Protokoll der Sitzung vom 30.06.2020

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie namens des Präsidiums und eröffne die 78. Sitzung im 29. Tagungsabschnitt des Landtages der 18. Wahlperiode.

Die Reihen sind gut gefüllt, sodass ich die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen kann.

Tagesordnungspunkt 1: Mitteilungen der Präsidentin

Wir haben heute ein Geburtstagskind unter uns. Es ist der Kollege Markus Brinkmann. Herzlichen Glückwunsch, alles Gute, Gesundheit und Wohlergehen für das neue Lebensjahr!

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, bevor wir zur Tagesordnung kommen, folgenden Hinweis:

Das Infektionsgeschehen der letzten Wochen, auch in Niedersachsen, hat uns vor Augen geführt, dass die Corona-Pandemie nicht vorbei ist. Wie sind noch mittendrin, und die Situation ist nach wie vor sehr fragil. Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln bleiben daher notwendig.

Um zu ermöglichen, dass Sie alle wieder Ihre gewohnten Plätze im Plenarsaal einnehmen können, sodass Abgeordnete nicht mehr länger auf die Besuchertribünen ausweichen müssen, haben wir einen gläsernen Infektionsschutz zwischen den einzelnen Sitzplätzen montiert. Ich hoffe, dies schränkt Sie nicht allzu sehr ein. Und was die Zwischenrufe betrifft: Da sind wir auf Ihre Kreativität angewiesen.

Zugleich ist es jetzt wieder möglich, dass Besucherinnen und Besucher die Landtagssitzungen von der Besuchertribüne aus verfolgen können. Darüber freue ich mich sehr und freut sich, glaube ich, das ganze Haus. Seien Sie herzlich willkommen, Frau Kollegin Rübke!

(Beifall)

Bei dieser Gelegenheit möchte ich allen Anwesenden noch einmal empfehlen, einen Mund-NaseSchutz zu tragen, wenn sie sich in stark frequentierten Bereichen des Hauses bewegen, z. B. im

Plenarsaal oder in den angrenzenden Fluren. Durch das Tragen einer Maske schützen wir vor allem andere. Wenn jeder und jede eine Maske trägt, können wir alle uns gegenseitig schützen. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Arbeits- und Handlungsfähigkeit des Parlaments nicht zu gefährden.

Zur Tagesordnung: Die Einladung für diesen Tagungsabschnitt sowie die Tagesordnung einschließlich des Nachtrages und der Informationen zu den von den Fraktionen umverteilten Redezeiten liegen Ihnen vor. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses mit diesen geänderten Redezeiten fest. Die heutige Sitzung soll gegen 21.20 Uhr enden.

Die Stifte, die Sie auf Ihren Plätzen vorfinden, sollen aus Gründen des Infektionsschutzes bei der Wahl zum Staatsgerichtshof zum Einsatz kommen.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin Frau Menge mit. Bitte, Frau Kollegin!

Einen schönen guten Morgen! Von der Landesregierung ist Frau Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, Birgit Honé, von 9 bis 12 Uhr entschuldigt, von der SPD-Fraktion Herr Axel Brammer, Herr Stefan Klein im Anschluss an die Mittagspause, Herr Dr. Christos Pantazis und Frau Doris SchröderKöpf, von der Fraktion der FDP Frau Sylvia Bruns von 9 bis 12 Uhr.

Vielen Dank, Frau Kollegin Menge.

Ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung unter dem Titel „Zusammen aus der Krise - ein Ausblick auf das zweite Halbjahr 2020“ - Unterrichtung durch den Ministerpräsidenten - Drs. 18/6701 neu

Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung: Corona-App - Mit Begleitgesetz echte Freiwilligkeit und die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Verbraucherinnen und Verbrauchern schützen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/6815

Zunächst erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten für die angekündigte Regierungserklärung das Wort. Bitte, Herr Ministerpräsident!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen in ungewohnter Atmosphäre! Wenn man hier vorn steht, ist es doch anders als bisher; das lässt sich nicht bestreiten. Aber das hat ja einen Grund.

Heute ist der letzte Tag eines halben Jahres, das wir wohl alle nicht vergessen werden. Die vergangenen Monate haben uns mit Herausforderungen konfrontiert, die wir niemals für möglich gehalten hätten. Wir haben Einschränkungen erlebt, die niemand gewollt hat, und wir haben es mit Konsequenzen zu tun, die uns noch lange beschäftigen werden.

