Herr Bajus, ich begrüße Sie wieder in unserer Mitte und wünsche Ihnen ein erfolgreiches Wirken zum Wohl unseres Landes.
Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung unter dem Titel „Corona in Niedersachsen“ - Unterrichtung durch den Ministerpräsidenten - Drs. 18/6080
Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung: Änderung der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtags - Einführung eines „Corona-Ausschusses“ - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/6114
Zunächst erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten das Wort für die angekündigte Regierungserklärung. Herr Ministerpräsident, bitte!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern Sie sich noch an die Themen der letzten Sitzungsperiode? - Hanau, Thüringen, Pflegekammer. Das erscheint uns allen unendlich lange her zu sein.
Was war noch? - Zum Beispiel die einhellige Auffassung im Landtag, dass wir das funktionierende System des 112-Notrufs nicht ins Wanken bringen dürfen - eine aus heutiger Sicht geradezu hellseherische Entscheidung. Und es gab die erste Unterrichtung von Sozialministerin Carola Reimann zu Corona - damals ein Thema von vielen, heute das einzig bestimmende Thema. Heute ist wirklich alles anders; das zeigt schon ein Blick in den Plenarsaal.
Als das Landeskabinett in der letzten Woche den Entwurf eines Nachtragshaushaltsplans beraten hat, haben wir uns ganz kurz gefragt, ob eigentlich eine außergewöhnliche Notlage im Sinne unserer Verfassung vorliegt. Lange hat diese Diskussion nicht gedauert; wir sind uns sehr schnell einig gewesen.
Wie soll man es auch sonst nennen, wenn durch eine ganze Kette von Entscheidungen in den letzten beiden Wochen das öffentliche Leben weitgehend gestoppt werden musste? Kitas, Schulen, Hochschulen, alle Bildungseinrichtungen: ge
schlossen. - Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen: geschlossen. - Theater, Kinos, Kulturstätten: geschlossen. - Kinderspielplätze, Zoos: geschlossen. - Sportanlagen: geschlossen. - Gaststätten und Restaurants: geschlossen - es sei denn, sie betreiben Außerhausverkauf. - Offen haben tatsächlich nur noch Läden, die wir für unseren täglichen Bedarf benötigen.
Düster sieht es auch in vielen Unternehmen überall in Niedersachsen aus. Unsere Wirtschaft verzeichnet einen massiven Einbruch. Das gilt für Großunternehmen ebenso wie für kleinere und mittlere. Volkswagen und die TUI haben ihren Betrieb in Niedersachsen vorerst eingestellt, aber vor allem befinden sich derzeit Tausende von kleinen Unternehmen in tiefer Existenznot. Unzählige Menschen fürchten im Moment um ihren Arbeitsplatz. Von heute auf morgen sind den Unternehmen die Einnahmen weggebrochen, und Inhaber und Beschäftigte wissen nicht, wie es eigentlich weitergehen soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, das ist eine außergewöhnliche Notsituation, die wir so alle miteinander noch nicht erlebt haben. Unser Staat und unsere Gesellschaft befinden sich in einer extremen Herausforderung; wir erleben miteinander eine einzigartige Bewährungsprobe.
Auslöser all dessen ist das Coronavirus, unter dem die Menschen überall auf der Welt leiden. Wie sieht es bei uns aus? - Gegenwärtig wissen wir von 2 140 Infektionsfällen in unserem Land. Realistischerweise müssen wir eine Dunkelziffer hinzurechnen, die von Experten auf das Zwei- bis Dreifache geschätzt wird. Dabei handelt es sich oft um Menschen, die gar nicht wissen, dass sie infiziert sind. Wir haben weiter steigende Fallzahlen zu verzeichnen, allerdings nicht mehr so stark wie in den Tagen zuvor. Die jetzt ergriffenen Gegenmaßnahmen werden ihre volle Wirkung erst nach zehn bis zwölf Tagen entfaltet haben.
Wie sieht es in unseren Krankenhäusern aus? - Intensiv behandelt und beatmet werden dort momentan etwa 60 Menschen. Leider haben wir auch in Niedersachen die ersten Sterbefälle. Acht Männer und Frauen haben die Folgen des Virus nicht überlebt. Unsere Gedanken sind bei ihren Familien und Freunden, wie auch bei allen Patientinnen und Patienten in unseren Krankenhäusern.
Eine wichtige Information mag uns aber ermutigen: In Deutschland steht Niedersachsen mit etwa 27 Infektionen auf 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner derzeit noch deutlich unterdurchschnittlich da. Und im internationalen Vergleich verzeichnet die Bundesrepublik bemerkenswert wenige Todesfälle - trotz hoher Infektionszahlen. Hoffen wir miteinander, dass das mit unser aller Hilfe so bleibt.
Wir erleben aber auch viele andere Zeichen der Ermutigung. Überall im Land geben Menschen derzeit wirklich alles, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Ich denke natürlich besonders an die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die in Zeiten von Corona noch sehr viel stärker belastet und auch gefährdet sind als in normalen Zeiten.
