Protokoll der Sitzung vom 12.05.2020

Meine Damen und Herren, nach der Bund-LänderVereinbarung der letzten Woche wurde der Eindruck vermittelt, der Bund ziehe sich jetzt zurück und jetzt hätten die Länder die Verantwortung. Dieser Eindruck täuscht. Die Bundesländer hatten schon immer die Verantwortung. Vielleicht gehört dazu auch, dass es bei unterschiedlichen Entwicklungen der Zahl der Infektionen in den Bundesländern zu unterschiedlichen Einschätzungen und Schlussfolgerungen kommen muss. Den Menschen allerdings, die in den Grenzregionen wohnen, wird dies nach wie vor schwer zu vermitteln sein. Aber das haben wir, wie ich glaube, nach den Erfahrungen in den letzten Wochen auch selber immer wieder gemerkt, und das ist somit nichts Neues.

Umso wichtiger ist die Vereinbarung über einen sogenannten Notfallmechanismus, auch „Notbremsebeschluss“ genannt. Dadurch wird noch einmal deutlich, wie labil die Lage wirklich ist. Diese Vereinbarung besagt, dass dann, wenn sich regional kumulativ mehr als 50 Menschen pro 100 000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage anstecken, ein regional konsequentes Beschränkungskonzept umzusetzen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann wird es auch örtlich, regional wieder zum begrenzten Lockdown kommen müssen.

Ich bin sehr dankbar, dass unser Ministerpräsident erklärt hat, deutlich früher eingreifen zu wollen.

Meine Damen und Herren, was mich persönlich etwas nachdenklich macht, ist nicht die einzelne Maßnahme. Jede Maßnahme ist für sich gut begründbar und nachvollziehbar und sicherlich auch richtig, auch weil wir in vielen Bereichen nur schrittweise vorgehen. Was mich nachdenklich stimmt, ist die Vielzahl der gleichzeitigen Lockerungen.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Ich habe deshalb die herzliche Bitte, dass wir bei den ganzen Diskussionen, die bei jeder neuen Verordnung sofort ausgelöst werden, die Dynamik bei der Zahl der Neuinfektionen nicht aus dem

Blick verlieren und uns auch zwischen den einzelnen Phasen die Zeit nehmen, die Entwicklung tatsächlich beurteilen zu können. Deshalb war es auch so richtig, die Stufen 4 und 5 nicht mehr mit einem genauen Datum zu versehen.

Meine Damen und Herren, ich will auf die einzelnen Maßnahmen unseres Stufenplans gar nicht mehr groß eingehen; der Ministerpräsident hat dies im Groben getan, und wir haben es auch in den Medien sehr ausführlich lesen können.

Zwei Lockerungen aber will ich ansprechen, weil sie den schwierigen Abwägungsprozess, in dem wir uns ständig befinden, deutlich machen.

Das sind zum einen die Kontaktbeschränkungen, die jetzt auf zwei Hausstände erweitert wurden. Ich sage es ganz deutlich: Hier setzen wir sehr auf die Vernunft und Einsicht der Bürgerinnen und Bürger.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]) : Wieso Sie? Das ist doch die Landesregierung und nicht das Parlament!)

- Wir können das doch gemeinsam machen, oder nicht?

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Ich bin an den Entscheidungen nicht beteiligt! Wir sind nicht beteiligt an dem, was der Ministerpräsident macht! - Helge Limburg [GRÜNE]: Wir sind nicht be- teiligt worden! Wir wissen ja nicht, wie es bei Ihnen war! - Gegenruf von Ul- rich Watermann [SPD]: So weit geht es ja nun nicht, dass der FDP-Frak- tionsvorsitzende bestimmt, was ich denke! - Gegenruf von Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das habe ich nicht ge- sagt! - Gegenruf von Ulrich Water- mann [SPD]: Das haben Sie aber ge- rade versucht!)

Frau Modder, ich bitte Sie, fortzufahren. - Keine Dialoge, Herr Dr. Birkner! Sie haben gleich die Möglichkeit, hier Stellung zu beziehen.

