Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

Es wurde, wie auch schon anlässlich eines Termins im November 2005 versichert, dass sich die Belegungssituation in Bedburg-Hau durch Inbetriebnahme eines Ersatzneubaus mit 114 Plätzen nun kurzfristig deutlich entspannen wird.

Eine weitere Entlastung soll durch die Einrichtung von Kliniken an sechs weiteren Standorten in den Jahren 2009 und 2010 erfolgen. Ein aktueller Bericht der Landesregierung über die Belegungssituation in Bedburg-Hau steht in diesem Monat an. Wir werden sehen, ob sich die Belegungssituation tatsächlich verbessert hat. Jedenfalls wird der Petitionsausschuss diese Entwicklung weiter kritisch begleiten.

Zum Abschluss lassen Sie mich Ihnen noch einen Fall vorstellen, der uns besonders bewegt hat: Bereits im November 2006 erreichte den Petitionsausschuss ein Hilferuf der achtköpfigen Familie Z. aus dem Kosovo, die von einem Förderkreis in Lippstadt unterstützt wird. Die Familie lebte seit Juni 1999 in Deutschland. Nach negativem Bescheid mehrerer Asylanträge wurde sie am 14. September 2006 in den Kosovo abgeschoben. Dies sorgte für Unverständnis und einiges Aufsehen, zumal die Familie integriert war, der Vater Arbeit hatte und die Mutter sowie der jüngste Sohn und die Tochter Gentiana erheblich krank waren.

Die Mutter leidet an schweren Depressionen und sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen, die immer wieder zu Krankenhausaufenthalten geführt hatten. Der Sohn hat ein Nierenleiden, die Tochter litt an Durchblutungsstörungen in der rechten Hand und im rechten Arm.

Die Abschiebung der Familie konnte erfolgen, weil der vom Ausländeramt beauftragte Arzt, entgegen aller vorgelegten Gutachten anderer Ärzte, die Reisefähigkeit von Frau Z. feststellte. Bei seinen Gesprächen mit Frau Z. war die damals 14-jährige Tochter Gentiana anwesend und musste sogar die traumatischen Kriegserlebnisse der Mutter übersetzen. Möglicherweise hat sie noch nicht einmal alles in der Anwesenheit ihrer Tochter berichtet. An der Beurteilung – lege artis – durch den beauftragten Arzt muss schon deswegen gezweifelt werden.

Bald nach der Abschiebung verschlimmerte sich der Zustand von Gentiana. Ihr Arm wurde taub und verfärbte sich blau. Im Kosovo wurde die Amputation der rechten Hand erwogen. Es gelang dem Förderkreis der Familie im Zusammenwirken mit der Ausländerbehörde, Gentiana zur Behandlung nach Deutschland zu holen und eine Duldung ihres Aufenthalts bis zum Sommer 2008 zu erreichen. Den Unterhalt stellte der Förderkreis sicher.

Die Untersuchungen in Deutschland ergaben, dass die Beschwerden im Arm immer dann auftraten, wenn Gentiana über ihre Lebenssituation im Kosovo sprach und deshalb unter großer seelischer Belastung stand. Dies habe ich als Berichterstatterin in einem Gespräch mit Gentiana selbst wahrnehmen können.

Der Petitionsausschuss konnte der Ausländerbehörde in zwei Terminen seine Befürchtung, dass Gentiana wegen posttraumatischer Belastungsstörungen behandlungsbedürftig sein könnte, näherbringen. Bei entsprechender Behandlung – so die Ärzte – könnte die Amputation der Hand sehr wohl vermieden werden.

Die Ausländerbehörde und der Petitionsausschuss haben sich darauf verständigt, dass Gentiana von einem Arzt, den diesmal das Gesundheitsamt vorgeschlagen hatte, untersucht werden sollte. Dieser stellte dann in der Tat die Therapiebedürftigkeit

wegen posttraumatischer Belastungsstörungen sowie eine Reiseunfähigkeit fest. Daraufhin konnte die Ausländerbehörde Gentiana ein Aufenthaltsrecht einräumen.

Sie ist inzwischen 18 Jahre alt und besucht mit gutem Erfolg die Schule. Sie strebt das Abitur an. Die Situation ihrer abgeschobenen Familie, besonders ihrer kranken Mutter und des jüngeren Bruders, ist weiterhin ungeklärt.