Außergewöhnlichen Einsatz zeigen in diesen Tagen und Wochen aber z. B. auch die Fernfahrer, die uns mit Lebensmitteln versorgen, die Kassiererinnen und Kassierer, die an den Kassen der Supermärkte sitzen, und viele andere mehr.
Sie alle müssen derzeit Schwerstarbeit verrichten, und wir schulden ihnen allen ein tief empfundenes herzliches Dankeschön!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist die Lage, und wir dürfen sie weder beschönigen noch dramatisieren. Wir befinden uns in einer dynamischen Infektionswelle und müssen alles dafür tun, damit Verhältnisse, wie sie etwa in Italien tragischerweise herrschen, unter keinen Umständen bei uns eintreten können.
Was ist unsere Strategie? - Mir ist es sehr wichtig, dass nicht nur hier im Parlament, sondern überall in der Bevölkerung alle wissen, wie wir vorgehen und warum. Das Coronavirus ist eben nicht schnell besiegbar und wird auch nicht kurzfristig wieder aus unserem Land verschwinden. Experten geben uns allerdings eine realistische Chance, das Virus so wirksam zu bekämpfen, dass seine Folgen für unser Gesundheitswesen beherrschbar bleiben, so schwierig das auch werden mag.
Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen: Maßstab all unserer Bemühungen ist die Rettung von Zehntausenden Menschenleben in Deutschland.
Wir unternehmen alle miteinander gewaltige Anstrengungen, damit unser Gesundheitswesen allen Menschen helfen kann, die diese Hilfe brauchen. Wenn wir eines Tages feststellen könnten, dass wir das geschafft haben, dann hätten Staat und Gesellschaft in Deutschland und in Niedersachsen eine herausragend gute Arbeit geleistet, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das muss unser Ziel sein!
Der erste Schritt ist die Eindämmung des Virus - das sogenannte Containment. Erkrankte Menschen kommen in Quarantäne, ihre Kontaktpersonen werden ermittelt und ebenfalls isoliert, um Infektionsketten so gut wie möglich zu vermeiden. Die Bemühungen sind erfolgreich, aber natürlich sind die Möglichkeiten in dieser Hinsicht endlich - je nach Zahl der Infektionen.
Den zweiten Schritt haben wir mit einer ganzen Kette von Entscheidungen in diesen Tagen konsequent vollzogen. Es geht darum, Distanz herzustellen. Es geht darum, direkte persönliche Kontakte zwischen Menschen so gut wie irgend möglich zu reduzieren. Es geht darum, auch bei unerkannten Infektionsherden die Bildung von Infektionsketten zu vermeiden. Wir wollen und müssen besonders verwundbare Gruppen wie z. B. chronisch Kranke und Menschen mit Vorerkrankungen schützen. Deswegen haben wir das öffentliche Leben in Deutschland inzwischen fast vollständig zum Erliegen gebracht.
Aber damit alleine ist es eben nicht getan, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Ansammlung großer Mengen von Menschen lassen sich wohl administrativ verhindern, aber bei privaten Kontakten stoßen wir schnell auf große Probleme. Das ist der große Unterschied in der Bewältigung des Coronavirus gegenüber z. B. Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen. Für die Bekämpfung dieses unsichtbaren Feindes ist die aktive Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger notwendig.
Wir alle müssen unser Verhalten ändern! Wir alle müssen direkte Kontakte mit anderen Menschen möglichst vermeiden! Wir alle haben Verantwortung nicht nur für uns, sondern auch für alle anderen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deswegen haben die Bundesregierung und die Regierungschefs der 16 Länder am Sonntag eine Maßnahme vereinbart, die bislang in der Geschichte unseres Landes ohne Beispiel ist: weitreichende Kontaktverbote für Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes, aber auch Vorgaben für das Verhalten in den eigenen Wohnungen und Häusern. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, dürfen nur noch zwei Menschen im öffentlichen Raum zusammen sein, und auch im privaten Bereich sind Kontakte auf das absolut notwendige Minimum zu reduzieren.
Die niedersächsische Polizei wird in dem einen wie in dem anderen Fall mit aller Konsequenz für die Einhaltung dieser Vorschriften sorgen und nötigenfalls auch empfindliche Sanktionen verhängen.
Ich will allerdings in diesem Zusammenhang auch deutlich sagen, dass wir - nach meinem Eindruck und dem vieler anderer Menschen - eine spürbare Verhaltensänderung in diesen Tagen erleben. Die allermeisten Menschen in unserem Land haben verstanden, worum es geht, und geben sich Mühe, ihren Anteil daran zu leisten, dass wir diese Krise überwinden können. Ich möchte mich bei allen Bürgerinnen und Bürgern herzlich bedanken, die mithelfen, dass wir das Coronavirus gemeinsam besiegen.