Aber ich möchte an der Stelle schon deutlich machen: Bei der Ausweitung auf zwei Hausstände setzen wir auf die Vernunft, dass die Menschen die Regelung wirklich einhalten. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit, ich habe schon sehr kreative Lösungsmöglichkeiten gefunden, diese Beschränkungen zu umgehen - sehr kreative!

(Christian Meyer [GRÜNE]: Aber Sie haben das doch nirgendwo beschlos- sen!)

Auf der anderen Seite unternehmen wir erste leichte Versuche, in den Alten- und Pflegeheimen überhaupt wieder Besuche und Kontakte zu ermöglichen und damit die Vereinsamung der vielen älteren Menschen zu verhindern. Auch das, meine Damen und Herren, muss uns ein bisschen nachdenklich stimmen: auf der einen Seite das öffentliche Leben möglichst wieder zu ermöglichen und auf der anderen Seite Lockerungen in dem Bereich nicht vornehmen zu können, weil diese Menschen zur Risikogruppe gehören.

An dieser Stelle will ich auch daran erinnern, dass alle diese Lockerungen nur dadurch möglich wurden, dass der Shutdown konsequent umgesetzt wurde und wir dadurch die Verlangsamung des Infektionsgeschehens erreichen konnten und

gleichzeitig unser Gesundheitssystem vor einer Überlastung schützen konnten. Alle diese Anstrengungen waren wichtig.

Es ist unser Anspruch - Ihrer vielleicht nicht; aber auch diesmal spreche ich wieder für uns -, allen Schwerstkranken die Intensivbehandlungen zukommen zu lassen, die sie brauchen. Das ist uns gelungen, und dafür sollten wir wirklich dankbar sein. Dass die Krankenhäuser jetzt wieder die planbaren Leistungen durchführen können, bringt auch an der Stelle große Entlastung.

Meine Damen und Herren, ich habe lange überlegt, ob ich es hier anspreche. Aber ich muss es ansprechen - nicht nur, weil es mir und meiner Fraktion wichtig ist, sondern weil es für uns und für viele Menschen unerträglich ist, wenn sich ein Politiker wie der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Herr Palmer, derart unverantwortlich äußert. Ich zitiere hier seine Aussage:

„Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“

Was maßt sich dieser Mensch an!

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Richtig!)

Herr Palmer ist dafür bekannt, sich häufig medial ins Abseits zu schießen und provozierend zu überziehen.

Dass aber die FDP gleich daraufhin Herrn Palmer ein Aufnahmeangebot unterbreitet, lasse ich an dieser Stelle mal unkommentiert,

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zurufe: Das ist unglaublich! - Das Angebot hat er aber abgelehnt!)

weil ich glaube, dass die FDP mit Herrn Kemmerich und seinem skandalösen Auftreten bei den sogenannten Anti-Corona-Demos in den vergangenen Tagen genug Probleme hat.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe bereits in meiner letzten Rede zur Regierungserklärung aus unserer Sicht auf die Notwendigkeit eines Sonderausschusses zur Aufarbeitung der Corona

Pandemie in seiner ganzen Breite hingewiesen und freue mich, dass der Vorschlag bei den Grünen und bei der FDP aufgegriffen wurde. Allerdings habe ich zumindest im Moment den Eindruck, dass wir beim Arbeitsauftrag noch weit auseinanderliegen. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass wir uns durch gemeinsame Gespräche ein bisschen annähern werden. Ich glaube schon, dass das Sinn machen würde.

Die parlamentarische Begleitung der Corona-Krise, so wie sie zumindest von den Grünen gefordert wird - Sie haben das vorhin ausgeführt -, mit allen ihren Facetten, mit den Auswirkungen auf den öffentlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich, wird nach meiner Einschätzung über den Sozialausschuss, aber auch über alle anderen Fachausschüsse gewährleistet.

Meine Damen und Herren, wir werden hier im Parlament sicherlich immer wieder über die Entwicklung und die einzelnen Maßnahmen in der CoronaKrise, insbesondere über die weiteren Stufen des niedersächsischen Weges, zu diskutieren und auch zu streiten haben, und das ist auch gut so.

