Protokoll der Sitzung vom 08.11.2024

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor: Sie sind Klassenlehrerin oder Klassenlehrer einer zweiten Klasse mit 25 Schülerinnen und Schülern. Ein Kind wird unruhig und stört den Unterricht. Was machen Sie? - Sie werden vermutlich erst einmal versuchen, das Kind zu ermahnen, ruhiger zu sein. Aber nicht immer gelingt dies. Wenn Sie mit dem Kind vor die Tür gehen, lassen Sie Ihre Klasse unbeaufsichtigt. Schicken Sie das störende Kind nach mehrmaligen Ermahnungen heraus, ist dies unbeaufsichtigt. So oder so wird erst einmal der reguläre Unterricht unterbrochen.

Die Störung durch das Kind ist in der Regel ein Zeichen, dass dieses Kind gerade ein Bedürfnis hat. Aber oft haben die Lehrkräfte nicht die Zeit, auf diese individuellen Bedürfnisse einzugehen. Das betroffene Kind ist dabei leidtragend, da es aufgrund seines Verhaltens auch Beschämung durch

Sanktionierung erfährt. Das widerspricht der Definition von Inklusion nach den Vereinten Nationen, die Inklusion als Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und somit an Schulen meint.

Was für uns gerade nur ein Gedankenspiel ist, ist besonders in Grundschulen oftmals ein alltägliches Problem. Das ist auf Dauer nicht nur eine Belastung für die Lehrkräfte, sondern erschwert auch die gemeinsame Lernentwicklung aller Kinder.

Eine mögliche Lösung könnten die thematisierten Klassenassistenzen sein. Ich weiß selbst sehr gut, welchen Mehrwert diese zusätzlichen Kräfte haben können. In meinem Wahlkreis liegt nämlich die Grundschule am Lerchenberg in Wesendorf, die die Klassenassistenz als Pilotprojekt durchgeführt hat. Der Landkreis Gifhorn hat das zeitlich begrenzte Projekt finanziert. Ich konnte mich daher schon einige Male vom positiven Effekt der Assistenzkräfte überzeugen. Das liegt aber nicht nur an dem zusätzlichen Personal, sondern vor allem an dem guten inklusiven Konzept der Schule.

Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern berichten von einer merklichen Verbesserung der Unterrichtsqualität und der sozialen Integration während der Pilotphase. Die Ergebnisse des Projektes wurden inzwischen auch in einem wissenschaftlichen Buch veröffentlicht, das in digitaler Form sogar kostenlos verfügbar ist. Ich empfehle jedem, dort einmal einen Blick hineinzuwerfen.

Ich bin aber auch nicht die Einzige aus unseren Reihen, die sich das Projekt vor Ort genauer angeschaut hat. Unser Ministerpräsident Stephan Weil, unser Fraktionsvorsitzender Grant Hendrik Tonne und auch der rot-grüne Arbeitskreis haben sich ebenfalls ein Bild vom Projekt der Klassenassistenz gemacht. Das zeigt, wie intensiv wir uns mit diesem Thema bereits beschäftigt haben und noch immer beschäftigen.

Zum besseren Verständnis möchte ich noch auf die Funktionsweise der Klassenassistenz im Kontext des Unterrichts an der Wesendorfer Grundschule eingehen. Die Grundschule legt großen Wert auf das Lernen im eigenen Tempo. Die Kinder arbeiten gleichzeitig an unterschiedlichen Themen. Wenn die Kinder die Aufgabe erledigt haben, gehen sie damit zur Klassenleitung, die die Aufgaben überprüft und Hinweise gibt. Die anderen Kinder arbeiten weiter an ihren Aufgaben - teilweise auch auf dem Flur in Zweiergruppen, wo ein leistungsstarkes Kind die Aufgaben mit einem leistungsschwächeren Kind durchgeht. Die Klassenassistenz ist dabei die ganze Zeit im Raum, ist für die Kinder ansprechbar,

gibt Tipps und unterstützt die Klassenleitung damit maßgeblich. Wenn ein Kind zum Beispiel gerade emotional aufgewühlt ist und intensiver betreut werden muss, kann die Klassenassistenz mit dem jeweiligen Kind auch einmal rausgehen, und die anderen Kinder können ungestört weiterarbeiten.

