Protokoll der Sitzung vom 01.07.2020

(Glocke der Präsidentin)

Ich kann mich erinnern, wie ich vor sieben oder acht Jahren eine meiner ersten Reden hier im Landtag - noch in der alten Einrichtung mit dem grünen Teppichboden - gehalten habe. Da ging es um den Antrag der FDP, die sexuelle Identität in die Verfassung zu schreiben - eine richtige und wichtige Forderung, die auch eine Forderung von SPD und Grünen ist. Das ist leider noch nicht in unserer Landesverfassung enthalten.

Das gilt auch für eine Änderung mit Blick auf den Begriff „Rasse“, wobei ich den Vorschlag der FDP, ihn zu streichen, falsch finde. Wir müssen den Begriff „rassistisch“ in die Verfassung schreiben,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

weil wir sonst suggerieren, dass es diesen Rassismus in Deutschland nicht gibt. Eine Streichung setzt genau das falsche Signal. Ich weiß, dass Sie das nicht wollen.

Herr Kollege Prange, Sie müssten zum Schluss kommen, bitte.

Das ist auch kein Vorwurf. Aber ich glaube, eine solche Neu-Formulierung bzw. die Nicht-Formulierung ist eine falsche Lösung für unsere Verfassung.

Und deswegen möchte ich hier ausdrücklich dafür werben, was wir im letzten Rechtsausschuss besprochen haben, dass wir uns zusammensetzen und dass wir hier eine Lösung finden.

Herr Kollege Prange, jetzt müssen Sie den Satz beenden.

Denn in der Verfassung sind die Grundwerte unseres Zusammenlebens geregelt, und dort müssen wir dieses klare Bekenntnis haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Prange. - Für die CDU-Fraktion erhält der Kollege Christian Calderone das Wort.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Prange sehr dankbar, dass er in dieser Debatte hier ausgewogene Worte gefunden hat. Ich war etwas betroffen über einige Wortbeiträge zu Beginn dieser Diskussion in der Aktuellen Stunde. Mir scheint, dass es Stammtische unterschiedlicher Farbgebung gibt. Ich glaube, diese Stammtische unterschiedlicher Farbgebung helfen uns in dieser Debatte in keiner Weise,

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Was wollen Sie denn damit sagen, Herr Calderone?)

sondern wir brauchen Aufklärung, wir brauchen Nüchternheit und eine ganzheitliche Betrachtung der Problematik.

Ich möchte darauf eingehen, was der Kollege Prange in Sachen Verfassungsänderung gesagt hat. Ich glaube, da sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt. Ich habe hier im Plenum ja auch schon einmal formuliert, dass der Rasse-Begriff aus heutiger Sicht sicherlich sehr problematisch ist und dass wir uns, auch weil man die Verfassung nur mit Bedacht ändert, gemeinschaftlich überlegen sollten, wie eine Formulierung aussehen könnte.

Ich habe eben gesagt, dass wir aufklärend wirken müssen, dass wir die Dinge sachlich betrachten müssen. Das trifft, glaube ich, nicht auf das zu - die Vorredner haben es schon gesagt -, was die Vorsitzende der SPD Deutschlands in dieser Sache gesagt hat. Das macht mich genauso betroffen.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ich glaube, die Menschen, die von Ras- sismus betroffen sind, sagen etwas dazu und nicht zur Polizei!)

Denn wer der Polizei einen latenten Rassismus vorwirft, Frau Kollegin, der handelt nicht und der klärt tatsächlich nicht auf, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Und wer angesichts der Ereignisse in den USA die sehr verständliche und, soweit sie friedlich ist, auch sehr nötige Bewegung „Black lives matter“ zum Thema einer Aktuellen Stunde macht, der hat, glaube ich, auch die Verpflichtung, die Dinge ganzheitlich zu betrachten. Da sind wir aufgefordert, nicht nur Richtung Rassismus, nicht nur Richtung rechts oder Richtung links, sondern auch Richtung Ausländerextremismus, Richtung Antisemitismus und Richtung Islamismus zu blicken, zumal Rassismus nicht automatisch einem bestimmten Phänomenbereich zuzuordnen ist, sicherlich im Großteil der Sachverhalte schon, aber nicht automatisch.

