Protokoll der Sitzung vom 30.06.2020

Auch ich habe mein Problem damit, Finanzhilfen an Unternehmen zu verteilen, die Boni und Dividenden zahlen und die große Gewinne machen. Aber ich verstehe nicht, dass Sie diese Bedenken beiseiteschieben, sobald das Produkt geändert wird. Mit Verlaub: Ob es nun ein E-Mobil oder ein Verbrenner ist - das Problem mit den Dividenden und den Boni stellt sich in gleicher Weise.

Die Förderung der E-Mobilität - für die ich große Sympathie habe - wird nach meinem Dafürhalten nicht dazu führen, dass in der jetzigen Krise die Konjunktur sofort wieder anspringt. Wenn Sie sich derzeit ein E-Mobil kaufen wollen, dann werden Sie merken, dass Sie Lieferfristen bis zu einem Jahr haben. Die Fabriken wird es so schnell gar nicht geben.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Deswegen muss man natürlich darüber nachdenken, was mit all diesen Verbrennern geschieht, die da draußen auf Halde stehen.

Und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument, die Menschen wollten jetzt gar keine Autos mehr kaufen. Da fragt man sich: Auf welchem Stern leben Sie eigentlich?

(Zustimmung bei der CDU und von Johanne Modder [SPD])

Der Umsatzrückgang bei Pkw in Deutschland beträgt seit Beginn der Corona-Krise 60 %.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

60 % weniger verkaufte Pkw! Das ist nicht so, weil die Leute alle ein Fahrrad kaufen wollen, sondern das hat andere Gründe. Und da muss man sich in der Tat die Frage stellen: Sollte man nicht auch Anreize geben, um Verbrenner verkaufbar zu machen?

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Sie sehen nicht, dass wir verschiedene Krisen haben!)

- Ja, eben, Frau Kollegin Staudte, wir haben verschiedene Krisen. Aber wo es zusammenpasst, sollte man auch beide gemeinsam bekämpfen. Ich sage es noch einmal: Mit dem Verkauf von EAutos werden Sie weder die Corona-Krise lösen noch derzeit Arbeitsplätze schaffen. Das ist das Problem. Aber wir müssen den Menschen jetzt schnell helfen.

Der Ministerpräsidenten hat ganz mutig die eigene SPD-Spitze kritisiert, indem er gesagt hat: Sorry, so wie ihr das macht und nur die E-Mobilität fördert, geht das nicht. - Ich zitiere ihn mit folgendem Satz aus dem Spiegel:

„Wenn wir jetzt ignorieren, dass es noch geraume Zeit Autos mit Diesel- und Benzinmotor geben wird, dann riskieren wir den Verlust Zigtausender Arbeitsplätze.“

Herr Ministerpräsident, das ist richtig. Das ist auch die Haltung der CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Liebe Frau Hamburg, Sie fordern diesen Ministerpräsidenten auf, er solle etwas zum Thema Armutsprävention sagen. Aber genau das ist der Punkt: Wenn wir nämlich diese Arbeitsplätze verlieren, dann werden wir über Armutsprävention in ganz anderer Weise reden müssen. Da draußen sind nämlich Arbeitsplätze akut bedroht.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das rettet die Arbeitsplätze aber nicht! Die gehen ins Ausland!)

Wir wollen in dieser Zeit auch Solidarität mit denjenigen Industriearbeiterinnen und Industriearbeitern zeigen, die dieses Land aufgebaut haben, die mit ihrem Beitrag zum Aufbau einer Automobilindustrie in Niedersachsen auch zu Wohlstand und Demo

kratie beigetragen haben. Wir lassen diese Industriearbeiterinnen und Industriearbeiter jetzt nicht im Stich, ob sie nun direkt in der Automobilindustrie oder in den Zulieferbetrieben arbeiten. Das ist unsere Haltung.

Eben wurde das Thema Kurzarbeit angesprochen. Ich will die Zahlen noch einmal nennen: In der Finanzkrise 2008/2009 hatten wir jeden Vierzigsten in Kurzarbeit. Jetzt ist es jeder Vierte. Das zeigt die Dimension, und da müssen wir in der Tat Solidarität zeigen.