Ziel des Modellprojekts ist die ganzheitliche Unterstützung für alle Schülerinnen und Schüler durch die Etablierung einer systemischen Hilfe. Das ist der maßgebliche Unterschied zu den bestehenden und bekannten Schulbegleitungen. Diese sind nämlich als Einzelfallhilfen ausgelegt und demnach nur für ein Kind zuständig. Es gibt natürlich Kinder, die diese aufgrund einer stärkeren Beeinträchtigung auch benötigen. Diese Kinder sollen und müssen diese auch weiterhin erhalten. Aber es gibt auch Kinder, die zwar eine gewisse Unterstützung, aber keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung benötigen. Aus Gesprächen weiß ich, dass sich diese Schulbegleitungen wünschen würden, den gesamten Unterricht noch mehr zu unterstützen. Das dürfen sie rein rechtlich jedoch nicht.

An dieser Stelle kommen wir zu einem entscheidenden Punkt in dieser Diskussion, den rechtlichen Rahmenbedingungen. Schulbegleitungen sind über das Sozialgesetzbuch geregelt, das in der Hand des Bundes liegt. Der Anspruch auf eine Schulbegleitung besteht, wenn sie zur Verwirklichung des Rechts auf Bildung und Teilhabe erforderlich ist. Die sachliche Umsetzung des Sozialgesetzbuches und somit der Anspruch auf eine Schulbegleitung nach Sozialgesetzbuch VIII bei einer seelischen Behinderung oder nach Sozialgesetzbuch IX bei einer körperlichen und geistigen Behinderung liegt wiederum in der Zuständigkeit der Kommunen.

Dieser Anspruch auf eine Schulbegleitung besteht unabhängig vom möglichen Vorhandensein einer Klassenassistenz. Die Eltern von anspruchsberechtigten Kindern müssen demnach je nach Grad der Beeinträchtigung freiwillig auf dieses Recht auf Teilhabe und Bildung verzichten. Für diesen freiwilligen Verzicht und die Möglichkeit des Poolings waren in Wesendorf viele intensive Gespräche mit den jeweiligen Eltern nötig. Auch wenn es dort dank der sehr guten Expertise meist geklappt hat, ist zumindest fraglich, ob alle Grundschulen dies leisten können.

Damit Klassenassistenzen in bestimmten Fällen die Schulbegleitung ersetzen können und somit eine gewisse Gegenfinanzierung möglich ist, sind also noch viele rechtliche Fragen zwischen Bund, Land und Kommunen zu klären. Daran arbeiten wir.

Damit wird deutlich: Eine einfache Einführung von Klassenassistenzen ist allein aus rechtlicher Sicht vor dem Hintergrund verschiedener Zuständigkeiten nicht so einfach möglich.

Hinzu kommt die Frage der Finanzierung. Deshalb müssen wir uns zunächst transparent machen, von welchen Kosten wie hier eigentlich sprechen. In Niedersachsen gibt es knapp 15 300 Grundschulklassen. Eine flächendeckende Einführung von Klassenassistenzen würde somit Kosten von rund 600 Millionen Euro verursachen. Ohne eine mögliche Gegenfinanzierung, wie ich sie eben beschrieben habe, ist das einfach nicht machbar.

Daher, Herr Fühner, ist es unredlich, eine schrittweise Einführung von Klassenassistenzen an allen Grundschulen in Niedersachsen bereits zum Schuljahr 2025/2026 zu fordern. Sie wissen ganz genau, dass eine solche Finanzierung nicht mal eben möglich ist. Mit diesem Antrag falsche Hoffnungen auf eine schnelle Umsetzung zu wecken, ist daher irreführend.

Die Möglichkeit einer kurzfristigen Umsetzung besteht für die Schulen, die am Startchancen-Programm teilnehmen. Natürlich ist mir bewusst, dass das im Verhältnis nur ein kleiner Teil ist. Dennoch ist das ein wichtiger Ansatz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist, denke ich, sehr deutlich geworden, dass ich eine klare Befürworterin der Klassenassistenz bin. Es ist wichtig, dass wir an diesem Thema weiter dranbleiben und auch heute darüber sprechen. Daher freue ich mich auf einen guten Austausch im Ausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Herzlichen Dank, Frau Lansmann. - Auf Ihre Rede gibt es eine Kurzintervention des Kollegen Fühner. Bitte! Sie haben das Wort.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Frau Kollegin Lansmann, wenn ich mir Ihre Rede so anhöre: 70 % bis 80 % waren eine Unterstützung unseres Antrags, aber am Ende erklären Sie, es sei unredlich, solche Forderungen aufzustellen, weil die Finanzierung nicht gesichert sei. Das ist doch ein Widerspruch! Man kann sich hier ja positionieren und dafür sein.