Es ist, glaube ich, elementar, dass wir uns die gesamten extremistischen Bewegungen anschauen, die wir in der Bundesrepublik haben, die mir tatsächlich Sorge machen und die eine gemeinsame Herausforderung für unseren Staat sind. Deswegen ist es gut, dass das Justizministerium und Barbara Havliza - Kollege Prange hat es gesagt - die extremismuspräventive Arbeit des Landespräventionsrates auf alle Phänomenbereiche

ausgeweitet haben. Denn die Beschränkung auf lediglich den Rechtsextremismus, die wir in der vergangenen Periode hatten, trifft nicht die gesellschaftliche Realität. Immerhin ist die Hälfte aller extremismuspolitischen Straftaten in Niedersachsen eben nicht rechtsextremistischer Natur. Deswegen müssen wir die Maßnahmen ausweiten und haben sie mit 250 000 Euro aus der politischen Liste ausgeweitet.

Schließlich arbeitet das Justizministerium an einem umfassenden Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, der alle Ministerien umfassen soll. Das halte ich ebenfalls für erforderlich; denn Rechtsextremismus, Rassismusbekämpfung und Extremismusbekämpfung sind eine umfassende Herausforderung und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und müssen deshalb auch durch alle Ministerien bearbeitet werden.

Aber Rechtsextremismus ist nicht erst seit November 2017 ein Phänomen. Im Gegenteil. In den Jahren 2015 und 2016 gab es in Niedersachsen sogar deutlich mehr rechtsextremistische Straftaten als in den Jahren 2018 und 2019.

Und wenn die Grünen in der Aktuellen Stunde fragen, wo der Aktionsplan Antirassismus bleibt, dann frage ich ebenfalls: Wo ist der Plan? Was hat denn die grüne Justizministerin in Sachen Aufklärung und Handlung getan? Wo ist der Plan der vergangenen Jahre?

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das Lan- desprogramm Rechtsextremismus, das Landesprogramm Demokratie! Das wissen Sie genau!)

Die Arbeit des grünen Ministeriums war aus meiner Sicht in dieser Frage nicht genügend. Das haben die Menschen gemerkt, und deswegen ist das Ministerium nicht mehr grün.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das ist völlig abwegig!)

Ich möchte abschließend Barbara Havliza und das Justizministerium auf dem Weg, den sie eingeschlagen haben, bestärken und unsere Unterstützung zusagen.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Schaffen Sie jetzt das Aktionspro- gramm oder nicht?)

Die Ausweitung der Extremismusprävention im Landespräventionsrat und auch der in Arbeit befindliche ministerienübergreifende Aktionsplan

Rechtsextremismus sind wichtig und sind überfällig. Vielen Dank für diese Arbeit!

(Beifall bei der CDU)

Mir macht Sorge, dass die linksextremistischen Straftaten in Niedersachsen nach Zahlen des Innenministeriums im letzten Jahr um 44 % - um 44 %! - gestiegen sind. Mir macht Sorge, was wir aus Stuttgart am vorvergangenen Wochenende sehen mussten und wie schwer es uns fällt, die Dinge klar zu benennen, und mir macht Sorge, wie sich der Rechtsextremismus im Untergrund unserer Gesellschaft auszubreiten scheint.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Wir reden jetzt über Rassismus! Sie leider nicht!)

Deswegen sind die Parlamente und die Regierungen als Ganzes gefordert, und deswegen ist der Weg des Justizministeriums, in der vorgetragenen Weise vorzugehen, exakt der richtige. Wir haben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deswegen bitte ich alle Beteiligten auch hier, weniger „Stammtisch“ und mehr an der Sache orientiert zu reden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das hätten Sie in Ihrer Rede machen sollen, Herr Cal- derone! Sie hätten etwas zum Ras- sismus sagen sollen!)

