Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident hat eine Regierungserklärung zum Thema „Corona - Wie sieht das zweite Halbjahr 2020?“ aus angemeldet. Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das ist auch angemessen; denn Niedersachsen wartet auf Antworten auf genau diese Frage.
Ich muss aber deutlich sagen: Wenn das Handeln der Landesregierung nicht über Istzustands- und Problembeschreibungen hinausgeht - wie es in der Rede des Ministerpräsidenten gerade der Fall war -, dann erwartet uns wohl leider ein düsteres zweites Halbjahr 2020. Denn so werden wir Niedersachsen nicht voranbringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sie haben vollkommen recht: Wir sind bislang in Deutschland und Niedersachsen sehr gut durch diese Krise gekommen. Der Dank gilt insbesondere den vielen Menschen, die im Gesundheitswesen, aber auch in den Verwaltungen der Kommunen und des Landes dafür gearbeitet haben, und zwar in einer Krise, für die es nun einmal keine Blaupause gibt. Der Dank gilt auch all den Menschen in Niedersachsen, die sich an die Regeln gehalten haben. Das Virus ist nicht weg; das müssen wir deutlich betonen. Deswegen wird es auch weiter darum gehen, miteinander solidarisch zu sein und aufeinander aufzupassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber was ist jetzt Ihre Aufgabe in dieser Zeit, Herr Ministerpräsident? - Ihre Aufgabe wäre es, Perspektiven aufzuzeigen, wie wir aus der Krise kommen und uns gesellschaftlich so aufstellen können, dass die Krise eben nicht zu einem erneuten Herunterfahren des öffentlichen Lebens führt. Da hatte Ihre Rede riesige Leerstellen, die Sie, bitte, dringend schließen müssen, Herr Ministerpräsident.
Es stellen sich doch viele Fragen: Wie wollen wir unsere Gesellschaft, die Wirtschaft, die Schulen, die Kitas pandemiefest aufstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen? Dazu habe ich von Ihnen heute sehr wenig gehört. Gerade die Schulen, gerade die Familien, gerade die Unternehmen warten doch auf Antworten! Es kann doch nicht sein, dass wir bei wieder steigenden Infektionszahlen wieder alle Schulen herunterfahren! Da geht es auch um Prioritätenentscheidungen, die wir endlich treffen müssen. Denn es war ein Fehler, als Erstes die Schulen zu schließen und sie als Letztes wieder zu öffnen.
Aber was ist Ihre Antwort? - Bei Ihnen regiert offensichtlich das Prinzip Hoffnung, Herr Ministerpräsident. Während etwa Berlin eine Ampel auf den Weg gebracht hat, die deutlich anzeigt, wann welche Maßnahmen ergriffen werden, was für jede Bürgerin und jeden Bürger, für jedes Unternehmen und jede Schule sichtbar ist, hat Niedersachsen in dem Bereich bislang wenig Vorsorge getroffen und für wenig Transparenz gesorgt.
Dabei stellen sich doch genau jetzt die Fragen: Wie stellen wir die Schulen auf? Wie stellen wir die Gesellschaft auf? Aber auch: Welche Rolle spielt z. B. der Arbeitnehmerschutz mit Blick auf die Verhinderung von großen Infektionsgeschehen? Wel
che Rolle spielen Armut, prekäre Beschäftigung, schlechte Wohnverhältnisse, wenn es darum geht, große Infektionsgeschehen zu vermeiden? Und vor allen Dingen: Wie unterstützen wir die Kommunen, die von großen Infektionsgeschehen betroffen sind? Denn da stößt der Öffentliche Gesundheitsdienst massiv an Grenzen.
Man gewinnt den Eindruck, dass alle diese Fragen bei Ihnen deutlich zu kurz kommen. Nehmen wir das Thema Missbrauch von Werkverträgen, Herr Ministerpräsident. Dieses Thema ist Ihnen seit Langem bekannt. Bereits 2013 haben Sie erste Besuche in diesem Bereich und sich selbst ein Bild der Lage gemacht. Meine Kollegin Miriam Staudte hat schon im März gesagt: Wir müssen bei den Wohnbedingungen anfangen. Wir müssen hinschauen, wenn Werkverträge missbraucht werden. Denn genau in diesem Bereich drohen Infektionen.
Jetzt ist Juni. Und was macht Ihre Agrarministerin Otte-Kinast? - Sie unterwandert sogar die guten Entscheidungen der Bundesregierung und möchte hier Lockerungen. Was macht Ihre Sozialministerin? - Sie hat in der letzten Woche gesagt, dass Sie jetzt anfängt, Quarantänepläne zu erstellen. Jetzt, Herr Ministerpräsident! Seit März hätten Sie daran schreiben müssen! Das ist unfassbar.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP - Christian Meyer [GRÜNE]: Nicht aufgewacht! Unverantwortlich!)
