Protokoll der Sitzung vom 25.03.2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über das öffentliche Gesundheitswesen ist in der Vergangenheit oft geschimpft worden, weil es so teuer sei. Die flächendeckende Versorgung von Krankenhäusern in ganz Niedersachsen war, wie man z. B. aus der Enquetekommission weiß, Gegenstand kritischer Betrachtungen. Wir sehen gerade jetzt, welchen Schatz wir an unserem Gesundheitswesen haben. Ich danke erneut allen Menschen besonders herzlich, die in diesem System herausragend gute Arbeit leisten und sicherlich noch geraume Zeit leisten müssen. Wir können es nicht oft genug sagen: Wir sind sehr, sehr dankbar für dieses Engagement! Aber wir können auch dankbar sein für dieses Gesundheitswesen insgesamt, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall)

Und noch etwas geschieht in diesen Wochen, nämlich der Schutz besonders gefährdeter Menschen wird weiter verbessert. Das ist vor allem zugunsten von Seniorinnen und Senioren, die besonderen Risiken ausgesetzt sind. Dasselbe gilt für vorerkrankte Menschen. Die gewaltigen Anstrengungen, die wir alle derzeit unternehmen, dienen vor allen Dingen auch diesen Gruppen.

Aber auch diese Menschen müssen harte Einschränkungen ertragen. Sie müssen konsequent zu Hause bleiben und dürfen auch ihre Familien nach Möglichkeit nicht sehen. Als eine der

schwersten Entscheidungen in den letzten Tagen habe ich persönlich die Betretungs- und Besuchsverbote in Alten- und Pflegeheimen empfunden. Ich weiß, welche Bedeutung der Besuch von Angehörigen und von nahestehenden Menschen für viele Bewohnerinnen und Bewohner hat. Deswegen tut es mir wirklich leid, dass wir auch diese Kontakte unterbinden müssen, aber es ist zwingend notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine abschließende Bemerkung machen: Virologen meinen, dass das Coronavirus etwa ein bis zwei Jahre Teil unseres Lebens in Deutschland sein wird. Das geschieht in Wellen und mit hoffentlich abnehmender Tendenz. Der weitere Verlauf wird sicherlich auch davon abhängig sein, wann endlich ein Impfstoff zur Verfügung steht. Dazu leisten im Übrigen auch Forscherinnen und Forscher aus unserem Land derzeit einen herausragenden Beitrag.

Wir haben es also nicht nur mit einem kurzen, intensiven Kampf zu tun, sondern mit einer zumindest mittelfristigen Aufgabe. Für deren erfolgreiche Bewältigung stellen wir aber genau jetzt, in diesen Tagen, die Weichen. Darum geht es, meine Damen und Herren: Auf Dauer mit Corona so fertig zu werden, dass wir die Menschen in diesem Land schützen können. Das ist unsere gemeinsame Verpflichtung.

(Beifall)

Zu den gesundheitlichen Sorgen kommen die wirtschaftlichen hinzu. Ich hatte einleitend das Ausmaß angedeutet. Der volkswirtschaftliche Schaden ist bereits jetzt beträchtlich.

Knapp die Hälfte aller niedersächsischen Unternehmen - knapp die Hälfte! - rechnet in diesem Jahr mit einem Umsatzrückgang. Im Bereich der Industrie sind Lieferketten gestört, und erst im Juni ist z. B. wieder mit spürbaren Steigerungen der Lieferungseingänge aus China zu rechnen. Viele Industrieunternehmen haben Kurzarbeit beantragt. Es ist sehr, sehr gut, dass erst vor wenigen Tagen die Reaktionsmöglichkeiten durch eine Reform und Erweiterung des Kurzarbeitergeldes verbessert worden sind.

Im Dienstleistungssektor gibt es existenzielle Sorgen. Die Reisebranche hat so gut wie keine Produkte mehr. Wohin soll man denn jetzt gerade Reisen verkaufen? Gastronomie und Hotellerie sind durch die betroffenen Maßnahmen vollständig

ihrer Einnahmen beraubt. Dasselbe gilt für große Teile des Handels.

Das ist der Hintergrund, warum Bund und Länder derzeit Hilfsprogramme in historischer Größenordnung aufstellen. Und dabei geht es vor allen Dingen um Zweierlei: Liquidität und Tempo! Mit anderen Worten: Unternehmen müssen sehr schnell mit frischem Geld versorgt werden, damit an sich kerngesunde Unternehmen nicht Insolvenz anmelden müssen und leistungsfähige Anbieter nicht kaputtgehen.

