Protokoll der Sitzung vom 12.05.2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, der Beratungsschwerpunkt bei dem Gesetzentwurf lag allerdings weniger auf der Ausweitung der richterlichen Mitbestimmung. Das war schon bei der ersten Beratung so. Die Verantwortung dafür tragen aus meiner Sicht die Koalition und diese Landesregierung. Die Verantwortung dafür tragen Sie, Frau Ministerin Havliza, und zwar dadurch, dass Sie in diesen Gesetzentwurf zur richterlichen Mitbestimmung auch noch das Verbot des Tragens religiöser Symbole - in Ihrem Koalitionsvertrag wohl treffender, weil das ursprünglich gemeint war, als Kopftuchverbot deklariert - mit aufgenommen haben.

Die Koalition hat sich auf die Fahnen geschrieben, Kopftücher bei Gericht zu verbieten. Sie haben dann später erkannt, dass es so, wie es im Koalitionsvertrag steht, nicht geht. Jetzt sind de facto auch Kippas und andere religiöse Symbole verboten. Gleichzeitig wollen Sie dezidiert daran festhalten, dass die Kreuze in den Gerichtssälen in Cloppenburg und Vechta hängenbleiben und nur im Einzelfall abgehängt werden.

Für diese Ungleichbehandlung haben Sie überhaupt keine Begründung geliefert. Warum an der einen Stelle eine Einzelfallregelung greifen soll und an der anderen Stelle ein pauschales Verbot, begründen Sie nicht näher, erschließt sich nicht und ist natürlich eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Das Christentum wird an der Stelle gegenüber anderen Religionen bevorzugt. Das ist nach dem Grundgesetz nicht zulässig; das wissen Sie auch.

Dazu kommt: Ein Verbot des Tragens religiöser Symbole muss mit der individuellen Religionsfreiheit der Trägerin oder des Trägers eines Symbols abgewogen werden. Das ist auch der Unterschied zu dem Kreuz an der Wand. Da gibt es keine individuelle Religionsfreiheit, die dagegen abgewogen werden muss.

Auch Ihr Hinweis, Frau Ministerin, den Sie beim letzten Mal gegeben haben, auf die Geschichte des Kreuzaufstandes in Cloppenburg und Vechta aus den 1930er-Jahren - die mir natürlich bekannt ist -, zieht aus meiner Sicht hier nicht und kann eine solche Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Zum einen ist es schon eine gewagte Anschauung, zu sagen, wir müssen dieses Kreuzaufstands gedenken, indem wir zwar Kippas in Gerichten verbieten, aber die Kreuze hängen lassen.

Zum anderen - bei aller Wertschätzung für den Kreuzaufstand; natürlich war das kein unwichtiges Zeichen - glaube ich, dass viele Menschen, viele Jüdinnen und Juden in der Region, auch viele Sozialdemokraten oder Gewerkschafter sich gewünscht hätten, dass nur halb so viele Menschen auf die Straße gegangen wären, als sie abtransportiert worden sind, wie auf die Straße gegangen sind, als die Kreuze abgeschraubt worden sind.

Insofern meine ich schon, dass man diesen Aufstand differenziert betrachten muss

(Beifall bei den GRÜNEN)

und ihn in anderer Form würdigen sollte als mit dem bloßen Hängenlassen der entsprechenden Symbole.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Limburg.

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)

Für die weitere Debatte hat sich für die CDUFraktion der Abgeordnete Christian Calderone zu Wort gemeldet. Bitte schön!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Limburg ist auf einige Punkte aus dem Gesetz, das wir heute verabschieden werden, eingegangen. Wir ändern darüber hinaus noch eine kleine Passage im Hinterlegungsgesetz und folgen damit einer Rechtsänderung auf Bundesebene. Ferner vereinfachen wir den Umgang mit Staatserbschaften.

Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass wir die Wachtmeister an den Gerichten zukünftig als Justizwachtmeister bezeichnen. Das mag nur eine semantische Änderung sein. Vielleicht ist es aber auch ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber diesem Berufsstand, der eine wichtige Aufgabe übernimmt bei dem, was wir uns gemeinsam als Koalition vorgenommen haben, nämlich durchgängige Einlasskontrollen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften durchzuführen.

Der Kollege Limburg hat auch die Verankerung des Freijahres angesprochen. Wir sind tatsächlich einer Anregung aus den Anhörungen und der Op

position gefolgt, eine vielleicht noch bessere Regelung in dem Gesetz vorzusehen und dadurch auch das Richteramt vielleicht noch mal attraktiver zu gestalten. Auf die verbesserten Beteiligungsrechte nicht nur für Richter, sondern auch für Staatsanwaltschaftsvertretungen ist der Kollege Limburg in gleicher Weise eingegangen.