Noch vor wenigen Tagen aber hätte wahrscheinlich niemand solche Vorgaben für ganz Deutschland für möglich gehalten. Daran mögen Sie erkennen, dass es die Regierungen in Bund und Ländern sehr, sehr ernst meinen. Wir wollen zunächst bis nach Ostern alle Möglichkeiten nutzen, um die Dynamik der Infektionskurve abzumildern und Neuerkrankungen zu vermeiden. Das ist unsere Chance, den weiteren Verlauf der Epidemie beherrschbar zu gestalten - so sagen es uns die Experten -, und diese Chance wollen wir jetzt auch mit aller Kraft nutzen.
Gestatten Sie mir eine Randbemerkung: Das ist eine gemeinsame Linie des Bundes und der 16 Länder. Mir persönlich und der Landesregierung ist ein abgestimmtes Vorgehen in dieser Frage wichtig, und wir haben deswegen in den letzten Wochen darauf verzichtet, die eine oder andere Maßnahme um den einen oder anderen Tag vorzuziehen. Bürgerinnen und Bürger blicken derzeit besonders aufmerksam auf den Staat und seine Handlungsfähigkeit. Sie erwarten ein abgestimm
Und wenn ich das in diesem Zusammenhang sagen darf: Das gilt für die Regierung, ich möchte mich aber ausdrücklich auch für die konstruktive Haltung der Fraktionen im Niedersächsischen Landtag in dieser angespannten Situation herzlich bedanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie mag es nach Ostern weitergehen? - Wir haben uns darauf verständigt, die Situation nach den Feiertagen im Lichte der getroffenen Maßnahmen sorgfältig zu analysieren. Ich wünsche mir sehr, dass bis dahin die erhoffte Wirkung der ergriffenen Maßnahmen auch in den Infektionszahlen zum Ausdruck kommt. Aber Vorsicht! Auch in vier Wochen wird das Virus nicht aus Deutschland verschwunden sein, und wir müssen immer wieder mit Rückschlägen rechnen, auf die wir dann erneut reagieren müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Zwischenzeit nutzen wir alle Möglichkeiten, unser Gesundheitswesen weiter zu ertüchtigen. Dazu gehört beispielsweise, dass wir auf allen Kanälen und mit Unterstützung auch der niedersächsischen Wirtschaft Schutzkleidung und Desinfektionsmittel in ausreichendem Umfang beschaffen. Das ist bei einer weltweiten Nachfrage und bei weit verbreiteten Exportverboten kein einfaches Unterfangen.
In dieser Situation gehen wir übrigens auch unkonventionelle Wege. Wir freuen uns über die Unterstützung von Partnern wie z. B. von Volkswagen, das bekanntlich in China sehr stark engagiert ist und sich dem Land Niedersachsen sehr verbunden fühlt. Hierzu werden wir sicherlich in den nächsten Tagen weitere Informationen bekanntgeben können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können uns wirklich glücklich schätzen, ein im internationalen Vergleich weit überdurchschnittlich leistungsfähiges Gesundheitswesen in Deutschland und in Niedersachsen vorweisen zu können. Um Ihnen das an einem Beispiel zu verdeutlichen: In Niedersachsen verfügen wir insgesamt über mehr als 2 300 Intensivbetten. Das ist nur in Niedersachsen etwa halb so viel wie in ganz Italien oder Großbritannien.
Von diesem Niveau aus wollen wir jetzt die Zahl der Intensivbetten noch einmal deutlich erhöhen und nach Möglichkeit verdoppeln. Die Kranken
häuser bereiten sich intensiv auf steigende Fallzahlen und die Behandlung von Corona-Patienten vor. Aufschiebbare Leistungen sind inzwischen verboten worden. Ab dem 17. März haben wir alle Leistungen, die aufschiebbar sind, auch tatsächlich zurückgestellt.
Wir haben in unserem Land eine große Zahl von Reha-Kliniken. Auch sie haben ihre Unterstützung zugesagt. Und ja: Wir halten auch die Errichtung von Behelfskrankenhäusern für möglich. Auch dazu wird es in den nächsten Tagen weitere Einzelheiten geben.
Dazu haben wir überall in Niedersachsen viele kompetente Ärztinnen und Ärzte in gut ausgestatteten Praxen mit sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die überall, flächendeckend, Patientinnen und Patienten ambulant versorgen.
Und wir haben überall im Land Apotheken, die derzeit eine enorm wichtige Aufgabe haben und mit ihren Teams die Menschen auch in dieser Situation mit Medikamenten versorgen und kompetent beraten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über das öffentliche Gesundheitswesen ist in der Vergangenheit oft geschimpft worden, weil es so teuer sei. Die flächendeckende Versorgung von Krankenhäusern in ganz Niedersachsen war, wie man z. B. aus der Enquetekommission weiß, Gegenstand kritischer Betrachtungen. Wir sehen gerade jetzt, welchen Schatz wir an unserem Gesundheitswesen haben. Ich danke erneut allen Menschen besonders herzlich, die in diesem System herausragend gute Arbeit leisten und sicherlich noch geraume Zeit leisten müssen. Wir können es nicht oft genug sagen: Wir sind sehr, sehr dankbar für dieses Engagement! Aber wir können auch dankbar sein für dieses Gesundheitswesen insgesamt, liebe Kolleginnen und Kollegen!