Da müssen Sie sich als Bundesland klar positionieren und den Bund bei seinen Bestrebungen deutlich unterstützen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Oder nehmen wir das Beispiel Schulen: Noch immer warten die Schulen auf Antworten, wie es im kommenden Schuljahr weitergeht. Normalerweise wird ein Schuljahr im April geplant. Jetzt ist Ende Juni. Die Sommerferien stehen vor der Tür. Aber außer, dass die Schulen im nächsten Jahr mit Personalkürzungen zu rechnen haben, hat der Kultusminister ihnen noch nichts mitgeteilt. Dabei brauchen sie gerade jetzt Verlässlichkeit und nicht größere Klassen. Sie brauchen gerade jetzt mehr und nicht weniger Personal, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ihr Handeln geht hier an der Realität vorbei.
Hier rächt sich auch der Rückstand bei der Digitalisierung. Von den Geldern, die der Minister zur Verfügung gestellt hat, sind gerade einmal 2 % abgeflossen. Können Sie sich vorstellen, wie wenig Kinder und Jugendliche im Land so mit Laptops versorgt werden konnten?
Jetzt müsste bereits die entsprechende Infrastruktur an den Schulen vorhanden sein. Wenn der Minister erst jetzt Finanzbescheide überreicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das viel zu spät. Jetzt rächt sich auch, dass Sie Laptops nicht als Lernmittel anerkannt haben. Wenn Sie das getan hätten, hätte jetzt schon längst jede Schülerin und jeder Schüler einen Laptop und könnte zu Hause damit lernen und arbeiten.
Der Wissenschaftsminister hat Digitalisierungsprofessuren auf den Weg gebracht - 50 Stück. Wissen Sie, wie viele davon in den Bereich Didaktik und Schulen gingen? - Keine einzige, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das hätte jetzt der Motor für die Digitalisierung unserer Schulen sein können. Das war eine Fehlentscheidung.
Die Sommerschulen, Herr Ministerpräsident, sind richtig. Aber sie lösen nicht das Bildungsgerechtigkeitsproblem, das wir in Niedersachsen aufgrund der Corona-Krise haben. Hier brauchen wir deutlich mehr Antworten.
Streuen Sie doch den Eltern keinen Sand in die Augen! Sie sagen jetzt, Sie hoffen auf einen Regelbetrieb. Im Kleingedruckten steht dabei: sofern Corona es möglich macht. - Andersherum wird doch ein Schuh daraus! Sie müssen sagen, wie man den Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen aufrechterhalten kann, und den Eltern und Schulen endlich Verlässlichkeit geben. So müsste das laufen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sie sehen, es gibt viele offene Fragen. Ich hätte mich heute über Antworten gefreut, Herr Ministerpräsident.
Was mich übrigens zum zweiten Nachtragshaushalt führt: Sie, Herr Weil, sagen, man muss jetzt kräftig gegen die Krise investieren. - Gegen diese Analyse habe ich erst mal gar keinen Widerspruch zu erheben. Herr Althusmann sagt: Auf den Wumms des Bundes muss ein Rumms folgen! - Ich sage Ihnen, was folgt: ein müdes Echo ohne eigenen Gestaltungswillen.
Ihre Problembeschreibung ist richtig, aber wo ist im Nachtragshaushalt die Handlungsebene für all die Probleme, die Sie aufgemacht haben? - Das kann ich beim besten Willen nicht erkennen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte nicht kleinreden, dass die 8 Milliarden Euro eine große, wirklich eine riesige Summe sind. Aber wenn wir sie genau betrachten, fällt sie schnell in sich zusammen; denn allein 5 Milliarden Euro davon investieren wir in Einnahmeausfälle. Davon ist noch nicht ein Cent in Investitionen und zusätzliche Konjunkturimpulse geflossen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ferner wollen Sie noch Geld für die Vorsorge zurücklegen. Auch das ist vollkommen richtig. Das müssen wir; denn wenn die Krise wieder ausbricht, brauchen wir diese Mittel. Aber von kraftvollem Agieren kann dann mit den Restmitteln nun wirklich nicht mehr die Rede sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es wäre fatal, wenn Ihre Bemühungen in diesem Bereich mit diesem Nachtragshaushalt enden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es ist auch ein Fehler, dass Sie nicht den Niedersachsen-Fonds auflegen wollen, den der DGB vorgeschlagen hat. Genau das bräuchte es jetzt! Das wäre ein kraftvolles Zeichen für Investitionen in die Zukunft. Das müssten wir auf den Weg bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch im Bereich der Kommunen tut das Land, ehrlich gesagt, nur das, was der Bund von Ihnen bei den Corona-bedingten Ausgaben erwartet: Sie tun das Nötigste. Dabei wäre es jetzt entscheidend, für die kommenden Jahre langfristige und verlässliche Konjunkturimpulse und Investitionen anzukündigen und zuzusagen, Herr Ministerpräsident.