Ferner hat er auf den Schwerpunkt der Beratungen in den Ausschüssen abgezielt. Auch ich möchte mein Hauptaugenmerk auf jene Passagen richten, die die Neutralität der Amtsträger beinhalten.

Zunächst einmal ist die Stärkung der Neutralität bezüglich des Verbots des Tragens von Kleidungsstücken oder Symbolen, die eine politische, religiöse oder weltanschauliche Aussage zu treffen in der Lage sind, aus meiner Sicht eine logische Fortsetzung der auch grundgesetzlich verankerten Zusage, die die Justiz und der Staat machen, nämlich unabhängig, ohne Ansehen der Person und ohne persönliche Präferenz zu urteilen. Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität ist zugleich auch ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit.

Das ist auch jetzt schon ein wesentliches Merkmal niedersächsischer Justiz, und das findet auch heute schon seinen äußerlichen Ausdruck darin, dass Richter beispielsweise eine Robe tragen. Aber innerlich ist, glaube ich, dieses Gedankengut der Unabhängigkeit und der Neutralität noch viel stärker verankert, als das durch ein äußeres Kleidungsstück möglich ist. Diese innerliche Verankerung und diese äußerliche Symbolik müssen aus meiner Sicht vor dem Hintergrund einer zunehmend religiösen, weltanschaulichen und politischen Heterogenität in unserer Gesellschaft zu Ende gedacht werden.

Die Grünen haben in den Beratungen und auch heute bemängelt, dass zwar das Tragen eines Kopftuches in Zukunft in niedersächsischen Gerichten eingeschränkt wird, das Kreuz an der Wand im Sitzungssaal aber nicht verboten ist. Meine Damen und Herren, ich halte diese Gegenüberstellung für reißerisch, unsachlich und auch für politisch gefährlich; denn unabhängig davon, dass eben nicht nur das Kopftuch verboten ist, sondern auch das christliche Kreuz an der Halskette oder die Kippa oder der Turban auf dem Kopf in gleicher Weise dem Verbot unterliegen, sind sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch das Land Niedersachsen nicht areligiös. Darauf verweisen nicht zuletzt die Präambeln in unseren Verfassungen, die jedes staatliche Handeln in die

Verantwortung vor Gott stellen. Sie verweisen darauf, dass der Staat auf einer Grundlage beruht, die er selber und die in ihm wirkenden Menschen eben nicht selber geschaffen haben können, sondern die ihm gegeben ist. Auf nichts anderes verweist das Kreuz an der Wand eines Sitzungssaales.

(Beifall bei der CDU)

Unabhängig davon, sehr verehrter Herr Kollege Limburg, gibt es nur noch an zwei Gerichtsstandorten - Sie haben es selbst gesagt -, nämlich am Amtsgericht Cloppenburg und am Amtsgericht Vechta, Kreuze an den Wänden, die - auch darauf haben Sie abgezielt - eine historische Bedeutung haben. Sie verweisen auf den am Ende erfolgreichen sogenannten Kreuzkampf der Südoldenburger Katholiken gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime, die Kreuze in öffentlichen Gebäuden zu belassen.

Meine Damen und Herren, ich darf nicht ohne Stolz sagen, dass ich glücklich bin, als Landtagsabgeordneter auch für den südlichen Landkreis Vechta genau diese Region hier in Hannover vertreten zu dürfen. Ich werde nicht unterstützen, dass es zu einer Situation kommt, in der dieser demokratisch gewählte Landtag in diesem freiheitlichen Niedersachsen am Ende das erreicht und umsetzt, was den Nationalsozialisten in Cloppenburg und Vechta nicht gelungen ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Jenseits dieser emotionalen Einschätzung gibt es dazu eine klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach müssen Kreuze auf Antrag in Gerichtssälen abgehängt werden. Sie können aber grundsätzlich dort hängen. Das ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die die Grundlagen unseres Staates im Blick behält, aber auch die individuelle Implikation; denn genau um diese individuelle Implikation geht es auf der einen Seite, wenn ein Amtsträger vor Gericht ein religiöses Symbol trägt. Dieses verweist eben nicht auf die Grundlagen unseres Staates, auf die Präambel unserer Verfassung, sondern auf die individuelle religiöse und weltanschauliche Überzeugung. Dieser Individualismus aber muss hinter der Neutralitätspflicht der Justiz zurücktreten. Deswegen ist dieses Gesetz aus meiner Sicht eine ausgesprochen wichtige und klarstellende Regelung.