Ich will an dieser Stelle keine große Rückschau halten. In den vergangenen Sitzungsperioden des Landtages habe ich regelmäßig in bislang drei Regierungserklärungen die jeweiligen Stationen unserer Krisenbewältigung erläutert und kann daran anknüpfen. Heute möchte ich in erster Linie den Blick nach vorn richten und einen Ausblick wagen. Das ist natürlich mit vielen Unsicherheiten behaftet; denn wir befinden uns weiterhin inmitten einer in vielerlei Hinsicht mehr als schwierigen Situation. Wir sind in den letzten Monaten aber auch klüger geworden, und wir können in der nächsten Zeit an diese Erfahrungen anknüpfen.

Eines ist mir dabei wirklich wichtig: Deutschland und auch Niedersachsen schneiden bei der Krisenbewältigung im internationalen Vergleich auffällig gut ab. Grundlage dafür war und ist, dass wir die Corona-Krise bei uns als Herausforderung für die gesamte Gesellschaft ansehen, nicht etwa nur für die Politik, nicht etwa nur für die Wirtschaft oder für wen auch immer. Zusammenhalt ist und bleibt der eigentliche Erfolgsfaktor. Schon jetzt können wir sagen: Wenn wir alle zusammenhalten, wenn alle Bereiche, wenn alle Bürgerinnen und Bürger ihren Beitrag leisten, dann haben wir auch im zweiten Halbjahr gute Chancen.

„Niedersachsen hält zusammen“: Das ist nicht nur der Name eines Bündnisses, für das sich die Landesregierung und große Teile des Landtages sehr engagieren - herzlichen Dank dafür! -, „Niedersachen hält zusammen“ muss auch unser Anspruch in den nächsten Monaten sein. Dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir auch weiterhin Erfolg haben. Davon bin ich überzeugt.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Grundlage all dessen ist natürlich immer die jeweilige Infektionslage. Insgesamt gesehen, ist sie jetzt schon etliche Wochen lang in unserem Land auf einem niedrigen Niveau und inzwischen auch wieder unterhalb des Bundesdurchschnitts. Sind wir deswegen sorgenfrei? Nein, natürlich nicht. Dissen, Leer, Göttingen, Oyten, Langenhagen, Willdeshausen, Friedland - alle diese Orte und noch manche andere mehr befinden sich in ganz unterschiedlichen Teilen unseres großen Landes. Dennoch hatten und haben wir es dort mit Infektionsausbrüchen zu tun, die ein sehr entschiedenes Vorgehen erfordert haben und nach wie vor erfordern.

Ein Kollege hat kürzlich die Situation mit einem Moorbrand verglichen. So schlecht ist dieser Vergleich vielleicht gar nicht. Das Virus ist nach wie vor aktiv und brennt gewissermaßen im Untergrund. Immer wieder lodert es in unterschiedlichen Bereichen auf und muss dann intensiv bekämpft werden.

Unter diesen Umständen hat sich allerdings der Strategiewechsel bestätigt, den wir vorgenommen haben. Wir setzen nicht mehr in erster Linie auf allgemeine Regeln und Einschränkungen, sondern vor allem auch auf eine konzentrierte regionale Bekämpfung. Das gelingt bislang gut, auch wenn die Bedingungen dafür zum Teil schwierig sind, wie etwa jüngst das Beispiel der Groner Landstraße in Göttingen in besonderer Weise gezeigt hat.

Unsere Strategie steht und fällt mit einem leistungsfähigen Gesundheitsdienst vor Ort. Unsere bisherigen Erfahrungen - in den ganzen letzten Monaten - zeigen, dass wir uns auf die Gesundheitsämter in Niedersachsen verlassen können. Die Menschen in diesen Behörden arbeiten jetzt seit vielen Monaten unter maximaler Belastung und verrichten oft eine denkbar undankbare Kleinarbeit, z. B. bei der Nachverfolgung von Quarantäneanordnungen. Herzlichen Dank für diese Arbeit, von der bei uns in Niedersachsen sehr viel abhängt!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie Zustimmung von Jochen Beek- huis [fraktionslos])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bestätigt hat sich aber auch der Kurs, nach und nach Einschränkungen wiederaufzuheben und dabei allen Beteiligten wieder eine Perspektive zu geben. Der nieder

sächsische Stufenplan hat uns dabei in den vergangenen Wochen sehr geholfen.

Jetzt sind wir am Ende der ursprünglich vorgesehenen fünf Stufen angelangt. Demnächst wird eine neue Verordnung in Kraft treten, die anwendungsfreundlicher sein soll und hoffentlich in den nächsten Monaten auch nicht mehr so oft geändert werden muss. Ich drücke mich in dieser Hinsicht bewusst vorsichtig aus; denn wir haben es mit einem weiterhin dynamischen Geschehen zu tun und werden darauf auch jeweils immer wieder reagieren müssen.

