Protokoll der Sitzung vom 30.06.2020

Das alles wird sicherlich nicht auf Anhieb gelingen und nicht zu 100 %. Wir werden auch in den nächsten Monaten alle Beteiligten immer wieder um Engagement, aber auch um Geduld bitten müssen. Offenkundig ist für mich aber, dass wir insoweit auf dem richtigen Weg sind. Den Weg müssen wir konsequent weitergehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit „Zumutungen und Belastungen“ sind die Konsequenzen der Corona-Krise im Bereich der Wirtschaft nur unzulänglich beschrieben. Viele Unternehmen, viele Menschen machen sich unverändert existenzielle Sorgen. Hunderttausende von Beschäftigten befinden sich in Kurzarbeit und hoffen sehr, dass daraus nicht Arbeitslosigkeit wird.

Machen wir uns nichts vor: Wir befinden uns inmitten einer wirklich harten Wirtschaftskrise. Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts dürfte sich am Ende des Jahres bei uns in Niedersachsen - ebenso wie deutschlandweit - auf etwa 8 % belaufen. Viele Kennzahlen sind buchstäblich in den Keller gegangen. Die Arbeitslosenquote ist auf 6 % gestiegen.

Vor diesem Hintergrund - das sage ich sehr eindrücklich - müssen wir uns darauf einrichten, dass das zweite Halbjahr sehr schwierig werden wird. Wir sollten uns also auf eine ganze Reihe von schlechten Nachrichten einrichten.

Umso wichtiger ist dann aber eine beherzte und engagierte Politik gegen die Krise. Gerade in einer Situation wie der, in der wir uns jetzt befinden und an der ja niemand eine Schuld hat, muss der Staat nach meiner festen Überzeugung vorangehen und mit seinen Möglichkeiten die Konjunktur ankurbeln, Unternehmen und Arbeitsplätze retten und die Grundlagen für einen neuen Aufschwung legen. Wer, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollte es denn sonst tun, wenn nicht der Staat? Wir müssen vorangehen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Die Bundesregierung hat das mit einem Konjunkturpaket von sage und schreibe 130 Milliarden Euro getan. Wir haben gestern im Bundesrat einstimmig dem ersten Teil dieses Pakets zugestimmt. Wir halten dieses Programm nicht in allen seinen Teilen für der Weisheit letzten Schluss. Mit

Blick auf Niedersachsen hätten wir uns vor allem auch eine gezielte Ankurbelung der Autokonjunktur sehr gewünscht. Eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer wird da als Ausgleich kaum reichen. Insgesamt aber ist das Bundesprogramm ein klares und beeindruckendes Bekenntnis zur staatlichen Verantwortung und hilft dabei, die Wirtschaftskrise zu überwinden.

Als Landesregierung wollen wir auf diesem Programm aufsetzen und unseren Teil der Verantwortung übernehmen. Wir haben Ihnen inzwischen den Entwurf eines zweiten Nachtragshaushalts für dieses Jahr zugeleitet, über den der Landtag hoffentlich in zwei Wochen entscheiden wird. Darin haben wir Ihnen die Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen das Land seine Beiträge zur Krisenbewältigung im laufenden Jahr leisten kann.

Der Schwerpunkt ist der Bereich Wirtschaft, der sich in unterschiedlichen Facetten auf über 1,9 Milliarden Euro beläuft. Allein diese Zahl bringt zum Ausdruck, mit welcher Kraft wir uns engagieren wollen.

Wir wollen Unternehmen und Betriebe retten. Wir wollen ihnen durch Zuschussprogramme ebenso wie durch verbilligte Kreditangebote helfen, durch diese schwierige Zeit zu kommen. Wir wollen Mut machen zu Investitionen und entsprechende Anreize geben; denn nach der Krise werden in vielen Fällen Investitionen notwendig sein.

Wir wollen auch neue Unternehmen möglich machen und sie an den Start bringen können. Es darf in dieser Hinsicht keinen Fadenriss durch die Krise geben.

