Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Gleichwohl ist sie ein richtiger Ansatz, ein guter Ansatz in die richtige Richtung. Das unterstreiche ich, das gebe ich gerne zu. Aber, auch dieser Ansatz ist deutlich unterfinanziert. Fragen Sie an den Schulen nach, was die von Ihrer Ganztagsoffensive halten, was die von Ihrem Programm „Geld oder Stelle“ halten!

(Ralf Witzel [FDP]: Bei Ihnen haben Sie nichts bekommen!)

Dieses Programm ist bereits durch die Übermittagsbetreuung unterfinanziert und aufgezehrt. Das ist die Wahrheit; Herr Witzel!

Die Umsetzung dieses Programms dauert viel zu lange. Bei dem Landesfonds – da müssen wir ehrlich bleiben, Herr Kaiser – ist es doch so: Sie haben für zwei Jahre einen Fonds aufgelegt. Was danach kommt, weiß kein Mensch, bei dieser Landesregierung erst recht nicht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie haben diesen Fonds – wie so vieles Ihrer Politik – auf dem Rücken der Kommunen aufgesattelt. Ich will ein Beispiel aus dem gymnasialen Bereich bringen: Sie haben eine Schulzeitverkürzung, in der wir uns in der Sache durchaus einig sind, in der Sekundarstufe I durchgeführt, die dazu beigetragen hat, dass die Gymnasien bereits heute faktisch Ganztagsschulen in der Sekundarstufe I, gerade bei den kleinen Kindern, sind. Vor allem in den Klassen 5 und 6 haben viele Kinder bereits heute einen Ganztagsunterricht.

(Bernhard Recker [CDU]: Einen Nachmittag in der Woche!)

Diese Kinder brauchen auch jetzt und nicht erst in zehn Jahren ein vernünftiges Ganztagsangebot, ein vernünftiges Übermittagangebot. Dazu gehört ein warmes Essen. Damit meinen wir von der SPD – und ich glaube, auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – alle Kinder und nicht ein paar wenige.

Meine Damen und Herren, durch Ihre Maßnahmen sorgen Sie dafür, dass Kinder beispielsweise von Arbeitslosengeld-II-Empfänger-Familien nicht an dem Essen teilnehmen können bzw. nur durch einen erheblichen finanziellen Kraftakt dieser Eltern. Ich bin der Meinung, dass wir uns das nicht leisten sollten. Denn es müsste doch eigentlich in unserem Interesse liegen, dass gerade diese Kinder mittags ein warmes Essen bekommen. Doch genau diese Kinder fallen durch Ihre Politik durchs Raster.

Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren, für Deutschland und für NRW, aber auch für uns als Politik und für Sie als Landesregierung.

Wir wissen: Ein fester Rhythmus gehört zum Ganztag. Ein gutes Mittagessen gehört zum Ganztag. Sonst können Kinder den ganzen Tag über ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht entfalten. Wir wissen auch, wie wichtig gemeinsame Mahlzeiten für Tischsitten, für Esskultur, aber auch für den schulischen Erfolg sind. Das hat uns die Expertenanhörung zu dem Thema noch einmal eindeutig und ganz deutlich bestätigt. Leerer Bauch lernt nicht gern, und er lernt eben auch nicht gut.

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, können Sie doch nicht ernsthaft den Gesetzentwurf heute ablehnen. Wir brauchen in diesem Land keinen Landesfonds à la Rüttgers, der zeitlich befristet ist, der unterfinanziert ist und der – wenn man es einmal ganz klassisch ausdrückt – die Betroffenen zu.

(Beifall von der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Sie haben gar nichts angeboten)

Das brauchen wir in diesem Land nicht, Herr Witzel. Wir brauchen Kinder, die eben keine kleinen Bittsteller sind, sondern die eine Chance erhalten, und zwar alle, und die an ihre Perspektiven glauben. Das machen Sie mit Ihrer Politik gerade kaputt.