Das wird auch bei uns in Niedersachsen geschehen. In Abstimmung mit den Programmen des Bundes gibt es Zuschüsse vor allem für die ganz kleinen und mittlere Unternehmen. Sehr schnell werden wir auch Liquiditätskredite zur Verfügung stellen, die dasselbe Ziel verfolgen. Wir werden unseren Bürgschaftsrahmen konsequent nutzen, damit sich gesunde niedersächsische Unternehmen mit Fremdkapital versorgen können. Wir haben zu diesem Zweck gestern unsere Regularien angepasst.

Dazu arbeiten das Wirtschafts- und das Finanzministerium an neuen Lösungen. Der Bund ergänzt die Stützungsmaßnahmen aus dem in dieser Woche beschlossenen weitreichenden Wirtschaftsstabilisierungsfonds.

Und auch mit steuerlichen Maßnahmen unterstützen wir in dieser schweren Zeit unsere Unternehmen. Steuerzahlungen können gestundet werden, Vorauszahlungen können abgesenkt, und Rücksicht kann bei der Vollstreckung genommen werden. Die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die der Bundestag und der Bundesrat in dieser Woche beschließen werden, wird ebenfalls dazu beitragen, dass Unternehmen eine Chance haben, diese Krise zu überwinden und weitergeführt zu werden.

Wir wissen nämlich ganz genau, dass eine leistungsfähige, erfolgreiche Wirtschaft die Grundlage für ein insgesamt erfolgreiches Land ist. Gerade in den letzten 10 bis 15 Jahren kann Niedersachsen in dieser Hinsicht auf eine sehr erfolgreiche Entwicklung zurückblicken. Wir wollen die Wirtschaftskraft unseres Landes mit aller Kraft verteidigen! Wir tun dies vor allen Dingen auch mit Blick auf Millionen von Arbeitsplätzen in unserem Land, die wir retten wollen.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Landesregierung hat Ihnen den Entwurf eines Nachtragshaushaltsplans vorgelegt, der insgesamt ein Volumen von 4,4 Milliarden Euro ausmacht; dabei sind die Effekte der steuerlichen Hilfen noch nicht einmal eingerechnet. Ein Großteil dieser Mittel wird notwendig sein, damit Niedersachsen nach der erfolgreichen Bewältigung der Coronakrise wieder möglichst schnell wirtschaftlich erfolgreich in die Spur zurückkehren kann.

Dieses Ziel hat für uns eine sehr, sehr hohe Priorität!

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich könnte an dieser Stelle noch viele weitere Beispiele zu den Aktivitäten des Landes geben. Der Krisenstab arbeitet derzeit täglich für den Schutz unserer Bevölkerung. Wir wollen mit einer sehr intensiven Kommunikation auf vielen Kanälen täglich informieren, aber auch um Vertrauen in ein konsequentes und von Vernunft geleitetes Krisenmanagement werben. Für unterschiedliche Fragen aus der Bevölkerung gibt es eine Vielzahl von Beratungsangeboten. Wir haben nicht immer auf alles die perfekten Antworten - weiß Gott nicht -, aber das Krisenmanagement läuft überall auf Hochtouren.

Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung, aber auch in den Kommunen arbeiten - wenn ich es so ausdrücken darf - derzeit bis zum Anschlag. Auch diesen Kolleginnen und Kollegen möchte ich meinen sehr herzlichen Dank ausdrücken.

(Beifall)

Wo stehen wir in dieser Krise? - Leider noch nicht am Ende - aber auch nicht mehr am Anfang. Wir haben viele ermutigende Zeichen in den letzten Wochen gesehen: z. B. den Umstand, dass die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten nahezu reibungslos erfolgt ist. Das hätte ich so nicht erwartet.

Ich danke allen Eltern sehr herzlich, die trotz aller persönlicher Belastung dafür viel Verständnis gezeigt haben.

Ich danke denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich gerade jetzt ganz besonders engagieren. So haben z. B. Studierende der Medizin in überragender Weise auf die Bitte reagiert, sich jetzt auch für die Krankenhauspflege zu melden. Andere Menschen haben sich gemeldet, um wegen ausbleibender Erntehelfer in der Landwirtschaft zu helfen.

Einem italienischen Beispiel folgend, erleben wir in Niederachsen Balkonkonzerte, und Tausende von Bürgerinnen und Bürger bemühen sich ganz selbstverständlich überall darum, Nachbarn zu unterstützen, die Zuspruch oder Hilfe beim Einkaufen brauchen.

Diese Beispiele machen Mut. Niedersachsen darf in diesen Tagen zwar nicht körperlich zusammenrücken - aber wir halten zusammen, meine Damen und Herren. Das halte ich für ungeheuer wichtig.

