Daher kann es ja nicht stimmen, dass Sie die soziale Gerechtigkeit so wunderbar hinbekommen und regeln.
Allerdings finde ich auch, dass der Antrag der SPD angesichts der Dimension dieses Themas etwas kurz springt.
„Autorität wie Vertrauen werden durch nichts mehr erschüttert als durch das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.“ Das ist ein Zitat von Theodor Storm. Ich glaube, das zeigt die Bedeutung von Gerechtigkeit für die gesamte Gesellschaft. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, macht sich immer konkret fest und nicht abstrakt. Dazu fünf Beispiele:
Wenn die einen Kinder zu Mittag essen, während die anderen nebenan hungrig auf das Ende der Mittagspause warten, dann ist das ungerecht.
Wenn eine Frau die gleiche Arbeit ausübt wie ein Mann und dafür schlechter bezahlt wird, dann ist auch das ungerecht.
Wenn das eine kluge Kind von reichen Eltern auf das Gymnasium kommt, während dem anderen genauso klugen, aber ärmeren Kind dieser Zugang verwehrt bleibt, dann ist das ungerecht.
Wenn eine Generation die Erde zerstört, auf der die nachfolgenden Generationen auch noch leben wollen, dann ist das ungerecht.
Wenn die Industrieländer das Klima erhitzen, aber die Entwicklungsländer am schlimmsten darunter leiden, dann ist das ungerecht.
Diese fünf Beispiele, meine Damen und Herren, beschreiben genau die fünf verschiedenen Dimensionen von Gerechtigkeit.
Zunächst ist da die klassische Verteilungsgerechtigkeit. Gerechtigkeit verlangt eine gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Güter. Das erfordert insbesondere eine Parteinahme für die sozial Schwächsten. Verteilungsgerechtigkeit auch in unserer Gesellschaft bleibt eine dauerhafte Herausforderung.
Unsere Vorstellung von Gerechtigkeit geht über traditionelle Verteilungspolitik hinaus. Gerechtigkeit meint eben auch die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Wir bilden uns ein, dass man unseretwegen da inzwischen ein bisschen weiter ist als vor 40 Jahren. Aber noch immer ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter nicht gewährleistet. Noch immer gibt es ein großes Gefälle in der Verteilung von Machtpositionen und Einkommen zulasten der Frauen.
Dann ist da die Teilhabegerechtigkeit: Sie bedeutet, allen Menschen Zugang zu den zentralen gesellschaftlichen Ressourcen Arbeit, Bildung und demokratische Mitbestimmung zu verschaffen. Gerechter Zugang muss immer wieder bewusst und gezielt
Bei der Generationengerechtigkeit gilt das alte Motto: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Das ist heute aktueller denn je. Denn durch ökologischen Raubbau und zukunftsvergessene Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik steht die Zukunft unserer Kinder auf dem Spiel. Wir Grüne treten ein für eine Gerechtigkeit, die das ausdrücklich mit einschließt – generationenübergreifend.
Schließlich nenne ich die internationale Gerechtigkeit. Sie muss umso mehr gelten, je mehr eine globale Wirtschaft Menschen in aller Welt miteinander verbindet und voneinander abhängig macht. Sie bezieht sich insbesondere auf die Menschen außerhalb der Wohlstandsregionen unseres Planeten. Die industrialisierte Nordhalbkugel darf nicht weiter auf Kosten der Länder des Südens leben.
Wenn ich diesen Gerechtigkeitsbegriff, Herr Brakelmann, zum Maßstab für die konkrete Politik in NRW nehme, dann zeigen sich da – hoffentlich auch Ihrer Meinung nach – doch noch eklatante Mängel.
Das heißt, wir müssen die Bildungschancen für alle verbessern. Unser Land braucht eben alle Talente. Wir müssen die Qualität der Elementarbildung verbessern. Das ist ein zentraler Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit. Wir müssen die Elementarpädagogik und die Betreuung ausbauen. Auch das ist ein Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Wir brauchen ein Schulmittagessen für alle. Das heißt, Kinder aus sozial benachteiligten Familien müssen es kostenlos erhalten.