Ich glaube, es ist ein guter Tag für Niedersachsen, wenn wir das heute gemeinschaftlich verabschieden. Ich hoffe weiterhin auf die Unterstützung der

beiden anderen Oppositionsfraktionen, wie im Rechtsausschuss.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Calderone.

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)

Für die FDP-Fraktion kann sich langsam auf den Weg machen der Abgeordnete Marco Genthe.

(Beifall bei der FDP)

- Genau, wir haben auch noch für Nachklappklatschen Zeit.

Bitte, Herr Abgeordneter Genthe!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesetze müssen an neue Bedürfnisse oder Erfahrungen angepasst werden. So ist es auch bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung. Der tut das im Bereich der richterlichen Mitbestimmung und der Neutralität der Justiz.

Insoweit begrüßen wir auch die Angleichung an die beamtenrechtlichen Vorschriften hinsichtlich der Flexibilisierungsmöglichkeiten.

Hinsichtlich eines Freijahres gab es im Ausschuss nach entsprechenden Hinweisen eine sehr schnelle parteiübergreifende Lösung. So viel Pragmatismus, meine Damen und Herren, würde ich mir so manches Mal auch in anderen Ausschüssen wünschen. Der Rechtsausschuss ist an dieser Stelle sicherlich ein Vorbild.

(Beifall bei der FDP

Auch die Stärkung der Beteiligungsrechte der Richter- und Staatsanwaltschaftsvertretungen wird von uns selbstverständlich begrüßt.

Meine Damen und Herren, ein Kernbereich des Gesetzes - dies hat die Diskussion eben auch gezeigt - ist die Sicherung des Vertrauens der Öffentlichkeit und der Verfahrensbeteiligten in die Neutralität der Justiz. Dieser Punkt gewinnt in unserer Gesellschaft erheblich an Bedeutung. Bedauerlicherweise wird der gesellschaftliche Diskurs immer aggressiver, und auch die Anwendung von Gewalt nimmt zu. Umso wichtiger ist es, dass die Justiz als dritte Gewalt unseres Staates dann auch

tatsächlich akzeptiert wird. Das bleibt sie nur, wenn sie in überzeugender Art und Weise weltanschaulich, politisch und religiös neutral auftritt.

In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es gelingen, Konflikte mithilfe von Gerichtsentscheidungen zu befrieden. Daraus ergibt sich die Verpflichtung für die Legislative, Rahmenbedingungen zu schaffen, die zu einer Stärkung des Vertrauens in gerichtliche Entscheidungen führen. Dieses Vertrauen ist in einer sozial, kulturell und religiös bunten Gesellschaft leicht zu erschüttern, wenn sich Richter im Gerichtssaal in augenfälliger Art und Weise als Angehörige einer sozialen, kulturellen oder religiösen Gruppe zu erkennen geben.

Besonders diejenigen, die sich in einem Zivilprozess oder auch in einem Strafprozess selbst als Verlierer empfinden, sind für Signale empfänglich, die auf eine für sie ungünstige Vorprägung eines Richters oder einer Richterin deuten. Sehr schnell wäre infrage gestellt, ob die gefällten Entscheidungen tatsächlich in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zustande gekommen sind.

Wir unterstützen daher das Vorhaben, die Neutralität der Justiz in Niedersachsen nachhaltig zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren, ich sehe in diesem Zusammenhang auch keine unverhältnismäßige Einschränkung der Religionsfreiheit oder der Berufsfreiheit von Justizangehörigen. Es ist nicht nur ein Gebot der Vernunft, sondern auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass ein Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie der Religionsausübung gerechtfertigt ist, wenn eine Gefährdung von Gemeinschaftswerten mit Verfassungsrang droht.

Meine Damen und Herren, es bleibt im Übrigen anzumerken, dass die Justiz auch nur dann unabhängig sein kann, wenn die Politik sie ausreichend ausstattet. Das ist mit einem Gesetzblatt nicht einfach mal eben so getan. Der niedersächsischen Justiz fehlt es nicht nur an Personal, sondern auch in erheblichem Maße an sächlicher Ausstattung. Wer der Neutralität der Justiz dieselbe Bedeutung beimisst wie wir, wird auch an dieser Stelle nacharbeiten müssen. Darauf, meine Damen und Herren, warte ich nach wie vor.

Vielen Dank.