Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das werde ich Ihnen gleich erzählen!)

Diese Bitte will ich erneuern, damit wir die Chance bekommen, den Vorwurf zu entkräften. Kommen Sie der Bitte nicht nach, ist Ihr Vorwurf leider gegenstandslos.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, die finanzielle Notlage gerade im Hinblick auf den speziellen Bedarf von Kindern zu lindern. Dazu soll mittelfristig eine bundeseinheitliche Regelung entwickelt werden. Das war eine unserer Kernforderungen, die wir gestern im Bildungsgipfel eingebracht haben. Ich freue mich darüber, dass die Forderung auch Bestandteil des Abschlusspapiers des Gipfels geworden ist.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Leider ist beim Bildungsgipfel dazu noch keine endgültige Verabredung getroffen worden. Ich bedaure das sehr. Aber ich hoffe, dass sich die BundLänder-Gruppe sehr schnell um Umsetzung bemüht.

Unsere Forderung bleibt bestehen: Die Regelleistungen für Kinder aus finanzschwachen Familien müssen so erhöht werden, dass die Kosten für ein warmes Mittagessen abgedeckt sind. Über die Ergebnisse des Bildungsgipfels werden wir morgen in der Aktuellen Stunde ja auch noch diskutieren.

Die Bundesregierung will unter anderem Kinder und Jugendliche, die aus Familien, die von Hartz IV leben oder Sozialhilfe bekommen, finanziell besserstellen. Sie sollen bis zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 zu Beginn jedes Schuljahres zusätzlich 100 € für schulbedingten Mehrbedarf erhalten, und das schon ab dem nächsten Schuljahr. Das ist, meine ich, eine gute Entscheidung, die unsere Maßnahmen auf wundervolle Weise ergänzt.

Es gilt jetzt, dass jeder auf seiner Ebene die Verantwortung dafür übernimmt, die Bildungschancen unserer Kinder zu verbessern. Wir werden nicht nachlassen, den Bund weiter in die Pflicht zu nehmen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, damit das noch einmal klar ist: Wir werden nicht abwarten, bis irgendwelche Beschlüsse gefasst sind. Wir haben gehandelt und wir werden in dieser uns alle bedrängenden Frage weiterhin zum Wohle unserer Kinder reagieren und handeln. Herr Link hat eben gefragt, wofür wir eigentlich stehen. Herr Link, genau dafür! – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Rednerin hat sich für die Fraktion der SPD die Kollegin Schneppe gemeldet, die hiermit das Wort bekommt. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie sehen es mir nach, dass ich Ihren Äußerungen nicht folgen kann, jedenfalls

nicht in Gänze; denn Absichtserklärungen nützen unseren Kindern nichts.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir alle wissen vielleicht aus eigener Erfahrung: Mit leerem Magen lernt es sich schlecht, und je größer der Hunger, desto geringer die Konzentration. Deshalb frage ich die Landesregierung: Wie kann es sein, dass es immer noch keine einheitliche Regelung gibt, die jedem Kind eine warme Mahlzeit am Tag garantiert? Wie kann es sein, dass es immer noch Kinder gibt, die auf einen leeren Teller sehen müssen, weil ihren Eltern schlichtweg das Geld fehlt? Und wie kann es sein, dass wir hier nun schon zum dritten Mal dieses Thema behandeln müssen, ohne dass wirklich ausreichend etwas zum Wohle unserer Kinder passiert? – So kann und darf das nicht sein.

Der von der rot-grünen Bundesregierung initiierte Ausbau von Grund-, Haupt- und Förderschulen zu Ganztagsschulen war und ist richtig. Diese verfügen häufig über Mensen und Küchen. Aber gerade an Gymnasien und anderen weiterführenden Schulen fehlt es an der entsprechenden Ausstattung, um ein warmes Mittagessen anbieten zu können. Dabei gehört der Unterricht bis in den späten Nachmittag hinein inzwischen zum festen Alltag eines jeden nordrhein-westfälischen Schülers – sogar schon ab der 5. und 6. Klasse.

Ich bin der Meinung: Wenn Kinder und auch Lehrer – die sollten wir an dieser Stelle nicht vergessen – den ganzen Tag in der Schule verbringen, ist es doch wohl selbstverständlich, dass ihnen dann auch eine warme Mahlzeit zur Verfügung gestellt wird; eine Mahlzeit, meine Damen und Herren, die übrigens auch ernährungsphysiologischen Erfordernissen entsprechen soll.

