Protokoll der Sitzung vom 12.05.2020

(Beifall bei der CDU - Dr. Stefan Birk- ner [FDP]: Das würde aber ganz an- dere Vorwirkungen haben!)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Nacke. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann sich der Kollege Limburg schon einmal langsam auf den Weg machen.

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)

Herr Kollege Limburg, ich weiß nicht, wie es mit Ihnen ist, aber wir wären jetzt soweit. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Wochen erleben wir alle drastische Einschränkungen und Beschränkungen des Alltagslebens, des Berufslebens, der Bildung, nicht zuletzt der Ausübung der Grundrechte der Menschen in Niedersachsen.

Diese Einschränkungen erfolgen - das ist in der Debatte gerade schon gesagt worden - samt und sonders durch Verordnungen der Landesregierung. Die Verordnungen stützen sich auf ein Gesetz - keine Frage -, aber die unmittelbaren Einschränkungen erfolgen allein durch Verordnungen. Der Niedersächsische Landtag, das direkt gewählte Verfassungsorgan, die erste Staatsgewalt, ist an diesen Verordnungen - Sie haben das gerade bestätigt, Herr Nacke - höchstens in nachfragender und nachträglicher Form in irgendeiner Weise beteiligt.

Um das direkt klarzustellen: Zu Beginn der Epidemie - darauf haben Sie vorhin rekurriert, Herr Nacke - war das natürlich nachvollziehbar und geboten. Es ging um schnelles Handeln. Wir alle, egal welcher Partei oder welchem Bundesland wir angehörten, hatten nur Erkenntnisse, Vermutungen, Annahmen und mussten gleichwohl sehr schnell reagieren. Insofern war rein exekutives Handeln natürlich das Mittel der Wahl.

Es war im Übrigen auch völlig klar - das hat Herr Toepffer vorhin zu Recht gesagt -, dass in dieser Situation Fehler passiert sind. In jedem Bundesland sind Fehler passiert, quer durch die verschiedenen politischen Konstellationen. In einer solchen Lage hätte keine Regierung dieser Welt fehlerfrei agieren können. Das Wesen der Zukunft ist eben, dass wir sie noch nicht kennen und dass wir vieles nicht wissen.

Insofern geht es hier auch nicht darum, kleinliche Fehlersuche im Nachhinein zu betreiben. Es geht aber darum, zu kritisieren, dass die Landesregierung aus all diesen Fehlern keinerlei strukturelle Konsequenzen gezogen hat. Eine strukturelle Konsequenz wäre eben - wie es die FDP jetzt vorschlägt, wie wir es seit Wochen vorschlagen -, den Niedersächsischen Landtag endlich vorab angemessen zu beteiligen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Herr Nacke, ich möchte Sie da schon in aller Freundschaft warnen, uns zu sehr zu einer Klage aufzufordern. Natürlich diskutieren wir das. Artikel 25 galt nämlich auch schon zu Beginn dieser Epidemie. Wir haben damals gesagt: Okay, das ist ja eine ganz besondere Situation. Deswegen ist das jetzt nicht die wichtigste Frage. - Wir sind aber schon davon ausgegangen und haben das immer wieder angemahnt, dass die Landesregierung irgendwann, wenn die akute Notlage vorbei ist - und das ist ja jetzt wohl nach unser aller Einschätzung der Fall - wieder dahin kommt.

Ich will Ihnen das noch einmal in Erinnerung rufen, Herr Nacke. Artikel 25 schreibt der Landesregierung vor, den Niedersächsischen Landtag schon von der Planung von Verordnungen mit wesentlicher Bedeutung zu unterrichten. Welche Verordnung könnte denn wesentliche Bedeutung haben - das hat Frau Hamburg vorhin zu Recht ausgeführt -, wenn nicht diese grundrechtseinschneidenden Verordnungen, die die Landesregierung seit Wochen erlässt. Von keiner einzigen dieser Verordnungen sind wir im Planungsstadium vorab unterrichtet worden. Von keiner einzigen.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: In Pressekonferenzen müssen wir uns das besorgen!)

Wir anerkennen die Unterrichtungen, die es im Sozialausschuss gibt und die immer sehr ausführlich sind. Natürlich sind wir den regierungstragen

den Fraktionen - auch dem Vorsitzenden des Sozialausschusses - dankbar dafür, dass wir hinzugezogen werden. Gar keine Frage! Wir anerkennen, dass Sie uns das Sonderplenum ermöglicht haben.