Ich stelle mir allerdings manchmal die Frage, ob diese Solidarität tatsächlich von allen gelebt wird. Manchmal sind es Einzelfälle, die mich nachdenklich machen, und ich frage mich, ob ich sie ansprechen darf, weil ich als Abgeordneter zugegebenermaßen keine Existenzängste und keine großen Verluste habe. Aber ich tue es trotzdem, wenn ich sehe, dass da gerade etwas schiefläuft.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen von dem Verfahren eines Steinhuder Gastwirtes gegen das Land Niedersachsen gelesen hat. Dieser Gastwirt hat das Land Niedersachsen auf 10 000 Euro Schadenersatz verklagt, weil er in Zeiten von Corona kein Sonderopfer leisten will. Er hat gesagt, er hat 20 000 Euro als Überbrückungszuschuss gekriegt, aber diese 10 000 Euro will er auch noch.

Meine Damen und Herren, es bleibt jedem unbenommen, seine Rechte vor Gericht durchzusetzen. Ich frage mich nur, was ich denjenigen Menschen erzählen soll, die derzeit in Kurzarbeit sind, die nicht wissen, ob sie im Dezember noch ihren Arbeitsplatz haben, die vielleicht viel, viel mehr verlieren, wenn andere, deren Hütte bereits wieder voll ist, meinen, sie hätten Anspruch darauf, dass bei ihnen ausgeglichen wird. Ich finde, dem muss man deutlich widersprechen.

(Zustimmung bei der CDU und von Johanne Modder [SPD])

Man muss nicht nur an die Lufthansa-Piloten denken. Die werden, Gott sei Dank, gut bezahlt. Aber wenn die jetzt auf 45 % ihres Einkommens verzichten wollen, dann weiß man, in welchen Dimensionen sich andere bewegen.

Damit komme ich zur Tourismusbranche. Mir ist bewusst, dass die Tourismusbranche besonders gelitten hat. Da will ich mich der Kollegin Hamburg durchaus anschließen und sagen, wir müssen diskutieren, wie wir das Land künftig anders aufstellen und wie wir die Wirtschaft künftig aufbauen. Das ist richtig. Gerade der Tourismus eignet sich

sehr gut, um darüber nachdenken, welche Chancen Corona sozusagen bietet. Es geht darum, einen nachhaltigen und umweltschonenden Tourismus aufbauen. Wir können die jetzige Situation nutzen, um, wie es der Ministerpräsident gesagt hat, mit dem Tourismus besser aus der Krise zu kommen, als wir hineingegangen sind. Zum Bereich Kreuzfahrtschiffe, aber auch zum TUI-Konzern fällt mir da einiges ein - bei gastronomischen Betrieben allerdings weniger.

Jetzt komme ich zur dritten niedersächsischen Kernbranche, den Schlachthöfen. Das, was in den Schlachthöfen passiert ist, ist für alle Beteiligten peinlich. Es ist peinlich für die Betreiber und peinlich für die Politik. Dem stimme ich völlig zu. Aber ich finde, wir müssen jetzt nach vorne blicken. Ich bin den Landwirtschaftsministerinnen aus NRW, aus Niedersachsen und vom Bund ebenso wie dem Bundesarbeitsminister und dem niedersächsischen Wirtschaftsminister dankbar, dass man sich jetzt auf einen gemeinsamen Weg geeinigt hat.

Wir sollten aufhören, zurückzugucken und zu fragen, wer das Problem in der Vergangenheit nicht gelöst hat. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Debatten, die hier dazu geführt worden sind. Ich erinnere ich mich mit Freude an so manches Rededuell zum Mindestlohn in der Fleischindustrie, in dem ich als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion Jörg Bode verteidigt habe, während Olaf Lies den Mindestlohn eingefordert hat. Ich war in einer schwierigen Situation, weil der betroffene CDU-Landesverband Oldenburg immer gesagt hat, da muss etwas passieren. Tatsächlich ist aber nichts passiert.