Wir sind im Zeitalter der Ganztagsschulen angekommen. Das ist auch gut so. In diesem neuen Zeitalter sollten wir aber vielleicht alle auch einmal ein bisschen selbstkritisch sein und sagen: Wir müssen da auch ein Stück weit dazu lernen. Denn wir haben keine Erfahrung, wie man mit Ganztag umgeht. Das ist in Nordrhein-Westfalen etwas Neues.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Haben Sie Erfahrungen mit Ganztag flächendeckend, Herr Kaiser? Ich habe jedenfalls keine. Das ist etwas Neues, was wir hier im Land einführen und was wir auch alle wollen. Aber wenn wir das denn wollen, wenn wir in diesem neuen Zeitalter sind und das auch alle wirklich begrüßen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass in diesem neuen Zeitalter zu einer guten Schule neben gutem Unterricht qualitativ hochwertige Ganztagsangebote, eine ordentliche Mittagsbetreuung und Mittagspause und ein gesundes warmes Mittagessen gehören. Dafür stehen wir als SPD. Dafür kämpfen wir als SPD. Dafür stimmen wir diesem Gesetzentwurf heute zu.

Abschließend bleibt meine Frage offen: Wofür stehen Sie eigentlich?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Link. – Als nächster Redner spricht für

die FDP-Fraktion der Kollege Witzel. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Anliegen einer gesunden und auskömmlichen Ernährung von Kindern und Jugendlichen ist ein ernsthaftes. Gerade deshalb ist es bedauerlich, wie die Grünen dieses Thema heute wieder zur parteipolitischen Profilierung bei ihrer Klientel einsetzen.

(Beifall von der FDP)

Frei nach dem Motto „Nur in einem gesunden Körper kann sich auch ein gesunder Geist entfalten“ liegt der Koalition der Erneuerung viel an einer hochwertigen Ernährung der Jugend. Das Ziel einer gesunden Ernährung ist ausdrücklich richtig. Ihr Weg allerdings ist grundfalsch.

Dort, wo bei Härtefällen dieser Anspruch nämlich gefährdet ist, da haben wir einen Landesfonds aufgelegt, um zu helfen – anders als Sie früher zu Zeiten Ihrer Verantwortung dies getan haben und

(Sören Link [SPD]: Da hat doch kein Mensch ernsthaft über Ganztag geredet! Sie doch auch nicht! Erzählen Sie doch nicht so einen Müll!)

anders als andere Bundesländer dies getan haben.

(Beifall von der FDP)

Die Philosophie, Herr Kollege Sören, nach der Sie aber gerade gefragt haben,

(Sören Link [SPD]: Haben Sie 39 Jahre lang nach Ganztagsschulen geschrien?)

ist für uns: Der wahre Sozialstaat hilft den tatsächlich Bedürftigen, aber nicht mit der Gießkanne.

Wir lehnen deshalb den Grünen-Antrag natürlich ab. Denn es ist ein Antrag, der ganz typisch ist für die Grünen.

Es ist erstens ein typischer Grünen-Antrag, da Sie einmal wieder, einmal mehr von anderen das fordern, was Sie selber nie getan haben, als Sie selber in Verantwortung standen. Der heutige Antrag ist wohl deshalb eher ein Teil der Bewältigung Ihres schlechten Gewissens nach Ihrer Abwahl. Die Einkommensstruktur, die wir für Transferempfänger heute haben, haben Sie gestern in Regierungszeiten mit Ihrer Hartz-Gesetzgebung geschaffen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das Verhältnis von Herrn Witzel zu Hartz-IV-Empfängern ist ja bekannt!)

So einfach machen es sich die Grünen aber immer gerne: Kaum ist man in Land und Bund abgewählt, fordert man die Totalrevision der selber gerade erst beschlossenen Grünen-Hartz-Gesetze, damit einem nicht noch mehr Sagels weg von der Fahne und hin zur Linkspartei gehen. Das ist, meine Damen und

Herren, Sagelismus pur. Sie forcieren die soziale Umverteilungsdebatte im Überbietungswettbewerb um soziale Wohltaten. So macht Grünen-Politik Ihnen Spaß.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Meine Güte!)