Herr Nacke, Herr Siebels, dass Sie als engagierte Parlamentarier agiert haben, steht außer Frage. Das alles ändert aber doch nichts an der Tatsache, dass diese Landesregierung es weiterhin hartnäckig unterlässt, sich weigert, den Niedersächsischen Landtag zu seinen Rechten nach Artikel 25 kommen zu lassen. Wenn Sie es unbedingt so wollen, Herr Nacke, dann mag es sein, dass Bückeburg diese Frage am Ende wird entscheiden müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben drastische Grundrechtseinschränkungen erlebt, die auch in vielen Teilen nicht geheilt werden können. Ausgefallene Demonstrationen können nicht nachgeholt werden, auch wenn sich das Verbot im Nachhinein als verfassungswidrig herausgestellt hat. Gottesdienste sind rechtswidrig untersagt worden, und - Herr Toepffer hat das zu Recht kritisiert - Beerdigungen und Trauerfeiern konnten nicht in angemessener Form stattfinden. All das sind einschneidende Maßnahmen, die - das Verwaltungsgericht Osnabrück hat sie in der Tat kritisiert, Herr Birkner hat es zitiert - völlig ohne Landtagsbeteiligung durchgeführt worden sind.

Der Weg, den die FDP hier vorschlägt, mag neu sein. Er ist aber aus unserer Sicht ausdrücklich gangbar, und so neu ist er dann auch wieder nicht. Herr Nacke, schauen Sie einmal beispielhaft in das Infektionsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen! Dort ist in einzelnen Fragen ausdrücklich eine Beteiligung des Landtages an Verordnungen vorgesehen, ein Zustimmungserfordernis des Landtages. Insofern halten wir diesen Weg der FDP für gangbar.

Wenn Sie zu einem anderen Schluss kommen, wenn Sie sagen: „Nein, unsere juristischen Bedenken sind zu groß, diesen Weg gehen wir nicht mit“, dann freuen wir uns über eigene Vorschläge von SPD und CDU, wie denn der Landtag stärker eingebunden werden kann.

Legen Sie doch die Vorschläge vor! Sie alle sind doch in Wahrheit engagierte Landtagsabgeordnete und wollen den Interessen des Landes dienen und nicht immer nur im Nachhinein Regierungshandeln

korrigieren. Lassen Sie uns doch über weitere Vorschläge diskutieren, wie wir aus der jetzigen Lage herauskommen können!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die SPD hat sich der Kollege Siebels zu Wort gemeldet, der sich schon mal bereitmachen kann.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagverwaltung desinfizieren das Redepult)

Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Limburg, für das Lob als Parlamentarier möchte ich mich zunächst ausdrücklich bedanken. Das hat richtig gutgetan an dieser Stelle. Vielen Dank!

(Heiterkeit)

Lassen Sie mich aber gleich vorweg sagen: Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich inhaltlich mindestens an einer Stelle eine ganz andere Auffassung vertrete als Sie, wenn Sie nämlich behaupten, dass der Landtag irgendwie in seinen Rechten beschnitten werde und dass hier in unrechtmäßiger Weise die Abläufe seitens der Regierung gestaltet würden. Das ist mitnichten der Fall, Herr Limburg.

Vielleicht darf ich noch einmal auf den Artikel 80 des Grundgesetzes eingehen, der ja einerseits die Möglichkeit gibt, dass die Landesregierungen durch Bundesgesetz ermächtigt werden, Verordnungen im Bereich des Infektionsschutzes zu erlassen, und andererseits in Absatz 4 - darauf nimmt der Gesetzentwurf der FDP Bezug - die theoretische Möglichkeit gibt, diese Regelunge nicht durch die Landesregierungen als Verordnungen zu erlassen, sondern im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens durch den Gesetzgeber der jeweiligen Länder.

In der Tat: Der Wunsch nach parlamentarischer Beteiligung ist ja immer richtig und immer angemessen. Über die Ausgestaltung im Einzelnen wird man sich auseinandersetzen müssen. Das Infektionsschutzgesetz - § 32 -, das ja die Ermächtigungsgrundlage für all das Handeln ist, über das

wir seit Wochen und mittlerweile Monaten auch in Niedersachsen diskutieren, greift weit. Das will ich nicht bestreiten. Ich will allerdings auch gleichzeitig sagen, dass ich, ehrlich gesagt, stolz bin - bei aller Kritik in allen möglichen denkbaren einzelnen Punkten -, wie maßvoll und umsichtig unsere Landesregierung, aber auch die anderen Landesregierungen in der Bundesrepublik Deutschland mit diesem Instrument umgehen.

Ich jedenfalls komme zu dem vorläufigen Schluss, dass der Föderalismus durchaus einige Schwierigkeiten beinhaltet, im Gleichklang solche Maßnahmen zu erlassen, dass sich aber dieser Wettbewerb, den ich teilweise durchaus als problematisch empfinde, vielleicht in Bezug auf eine Öffnungsdiskussion in der Summe auch als hilfreich erweisen kann, dass also keine Landesregierung in der Lage wäre, es politisch durchzuhalten, über alle Maßen Maßnahmen zu erlassen, die weder erforderlich noch angemessen wären.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich glaube, dass die Motivation für einen solchen Gesetzentwurf sicher auch ein gewisser Anspruch der Opposition sein könnte, in den öffentlich geführten Debatten vorzukommen. Das versuchen Sie als Opposition natürlich mit verschiedenen Maßnahmen, dadurch, dass Sie die Maßnahmen selbst kritisieren und dass Sie - das stellen wir immer wieder fest, und Herr Nacke hat das, wie ich finde, wieder einmal in glänzender Weise belegt - auch jedenfalls aus unserer Sicht unrechtmäßige Kritik am Verfahren üben und alles das, was hier passiert, pauschal als intransparent verunglimpfen. Auch das ist mitnichten der Fall.