Danke schön, Herr Abgeordneter Calderone. - Abschließend zu diesem Tagesordnungspunkt hat sich die Justizministerin, Frau Barbara Havliza, zu Wort gemeldet. Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat nicht nichts, sondern in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine Menge getan, um die Extremismusprävention weiterzuentwickeln, und hat z. B. im Mai dieses Jahres das Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte verabschiedet. Die Koordinierung dieses Programms ist beim MJ, im Landespräventionsrat, angesiedelt. Mit diesem Programm ist ein tragfähiges Handlungskonzept für Niedersachsen geschaffen worden, um die Ursachen von Extremismus an der Wurzel zu packen.

Mit dem Landesprogramm fördern und stärken wir das Bewusstsein für freiheitliche demokratische und menschenrechtsorientierte Einstellungen und Verhaltensweisen. So wirken wir dem politischen Extremismus aktiv entgegen.

Für die Erweiterung des Landesprogramms wurden für das laufende Jahr 2020 seitens der Fraktionen von SPD und CDU über die politische Liste 250 000 Euro zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. An dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Dank dafür! Das Programm ist damit aktuell mit gut 1,4 Millionen Euro ausgestattet. Mit diesen Mitteln werden in den fünf beteiligten Ministerien in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft vielfältige Maßnahmen gegen Extremismus, Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung und selbstverständlich auch Rassismus gefördert. Hier sind insbesondere zu nennen:

Erstens das Projekt Blickwechsel. Hierbei handelt es sich um ein fundiertes pädagogisches Einzeltrainingsprogramm für junge Menschen von 13 bis 24 Jahren, die demokratiefeindliche oder menschenverachtende Tendenzen zeigen und gefährdet sind, sich zu radikalisieren. Ziel des Projekts ist die Fortentwicklung zentraler psychosozialer Kompetenzen.

Zweitens ein Mentorenprojekt. Hier findet eine einjährige wöchentliche Begleitung von früh verhaltensauffälligen Kindern durch einen geeigneten jungen Erwachsenen statt. Das Programm bewirkt positive Veränderungen der sozialen und emotionalen Kompetenz und fördert die Fähigkeiten der Perspektivübernahme und der Konfliktregelung. Der frühen Verfestigung von Vorurteilen wird damit so gut wie möglich begegnet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unter dem Eindruck der schrecklichen rechtsterroristischen Gewalttaten von Halle und Hanau haben die Mitglieder der von Frau Menge vorhin bereits angesprochenen Steuerungs-AG dieses Landesprogramms im März dieses Jahres ein Konzept für einen Aktionsplan unter dem Arbeitstitel „Wir sind Niedersachsen, für Zusammenhalt - gegen Rassismus“ angedacht - nicht versprochen, wie die Überschrift des Antrags zur Aktuellen Stunde suggeriert. Der Aktionsplan sieht vor, neben den bereits bestehenden Projekten weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und antidemokratischen Tendenzen zu entwickeln.

Bereits zuvor wurde das Bündnis „Niedersachsen packt an“ etabliert. Dabei handelt es sich um einen überparteilichen Zusammenschluss von Politik und

Zivilgesellschaft mit vielen relevanten Akteurinnen und Akteuren. Es dient der Integration sowie der Stärkung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft und deckt damit auch Aspekte unseres geplanten Aktionsplans ab.

Um inhaltliche und administrative Doppelstrukturen zu vermeiden sowie angesichts der durch die Pandemie überaus angespannten Haushaltslage, der wir uns ja stellen mussten, sind die Überlegungen hinsichtlich des Aktionsplans zunächst einmal zurückgestellt worden. Das heißt aber nicht, dass diese nicht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden können, vor allem aber nicht, dass sie nicht in die bereits von mir genannten bestehenden Initiativen einfließen werden.