Meine Damen und Herren, ich sagte es bereits: Es müsste eigentlich selbstverständlich sein. Die Realität sieht aber leider immer noch anders aus. Es gibt Kinder erster und zweiter Klasse, nämlich diejenigen, die sich das Essen leisten können, und diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist. Nicht wenige Kinder verlassen vor dem Mittagessen die Schule, kommen aber zur nachmittäglichen Betreuung wieder zurück. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, welchen Druck diese Situation diesen Kindern aufbürdet. In 98 % der Fälle können wir davon ausgehen, dass für diese Kinder auch zu Hause kein Mittagessen bereitsteht und dass sie mit hungrigem Magen wieder in die Schule zurückkommen. Das sage ich aus eigener Erfahrung.

Das ist die traurige Realität, meine Damen und Herren. Dazu müssten Sie sich nur einmal an unseren Schulen umsehen und sich vor Ort informieren. Vorzeigeschulen sind da wenig repräsentativ.

(Beifall von der SPD)

Der von der Regierung aufgelegte Landesfonds in Höhe von 13,5 Millionen €, der es bedürftigen Kindern ermöglichen soll, am Schulessen teilzunehmen, ist immer noch nicht ausreichend.

Und das Ganze ist immer noch mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden. Herr Kaiser, Sie sagten eben, es werde entbürokratisiert. In dem Falle aber nicht. Die Inanspruchnahme des Fonds ist mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand für Schulen verbunden, der den Erfordernissen von Schule nicht gerecht wird. Die Schulen müssen prüfen, welche Kinder bedürftig sind. Die Eltern haben mitzuteilen, ob sie Hartz-IV-Empfänger sind. Hier gibt es eine Reihe von Eltern, die sich schämen, der Aufforderung der Schule Folge zu leisten – mit der Auswirkung, dass diese Kinder dann nicht am Mittagessen teilnehmen können.

Die Landesregierung muss endlich das notwendige Geld in die Hand nehmen – die veranschlagten 13,5 Millionen € reichen doch bei Weitem nicht aus –, damit alle Kinder in den Genuss einer warmen Mahlzeit gelangen können.

Wenn es der Landesregierung wirklich mit einem warmen Mittagessen für jedes Kind so ernst ist, dann muss sie auch wirklich die notwendigen finanziellen Investitionen tätigen und nicht andauernd nach weiterer Unterstützung durch den Bund rufen. Hier ist es für mich eine Frage der Gewichtung: Wie wichtig sind der Landesregierung die Kinder? – Man kann nicht immer nur große Projekte anstoßen und dann, bei der Umsetzung, die Eigenverantwortung delegieren wollen.

Denn wir dürfen doch eines nicht vergessen: Es geht um unsere Kinder, meine Damen und Herren. Und da gehört es sich umso weniger, plakativ sozial zu argumentieren und in der Umsetzung jegliche soziale Verantwortung vermissen zu lassen. Wie sonst kann man es erklären, dass Sie sämtliche Versuche, eine gerechte und einheitliche Lösung zu finden, bisher kategorisch abgelehnt haben? – Und das, obwohl die Enquetekommission Chancen für Kinder in ihrem aktuellen Bericht eine eindeutige Empfehlung ausspricht:

Ziel muss sein, dass kein Kind aufgrund der finanziellen und sozialen Situation der Eltern von einem Mittagessen in Kindertageseinrichtungen und Schulen mit Ganztagsangeboten ausgeschlossen wird.

(Ralf Witzel [FDP]: Richtig! Das muss das Ziel sein!)

In diesem Sinne appelliere ich an Ihre soziale Verantwortung. Schmettern Sie nicht ein viertes Mal den Antrag auf eine entsprechende Änderung des Schulgesetzes ab, sorgen Sie endlich dafür, dass jedes Kind das bekommt, was ihm zusteht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schneppe. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Witzel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine Vorrednerin von der SPD hat mir gerade das richtige Stichwort gegeben, als sie gesagt hat: Schmettern Sie diesen Antrag heute nicht zum vierten Mal ab! – Das, was Sie vorher zum EnqueteBericht „Chancen für Kinder“ gesagt haben, über den wir morgen diskutieren werden, war unvollständig, weil Sie eben nicht das Weitere zitiert haben, was ich vorhin von Frau Meier-Grewe dargestellt habe.

Richtig ist der Hinweis: Wir beraten das heute zum vierten Mal. Deshalb möchte ich Ihnen den fünften Grund dafür nachliefern, warum es sich um einen typischen grünen Gesetzentwurf handelt. Einmal mehr haben Sie Ihren altbekannten Antragsgenerator angeworfen. Sie haben ein Thema gefunden, das Sie bei Ihrer Ausrichtung für hilfreich halten. Und schon wird es immer wieder und erneut gebracht. Mehrere Anträge dazu sind in diesem Landtag schon abgelehnt worden.