Und wir investieren weiter stark in den Klimaschutz, der noch einmal mit etwa 600 Millionen Euro in unterschiedlichen Ausprägungen ein wichtiger Teil des Programms ist und gleichzeitig ebenfalls konjunkturelle Belebung auslösen wird. Das Coronavirus, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird eines Tages überwunden sein. Aber der Klimawandel wird uns dann immer noch beschäftigen. Und daran müssen wir uns heute auch noch bei der Krisenbewältigung orientieren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Dann machen Sie das doch mal!)

Unsere Vorhaben sind, soweit es irgend geht, mit den Bundesprogrammen abgestimmt. Wir sehen den Einsatz von Landesmitteln insoweit als subsidiär an, wollen aber dazu beitragen, dass die

Bundeshilfen auch überall in unserem Land in vollem Umfang genutzt werden können.

Und wir wollen Förderlücken in den Blick nehmen, etwa bei den Anforderungen an die Kreditprogramme des Bundes. Diese Anforderungen sind teilweise durchaus hoch, und wir wollen Unternehmen eine Chance geben, die diese Hürden derzeit nicht aus eigener Kraft schaffen.

Gerade unter dem Druck der derzeitigen Verhältnisse fragen sich viele Unternehmen, wie es bei ihnen mit der Ausbildung weitergehen soll. Mit der Fachkräftesicherung ist es so, wie ich es eben für den Klimawandel gesagt habe: Diese Aufgabe wird uns erhalten bleiben, auch nach der Pandemie. Deswegen wollen wir jetzt gezielt auf Ausbildungsbetriebe zugehen und sie in ihren Anstrengungen unterstützen, trotz der Krise nicht nachzulassen und sogar noch mehr auszubilden als bislang. Das ist eine wesentliche Grundlage für einen erfolgreichen Neustart nach der Pandemie.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich diesen großen und wichtigen Teil unserer Vorschläge so zusammenfassen: In guten Zeiten profitiert das Land sehr von einer starken niedersächsischen Wirtschaft. In schlechten Zeiten müssen wir deswegen auch bereit sein, uns für Unternehmen und Arbeitsplätze zu engagieren. Das sind eben nicht nur Rettungsmaßnahmen, das sind auch Investitionen in eine gute gemeinsame Zukunft. Und genau diese Investitionen, meine sehr verehrten Damen und Herren, schlagen wir als Landesregierung Ihnen vor.

(Beifall bei der SPD)

Ein anderer großer Block unserer Vorhaben richtet sich an die niedersächsischen Städte, Gemeinden und Landkreise. Es ist und bleibt ein großer Vorzug des Staatsaufbaus in Deutschland, das er von unten her erfolgt. Die Basis sind die Kommunen. Dort entscheidet sich in vielen Fällen, ob Bürgerinnen und Bürger ihr Gemeinwesen als handlungsfähig, als stark und als aktiv ansehen, ob sie ihm vertrauen und ob sie sich von ihm geschützt fühlen.

In Niedersachsen ist das, über alles gesehen, ganz sicher der Fall. Dafür gibt es auch Gründe. Ich erinnere an das genannte Beispiel der Leistungsfähigkeit und des Engagements der Gesundheitsämter überall in unserem Land. Wenn das Land die Kommunen jetzt in dieser Krise nachhaltig unterstützt, dann helfen wir damit auch dem

gesellschaftlichen Zusammenhalt in Niedersachsen.

Wir haben uns mit den kommunalen Spitzenverbänden auf ein Paket verständigt, das auf den ersten Blick 1,1 Milliarden Euro umfasst, in Wirklichkeit aber deutlich darüber hinausgeht. Ziel ist es, trotz der hohen Steuerausfälle die Handlungsfähigkeit unserer Kommunen gerade auch in den nächsten beiden Jahren sicherzustellen und Einbrüche zu vermeiden. Unsere Unterstützung ergänzt diejenige des Bundes. Der Bund hat verdienstvollerweise aus Anlass seines Programms die kommunale Finanzlage nachhaltig und auf Dauer gestärkt. Die Kosten der Unterkunft werden künftig zu drei Vierteln vom Bund übernommen. Das ist für viele Kommunen auch bei uns in Niedersachsen eine der besten Nachrichten des Jahres. Ein Kompliment an die Bundesregierung zu dieser klugen Entscheidung!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ab- solut, das ist stark!)