Des Weiteren begrüße ich sehr, dass auch wir hier im Parlament wieder zu einem Regelbetrieb zurückgefunden haben, auch mit anderen Themen, weil diese Themen genauso zu bearbeiten sind; da spreche ich insbesondere das Thema Klimawandel/Klimaschutz/Artenvielfalt an.

Corona und vor allem seine Auswirkungen und dessen Folgen werden uns sicherlich noch lange beschäftigen und begleiten. Der Ministerpräsident hat den Zweiten Nachtrag zum Haushalt angesprochen. Ich bin davon überzeugt, dass wir hier

zum Zweiten Nachtrag heftige Diskussionen haben werden.

Wir als SPD-Fraktion blicken insbesondere auf den Bereich der Kontaktbeschränkungen, auf unsere Familien und die Kinderbetreuung, auf die Bildung, ganz besonders auf unsere Alten- und Pflegeheime, auf die Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die Sozialeinrichtungen, unser Gesundheitswesen und nicht zuletzt auf die Folgen für unsere Wirtschaft. Da wartet, glaube ich, noch jede Menge Arbeit auf uns, wenn wir allein die Zahlen zur angemeldeten Kurzarbeit und die Firmen, die Unternehmen sehen, die im Moment große Probleme haben. Ich bin sehr dankbar, dass wir am vergangenen Freitag den Runden Tisch zum Thema Meyer-Werft hatten, Herr Minister Althusmann, das uns in der Region stark betreffen wird. So könnte man viele Unternehmen nennen. Deswegen glaube ich, haben wir sehr viel Arbeit noch vor uns.

Ausdrücklich begrüße ich die neuesten Ankündigungen auf Bundesebene, für unsere Kulturschaffenden weitere finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe zur Verfügung zu stellen. Das ist ein wichtiges Signal für alle unsere Künstlerinnen und Künstler, die von den Förderprogrammen bislang ausgeschlossen waren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden einen anderen Alltag erleben, einen neuen Alltag mit Corona, zumindest solange noch kein Impfstoff in ausreichender Form zur Verfügung steht.

Zum Schluss will ich noch kurz auf den sich formierenden Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen eingehen, den wir bundesweit verstärkt zu vermelden haben.

Ich will es ganz deutlich sagen: Wenn Menschen aus finanziellen Gründen und aus Sorge um die Grundrechtseingriffe auf die Straßen gehen, haben wir das sehr ernst zu nehmen. Wir müssen die Ängste ernst nehmen, und wir müssen Perspektiven aufzeigen. Um es aber auch ganz deutlich zu sagen: Unsere Dialogbereitschaft endet dort, wo Gewalt und Fahrlässigkeit die Leben anderer gefährden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Was wir in den letzten Tagen erlebt haben, ist, wie ich finde, schon bemerkenswert. Bei den Demonstrationen findet sich ein breites Sammelsurium von Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und

auch Rechtsextremisten zusammen, welche die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger für ihre Zwe

cke instrumentalisieren. Die Trennschärfe zwischen wirklichen Ängsten und antidemokratischen Ideologien verwässert leider. Überhaupt nicht zu akzeptieren ist deren Verhalten, auf der einen Seite für Grundrechte einzutreten und auf der anderen Seite z. B. die Pressefreiheit im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen zu treten. Meine Damen und Herren, Gewalt gegen jedermann, aber auch gegen Journalistinnen und Journalisten ist inakzeptabel, und wir werden das immer und immer wieder auf das Schärfste verurteilen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass jene Demonstranten nicht die Mehrheit sind. Sie sind nicht die Mehrheit. Es gibt eine breite Masse, die diesen Kurs der politischen Mitte und der Politik mit Augenmaß und Verantwortung mitträgt. Wir als Gesellschaft haben in den vergangenen Wochen gemeinsam viel geschafft. Lassen Sie uns diese Erfolge nicht wieder kaputt machen und nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Modder.

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)