Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

Viertens. Es ist deshalb ein typischer GrünenGesetzentwurf, da Sie klischeehaft Stereotype bedienen und nicht differenziert urteilsfähig sind. Sie wollen dies bei dieser Debatte auch gar nicht sein. Es ist nämlich eine Tatsache, dass die Gründe für Mangel- und Fehlernährung mit Finanzknappheit oftmals viel weniger zu tun haben als mit Defiziten der Bewusstseinsbildung. Fast-Food-Konsum ist oftmals viel teurer als vitaminreiche, frische Küche. Tatsache ist, dass jeder zweite Haushalt von HartzIV-Empfängern über zusätzliche Hinzuverdienste verfügt, sodass die Regelsätze immerhin für jeden zweiten Transferempfängerhaushalt gar nicht die Budgetgrenze sind.

Tatsache ist auch, dass Sie zu Zeiten Ihrer grünen Regierungsmitverantwortung im Bund im Jahr 2005 – das war kurz vor Ihrer Abwahl – einen Familienbericht vorgelegt haben, in dem man auf den Seiten 281 ff. auch die Studie von Frau Prof. Meier-Gräwe von der Universität Gießen findet, die zeigt, dass Fehlernährung nicht monokausal auf Einkommensmangel zurückzuführen ist, sondern dass viel mehr die Defizite bei der Elternbildung als Problem zu betrachten sind. Alle diese Fakten blenden Sie als Grüne bei Ihrer Sicht der Realität aus.

Deshalb sagen wir: Das Ziel, sich für Kinder und gesunde Ernährung zu engagieren, ist richtig. Den Weg, den Sie mit Ihrem Gesetzesvorhaben heute vorschlagen, können wir aber nicht unterstützen.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Frau Kollegin Löhrmann das Wort. Bitte schön, Frau Löhrmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute zum wiederholten Male über unsere Initiative, die wir vor zwei Jahren erstmals ergriffen haben, nämlich dass es auch in nordrhein-westfälischen Schulen, die zu Ganztagsschulen werden und in denen Kinder sich

ganztägig aufhalten, eine Selbstverständlichkeit sein müsste, dass alle Kinder täglich ein Mittagessen bekommen können. Darüber reden wir heute.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir Grünen waren in Skandinavien und haben dort gesehen, dass es seit 50 Jahren zu den sozialpolitischen Errungenschaften gehört, dass Kinder in der Schule eine Mahlzeit bekommen. In Skandinavien bekommen Kinder das umsonst, und zwar alle Kinder; das ist dort selbstverständlich. Das haben wir aber gar nicht beantragt. Ich bin ja froh, Herr Kaiser, dass Sie den Gesetzentwurf inzwischen wenigstens gelesen haben. In der Schulausschusssitzung haben Sie noch so getan, als hätten wir einen Antrag im Hinblick auf alle Kinder gestellt. Inzwischen haben Sie den Gesetzentwurf wenigstens einmal gelesen und die Differenzierung darin erkannt.

Wir haben nämlich gesagt: Wenn wir das als Land vorgeben und gesetzlich regeln wollen, müssen wir selbstverständlich – im Lichte des Konnexitätsanspruches, den wir verfolgen – den Kommunen, wenn wir ihnen eine neue Aufgabe übertragen, auch die Mittel zur Bewältigung dieser Aufgabe zur Verfügung stellen; wir als Land wollen das. Wir halten den Weg, den wir vorgeschlagen haben, für den richtigen.

Die CDU hat sich ein wenig weiterentwickelt und stellt zumindest das Ziel nicht mehr infrage. Bei unserer ersten Diskussion haben die Kollegen von der FDP noch gesagt, der Staat bräuchte das nicht zu machen, das könne doch privat gesponsert werden. – Wenn Kinder ganztägig in der Schule sind, dann sollten sie ein Mittagessen bekommen können. Punkt. So einfach ist das!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn in einem Betrieb – das ist das treffendste Beispiel –, in dem Menschen ganztägig arbeiten, der Betriebsrat nicht durchgesetzt hat, dass es eine Kantine gibt, in der die Beschäftigten essen können, dann ist es ein schlechter Betriebsrat. Einen solchen Betrieb gibt es in Deutschland auch nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber es gibt viele Schulen, in denen Kinder nicht essen können. Wir sind diesbezüglich die Anwälte der Kinder.

