Protokoll der Sitzung vom 27.02.2018

Die Geschäftsordnung sagt: Wenn er nicht verteilt worden ist - - -

Er soll gestern verteilt worden sein, Herr Kollege.

Ich schaue noch einmal nach. Bei mir ist nichts angekommen.

Wir können Ihnen da notfalls noch helfen. Können wir trotzdem mit der Debatte beginnen? - Der Antrag ist auch im Netz. Hat sich damit der Anlauf zum GO-Antrag erst einmal erledigt?

Herr Kollege Nacke, bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht kann ich an dieser Stelle aufklären: Der Inhalt des GBD-Vorschlags ist im Änderungsantrag enthalten.

Um es an dieser Stelle gleich vorwegzunehmen: 85 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, 85 Jahre nach der Errichtung der ersten niedersächsischen Konzentrationslager in Esterwegen und Moringen, nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der Schoah, diesem unermesslichen Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung Europas, tragen wir ohne jeden Zweifel eine Verantwortung für das Erinnern und eine angemessene Gedenkstättenkultur.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP - Zustimmung von Peer Lilienthal [AfD])

Meine Damen und Herren, unser Land Niedersachsen verfügt über zahlreiche Gedenkstätten, in denen an die Gräuel der Zeit von 1933 bis 1945 erinnert wird. Ich nenne die JVA Wolfenbüttel. Seit 1938 wurden hier Juden aus dem Braunschweiger Land zum Weitertransport nach Buchenwald interniert - als Haftstelle für 900 sogenannte Nacht-undNebel-Gefangene, bei denen es sich tatsächlich um Widerstandskämpfer aus Westeuropa handelte. Seit 1937 wurde sie als Hinrichtungsstätte für 527 als solche herabgewürdigte „Volksschädlinge“ oder „Kriegswirtschaftsverbrecher“ genutzt. Dies war ein Ort des steten Unrechts.

Ich nenne die Euthanasie-Gedenkstätte Lüneburg. Abscheulich und verwerflich waren die Verbrechen gegen die Hilflosesten. Niedersachsenweit war die frühere Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Lüneburg führend in der Aussonderung von Patienten und in der planwirtschaftlichen Verlegung im Rahmen der Aktion T 4. Aus keiner anderen niedersächsischen Anstalt kamen so viele Patienten im Rahmen der Aktion T 4 ums Leben.

Ich nenne die Alte Pathologie Wehnen. In der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen, die auf dem Gebiet meines heutigen Wahlkreises lag, starben psychisch kranke Menschen an Unterernährung und Entkräftung. Die Sterberate stieg von 10 % auf 31 %. Über 1 500 Patienten sollen ums Leben gekommen sein.

Ich nenne das KZ Esterwegen als Beispiel für 15 Emslandlager. Als erstes KZ, gebaut nach einem Musterbarackenplan, galt es als „Hölle am

Waldesrand“. Bis zu 24 000 sowjetische Kriegsgefangene starben hier. 2 700 sogenannte Nachtund-Nebel-Gefangene wurden hier interniert.

Ich nenne das Lager Sandbostel. Dieses Lager steht für mehrere 100 000 Kriegsgefangene vor allem aus Polen und der Sowjetunion, für 1 100 Arbeitskommandos im gesamten Elbe-WeserDreieck sowie mehr als 3 000 Tote unter den ehemaligen Insassen des KZ Neuengamme, die im Lager entkräftet verstarben.

Ich nenne Moringen, den Standort gleich dreier KZs - eines für Männer, eines für Frauen, eines für Jugendliche - als Stätte des Horrors für rund 4 000 Menschen, in der vor allem Kommunisten und Zeugen Jehovas untergebracht waren.

Ich nenne die Außenstellen Braunschweig Schillstraße, Salzgitter-Drütte und Engerhafe in Südbrookmerland. Seit 1942 wurden für kriegswichtige Industrien Außenlager eingerichtet, u. a. in Braunschweig, Salzgitter und Engerhafe.