Auf die Ausschussbeteiligung, auf die Unterrichtungswünsche, auf die Unterrichtungspflichten und auf die Unterrichtungsansprüche auf der anderen Seite sind Sie eingegangen. Alles das ist legitim. Es ist auch legitim, dass Sie Gesetzentwürfe einbringen. Sachlich einigermaßen schwierig erscheint - jedenfalls aus meiner Sicht -, dass Sie sich dabei gelegentlich selbst ins Gehege kommen, nämlich dann, wenn Sie einerseits Informationspflichten nach Artikel 25 der Verfassung ausweiten wollen und damit gelegentlich drohen, ganze Verfassungsgefüge in Bewegung zu versetzen. Ich möchte Frau Hamburg ausdrücklich noch einmal darauf hinweisen, dass hier selbstverständlich kein Verfassungsbruch vorliegt, wie Sie vorhin zu Unrecht behauptet haben.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Wie nennen Sie das denn sonst?)

Dann habe ich mal in den Verfassungskommentar geguckt, was sich zu Artikel 80 Abs. 4 so findet. Ich zitiere mal - das ist der Maunz/Dürig; durchaus bekannt -: Das bedeutet - Zitat -, dass sich die durch Artikel 80 Abs. 4 eröffneten Regelungsmöglichkeiten auf Gebiete mit vergleichsweise geringem rechtlichen und politischen Gewicht beziehen. - Oder anders formuliert: Den Landesparlamenten wird Artikel 80 Abs. 4 als eine Ausweitung ihrer Kompetenzen angepriesen, die allerdings nur darin besteht, dass sich die Landesparlamente nunmehr auch mit solchen Angelegenheiten beschäftigen dürfen, die dem Bundestag als zu unbedeutend erscheinen, um sich selbst damit zu befassen. - Und dann geht es weiter.

Ich mache mir diese Ausführungen ausdrücklich nicht zu eigen, weil ich glaube, dass sie, wenn, dann auch nur sehr eingeschränkt auf diese sachliche Fallkonstellation zutreffen, über die wir gerade diskutieren.

An dieser Stelle sollte aber deutlich werden, dass wir mindestens darüber reden müssen, was eigentlich mit der Ermächtigungsgrundlage passiert. Das ist auch das, was ich schon der vorangegangenen Plenardebatte angesprochen habe. Sie ziehen eine Diskussion über das Infektionsschutzgesetz hier in den Niedersächsischen Landtag hinein, obwohl die Diskussion im Kern eigentlich im Deutschen Bundestag geführt werden müsste. Das halte ich mindestens für inkonsequent.

Herr Kollege Siebels, weil Sie ja auch mal Luft holen müssen, nutze ich jetzt diese Gelegenheit, Sie zu unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hamburg?

Ich würde das gerne, wie gehabt, im Rahmen von Kurzinterventionen klären.

Danke.

Ich möchte mit aller Zurückhaltung darauf hinweisen, dass es durchaus auch Vorbehalte geben könnte, was den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger angeht, der im Vergleich mit dem Rechtsschutz im Fall einer Rechtsverordnung häufig als defizitär empfunden wird. Das ist ein Zitat,

das nicht von mir kommt, das aber in der Diskussion mindestens berücksichtigt werden müsste.

Schlussendlich, meine Damen und Herren, will ich aus einem Artikel in der Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Mai den niedersächsischen Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig zitieren. Er sagt: Der Sinn von Artikel 80 GG ist, dass Landtage selbst Gesetze erlassen. - Sie haben in Ihrem Vorschlag ausdrücklich wieder den Bogen geschlagen, dass am Ende doch eine Verordnung greifen könnte. Das kommentiert er mit den Worten: Die Folge des FDP-Vorschlags wäre hingegen eine komplexe Form von Hybridgesetzgebung. - Das will ich voranstellen.

Ich glaube deshalb, dass richtig bleibt, was meine Fraktion vorgeschlagen hat - dass wir nach der Pandemie in einem Sonderausschuss intensiv über alle Abläufe, die sich im Moment zeigen, diskutieren. Ich würde auch diesen Gesetzentwurf an der Stelle diskutieren. Aber zustimmungsfähig erscheint er mir mit Stand von heute keinesfalls.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Siebels.