Deshalb rufen Sie mit ins Horn tutend bei der Linkspartei gerade als Grüne in Nordrhein-Westfalen und im Übrigen anders als in anderen GrünenLandesverbänden. Für Sie ist Hartz Armut per Gesetz. Deshalb war doch die eigene Gesetzgebung von früher gar nicht so gemeint.

Zweitens handelt es sich um einen typischen Grünen-Antrag, da eine seriöse Finanzierung für Sie nie eine Rolle spielt. Geld kommt eben bei den Grünen immer von der Bank, auf der Basis steigender Haushaltsverschuldung, so wie Sie ja auch keine Kraftwerke brauchen, da Strom schließlich aus der Steckdose kommt.

(Zuruf von der SPD: Oh! – Sören Link [SPD]: Sind Sie der dritte Lehman Brother, oder was?)

Wie absurd Ihr Finanzierungsansatz ist, sieht man daran, dass Sie sagen: Das ist eine Unterstützung, die für alle pauschal anrechnungsfrei ist. Ich bin ja gerne bereit, mit Ihnen darüber zu reden, ob wir im Interesse des Kindeswohls und der Hilfe für Kinder nicht gut beraten sind, bestimmte Geldtransfers einzustellen, um in Form von Realtransfers die tatsächliche Hilfe für Kinder sicherzustellen. Das ist eine Debatte, die man führen kann. Aber alles obendrauf zu packen und den Anteil der Transfers, die ja genau für die Essensabdeckung da sind, weiterlaufen zu lassen, das ist nicht seriös gegenfinanziert.

(Beifall von der FDP)

Wir stehen in Regierungsverantwortung für dieses Land und können daher nicht nur über soziale Absichten philosophieren, sondern gestalten eine Politik der besten sozialen Ergebnisse.

Sie wollen 150 Millionen € Mehrausgaben auf Pump zulasten der jungen Generation und zulasten von Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen. Das ist Grünen-Sozialpolitik.

Drittens handelt es sich um einen typischen Grünen-Antrag, da Sie bis heute nicht verstanden haben, wo Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten bei einer fairen partnerschaftlichen Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften liegen.

Sie können den Bund auffordern, Regelsätze des SGB zu dynamisieren, damit diese auskömmlich sind. Genau das machen wir, weil wir sagen: Es ist die Logik eines jeden Regelsatzes, damit ein Sozialtransfer die notwendigen Ausgabenstrukturen abdeckt, dass natürlich, wenn Inflation vorliegt, der Gegenwert in Kaufkraft für die nächsten Jahre er

halten bleiben muss. Das ist unser Zugang zu diesem Thema mit unserer Bundesratsinitiative.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Alternativ können Sie bei Kommunen im Wettbewerb um die Attraktivität für Familien anregen, hier als Träger von Schulen und Jugendarbeit besondere Angebote zu unterbreiten. Aber dort, wo Sie als Grüne vor Ort Verantwortung tragen, machen Sie das nicht. Es ist immer einfacher, Forderungen an andere zu richten. In die Landeszuständigkeit gehört Ihr Gesetzentwurf als pauschale Regelung für alle definitiv nicht. Die Absicht mag sozialpolitisch positiv motiviert sein. Das Land steht an dieser Stelle aber nicht in der Verantwortung.

Viertens. Es ist deshalb ein typischer GrünenGesetzentwurf, da Sie klischeehaft Stereotype bedienen und nicht differenziert urteilsfähig sind. Sie wollen dies bei dieser Debatte auch gar nicht sein. Es ist nämlich eine Tatsache, dass die Gründe für Mangel- und Fehlernährung mit Finanzknappheit oftmals viel weniger zu tun haben als mit Defiziten der Bewusstseinsbildung. Fast-Food-Konsum ist oftmals viel teurer als vitaminreiche, frische Küche. Tatsache ist, dass jeder zweite Haushalt von HartzIV-Empfängern über zusätzliche Hinzuverdienste verfügt, sodass die Regelsätze immerhin für jeden zweiten Transferempfängerhaushalt gar nicht die Budgetgrenze sind.