In dem sehr ausführlichen und fundierten Gutachten über den Gesundheitszustand von Gentiana ist deutlich geworden: Die Rolle als Dolmetscherin, die ihr Ärzte im Vorfeld der Abschiebung zugemutet hatten, zwischen Mutter, verschiedenen Psychologen und Psychiatern hat sie selbst krank gemacht. Sie hat dadurch alle Details der Traumatisierung ihrer Mutter mitbekommen, musste gewissermaßen die Geheimnisse ihrer Mutter teilen. Sie habe dadurch alles Schreckliche – so der Gutachter –, was ihrer Mutter widerfahren sei, in sich aufgenommen. Dass Ärzte Kinder und Jugendliche diesen Belastungen aussetzen, ist für uns als Ausschuss nicht verständlich und akzeptabel.

Das Erschütternde ist: Der Fall Gentiana ist kein Einzelfall. Wir wissen, dass Kinder in die Situation gezwungen werden, speziell auch Söhne, das Vergewaltigungsschicksal ihrer Mütter dolmetschen zu müssen. Das sprengt alle medizinisch-ethischen Grundregeln.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Im Zusammenhang mit der vorliegenden und anderen Petitionen ist dem Petitionsausschuss klargeworden, dass die Ausländerämter oft nicht in der Lage sind, einen Arzt zu finden, der fundierte Stellungnahmen und Gutachten im Zusammenhang mit inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen fertigen kann. Das betrifft vor allem den Bereich der posttraumatischen Belastungsstörungen. Von verschiedenen Institutionen wie Ärztekammern und Kirchen sind entsprechende Gutachterlisten veröffentlicht worden. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieht bezogen auf seine Außenstellen einen Bedarf an ausgebildeten Gutachtern und erstellt zurzeit ebenfalls eine entsprechende Liste.

Der Petitionsausschuss greift deshalb die Anregung aus dem Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in seiner Sondersitzung vom 17.06.2008 auf und empfiehlt der Landesregierung, eine Gutachterliste zu erstellen und diese mit den Ärztekammern sowie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abzustimmen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen aus der Vielfalt der Themen, dass wir im Petitionsausschuss ganz unmittelbar die Probleme der Menschen im Land erfahren. Ich kann sagen, dass die Abgeordneten auf diese Art und Weise wirklich geerdet bleiben. Wir kennen die Probleme der Menschen im Land.

Zum Schluss will ich aber auch ausführen, dass eine unverzichtbare Stütze für unsere Arbeit im Ausschuss das Petitionsreferat ist. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren unermüdlichen und engagierten Einsatz im Sinne der Bürgerinnen und Bürger.

(Allgemeiner Beifall)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und die Wertschätzung, die Sie der Petitionsarbeit hier im Hause entgegenbringen, und für die Unterstützung aller Kolleginnen und Kollegen, die diese engagierte Arbeit immer mit viel Überzeugung und persönlichem Einsatz für die Bürgerinnen und Bürger im Land tun. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Danke schön, Frau Beer.

Ich will die Gelegenheit ebenfalls nutzen, mich für den Landtag Nordrhein-Westfalen insgesamt sowohl bei den Mitgliedern des Petitionsausschusses als auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung dafür zu bedanken, dass Sie auch im letzten halben Jahr diese Arbeit so überzeugend getan haben.

Das Petitionsrecht ist ein wirkliches Aushängeschild des Parlamentes. Hierfür werden immer Personen benötigt, die sich intensiv darum kümmern. Ich denke, Frau Beer hat sehr gute Beispiele angeführt, dass wir das auch tatsächlich tun. Dafür spreche ich allen Beteiligten meinen herzlichen Dank aus.

(Allgemeiner Beifall)

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

7 Ackerbauminister Uhlenberg lässt Milchbauern allein – Milchviehbetriebe brauchen faire Erzeugerpreise

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/7674

Ich eröffne die Beratung und gebe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herrn Remmel das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer hat nicht noch die recht dramatischen Bilder vom Juni diese Jahres vor Augen: Da streikten die Bauern in hoher Solidarität. Viele, viele Milchbauern machten mit. Sie schütteten Milch auf die Straße. Das war bisher einmalig in Deutschland. Die Bevölkerung hatte dafür eine hohe Sympathie; denn die Bevölkerung erkennt natürlich, dass die Bedingungen für die Milchbauern in der Tat dramatisch sind: über Jahre

sinkende Erzeugerpreise auf der einen Seite und steigende Kosten für Energie und Futtermittel auf der anderen Seite.

Die Handelsketten sitzen an den längeren Hebeln. Auch das ist für die Menschen erkennbar: Überproduktion trotz Quotenregelung und widersinnige öffentliche Anreize zur Produktionssteigerung.

Wie haben wir damals den Landwirtschaftsminister erlebt? – Ich muss sagen, ich war überrascht, wie er selber offensichtlich überrascht war von dem Protest der Milchbauern. Ich habe hier bei der Plenardebatte einen hilflosen Landwirtschaftsminister erlebt.

