren 2,9 % aller Leistungsberechtigten mit mindestens einer Sanktion belegt, mit abnehmender Tendenz. Dies ist ein Signal, das unsere Auffassung bestätigt, dass eine Sanktion immer nur ein letztes Mittel und nur eine Ausnahme sein kann.
In der Ausschussberatung wurde nach der Unterrichtung durch die Landesregierung relativ schnell klar, dass das Begehren des Antragstellers nach entsprechender Berücksichtigung der unter 25jährigen Leistungsbezieher - ich habe das ausgeführt - auf Bundesebene bereits behandelt wird. Es wurde weiter deutlich, dass es keine Mehrheit für eine Abkehr vom Grundprinzip des Förderns und Forderns geben wird. Damit gab es keine Gründe für eine weitere Beratung des Antrags im Ausschuss. Somit wurde der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit allen Stimmen der anwesenden Mitglieder des Sozialausschusses abgelehnt.
Ich bitte abschließend den Niedersächsischen Landtag, entsprechend der Beschlussempfehlung des Sozialausschusses abzustimmen.
Vielen Dank, Herr Kollege Ansmann. - Für die AfDFraktion hat nun Herr Kollege Bothe das Wort. Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! An Hartz IV gibt es Kritik seit seiner Einführung. Eine rot-grüne Bundesregierung hat es damals in der bundesdeutschen Sozialpolitik etabliert. Wenn sich nun ausgerechnet die Grünen mit ihrem Antrag zur Abschaffung aller Sanktionen im Rahmen von Hartz IV zum Retter der Armen und Entrechteten aufspielen wollen, so ist dies zynisch und heuchlerisch. Sie, meine Damen und Herren, wollen heute scheinbar die Vaterschaft an diesen Gesetzen leugnen.
Frau Piel, das ist in etwa so, als wenn man ein Haus in Brand steckt, anschließend die Feuerwehr ruft und sich, nachdem man ertappt worden ist, damit herausredet, dass man doch nur die Arbeitsplätze der Feuerwehrleute habe sichern wollen.
(Helge Limburg [GRÜNE]: Mit dem In- Brand-Stecken kennen Sie sich aus, oder wie soll man das verstehen?)
Der Versuch, auf die Vergesslichkeit der Menschen zu hoffen, wird scheitern, Frau Piel, ob es nun der Versuch einer DGB-Chefin ist oder auch nicht.
Hartz IV ist zu kritisieren. Teilweise ist es menschenverachtend und würdelos. Dies hat dankenswerterweise auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt und die Kürzung auf den Satz von 30 % festgelegt. Sie hätten damals verhindern können, dass die Sanktionen für ein Fehlverhalten so hoch ausfielen. Sie haben es damals aber als richtig empfunden, und jetzt versuchen Sie, den Menschen draußen zu erzählen, dass es damals nicht so war. Ihre Umfragewerte sinken ja neuerdings, möglicherweise wetterbedingt. Vielleicht versuchen Sie damit, wieder Wasser auf Ihre Mühlen zu lenken.
Gerhard Schröder, der letzte SPD-Mann, der für seine Partei Wahlen auf Bundesebene gewann, postulierte - es wurde schon angesprochen - das Fördern und Fordern. Das ist ja auch durchaus richtig. Ich werde hier einem klugen Mann nicht widersprechen, auch wenn er Sozialdemokrat war.
Aber dem wäre ein „So nicht!“ entgegenzuhalten. Die Forderung, Sanktionen gänzlich abzuschaffen, ist im Endeffekt das, was Sie der AfD immer unberechtigterweise vorwerfen, wenn Sie nicht weiterwissen: billiger Populismus.
An Hartz IV gefallen mir persönlich zwei Dinge nicht. Die Löhne in unserem Land sind zu niedrig. Bei einem Mindestlohn von beispielsweise 15 Euro bräuchte man wahrscheinlich gar keine Sanktion mehr, weil alle arbeitswilligen Menschen bei den Einstellungsbüros der Firmen Schlange stehen würden.
Es ist auch leider groß in Mode gekommen, dass gerade ältere Arbeitnehmer, die nicht mehr so leistungsfähig sind, nach Jahrzehnten in ihren Betrieben entlassen werden. Diese Menschen gehören besser geschützt. Hier wäre beispielsweise eine Verdoppelung des Arbeitslosengeldes I sinnvoll. Ungerecht erscheint auch, dass das angesammelte Altersvermögen, das dem Lebensabend zugedacht war, verwertet werden muss, bevor Hartz-IV-Leistungen fließen.
Sie sehen also, Frau Kollegin Piel, es gäbe eine Menge Möglichkeiten, die damaligen rot-grünen Schröder-Reformen sinnvoll auszugestalten. Ihre Anträge helfen hingegen niemandem und sind einfach nur der Versuch eines billigen Stimmenfangs.
Vielen Dank, Herr Kollege Bothe. Herr Kollege Bothe, Sie haben in Ihrer Rede das Verhalten des politischen Gegners eben als „heuchlerisch“ bezeichnet. Dafür erteile ich einen Ordnungsruf. In Anlehnung an § 88 Abs. 2 der Geschäftsordnung weise ich Sie darauf hin, dass Sie, wenn Sie einen weiteren Ordnungsruf bekommen, die heutige Sitzung leider verlassen müssen. Ich denke, dass Sie sich dann vielleicht, was den weiteren Verlauf angeht, etwas mäßigen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der sozialen Marktwirtschaft sollen einerseits Fleißige im Gegensatz zu den Faulen belohnt, andererseits aber auch Bedürftige unterstützt werden. Hier sind wir als Politiker gefordert, das richtige Maß zu finden, damit es gerecht zugeht.
Wenn Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen arbeitslos werden, von der Gemeinschaft Leistungen erhalten, kann die Gesellschaft erwarten, dass diese Personen aktiv daran mitwirken, so bald wie möglich keine Hilfe mehr in Anspruch nehmen zu müssen. „Fördern und fordern“ lautet der Grundsatz.
Dieses Prinzip hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 5. November 2018 bestätigt, auf das sich der vorliegende Antrag bezieht. Dabei geht es um das unter Kanzler Gerhard Schröder beschlossene Gesetz zur Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV, als Deutschland eine rot-grüne Bundesregierung hatte. Darin sind auch Sanktionen geregelt. Danach bekommen Betroffene drei Monate weniger Geld.
Wer ohne triftigen Grund einen Termin versäumt, büßt 10 % der monatlichen Regelleistungen ein. In Karlsruhe ging es um krassere Fälle. Mit einer Kürzung von 30 % muss rechnen, wer ein Jobangebot ausschlägt oder eine Fördermaßnahme abbricht. Beim zweiten Mal in einem Jahr sind es bisher 60 %, beim dritten Mal entfällt das Arbeitslosengeld II komplett.