Und dann werden Sie mir gleich erzählen: Na ja, die FDP möchte sparen, die Grünen wollen Geld ausgeben, und wir sind wieder die goldene Mitte!
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Lesen Sie mal die Anträge der FDP der letzten zwei Jahre! Dann wüssten Sie, dass die FDP, wenn sie regieren würde, deutlich mehr Geld ausgeben würde, als Sie das machen. Da sind sie nämlich eigentlich auf unserer Seite.
(Beifall bei den GRÜNEN - Wiard Sie- bels [SPD]: Jetzt bringen Sie aber die FDP in Schwierigkeiten! Von denen klatscht ja gar keiner!)
- Na ja, sie regieren ja gerade auch noch nicht. Gerade müssen sie ja erzählen, dass sie sparen wollen. Damit kann ich leben. Das ist ihre Rolle, die sie einnehmen und ausfüllen. Aber machen Sie sich mal die Freude, zu gucken, was allein die FDP in den Corona-Zeiten gefordert hat!
Sie, Herr Ministerpräsident, wollen die Steuereinnahmen in vier Jahren wieder auf dem Vorjahresniveau haben. Dann müssen Sie aber nicht nur vom Investieren sprechen, sondern Sie müssen tatsächlich auch investieren! Denn wenn Sie in die Krise hineinsparen, haben wir genau das Problem, dass wir in vier Jahren eben nicht wieder sprudelnde Einnahmen haben werden, sondern dass sich die Wirtschaftskrise deutlich verschärft.
Der Niedersachsen-Fonds hat doch den Charme, dass wir eine Milliarde unseres Landeshaushalts in diesen Fonds investieren und damit dann Milliarden hebeln, die wir in die Zukunft, investieren müssen: in die Bewältigung der Klimakrise - wir haben das dritte Dürrejahr in Folge; hier muss deutlich mehr passieren, als Sie angedacht haben -, in soziale Gerechtigkeit, in die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen und nicht zuletzt auch für eine Wirtschaftstransformation, die uns ja bevorsteht und die wir aktiv steuern müssen.
Ich möchte auch noch einen weiteren Aspekt nennen: Wenn wir wollen, dass das Steuereinnahmeniveau in vier Jahren wieder hoch ist, müssen wir die ganze Krise europäisch und global denken. Denn wir sind noch ein Exportland. Wir können gar nicht ohne unsere Europäische Union, ohne die globalen Beziehungen irgendetwas bewegen. Das heißt, auch da muss sich Deutschland deutlich mehr bewegen!
Herr Ministerpräsident, Sie bedauern, dass es keine Autoprämie gibt. Wissen Sie, was ich bedauere? - Dass der Bund 130 Milliarden Euro hebt und keine zielgerichteten Maßnahmen zur Armutsprävention auf den Weg bringt. Herr Ministerpräsident, das ist ein Armutszeugnis.
Über die sozialen Schieflagen habe ich schon viel geredet. Das kennen Sie bereits. Deswegen erzähle ich Ihnen heute etwas anderes: Niedersachsen
braucht keine Autoprämie - Niedersachsen braucht eine Mobilitätsprämie, liebe Kolleginnen und Kollegen! Denn wir leben in einem Wandel der Mobilität. Dann wollen sich die Bürgerinnen und Bürger im Zweifel kein Auto kaufen, sondern das Geld in andere Fortbewegungsmöglichkeiten investieren.
Was Niedersachsen auch braucht, ist ein Masterplan für sozialökologische Transformation, Herr Ministerpräsident. Die Gesellschaft und die Wirtschaft haben die Richtung schon längst eingeschlagen. Wir wissen, dass wir uns wandeln werden und wandeln müssen. Die Notwendigkeit dafür ist schon längst erkannt. Das ist ja auch in Ihrer Rede deutlich geworden. Aber genau deshalb braucht es hier eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Akteurinnen und Akteure in Niedersachsen, um diesen Wandel der Wirtschaft auch voranzubringen und zu unterstützen.
Herr Ministerpräsident, da sind Sie in der Verantwortung, gemeinsam mit dem Bund und mit Europa beherzt zuzupacken, Rahmenbedingungen vorzugeben, diesen Wandel zu gestalten und dafür Geld in die Hand zu nehmen. Denn gerade Niedersachsen wird darauf angewiesen sein, dass wir diesen Wandel gut gestalten, um niemanden zurückzulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.