Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umgang mit der Frage, wie es mit der Aufklärung der Straftaten durch den sogenannten NSU weitergeht, wird in erster Linie durch die Justiz und natürlich durch die zuständigen Parlamente zu erfolgen haben. Ich denke, dass wir uns hier insbesondere auf die Punkte konzentrieren können - das möchte ich machen -, bei denen wir heute schon einen Handlungsbedarf erkennen. Das heißt: Was sind eigentlich die politischen Schlussfolgerungen für den Umgang mit Rechtsterrorismus?

Dabei ist es mir und uns wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass der NSU kein singuläres Phänomen war.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ja, richtig!)

Wenn man sich alleine den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest im Jahr 1980

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

oder auch den Anschlag auf die Synagoge in Halle im vergangenen Jahr anschaut, zeigt sich doch,

dass Rechtsterrorismus bei uns ein andauerndes Phänomen und Problem ist,

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

mit dem wir uns intensiv befassen müssen, um dieser Bedrohung etwas entgegenzusetzen.

Dabei ist es wichtig zu sehen - das klang gerade auch schon an -, dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in einer Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen auftreten - von radikalisierten Preppern, die sich auf das Weltuntergangsszenario vorbereiten und dafür Waffen horten, über Kameradschaftsstrukturen, Neonazistrukturen und

Rechtsrockbands, die wir haben, bis hin zu der sogenannten Neuen Rechten, der Identitären Bewegung. Im Bereich des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus gibt es also ganz unterschiedliche Formen, mit denen wir uns befassen müssen.

Das Ganze trifft auch auf eine ziemlich komplexe Sicherheitsstruktur, die wir in Deutschland haben, nämlich eine föderale Struktur. Sie hat natürlich ihre historischen Gründe, die auch berechtigt sind. Diese Struktur macht es aber nicht immer einfach, wenn sich 16 Bundesländer und der Bund - die auch noch alle verschiedene Behörden haben, nämlich jeweils Polizei und Verfassungsschutz - koordinieren und austauschen müssen,

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ja!)

um dann tatsächlich zielgerichtet und effektiv arbeiten zu können.

Aus dieser Situation und aus den Erkenntnissen, die man aus den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und aus dem Strafverfahren im Hinblick auf den NSU gewinnen musste, ergeben sich für uns verschiedene politische Forderungen.

Wir sind der Überzeugung, dass wir als Erstes in Deutschland eigentlich ein Gesamtkonzept für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus brauchen. Wir sehen nicht, dass es das in der Form gibt, in der wir uns das wünschen würden. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass man, übergreifend zwischen dem Bund und den Ländern, ein gemeinsames Gesamtkonzept gegen den gewaltbereiten Rechtsextremismus hat, und zwar sowohl für den repressiven Bereich als auch für den präventiven Bereich. Das muss ineinandergreifen. Da müssen wirklich alle Ebenen aufeinander abgestimmt sein.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Was wir wahrnehmen, ist eher: Jeder sieht die Handlungsfelder. Jeder tut auch etwas. - Aber greift es wirklich ineinander? Da haben wir erhebliche Zweifel und erwarten mehr.

Wir sehen auch, dass wir die föderale Sicherheitsarchitektur auf den Prüfstand stellen müssen. Wir meinen schon, dass es sich lohnt, zwischen Bund und Ländern eine gemeinsame Kommission auf den Weg zu bringen, um zu der eingangs erwähnten zielgerichteten koordinierten Handlungsfähigkeit tatsächlich auch in der notwendigen Geschwindigkeit zu kommen und hier noch einmal gemeinsam zu schauen, ob das wirklich alles richtig aufgestellt ist. Wir haben da keine Zielvorstellung, meinen aber, dass man hier angesichts der zahlreichen Schnittstellen doch noch einmal eine gemeinsame Initiative auf den Weg bringen müsste.

Außerdem halten wir es für notwendig, das, was das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum leistet, verbindlich zu gestalten. Es fehlt dafür nach wie vor an einer Rechtsgrundlage. Diese Rechtsgrundlage ist nach unserer Auffassung notwendig, um tatsächlich auch zur Verbindlichkeit der dort getroffenen Verabredungen und Absprachen zu kommen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Wir sehen - das ist ja auch in der Antwort der Landesregierung ausgeführt worden -, dass es hier mindestens beim Verfassungsschutz diese Bemühungen gibt. Das wollen wir weiter unterstützen.