Aber wenn man dafür ist, dann muss man auch daran arbeiten, dass solche Lösungen umgesetzt werden.

Ich will Ihnen gerne erklären, wie wir uns die Finanzierung vorstellen. Es ist ja heute schon so, dass die Kosten der Schulbegleitung in den Kommunen, bei den Landkreisen in Niedersachsen durch die Decke gehen. Wir haben mit der Schulbegleitung ein System implementiert, bei dem es immer eine individuelle Betreuung gibt. Aber was in Wesendorf gemacht wird - Sie waren ja auch da und kennen das -, ist, auf diese Schulbegleitung zu verzichten und das Ganze mit dem Modell der Klassenassistenz anders zu organisieren.

Die Finanzierung der Klassenassistenz erfolgt natürlich auf der gleichen Rechtsgrundlage wie die Schulbegleitung. Es geht also nicht um eine neue Art der Finanzierung und um zusätzliche Gelder des Landes, sondern es geht um einen Systemwechsel in der Organisation des inklusiven Unterrichts. Dafür brauchen wir im Grunde keine Landesgelder, sondern es geht darum, rechtlich Klarheit zu schaffen - das haben Sie selber gesagt -, um am Ende wirklich zu einem Systemwechsel zu kommen.

Deswegen weise ich den Vorwurf der Unredlichkeit aufgrund der Finanzierung zurück.

(Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Fühner. - Frau Lansmann möchte antworten. Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Fühner, Sie sind ja nicht das erste Mal im Landtag. Das ist schon Ihre zweite Wahlperiode, und Sie sind ein erfahrener Bildungspolitiker. Und natürlich wissen Sie ganz genau, dass die Umsetzung solcher Modelle eine Weile braucht. Zu fordern, dass das schon zum neuen Schuljahr 2025/2026 umgesetzt wird - Sie wissen ganz genau, dass das nicht möglich ist. Und deswegen ist es einfach unredlich, die Hoffnung, dass das jetzt überall kommt, gerade auch in meinem Wahlkreis zu wecken. Denn dort wird nämlich ganz genau auf dieses Thema „Klassenassistenz“ geschaut.

Und Sie wissen auch, dass es ein freiwilliges Entgegenkommen der Eltern ist, auf die Schulbegleitung zu verzichten. Wir können nicht davon ausgehen, dass das überall passiert.

Also, wir haben einfach noch ganz viel Arbeit vor uns. Ihr Antrag vereinfacht das Problem und suggeriert, dass das Ganze mal eben so umsetzbar ist. Und das ist in der Tat unredlich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Der nächste Redner kommt aus der AfD-Fraktion. Herr Rykena, bitte!

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Immer mehr Kinder können in den ersten Schuljahren ihren Schulalltag nicht meistern. Dazu gehört, Hefte sortieren, die richtigen Mappen herausnehmen, den Platz aufräumen, ja sogar das eigene Fach wiederfinden oder das Anziehen in der Pause. Und immer mehr Kinder benötigen in den folgenden Schuljahren besondere Hilfe beim Lernen. Wer den Grundschulalltag kennt, der weiß, wie dringend dabei Unterstützung heutzutage ist. Oftmals kann eine auf sich allein gestellte Lehrkraft in der Klasse das einfach nicht mehr in ausreichendem Maße leisten.

Aus diesem Grunde gibt es bereits heute zahlreiche Unterstützungssysteme für Grundschulen, ausgeführt von Förderschullehrkräften, dem Mobilen Dienst, Sozialpädagogen oder eben den vorhin schon angesprochenen Schulbegleitern. Nachteil: Alle diese Personen werden aus unterschiedlichen Töpfen bezahlt und verwaltet. Die Beantragung ist teilweise aufwendig und der Einsatz im Stundenplan oft problematisch.