Ich sagte es: In Wirklichkeit ist der Umfang des Landespaketes für die Kommunen noch deutlich höher. Viele Mittel für Investitionsförderungen, die wir vorsehen, kommen ja am Ende den Kommunen zugute, z. B. der Breitbandausbau, die Investitionen in die Krankenhäuser oder die Unterstützung beim ÖPNV.

Wir wiederholen in dieser Hinsicht eine Erfahrung, die wir auch vor viereinhalb Jahren gemacht haben. Gerade in harten Zeiten stehen das Land und die niedersächsischen Kommunen ganz eng beieinander. Wir wissen, was wir aneinander haben und dass wir uns gegenseitig brauchen. Das Land unterstützt deswegen unsere Kommunen in Niedersachsen in dieser Situation aus tiefer Überzeugung heraus, und das bringen wir mit unseren Vorschlägen zum Ausdruck.

Der dritte große Block, für den wir erhebliche Mittel vorsehen, ist der Gesundheitssektor. Mehr als 626 Millionen Euro haben wir dafür eingeplant, mit denen wir Vorsorge leisten wollen. Wir wollen, dass die Corona-Krise auch dann in Niedersachsen gut bewältigt werden kann, wenn sie schlechter verläuft, als wir alle das hoffen. Wir wissen, wie wichtig gerade in einer Krise leistungsfähige Krankenhäuser in der Fläche sind - mit Intensivbetten, Beatmungsplätzen und allem, was dazu gehört.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, was ich über die Bedeutung der Kommunen gesagt habe, gilt - gelegentlich im kleineren Maßstab - auch für viele, viele andere Bereiche unserer Gesellschaft. Wir nehmen sie im Alltag typischerweise als völlig normale und selbstverständliche Angebote wahr. Das gilt für die Arbeit in den Sportvereinen, in den Bildungsstätten, das gilt für Kunst und Kultur oder die großen Hilfsorganisationen in Niedersachsen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Tatsächlich leisten sie alle auf die eine oder andere Weise Beiträge für unser Gemeinwesen. Und auch in dieser Hinsicht gilt, was ich über Wirtschaft und Kommunen gesagt habe: Diese Partnerinnen und Partner in der Gesellschaft sind wichtig für uns. Sie sind - um ein in diesen Tagen vielfach verwandtes Wort zu gebrauchen - systemrelevant. Sie alle leisten an ihrer Stelle immer wieder Beiträge dafür, dass unsere Gesellschaft zusammenhält und funktioniert.

Genau diese Bereiche sind jetzt ebenfalls hart von der Krise getroffen worden. Sie konnten vielfach Angebote nicht unterbreiten, hatten Einnahmeausfälle zu verzeichnen und fragen sich jetzt, wie es weitergehen soll. Wir sind überzeugt davon, alle diese Gruppen, Institutionen, auch Einzelpersonen verdienen eine Unterstützung durch das Land, und das Land tut sich und den Bürgerinnen und Bürgern am Ende des Tages einen großen Gefallen, wenn es diese Unterstützung jetzt so gut, wie es geht, leistet.

(Zustimmung bei der SPD)

Es ist in diesen Tagen viel von Rettungsschirmen die Rede. Seien wir ehrlich! In diesem ersten Halbjahr des Jahres 2020 ist viel Substanz verloren gegangen, und das ist auch für die nächsten Monaten zu befürchten. Wir können niemandem versprechen, dass alles beim Alten bleibt. Wir können allerdings mit allem Nachdruck unsere Beiträge dazu leisten, dass die Arbeit in unserer Gesellschaft und für unsere Gesellschaft weitergehen kann. Dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir fest entschlossen!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hilfen, die ich eben nur angerissen habe und die uns im Einzelnen ja noch intensiv beschäftigen werden, sind allesamt notwendig. Sie werden aber auch zu bezahlen sein. Wir befinden uns im ersten Jahr der Schuldenbremse, und es hat schon einen beson

deren Beigeschmack, dass dieses Jahr gleichzeitig das Jahr einer historischen Neuverschuldung werden wird - im Bund, in den Ländern und auch bei uns in Niedersachsen. Durch die Unterstützungsvorhaben, durch die weitere Vorsorge für das zweite Halbjahr, durch Steuermindereinnahmen und hohe Steuerausfälle ergeben sich Lasten für die Zukunft, die hier nicht verschwiegen werden sollen.