(Vizepräsident Bernd Busemann übernimmt den Vorsitz)

Aber es hat sich durchaus auch etwas geändert. Ich erinnere mich an den Abbruch der Gespräche unter Wirtschaftsminister Olaf Lies und Landwirtschaftsminister Meyer. Ich habe mir noch einmal herausgesucht, was Christian Meyer damals zum Scheitern der Gespräche mit der Fleischindustrie gesagt hat. Auf der Webseite des MW ist dieses Zitat noch zu finden:

„Offenbar haben die Unternehmen immer noch nicht verstanden, welchen ungeheuren Imageschaden sie sich selbst zufügen.“

Mit anderen Worten: Damals war es nicht einmal möglich, ein Gespräch zu führen. Insofern haben wir mittlerweile durchaus eine Änderung erzielt. Ich glaube, die Branche hat es verstanden. Hier soll

ten wir erfolgreich fortfahren und versuchen, die Verhältnisse dort zu verändern. Ich bin sicher, das wird auch gelingen.

(Zustimmung bei der CDU und bei Johanne Modder [SPD])

Hendrik Brandt hat in der HAZ den Antritt der drei CDU-Ressortchefinnen „mutig“ genannt. Ich finde, er war nicht nur mutig, sondern er war überfällig und folgerichtig. Aber mutig war die Aussage dieser Landwirtschaftsministerin, die gesagt hat: Wir haben weggeguckt. - Sie hat es zugegeben, sie hat es eingeräumt.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Aber nicht alle!)

- Was nützt es Ihnen denn, wenn jetzt jeder hier nach vorne geht und sagt - - -

(Zuruf von Miriam Staudte [GRÜNE])

- Frau Staudte, ich verweise auf den aktuellen Spiegel. „Tatort Tönnies“ lautet der Aufmacher. Darin lesen Sie davon, dass der sogenannte Kotelett-Kaiser vor 30 Jahren ein System in der Fleischindustrie etabliert hat, das wir heute beklagen. Vor 30 Jahren! Jetzt rechne ich mal zurück: Das war 1990. - Von 1998 bis 2005 hatten wir eine rotgrüne Bundesregierung, eine SPD-geführte Landesregierung hier in Niedersachsen und eine rotgrün geführte Landesregierung in NRW. Aber da ist nichts passiert! Also sagen Sie doch nicht immer, Sie hätten hingeschaut. Sie haben nicht hingeschaut! Mit diesem Rückblick kommen wir in der Sache nicht weiter.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen mutig weitermachen. Wir werden an ganz anderer Stelle mutig weitermachen. Diese Ministerin hat beim Thema Fleisch nämlich schon einmal sehr viel Mut bewiesen, als sie die Einführung einer Fleischsteuer gefordert hat. Die Einführung neuer Steuern ist für Christdemokraten schwierig; so etwas fordern wir eigentlich nicht. Aber in einem Punkt gebe ich dieser Ministerin vollständig recht: Fleisch wird teurer werden, Fleisch darf nicht mehr verramscht werden. Denn anders ist es nicht möglich, dass diejenigen, die Fleisch produzieren, dass diejenigen, die Tiere schlachten und zerlegen, leistungsgerecht und angemessen bezahlt werden. Das muss passieren.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Frau Hamburg, zurück zur parlamentarischen Arbeitsebene. Sie haben es völlig versäumt, zu dem Antrag zu reden, der gleich mitberaten werden soll.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das macht Herr Meyer gleich!)

- Oh, sehr gut. Entschuldigung! Dann werde ich jetzt vorwegnehmen, was wir von diesem Antrag halten.

(Zuruf von Julia Willie Hamburg [GRÜNE])

- Ja, das macht es schwierig für mich, aber das kriege ich schon hin.

Sie wollen einen Antrag beschließen, in dem sinngemäß steht: Diese Corona-App ist toll, aber so was von gefährlich.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Nein!)

Das ist so, als wenn Sie die Menschen zu einer Darmspiegelung bewegen wollen und gleichzeitig sagen: Damit sind aber die und die Risiken verbunden. - So wird das nicht funktionieren.