Zudem sind rein rechtlich gesehen verschiedene Unterstützungspersonen nur bestimmten Schülern zugeordnet und dürfen den anderen Kindern in der Klasse gar keine Hilfestellung leisten. So kommt es, dass viele andere Kinder, die Hilfe brauchen, durchs Raster fallen und leer ausgehen. Und zu allem Überfluss führt dieses Chaos auch noch dazu, dass in manchen Stunden oder gar manchen Tagen mehrere Unterstützungspersonen gleichzeitig im Klassenraum sind und an anderen gar keine.

Die Wissenschaft ist sich jedoch einig, dass das Entstehen von persönlichen Bindungen zwischen Lehrpersonen und Betreuungspersonen auf der einen Seite und den Schülern auf der anderen Seite essenziell für den Lernerfolg ist. Zu dem Entstehen

von persönlichen Bindungen gehören aber auch Stetigkeit in der Klassenbetreuung und Ruhe. Der mehr und mehr zu beobachtende ständige Wechsel im Klassenraum steht dem jedoch massiv entgegen. Kurz, dieses - ich nenne es mal - Kuddelmuddel von Unterstützungssystemen hat seine verwaltungstechnisch begründeten Ursachen - pädagogisch ist es eine Katastrophe.

Und hier kommen nun die Klassenassistenzen ins Spiel. In diesem Ansatz sollen all die unterschiedlichen Unterstützungssysteme derart zusammengefasst werden, dass man die rechnerisch zur Verfügung stehenden Stunden bündelt. So bekommt dann jede Klasse eine zusätzliche Kraft fest zugeordnet, die die Schüler dann kennt und im Schulalltag allen Kindern Unterstützung geben kann. Dass dieser Ansatz realistisch und erfolgreich ist, zeigen die sehr ermutigenden Erfahrungen aus dem wissenschaftlich begleiteten Modellprojekt „Klassenassistenz an der Grundschule Wesendorf“.

Der vorliegende Antrag fordert die Landesregierung nun auf, dieses Modell auf weitere Schulen zu übertragen und es perspektivisch für das ganze Bundesland ins Auge zu fassen. Über das Ziel - das haben wir eben schon gehört - wird sich sicherlich sehr schnell Einigkeit zwischen allen Fraktionen herstellen lassen. Wenn es an die praktische Umsetzbarkeit geht - und auch das haben wir eben gemerkt - steckt der Teufel im Detail. Und da wird es besonders heikel, denn es geht um finanzielle Details.

Jetzt verstehe ich das ein wenig anders als Herr Fühner. Ich denke nämlich, wenn man es richtig anpackt, geht es nicht darum, dass mehr Geld ausgegeben werden muss. Es geht nicht um mehr Geld. Das Geld soll nur anders verteilt und eben gebündelt werden. Und dabei offenbart sich das große Problem des Antrages. Betroffen sind nämlich unterschiedliche Geldtöpfe, noch dazu von unterschiedlichen Geldgebern, die zusammengeführt werden müssten, und, um das Ganze noch weiter zu verkomplizieren, in unterschiedlichen Gesetzen festgelegt worden sind und von unterschiedlichen Ministerien, teilweise auf Landes- und auf Bundesebene, verwaltet und auf kommunaler Ebene ausgegeben werden müssen.

(Christian Fühner [CDU]: Wenn Ihnen das zu kompliziert ist, dann hören Sie doch auf mit Politik!)

- Moment!

Hier wird es also richtig dicke Bretter zu bohren geben. Der Antrag greift diese dicken Bretter auch auf, aber nur in zwei ganz dürren Punkten. Und dabei werden lediglich die Zielmarken dargelegt. Konkrete Ideen und Maßnahmen, wie diese zu erreichen sind, fehlen - noch.

Und genau daran - Herr Fühner, ich bin da ja ganz bei Ihnen - wird jetzt zu arbeiten sein, und zwar vielleicht sogar weniger im Kultusausschuss - da sind wir uns ja eh größtenteils einig -, sondern vielmehr mit den Kollegen zum Beispiel aus dem Finanzausschuss. Schauen wir mal, ob sich die Fraktionen von Rot und Grün darauf einlassen können! Da gab es ja eben schon Signale.

Wir jedenfalls, Herr Fühner, begrüßen diesen Antrag sehr und werden ihn im Ausschuss unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)