Wir halten es für einen wichtigen Punkt, die Analysefähigkeit der Sicherheitsbehörden weiter zu verbessern, und finden es ausdrücklich richtig, die Kompetenzen beim Verfassungsschutz so zu schärfen, dass nicht nur aus Sicherheitsblickwinkeln geschaut wird, sondern auch aus kulturellen, historischen und sprachlichen Zusammenhängen heraus. Da erfolgt eine Verstärkung. Das halten wir für richtig. Wir müssen aber sicherlich auch weiterhin das Augenmerk darauf richten, um die ganzen Phänomenbereiche hier auch wirklich zu erfassen. Es geht also darum, sie nicht nur zu beobachten, sondern sie auch zu verstehen, um dann entsprechend ansetzen zu können.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt für uns ist eine Schlussfolgerung, die wir hier schon wiederholt diskutiert haben und die konsequent weiterverfolgt werden muss: die Entwaffnung der rechtsextremen Szene.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ja!)

Auch das bleibt einer der entscheidenden Punkte. Das gilt natürlich insbesondere für die sogenannte Reichsbürgerszene. Auch hier muss zur Entwaffnung konsequent vorangeschritten werden.

Wir haben weitere Punkte, die wichtig sind. Einen Punkt sprach Herr Minister Pistorius an. Das unterstützen wir auch ausdrücklich. Wir müssen das Verbot von rechtsextremen Organisationen auch tatsächlich durchsetzen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Es muss aber - auch das ist deutlich geworden - schneller gehen. Bei „Combat 18“ fragte man sich: Worauf wartet man eigentlich noch? - Ich weiß, wie schwierig es ist, tatsächlich rechtssichere Verfahren durchzuführen. Gleichwohl - diese Einschätzung wird ja wohl vom Innenminister geteilt - hätte das hier auch schneller gehen können.

Das sind aus unserer Sicht wichtige Punkte. Zum Abschluss möchte ich aber noch eines besonders hervorheben. Herr Schünemann, irgendwie habe ich mich in eine alte Zeit versetzt gefühlt.

(Jörg Bode [FDP] lacht)

Sie haben hier einen Konflikt mit den Grünen gesucht, den ich so überhaupt nicht wahrnehme.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Es ist nicht an mir, die Grünen zu verteidigen. Aber ich erlebe die Grünen nicht als eine Partei - nicht mehr -, die den Verfassungsschutz ernsthaft infrage stellt. Die Konfliktlinie, die Sie hier beschrieben haben, sehe ich weniger zwischen Ihnen und den Grünen, sondern eher zwischen Ihnen und Herrn Pistorius. Alles das, was Sie bezüglich der Veränderung des Verfassungsschutzgesetzes - dem Sie übrigens in der letzten Legislaturperiode zwar nicht zugestimmt haben, das wir aber gemeinsam in den Beratungen als richtig empfunden haben; es waren ja sehr konstruktive Beratungen - über die bisheri

gen Möglichkeit hinaus fordern, will doch Ihr Koalitionspartner jetzt nicht.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Das ist doch gar nicht das Thema mit den Grünen. Man kann überlegen, welche Position sie haben. Eigentlich ist das ein Konflikt mit der SPD. Insofern wäre es wirklich spannend, zu hören, wie diese Landesregierung dazu steht.

Wir halten das alles - das kann ich schon sagen - wieder einmal für ziemlich überzogen und für eine symbolhafte Politik. Wenn das, was wir geschildert haben, und das, was im Gesetz steht, erst einmal zur Anwendung kommt, sind wir schon einen riesigen Schritt weiter.

(Zustimmung von Julia Willie Ham- burg [GRÜNE])

Den Instrumentenkasten zulasten der Bürgerrechte ständig zu erweitern, ist nicht zielführend. Das, was da ist, muss erst einmal angewandt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank. - Uns liegt eine Wortmeldung des Abgeordneten Helge Limburg, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vor.

(Dr. Marco Genthe [FDP] - zu Helge Limburg [GRÜNE] -: Jetzt musst du nur noch zustimmen! Es war alles richtig!)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Birkner, vielen Dank für diese Rede. Wenn ich mal einen guten Verteidiger suche, dann werde ich Sie auf jeden Fall in die engere Auswahl einbeziehen. Vielen Dank dafür.

(Zuruf von Christian Meyer [GRÜNE])

- Ja, jetzt ist er ja als Rechtsanwalt tätig.

Nur noch wenige Ergänzungen. Herr Kollege Schünemann, wenn Sie aus dem NSU-Debakel tatsächlich ernsthaft ableiten, dass wir jetzt mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden wie OnlineDurchsuchungen und Ähnliches brauchen, dann steht das meines Erachtens sehr im Widerspruch

zu den Erkenntnissen und im Übrigen auch zu dem, was Sie selbst in Ihrer in Teilen ja durchaus guten Rede dargestellt haben. Das Problem ist doch, dass Ihnen dann, wenn Sicherheitsbehörden gar nicht nach rechts schauen, wenn Sicherheitsbehörden gar nicht die Vermutung haben, dass Nazis die Täter sein könnten, die schönste Befugnis nichts nützt, weil gar nicht in diese Richtung ermittelt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)