Frau Beer wird noch auf den Fonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ eingehen, den es inzwischen gibt; es hat diesbezüglich Bewegung gegeben. Ich behaupte, dass das ohne unsere Initiative nicht zustande gekommen wäre. Es gibt also Teilerfolge, die wir aus der Opposition heraus erreicht haben. Der Ministerpräsident hat erkannt, dass er um das Thema nicht mehr herumkommt, und auch der Sozialminister wusste aufgrund des Sozialberichtes, dass es Handlungsbedarf gibt.

Herr Kaiser, Sie, der Sie ein Gesetz für 15 Lehrerinnen verantworten, beklagen, dass wir ein Gesetz für Millionen von Kindern in Nordrhein-Westfalen vorschlagen. Ich bitte Sie, doch einmal die Relationen im Auge zu behalten. Schauen Sie doch einmal, wann Sie überflüssige Gesetze machen und wann Sie Gesetze, die notwendig wären, nicht auf den Weg bringen! Was regeln wir nicht alles im Schulgesetz? Aber wir regeln nicht, dass Kinder in unserem Land eine Mahlzeit bekommen und dass arme Kinder dafür vom Staat unterstützt werden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das wollen Sie nicht regeln. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für eine CDU, die immerhin auch einen sozialen Anspruch hat.

Ein letzter Punkt: Wenn doch alles in Ordnung ist, warum hat dann der Herr Ministerpräsident versucht, auf Bundesebene etwas zu regeln? – Er hat es nur nicht geschafft! Deswegen ist es an der Zeit, heute zu entscheiden: Wir regeln das Schulessen für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen mit einem vernünftig gemachten Gesetz. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. – Als nächste Rednerin spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Sommer. Bitte, Frau Ministerin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist vor über einem Jahr in erster Lesung hier im Plenum behandelt worden. Wir hatten eine Anhörung dazu und haben uns im Schulausschuss lange darüber ausgetauscht. Nach dieser langen Zeit der Reflektion darüber hat sich an meiner Einstellung nichts geändert. Es ist der Sache nicht dienlich, wenn wir einen Rechtsanspruch schaffen.

(Beifall von der FDP)

Ich glaube, dass das der falsche Weg ist, denn er ist auch nicht bedarfsgerecht. Es ist nicht notwendig, dieses Angebot allen Kindern, die eine Ganztagsschule besuchen, zu machen. Wir können und sollten ihnen dieses Angebot dort machen, wo Not am Mann ist, wo die Eltern es wünschen und wo die Kinder es brauchen. Aber das kann doch nicht nach dem Gießkannenprinzip geschehen. Bedarfsgerecht ist ein Angebot, das sich an der Nachfrage und an den örtlichen Bedingungen orientiert.

Das, was Sie wollen – da stimme ich Herrn Kaiser zu –, ist eine Überregulierung. Und das gipfelt darin – ich muss es einfach noch einmal wiederholen –, dass Sie Art und Umfang der Schulmahlzeit in einer Rechtsverordnung festhalten wollen. Das geht, wie ich meine, zu weit.

(Beifall von CDU und FDP)

Das hat nun wirklich nichts mehr mit Eigenverantwortlichkeit von Schulen zu tun.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich fasse es nicht!)

Eigenverantwortung innerhalb der Schulen unter Einbeziehung bereits bestehender Angebote vor Ort: Das ist die Lösung. Es gibt eine Vielzahl von guten Beispielen. Gehen Sie einmal ins Land und sehen Sie sich die Schulen an! Sie haben schon sehr viele kreative Lösungen gefunden. Das regelt man wirklich nicht mit einem Rechtsanspruch. Das behindert eher.

(Beifall von CDU und FDP)

Bitte bedenken Sie eines – das ist mir sehr wichtig –: Auch die Verantwortung der Eltern spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Es ist die grundsätzliche Aufgabe der Eltern, für die Verpflegung der Kinder zu sorgen. Und die Eltern – davon müssen wir ausgehen – tun das gerne. Und sie tun es auch dann mit Stolz und mit Freude, wenn es unter ganz erschwerten Bedingungen geschieht. Ich glaube, das dürfen Sie auch nicht vergessen. Daher sollte ein pauschaler oder allgemeiner Rechtsanspruch in dieser Situation nicht richtig sein.