Das Jahr 2020 wird noch viele Jahre lang die folgenden Landeshaushalte prägen - besser gesagt: belasten. Wir haben uns innerhalb der Landesregierung darauf verständigt, uns mit Augenmaß, aber eben auch zügig an diese Arbeit zu machen.

Für das Jahr 2024 erwarten wir, dass die konjunkturelle Krise dann hoffentlich überwunden ist. Dann wollen wir mit der Tilgung der eingegangenen Lasten beginnen und diese in den darauffolgenden 25 Jahren durchführen.

Das ist - ohne Umschweife - ein hoher Preis. Ich bin allerdings auch zutiefst davon überzeugt, dass es die mit Abstand günstigste Option ist, die sich uns derzeit stellt. Unsere gesamte Gesellschaft steht auf dem Prüfstand. Ich habe Ihnen in den vergangenen Minuten viele, viele Beispiele genannt. Wenn wir den Charakter unserer Gesellschaft als aktiv, solidarisch und am Ende eben auch bemerkenswert erfolgreich erhalten wollen, dann müssen wir diese Strukturen jetzt schützen. Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, stehen wir ein.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir brauchen auch in der Zukunft alle diese Beiträge - aus der Wirtschaft, aus den Kommunen, aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren. „Niedersachsen hält zusammen“ bringt eine Haltung zum Ausdruck, aber mit dieser Haltung allein wird es nicht getan sein. Wir bitten Bürgerinnen und Bürger ganz persönlich, in den nächsten Monaten vorsichtig, umsichtig und hilfsbereit zu bleiben. Wir bitten Verbände und Institutionen, dabei mitzuhelfen, dass unsere Gesellschaft diese Herausforderung erfolgreich bewältigt. Und wir als Land wollen dabei mit gutem Beispiel vorangehen und haben Ihnen dafür unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte eingangs: An das erste Halbjahr des Jahres 2020 werden wir uns alle miteinander noch lange erinnern. - Es ist gut möglich, dass das auch für das zweite Halbjahr gilt. Die Bewährungsprobe, in der wir stehen, dauert unvermindert an. Wir können

nach den gemachten Erfahrungen das zweite Halbjahr aber mit Selbstbewusstsein und Zuversicht angehen. Wir haben gerade in den vergangenen Wochen und Monaten enorm viele Beispiele für Bürgersinn, Engagement und Gemeinwohlorientierung erlebt. Das macht Mut, und dazu brauchen wir in den nächsten Monaten wieder die Beiträge von allen.

Die Landesregierung jedenfalls ist fest entschlossen, alles dafür zu tun, dass wir in Niedersachsen aus der Corona-Krise erfolgreich hervorgehen, und zwar am besten noch stärker, als wir hineingegangen sind. Lassen Sie uns im zweiten Halbjahr 2020 daran arbeiten!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, für die Abgabe der Regierungserklärung.

Die Regierungserklärung hat 25 Minuten gedauert. Das bedeutet für die drei Oppositionsfraktionen 17 Minuten Redezeit und für die Fraktionen der SPD und der CDU die gleiche Redezeit.

Nun darf ich der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Frau Julia Willie Hamburg, das Wort geben. Bitte, Frau Kollegin!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident hat eine Regierungserklärung zum Thema „Corona - Wie sieht das zweite Halbjahr 2020?“ aus angemeldet. Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das ist auch angemessen; denn Niedersachsen wartet auf Antworten auf genau diese Frage.