Und ich nenne die wohl wichtigste Gedenkstätte: Bergen-Belsen. Zunächst für 600 französische und belgische Kriegsgefangene genutzt, kamen bis zum Herbst 1941 mindestens 21 000 sowjetische Kriegsgefangene nach Bergen-Belsen, von denen zwei Drittel in den folgenden sechs Monaten durch Hunger und fehlende Unterkünfte umkamen. Ab Herbst 1944 wurden arbeitsunfähige Häftlinge aus anderen KZs und wenig später 85 000 Insassen aus frontnahen KZs in Bergen-Belsen zusammengeführt. Mehr als 52 000 Menschen verloren in Bergen-Belsen ihr Leben, bevor das KZ am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit wurde. Über das sogenannte Austauschlager für den internationalen Gefangenenaustausch erlangten nur 2 560 jüdische Gefangene ihre Freiheit zurück.

Damit all dies nicht in Vergessenheit gerät, brauchen wir eine aktive und engagierte Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN, bei der FDP und bei der AfD)

Gerade jetzt, da die letzten Zeitzeugen ihr Lebensende erreichen, fällt eine wichtige Säule des Gedenkens weg. Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten leistet seit vielen Jahren eine höchst wertvolle Arbeit, auch und gerade diese Säule zu ersetzen und neue Ansätze der Gedenkstättenarbeit zu entwickeln.

Der Geschäftsführer, Herr Dr. Wagner, den wir heute im Plenarsaal begrüßen dürfen, hat sich auch bei den Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf als kundiger und engagierter Gesprächspartner erwiesen. Dafür schon jetzt von meiner Stelle herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das Wirken der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten dient dazu, den Opfern des Nationalsozialismus würdig zu gedenken und eine nachhaltige Beschäftigung mit ihrer Lebensgeschichte zu ermöglichen, die Orte der nationalsozialistischen Verfolgung sowie die Erinnerung und die Zeugnisse der Verfolgten dauerhaft zu bewahren und zu dokumentieren, zu erforschen und zugänglich zu machen, das Wissen über den Nationalsozialismus, seine Ursachen und Folgen zu mehren und zu vermitteln und die historischpolitische Bildung zum Nationalsozialismus und zu seinen Verbrechen zu fördern und zur Reflexion auf die Gegenwart anzuregen.

Liebe Frau Kollegin Guth, meine Herren von der AfD, genau das trauen wir Ihnen nicht zu. Die Ziele der Stiftung sind nicht Ihre Ziele. Eine Bereitschaft, die Aufgaben der Stiftung zu erfüllen, kann ich bei Ihnen nicht erkennen. Deswegen hatten Sie angeboten, Ihren Sitz im Stiftungsrat unbesetzt zu lassen.

Meine Damen und Herren, ich will eines deutlich sagen: Allein der Umstand, dass wir diese Aufgaben der AfD nicht zutrauen, würde nicht ausreichen, um die Rechte der Fraktion mittels dieses Gesetzes so einzuschränken, dass es zukünftig faktisch darauf hinausläuft, dass die AfD nicht dabei ist. Aber es geht darüber hinaus. Sie dulden in Ihrer Partei Menschen, die Gedenkstätten und das Gedenken selbst als Schande betrachten, die die Gräueltaten des Nationalsozialismus relativieren und den Holocaust leugnen.

Herr Wagner, der Geschäftsführer, hat in einem Schreiben vom 8. Januar dazu Stellung genommen. Ich zitiere aus seinem Schreiben:

Es wäre sicherlich falsch, die AfD einfach nur auszugrenzen und damit ihren OpferMythos zu bedienen. Vielmehr müssen sich Politik und Wissenschaft wie auch die Stiftung inhaltlich fundiert mit ihren rassistischen und fremdenfeindlichen Positionen auseinandersetzen. Dafür haben wir die besseren Argumente, und eine direkte Aus

einandersetzung mit AfD-Vertretern müssen wir nicht scheuen. KZ-Überlebenden möchte ich das nicht zumuten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Zudem muss die Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Positionen im öffentlichen Raum stattfinden. Der Stiftungsrat tagt aber nicht öffentlich.