(Beifall)

Aber reden wir nicht drum herum: Es gibt auch andere Berichte. Noch am vergangenen Wochenende musste in Göttingen eine Corona-Party von der Polizei aufgelöst werden. Und als ich in der vergangenen Woche einen Supermarkt besucht habe, berichteten mir die Kassiererinnen von aggressiven Kunden, die ihnen zusätzlich zu dem größten Stress das Leben immer noch zusätzlich schwer machen.

Weil ich schon einmal dabei bin: Ein Problem, neben den vielen anderen, mit denen wir konfrontiert sind, schaffen wir uns derzeit selbst. Die Nahrungsmittelproduktion in Niedersachsen läuft; die Logistikkette läuft unverändert. Es gibt nicht den leisesten Grund für Hamsterkäufe, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hamsterkäufe sind unsozial, um es einmal auf den Punkt zu bringen.

(Beifall)

Diese Krise ist für unsere Gesellschaft eine Bewährungsprobe und vielleicht sogar ein Charaktertest. Egoismus oder Zusammenhalt? - Die Antwort ist eindeutig: Wir brauchen eine starke Gemeinschaft, um die einzelnen Mitglieder dieser Gemeinschaft zu schützen. Egoismus riskiert Leben, Gemeinschaft schützt Leben - darum muss es in diesen Tagen und Wochen gehen!

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Dazu gehört auch ein handlungsfähiger Staat. In den vergangenen Jahren wurde nicht ohne Grund immer wieder über Staatsverdrossenheit diskutiert. In diesen Tagen spüren viele Bürgerinnen und Bürger, wie wichtig ein handlungsfähiger demokratischer Staat ist, der glaubwürdig und vertrauenswürdig ist.

Am Ende der Coronakrise werden wir unsere Herangehensweise sicher auch im internationalen Maßstab vergleichen können. Ich bin sicher, dass unser System einer freiheitlichen demokratischen, liberalen Ordnung, die auf gesellschaftlichen Zu

sammenhalt Wert legt, dabei um einiges besser abschneiden wird als die Populisten unterschiedlichster Couleur.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Auch unser Staat steht auf dem Prüfstand. Aber wir werden diese Prüfung gemeinsam meistern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im nächsten Jahr wird Niedersachsen 75 Jahre alt. Abgesehen von den Anfangsjahren, als buchstäblich Hungersnot herrschte, erleben wir derzeit die vielleicht größte Herausforderung für Niedersachsen in dieser langen Zeit. Arbeiten wir gemeinsam daran, im nächsten Jahr bei hoffentlich fröhlichen Jubiläumsfeiern feststellen zu können: Niedersachsen, das ist eine starke Gemeinschaft und ein starker Staat!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen für die Abgabe der Regierungserklärung.

Ich stelle fest, dass sie 27 Minuten gedauert hat. Für die nun folgende Aussprache erhalten die beiden großen Fraktionen, wie vereinbart, ebenso viel Redezeit, wie die Landesregierung verbraucht hat, also ebenfalls je 27 Minuten. Die drei Oppositionsfraktionen erhalten in der Summe so viel Redezeit wie die beiden Regierungsfraktionen zusammen. Für jede der drei kleinen Fraktionen ergibt sich demnach eine Redezeit von je 18 Minuten.

Im Hinblick auf die Zusammenfassung der Regierungserklärung mit dem Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung gehe ich von Ihrem Einverständnis aus, dass ich zunächst einer Vertreterin bzw. einem Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort erteile, um zugleich den genannten Antrag mit einzubringen.

Ich darf nun das Wort der Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteilen. Frau Hamburg, Sie haben das Wort. Bitte!

(Beifall bei den GRÜNEN - Zwei Mit- arbeiter der Landtagsverwaltung des- infizieren das Redepult)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Corona dominiert derzeit unseren Alltag. Ob wir mit unseren Kindern nicht mehr auf Spielplätze gehen, unsere Eltern und Großeltern nicht mehr besu

chen, keine Fahrgemeinschaften zur Arbeit mehr bilden und statt des ÖPNV das Auto nutzen, um zur Arbeit zu kommen, oder viele in Telearbeit arbeiten: Corona dominiert unsere Gedanken, Corona dominiert unser Handeln, und Corona dominiert derzeit die Politik.

Wir erleben, dass es eine Krise ist, die in sehr viele Lebensbereiche hineinwirkt, und dass es eine Krise ist, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Auf uns alle kommt es an! Deswegen möchte auch ich den vielen Menschen in Niedersachsen Danke sagen, die derzeit aktiv ihren Beitrag dazu leisten, dass alle aus Rücksicht Abstand halten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)