Wir haben über die finanziellen Mittel gesprochen. Meine Damen und Herren, wir sprechen hier locker über schlappe 150 Millionen €.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wie viel Arbeits- zeit haben denn allein Ihre sechs Kopfnoten gekostet?)

Das ist eine Größe, die nicht ohne Weiteres verkraftet werden kann, wenn man berücksichtigt, was im Lande schon alles vorhanden ist und was wir schon getan haben, um diese desolate Situation abzumildern.

(Beifall von CDU und FDP)

In Nordrhein-Westfalen hat Bildung wirklich einen sehr hohen Stellenwert. Wir setzen alle Hebel in Bewegung, und wir stellen alle Mittel zur Verfügung, damit eine gute Lösung herbeigeführt werden kann.

Wir verkennen nicht – auch das ist etwas, Herr Link, Sie haben es erwähnt, was uns sehr bedrückt –, dass es viele Familien in sehr schwierigen Situationen gibt. Der OECD-Bericht ist wirklich bedrückend.

Sie haben formuliert: Wahrscheinlich sind nur 56.000 Kinder erfasst. Wir aber sagen: Sie sind bereits erfasst. – Wir dürfen einfach nicht so tun, als gäbe es Armut bei Kindern erst seit drei Jahren. Ich spiele den Ball insofern zurück.

(Beifall von CDU und FDP)

Für uns ist eines selbstverständlich: Kein Kind darf aus finanziellen Gründen an der Teilnahme an einer Mittagsmahlzeit gehindert sein.

(Beifall von Klaus Kaiser [CDU])

Die nötigen Mittel verteilen wir allerdings nicht – ich sagte es eben schon – per Gießkanne. Und deshalb haben wir den Fonds eingerichtet. Frau Löhrmann, Sie sagten eben so nett „durch unsere Mithilfe“. Es kann sein, dass das noch einmal einen Ausschlag gegeben hat. Aber auch da: Warum sind Sie nicht selbst darauf gekommen? Warum nicht?

(Beifall von der FDP)

Warum haben Sie all diese vielen Jahre nichts getan? Warum ziehen Sie jetzt 50 Jahre Finnland hinzu? Sie hatten alle Zeit dieser Welt. Das ist wieder ein Bumerang.

Der Fonds ist Ihnen hinlänglich bekannt. Ich werde es an dieser Stelle nicht mehr wiederholen. Nur soviel: „Kein Kind ohne Mahlzeit“ ist ein großer Erfolg. Wir haben auch bedarfsgerecht reagiert. Er war zunächst limitiert auf 10 Millionen €. Wir haben dann tatsächlich nachgelegt und haben ihn auf 13,5 Millionen € erhöht. Im neuen Haushalt wird es 15 Millionen € dafür geben. Auch da gehen wir bedarfsgerecht vor.

Manchmal hört man den Vorwurf, das sei alles nur zeitlich befristet. – Es ist vorgesehen – das ist sicherlich eine ganz wichtige Botschaft –, dass der Fonds so lange besteht, bis es eine bundeseinheitliche Lösung gibt. Eine solche Lösung habe ich zuletzt noch in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ am 21. Oktober eingefordert. Im Entwurf des Landeshaushalts für das Jahr 2009 haben wir diese Mittel vorsorglich eingestellt. Wie gesagt, ich erneuere diese Botschaft: Wir werden so lange etwas für diese Kinder tun, bis es eine andere bundesweite Lösung gibt.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Bedürftige Kinder, meine Damen und Herren, können an einer Mahlzeit teilnehmen, wenn sie wollen und wenn Eltern dies wünschen. Nur am Rande möchte ich erwähnen, dass der Fonds ab 2009 im Haushalt des MAGS eingestellt wird. Dort bündeln wir die großen sozialpolitischen Programme. Ich denke, wenn sich zwei Ministerien stark machen und sich einig sind, für die Zukunft unserer Kinder wirklich etwas tun zu müssen, so ergänzt sich das sehr gut.

Sehr geehrte Frau Beer, gestatten Sie mir bitte noch einen Einwurf. Sie haben – das hat mich sehr betroffen gemacht – in der letzten Sitzung des Schulausschuss behauptet, 30 % dieser Mittel würden sogar versickern. Ich hatte Sie gebeten, mir mitzuteilen, wo Sie das wahrnehmen. Das haben Sie leider noch nicht getan.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das werde ich Ihnen gleich erzählen!)