Protokoll der Sitzung vom 25.01.2018

- Anscheinend wird keine Überweisung beantragt. Dann können die Fraktionen überlegen, wie demnächst damit umzugehen ist.

Wir fahren ganz normal mit der Tagesordnung fort, und zwar mit dem

Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung: Die Haftentschädigung muss erhöht werden! - Spezielle Betreuungsangebote einführen! - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/151

(Unruhe)

- Etwas leiser dürfte es schon sein!

Zu Wort gemeldet hat sich Dr. Marco Genthe von der FDP-Fraktion.

(Unruhe)

- Bitte jetzt etwas leiser!

(Anhaltende Unruhe)

Ich kann noch einen Moment warten, wenn Beratungsbedarf besteht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entziehung der Freiheit eines Menschen ist sicherlich das schärfste Schwert eines Rechtsstaates. Es sollte selbstverständlich nur dann angewendet werden, wenn in einem rechtsstaatlichen Verfahren die entsprechende Schuld des Betroffenen festgestellt wurde.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Bestehen insoweit Zweifel, gibt es die Möglichkeit der Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten nach den §§ 359 ff. der Strafprozessordnung.

Unsere Justiz, meine Damen und Herren, arbeitet sehr gut. Aber von dieser Möglichkeit wird überraschend oft Gebrauch gemacht: in Niedersachsen 46-mal vor den Amtsgerichten und 13-mal vor den Landgerichten. Das sind Zahlen aus dem Jahr

2016; neuere liegen mir noch nicht vor. Deutschlandweit war es 741-mal vor den Amtsgerichten und 162-mal vor den Landgerichten. Nicht alle diese Verfahren waren erfolgreich. Aber wurde tatsächlich jemand einmal unschuldig inhaftiert, erleidet er massive Folgen. Man denke auch an Fälle wie den angeblichen Prostituiertenmörder aus Wolfenbüttel - - -

(Unruhe)

Einen kleinen Moment, Herr Dr. Genthe! - Dieses Thema ist doch zu wichtig, als dass man es hier so laut sein lassen dürfte.

Das finde ich auch.

Sie können jetzt fortfahren.

Es geht nicht nur um Fälle der erfolgreichen Wiederaufnahme. Man denke beispielsweise auch an Fälle wie den angeblichen Prostituiertenmörder aus Wolfenbüttel, in dem sich erst in der Hauptverhandlung herausgestellt hat, dass der Mann unschuldig ist. Er war ein halbes Jahr lang unschuldig in Haft.

Die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden zählt als Folge einer solchen Inhaftierung deutliche finanzielle Einbußen, den Verlust von Wohnraum, Hausrat und Unterlagen auf. Weitere Folgen sind eine veraltete Berufsqualifikation, oft psychische Krankheiten, familiäre Probleme und gerade in dem geschilderten Fall sicherlich auch eine gewisse öffentliche Stigmatisierung.

Der Staat, meine Damen und Herren, hat an dieser Stelle sicherlich eine gesteigerte Pflicht, alles dafür zu tun, um den Betroffenen möglichst schnell wieder ein bürgerliches Leben zu ermöglichen.

Die angesprochene Studie konnte leider keine Interviews mit Betroffenen verwerten. Zudem hat sie lediglich 29 Verfahren als Grundlage verwerten können. Sie ist allerdings in einem Fazit sehr deutlich: Das Unterstützungsangebot an die Betroffenen ist an einigen Stellen sehr ausbaufähig und reicht bei Weitem nicht aus. Das bezieht sich einerseits auf die geradezu lächerliche Entschädigungssumme von 25 Euro pro Tag - die wird gerade von den Betroffenen als Hohn des Staates

ihnen gegenüber empfunden - und andererseits auf die psychologische Unterstützung und die Verfahren bezüglich eines Schadensersatzes.

Beweispflichtig für erlittene Schäden ist immer der unschuldig Inhaftierte. Dies wird ihm an einigen Stellen, insbesondere wenn es um medizinische Fragen geht, sehr schwer gemacht. Hier wird sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene ein erheblicher Nachbesserungsbedarf gesehen. Niedersachsen sollte insoweit voranschreiten. Aus diesem Grund haben wir als FDP-Fraktion diesen Antrag ins Plenum eingebracht.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Die Justizministerkonferenz hat im November den Bundesjustizminister aufgefordert, einen Vorschlag zur Erhöhung der Entschädigung von 25 Euro pro Tag vorzulegen. Dies muss selbstverständlich bundeseinheitlich geregelt werden. Das, meine Damen und Herren, hindert jedoch die niedersächsische Justizministerin nicht daran, bereits jetzt Vorschläge für eine Verbesserung der Betreuung zu erarbeiten.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Völlig rich- tig!)