Deshalb haben Sie sich gesagt: Machen wir das Thema „Kostenfreies Schulmittagessen“ nun mal als Gesetzentwurf. Dann produzieren wir damit gleich mehrere Lesungen. Parallel haben Sie schon den nächsten Antrag „Kostenfreies Kita-Essen“ eingebracht. Ich weiß: Spätestens in einigen Wochen liegt wieder ein Antrag vor: „Kostenlose Hochschulspeisung“, und kurz vor der Landtagswahl kommt ein weiterer Antrag von Ihnen unter dem Titel „Auszubildende dürfen nicht länger hungern – kostenfreie Betriebskantinen für alle Lehrlinge“. – Meine Damen und Herren, Ausbildungsbetriebe, die das nicht machen, werden getreu ihrem Motto verstaatlicht. Dann sind Sie auch endlich koalitionsfähig mit Sagel & Co.

So kann man Sozialpolitik nicht betreiben.

(Beifall von FDP und CDU)

Wir haben Ziele für die Kinder in unserem Land. Gerade deshalb wollen wir punktgenau und begleitet von einem vernünftigen Konzept helfen. Der Gesetzentwurf der Grünen widerspricht unserer Philosophie „Erwirtschaften kommt vor Verteilen! – Privat vor Staat! – Freiheit vor Gleichheit!“ In der Sozialpolitik nennt man dieses Prinzip Subsidiarität. Subsidiarität entspricht gleichsam christlicher Soziallehre wie auch freiheitlich-liberalem Staatsverständnis.

Wir wollen den wirklich Bedürftigen helfen und tun das auch ausdrücklich. Aber wir wollen nicht „Vollkasko für alle“! Ihr heutiger grüner Antrag wäre am letzten Wochenende beim Landesparteitag der Linkspartei hitverdächtig gewesen. Die haben das

selbe beschlossen. Heute aber finden Sie in diesem Landtag dafür keine Mehrheit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Als letzte gemeldete Rednerin hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Beer das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin Sommer! Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade aus den Regierungsfraktionen! Wer wie Sie das Turboabitur über die Kommunen und Schulen gießt, aber dann nicht für das Schulessen sorgt, der sollte hier an dieser Stelle den Mund halten statt davon zu sprechen, wie reguliert wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wer sechs Kopfnoten in die Welt setzt, der sollte sich nicht trauen, über Überbürokratisierung und Überregulierung an dieser Stelle zu reden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Witzel, in einer Äußerung gebe ich Ihnen recht: Wir sind in der Tat die Lobby für Kinder. Unsere Klientel sind die Kinder, Ihre Klientel sind die Heuschrecken. Das ist der Unterschied.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zurufe von CDU und FDP: Oh! – Ralf Witzel [FDP]: Un- verschämt!)

Der Ministerpräsident ist auf dem Bildungsgipfel mit seinem Ansinnen gescheitert, das Schulessen für arme Kinder über die Hartz-IV-Sätze zu regeln. Das Land ist jetzt in der Pflicht. Die Kinder können leider nicht noch ein Jahr warten, bis die Strategiegruppe ausreichend getagt hat.

Frau Ministerin Sommer, Herr Kaiser, ich will Ihnen gerne berichten, woher die Überbürokratisierung kommt und was in den Schulen mit Ihrem Landesfonds wirklich abläuft, der wenigstens aufgelegt worden ist, nachdem wir das Thema intensiv angeschoben hatten. Ich will es Ihnen sagen, wie es in der Praxis läuft, denn zufällig bin ich auch noch Vorsitzende eines Mensa-Vereins, der an einer großen Schule für das Schulessen sorgt:

Wir gehen den Eltern nach und fragen, warum ihre Kinder in der Schule nicht mitessen. Wir gehen auf Eltern zu und informieren sie über den Landesfonds. Dann erleben Sie, wie Eltern beschämt sind, weil sie nicht in der Lage sind, ihren Kindern das Schulessen zu garantieren und zu bezahlen. Es trifft Eltern in der Tat bis ins Mark, wenn sie eingestehen müssen, dass sie nicht das Geld haben, das für das Schulessen eingefordert wird.

Wir müssen die Eltern überzeugen, dass es keine Schande ist, den Landesfonds und das Geld in Anspruch zu nehmen. Trotzdem ist es oftmals, weil das Tischtuch in den Haushalten so kurz und klein ist, sogar noch schwierig, auch nur diesen einen Euro mitbringen zu lassen oder zu überweisen. Das ist in der Tat sehr schwierig.

All dieses Nachgehen wird durch ehrenamtliche Arbeit – in diesem Fall von Eltern – geleistet. Es wird aber dankenswerterweise auch von Lehrerinnen und Lehrern geleistet. Es wird von Schulsekretärinnen geleistet. Dann gibt es noch die Sachbearbeiterinnen in den Kommunen, die die Listen führen und die Abrechnungen machen müssen. Ich kann Ihnen gerne die Rechnung aufmachen, dass die Gelder, die eigentlich bei den Kindern und dem Essen landen sollten, bis zu 30 % für Bürokratiekosten draufgehen.