Etwas weiter unten zieht Herr Wagner dann das Fazit:

Eine inhaltliche und öffentliche Auseinandersetzung mit der AfD ist nötig. Der Stiftungsrat ist dafür der falsche Ort. Die Sorgen aus den Überlebendenverbänden müssen ernst genommen werden, und es wäre zu wünschen, dass die AfD keinen Vertreter in den Stiftungsrat entsendet. Der größtmögliche Schaden wäre der Rückzug von Überlebenden aus unseren Gremien. Entsprechende Ankündigungen müssen wir ernst nehmen.

So hat Herr Wagner es auf unsere Nachfrage geschrieben.

Meine Damen und Herren, die Argumentation von Herrn Wagner ist überzeugend. Die Überlebenden des Holocaust und deren Mitarbeit über die Opferverbände in dem Stiftungsbeirat sind für die CDU wichtiger als die AfD. Deshalb ist die Gesetzesänderung aus der Sicht der CDU unumgänglich.

Herzlichen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Nacke.

Meine Damen und Herren, bevor wir diese Debatte gleich fortsetzen, möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen, weil wir ja zeitlich etwas in Verzug geraten sind:

Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind übereingekommen, folgende Tagesordnungspunkte direkt zu überweisen: den TOP 8 - Beamtengesetz -, den TOP 9 - Kammergesetz -, morgen den TOP 24 - europaweiter Behindertenausweis - und aus der Tagesordnung vom Donnerstag den TOP 32 - Ferkelkastration.

Also vier Punkte werden direkt überwiesen. Dann wissen die Rednerinnen und Redner Bescheid, vor allem diejenigen, die gleich an der Reihe wären, dies aber jetzt nicht mehr unbedingt müssen.

Meine Damen und Herren, wir fahren in der Debatte fort. Für die AfD spricht der Abgeordnete Klaus Wichmann. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist schlecht vorbereitet, er ist inhaltlich falsch, und er ist handwerklich amateurhaft umgesetzt.

Da wird zunächst in der Begründung festgestellt, man wolle durch diese Gesetzesänderung die Arbeitsfähigkeit des Gremiums dauerhaft sicherstellen. Nur: Warum ist das Gremium mit fünf Vertretern aus dem Landtag nicht dauerhaft arbeitsfähig, soll es aber angeblich mir vieren sein? - Dazu sagen Sie in Ihrer Begründung genau nichts. Und warum sagen Sie dazu nichts? - Weil diese Begründung einfach nur vorgeschoben ist.

Eine angebliche Arbeitsunfähigkeit mit fünf Vertretern des Landtags gibt es nicht. Das ist frei erfunden. Das wissen Sie, das weiß ich, das weiß die Presse, aber Sie haben nicht einmal den Mut, das hier offen und ehrlich zuzugeben. Sie machen mit dieser Begründung dem Wähler etwas vor und hoffen darauf, dass er den Betrug nicht merkt. Aber Sie wollen den Wähler hier für dumm verkaufen.

Ganz nüchtern betrachtet, hat dieses Gesetz nur ein einziges Ziel - das können Sie abstreiten, solange Sie wollen, aber es ist für jeden erkennbar -: Es will die AfD ausgrenzen. Ausgrenzen können Sie ja gut. Herr Weil - jetzt ist er nicht da -, es war ja im Wahlkampf Ihr großes Ziel, die AfD aus dem Landtag herauszuhalten. Das hat ja prima geklappt!

Jetzt erklären Sie hier alle gern mit großer Geste, die AfD müsse man inhaltlich stellen.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Das ma- chen wir gerade!)

Dann haben Sie einmal die Gelegenheit dazu, aber statt inhaltlicher Auseinandersetzung machen Sie dicke Backen und heiße Luft. Statt einer Auseinandersetzung kommt dieses Gesetz.

Dieses Gesetz, diese Lex AfD, ist inhaltlich so schlecht, dass man sich unwillkürlich fragt, wer bei Ihnen eigentlich die Gesetze schreibt.

(Zuruf von der CDU: Der GBD!)