Und auch das muss an dieser Stelle ausdrücklich gesagt sein: Viele Einschränkungen werden auf Sicht weiter notwendig sein. Das gilt für Abstandsregelungen, für Hygienevorschriften, für die MundNase-Bedeckung in gefahrgeneigten Situationen. Das gilt aber auch für den Verzicht auf Situationen, in denen viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen. All das mag im Einzelfall lästig sein, ja. Aber für einen wirksamen Infektionsschutz ist es unverzichtbar. Wann wir wieder auf großen Festen unbeschwert miteinander feiern können, das steht völlig dahin.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse mahnen uns dazu, realistisch zu bleiben. Kurzfristig wird es eben leider keinen wirksamen Impfschutz geben, der für größere Teile unserer Bevölkerung zur Verfügung steht. Viele Forscherinnen und Forscher auf der Welt arbeiten mit Hochdruck an einem solchen so sehr ersehnten Durchbruch. Auch bei uns in Niedersachsen verfügen wir über eine exzellente Infektionsforschung, z. B. in Braun

schweig, in Hannover und in Göttingen. Wir als Land werden diese Forscherinnen und Forscher in ihren Projekten engagiert unterstützen. Aber es führt kein Weg um die Erkenntnis herum: Es wird alles seine Zeit brauchen.

Ich sage es nicht gerne, aber es ist so: Wir werden auch im zweiten Halbjahr mit dem Coronavirus leben müssen. Wir werden unter genau diesen Bedingungen die Grundlage für eine Überwindung der Krise legen müssen. Das ist unsere zentrale Aufgabe im zweiten Halbjahr 2020.

Vielen Teilen der Gesellschaft ist in den letzten Monaten unter dem Zwang der Verhältnisse wirklich viel zugemutet worden.

Die Familien können davon ein Lied singen. Kinder konnten nicht in die Kita und nicht in die Schule gehen. Spielplätze waren zwischendurch geschlossen. Eltern pendelten zwischen Homeoffice und

Homeschooling und mussten die Last von Arbeit und Betreuung doppelt und auch alleine tragen.

Inzwischen sind Schulen und Kitas wieder in Betrieb, aber natürlich leider noch nicht auf dem alten Niveau. Die niedersächsischen Kindertagesstätten bieten jetzt einen eingeschränkten Regelbetrieb an und haben die Betreuungsquote erfreulicherweise wieder deutlich erhöht. Zum neuen Kita-Jahr sind dann hoffentlich wieder normale Betreuungszeiten möglich. Aber auch dann wird darauf zu achten sein, dass die Gruppen für sich separat bleiben, um im Falle eines Falles eine leichtere Nachverfolgung möglich zu machen.

Ähnlich schaut es in den Schulen aus, wo inzwischen wieder alle Jahrgänge Unterricht haben, allerdings nicht an allen Tagen und zeitweise gewissermaßen schichtweise. Ich bin inzwischen wieder in verschiedenen Schulen zu Besuch gewesen und habe mich gefreut, dass das umsichtige und verlässliche Vorgehen des Kultusministeriums dort auf viel Zustimmung und Anerkennung gestoßen ist. Ich habe auch den Eindruck, dass an den Schulen selbst enorme Anstrengungen unternommen worden sind, um den Infektionsschutz zu wahren und gleichzeitig das digitale Lernangebot weiter auszubauen. Herzlichen Dank für dieses Engagement!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Auf dieser Grundlage hoffen wir, dass im neuen Schuljahr wieder Normalität einkehrt, soweit es eben unter den Bedingungen von Corona möglich ist.

Wir sind uns aber auch der negativen Konsequenzen der letzten Monate bewusst, die vor allem auch für benachteiligte Schülerinnen und Schüler noch einmal eine zusätzliche Last gewesen sind. Es wird deswegen notwendig sein, so gut wie möglich Förderangebote gerade für diese Schülerinnen und Schüler zu unterbreiten. Das soll schon in den Sommerferien geschehen. Das Niedersächsische Kultusministerium arbeitet zusammen mit der evangelischen Kirche und mit anderen Trägern an einem entsprechenden Angebot während der Sommerferien. Auch das ist übrigens ein Vorhaben, das unter dem Dach des Bündnisses „Niedersachsen hält zusammen“ erfolgen wird.

Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn viele engagierte Menschen in dieser Zeit ihre Mithilfe anböten, um Kindern und Jugendlichen zu helfen, Rückstände aufzuholen. Das wäre ebenfalls ein

Beitrag zu der notwendigen Gemeinschaftsleistung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das alles wird sicherlich nicht auf Anhieb gelingen und nicht zu 100 %. Wir werden auch in den nächsten Monaten alle Beteiligten immer wieder um Engagement, aber auch um Geduld bitten müssen. Offenkundig ist für mich aber, dass wir insoweit auf dem richtigen Weg sind. Den Weg müssen wir konsequent weitergehen.