Es ist schon erstaunlich, dass sich der Landwirtschaftsminister dieses Landes mit den originären Forderungen der Milchbauern so schwertut. Ist er denn nicht 2005 noch landauf, landab als Bauernbefreier gefeiert worden? Jetzt auf einmal vertritt er nicht mehr die Interessen der Bauern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was hat sich denn eigentlich nach dem Milchstreik vom Sommer getan? – Da hat es einen großen Gipfel bei Seehofer gegeben und viele kleine Gipfelchen bei Herrn Uhlenberg. Aber man muss doch einmal einen Strich darunter ziehen: Was hat sich denn wirklich verändert? – Die Preise haben wieder Tiefstände erreicht. Die Discounter haben neue Preisrunden durchgesetzt, und zwar nach unten. Die Forderungen der Milchbauern sind bis heute nicht umgesetzt, noch nicht einmal im Ansatz. Ein Milchfonds ist in einem geringen Umfang versprochen, aber das ist ja weiße Salbe angesichts der Problemlagen und im Übrigen überhaupt noch nicht umgesetzt.

Also: Die Milchbauern fühlen sich von der Landesregierung, von den Bauernfunktionären, von der CDU und von der FDP in diesem Lande offensichtlich im Stich gelassen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Verraten und verkauft!)

Es ist ein absolutes Novum – insofern habe ich den Eindruck, wir stehen da auch ein Stückchen an einer Zeitenwende –, dass in Münster die Milchbauern gegen den Bauernverband protestieren. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen und sich die Bilder anschauen: Bauern protestieren gegen den Bauernverband. Hier kann doch irgendetwas nicht stimmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was ist die Perspektive, über die wir reden? – Die Perspektive ist ein Mengenmanagementsystem nach kanadischem Vorbild: Die Bauern, die Erzeuger übernehmen selber das Management. In Kanada klappt das offensichtlich, und in Kanada gibt es ja auch keinen Sozialismus.

Es darf keinesfalls die Perspektive einer weiteren Liberalisierung sein. Ich verstehe die Diskussion nicht. In der derzeitigen Diskussion über das Finanzwesen wird doch landauf, landab darüber diskutiert: Beschränkungen des Marktes müssen greifen. Wir müssen neue Rahmenbedingungen schaffen. Im Bereich der Agrarwirtschaft wird aber über weiteres Wachsen, über weitere Liberalisierung, über Weltmarkt und Ähnliches in dieser Richtung schwadroniert.

Es muss Schluss sein mit der Politik der Weltmarktfähigkeit. Wir brauchen eine Politik der Förderung und Unterstützung der kleinen Betriebe und der Familienbetriebe in diesem Land sowie der besonders gefährdeten Regionen, aber auch neue Rahmenbedingungen gerade für die kleinen und mittleren Familienbetriebe in diesem Land. Das muss im Mittelpunkt der Politik stehen.

Deshalb sind die Forderungen nach kurzfristigen Maßnahmen richtig. Wir brauchen in der Tat faire Preise. Deshalb ist es richtig, die Molkerei- und Bundessaldierung abzuschaffen. Es ist richtig, die Forderung zu stellen, den Umrechnungsfaktor zu ändern. Es ist richtig zu fordern, dass es keine neuen Quotenerhöhungen geben darf und dass die beschlossenen Quotenerhöhungen im Übrigen in der nationalen Reserve belassen werden.

Aber bisher werden diese Forderungen – Bayern hat dazu einen Antrag im Bundesrat gestellt – von NRW abgelehnt. Gerade nach der Diskussion, die wir hier gehabt haben, ist es für mich unverständlich, dass NRW die Forderungen der Milchbauern ablehnt.

Deshalb diskutieren wir hier und heute unser Anliegen und unsere Aufforderung an die Landesregierung, an die Koalitionsfraktionen, an den Minister: Unterstützen Sie endlich die Forderungen der Milchbauern! Stellen Sie sich gegen die offensichtlichen Interessen der Funktionäre des Bauernverbandes, weil die in der ganzen Geschichte eindeutig gegen die Bauern agieren! Das ist schon eine interessante Konstellation.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Lebhafter Beifall von der Zuschauertribüne)

Also: Wir wollen die Revision der bisherigen Position des Landes Nordrhein-Westfalen. Wir wollen die Unterstützung der Forderungen Bayerns. Wir wollen die Entwicklung eines neuen Mengenmanagementsystems. Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen an der Spitze der Unterstützung von kleinen und mittleren Familienbetrieben steht. – Vielen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Herr Remmel. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Josef Wirtz.

Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon traurig, dass sich die Erzeugerpreise für Milch auf einem so niedrigen Niveau bewegen. Fest steht auch, dass das nicht so bleiben darf. Das muss sich ändern.