Wir brauchen ein Sozialticket. Denn auch Mobilität ist ein zentraler Faktor der Teilhabe von bedürftigen Menschen. Sonst können sie Mobilität nicht wahrnehmen.
Wir müssen von NRW aus den Impuls geben, damit endlich die Hartz-IV-Regelsätze erhöht werden. Besonders denke ich dabei an die Kinder.
Von all dem, was ich jetzt genannt habe, ist bei Ministerpräsident Rüttgers und seiner Regierung nicht genug zu sehen, meine Damen und Herren. Er redet zwar sehr viel von Gerechtigkeit, aber im Grundsatz ist dieses Mantra „Privat vor Staat“ hier nicht außer Kraft gesetzt, meine Damen und Herren.
eine Änderung der Rentenpolitik. Aber in NRW verweigert seine Regierung konkrete Besserstellungen für die Feuerwehrleute.
In einem kurzen Gedicht über Gerechtigkeit von Gotthold Ephraim Lessing offenbaren sich wahrsagerische Fähigkeiten des Dichters:
Meine Damen und Herren, aber wenn ich mir den Antrag der SPD – ich habe es ja am Anfang angedeutet – anschaue, muss ich leider feststellen: Da läuft es nun genau andersherum. Hier für die Landesebene formulieren Sie wortreich einen Antrag, aber auf der Bundesebene, wo die SPD ja nun in der Verantwortung steht, sind Sie Teil des Problems.
Oder meinen Sie wirklich, dass die Gesundheitsreform sozial gerecht und solidarisch finanziert ist? Über die Erbschaftsteuer haben wir schon gesprochen. Wo ist denn die Erhöhung der Regelsätze?
Wo ist denn die Eigenberechnung eines Regelsatzes für Kinder? Wo ist denn der Beitrag von Herrn Scholz, wenn es darum geht, das Schulessen für Bedürftige mitzufinanzieren? Da haben sich auf der Bundesebene Frau Schavan und Herr Scholz gegenseitig den schwarzen Peter zugeschoben. Für die Kinder ist nichts dabei herumgekommen.
Ganz konkret: Über einen Punkt haben wir uns besonders geärgert. Sie fordern die Landesregierung auf, die Arbeitslosenzentren dauerhaft zu sichern, sind aber im Ausschuss ganz konkret beim Haushalt unserem entsprechenden Antrag nicht gefolgt. Das ist unglaubwürdig.
Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Antrag wird nur an einer Stelle konkret, nämlich bei der Subventionierung der Kohlerückzugsgebiete. Das ist nun wirklich nicht überzeugend. Ansonsten enthält der Antrag viele Forderungen, die wir teilen. Aber ein Gesamtbild von Gerechtigkeit bietet Ihr Antrag nicht. Ich verstehe die Auswahl nicht. Ich verstehe die Gewichtung nicht. Ich verstehe die Systematik nicht. Das Wort „Kohle“ kommt in ver
schiedenen Variationen siebenmal vor. Aber das Wort „Armut“, geschweige denn „Kinderarmut“ kommt kein einziges Mal in einem Antrag vor, der sich mit schnell lösbaren Gerechtigkeitsfragen beschäftigen soll.
Meine Damen und Herren, wenn wir wirklich ein gerechteres Land wollen, müssen wir viel mehr auf viel mehr Ebenen tun und umsteuern. Gerechtigkeit ist mehr als ein politisch zu besetzendes Wort. Gerechtigkeit ist, wenn wir sie wirklich wollen, eine Herausforderung für unser Land und für uns als politisch Handelnde. Ich glaube, wir wären hier alle gut beraten, deutlich zu machen, dass wir alle auch noch Hausaufgaben zu machen haben und nicht die einen, die die Weisheit mit Löffeln gegessen haben, die Guten und die anderen die Schlechten sind. Ich glaube, wir würden gut daran tun, wenn wir zu fragen versuchten: „Wo gibt es Dinge, die wir gemeinsam anpacken können?“, und das hier auch erreichten. – Danke schön.