Meine Damen und Herren, nun höre ich schon die Vertreter der Regierungsfraktionen, die gleich hier stehen und sagen werden, man müsse die Diskussion auf Bundesebene zunächst einmal abwarten.

Wir als FDP-Fraktion haben bereits im Jahr 2015 einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht. Es wird wirklich Zeit, dass Niedersachsen tätig wird, in einem ersten Schritt Anlaufstellen schafft und die konkreten Unterstützungsangebote für die Betroffenen verbessert. Weiterhin abzuwarten, bis irgendwann irgendwo irgendeine Diskussion beendet wird, hilft den Betroffenen hier in Niedersachsen jedenfalls nicht.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Kollegen von der CDU-Fraktion haben in der letzten Legislaturperiode die Schlafwagenpolitik im Bereich der Justiz ständig kritisiert. Darum, Frau Justizministerin, erwarten wir nicht nur an dieser Stelle: Attacke!

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: „Zu Unrecht kritisiert“, wollten Sie sagen!)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Jetzt hat Frau Dr. Esther Niewerth-Baumann für die CDU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unschuldig, aber doppelt bestraft - oder die wichtige Frage: Was ist eigentlich ein Tag wert? - In meinem Beruf als Anwältin beschäftige ich mich sehr häufig mit Schmerzensgeldprozessen. Auch dabei geht es immer um die Frage: Was ist etwas wert?

Bevor ich dann die Klage formuliere, gehe ich gerne zu meinen Mitarbeitern und frage sie: Was ist eigentlich ein Jahr im Krankenhaus wert? - Die Alternative ist, man verbringt es draußen. Oder was ist ein Lebensabend im Pflegeheim wert? - Die Alternative ist, man verbringt diesen Lebensabend draußen. Was ist ein Bein wert - ein tragisches Schicksal -, oder was ist eine Gebärmutter wert? - Solche Fragen stellen sich. Genauso stellt sich natürlich die Frage: Was ist ein Tag wert, den man unschuldig in Haft verbringt?

25 Euro pro Tag zahlen wir hier in Niedersachsen jemandem, der Zeit unschuldig in Haft verbringen muss. In Niedersachsen gibt es gut 50 Fälle, in denen eine Haftentschädigung gezahlt wird.

Die Justizministerkonferenz war aber nicht untätig, und zwar erst vor kurzer Zeit: Im November 2017 hat die Justizministerkonferenz getagt und gesagt: Nein, so geht das nicht! 25 Euro sind zu wenig! - Sie hat dem Bundesjustizministerium den konkreten Auftrag erteilt, einen Gesetzentwurf zu formulieren. Dieser Gesetzentwurf steht noch aus. Wir, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, halten aus diesem Grund die Bundesratsinitiative an dieser Stelle für nicht notwendig, weil wir meinen, dass wir den Gesetzentwurf abwarten können, weil er ja erst im November 2017 in Auftrag gegeben worden ist.

Wir teilen Ihre Auffassung, dass eine bessere Wiedereingliederung notwendig ist. Da freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss. Dazu werden wir einiges formulieren.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Wir als CDU-Fraktion haben in diesem Zusammenhang drei Ziele. Das erste Ziel ist: Wir möchten weniger unschuldig Verurteilte in Niedersach

sen haben - wenn möglich, natürlich gar keine. Das zweite Ziel ist eine bessere Wiedereingliederung der unschuldig Verurteilten in den Arbeitsmarkt, in den Wohnungsmarkt und in die Gesellschaft. Das dritte Ziel, das die CDU-Fraktion hat, ist, dass ein Tag mehr als 25 Euro wert ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Ganz herzlichen Dank, Frau Dr. Niewerth-Baumann, und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede in diesem Hohen Hause!

(Beifall)

Jetzt kommt für die SPD-Fraktion Sebastian Zinke.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich darf heute zum ersten Mal hier stehen. Das ist ein besonderer Moment - auf der einen Seite, weil man ein bisschen aufgeregt ist, und auf der anderen Seite, weil einem bewusst wird, dass man jetzt Teil des Parlaments, also Teil des Gremiums ist, das die Regeln, nach denen wir in diesem Land zusammenleben, mit festlegen darf.

Als weiteren Teil des Staates gibt es die Verwaltung, also die Exekutive, die die Regeln, die wir machen, ausführt, und letztlich die Judikative, also die Justiz, die in Einzelfällen festlegt, ob eine Regel zur Anwendung kommt oder nicht.

Diese Form der Gewaltenteilung hat sich bewährt. Es gibt hier und da auch Kritik. Aber letztlich leben wir in einem guten Staat, der uns Frieden und Wohlstand bringt. Das ist also ein gutes System.