Die PISA-Gewinnerländer zeigen mit einer integrativen Strategie, dass behinderte Kinder die Entwicklung nicht behinderter Kinder nicht etwa hemmen, sondern fördern…
Das ist die Zielrichtung für Nordrhein-Westfalen. Das ist das, was wir aus der Konvention umsetzen müssen, damit endlich Schluss damit ist,
dass Eltern mit behinderten Kindern jeden kleinen Integrationsschritt erkämpfen müssen. Die UNKonvention zeigt uns, wo wir arbeiten müssen. Das ist das Recht auf gemeinsamen Unterricht in Nordrhein-Westfalen.
Das ist ja das Nette, das auch die FDP auf der Bundesebene im Gegensatz zu den NRW-Kollegen es offensichtlich so sieht. Denn sie schreibt in ihrem Entschließungsantrag zur gestrigen Debatte im Bundestag:
Es ist sicherzustellen, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderung, zum Beispiel bei der inklusiven Beschulung, bei der Umsetzung der Konvention im Vordergrund steht.
Die Übersetzung aus dem Englischen ist in der Tat sehr wichtig, und sie wird ja durch die Denkschrift noch einmal verfälscht. Denn in der Denkschrift wird folgendermaßen weichgespült: Es wird ausgeführt, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen beziehungsweise sonderpädagogischem Förderbedarf im Rahmen integrativer Bildung allgemeine Schulen besuchen, wenn dort die notwendige sonderpädagogische und auch sächliche Unterstützung gewährleistet ist. Das ist aber etwas, was wir sicherzustellen haben. Das ist die Voraussetzung. Daran wird man messen müssen, inwieweit die Umsetzung der Konvention dann auch gelingt.
Inklusion, das ist gesagt worden, heißt, dass es normal ist, verschieden zu sein. Von diesem Begriff ausgehend muss alles getan werden, damit Kinder nicht ausgesondert werden.
„Nicht ausgesondert“ ist genau das Stichwort zur nordrhein-westfälischen Bildungspolitik, die geprägt ist von dem Apartheidsgedanken, dass nicht alle zusammengehören
und dass hier systematisch ausgesondert wird. Das betrifft die Förderschulen, das betrifft die Kinder, die Hauptschulen besuchen.
Jetzt ist ganz interessant, dass ausgerechnet CDU und SPD in einem Entschließungsantrag zur gestrigen Debatte fordern, dass die Leistungsfähigkeit der Förderschulen bitte zu untersuchen sei, sie in die internationalen Studien einzubeziehen seien, damit man daraus Erkenntnisse gewinnen könne. – Diese Erkenntnisse liegen längst vor, dass Kinder durch gemeinsamen Unterricht profitieren. Vor allen Dingen vor der Folie, dass heute die KMK mit Frau Sommer im Gepäck gegebenenfalls beschließt, die Hauptschulstandards bis 2015 auszusetzen, sich um diese Kinder nicht mehr zu kümmern,
ist es geradezu zynisch, jetzt auch noch die Kinder in Förderschulen auf die lange Bank zu schieben. Wir brauchen eine sofortige Umsetzung, wir brauchen Inklusion jetzt.
Denn für alle Kinder gilt: Zukunft ist jetzt. Ab dem heutigen Tage geht es los; die Schritte zur Inklusion müssen entsprechend gegangen werden.
Warum wird hier opponiert, Herr Witzel? Das ist das Unangenehme für Sie: Wenn die Konvention umgesetzt wird, dann haben Sie verloren, aber die Kinder in Nordrhein-Westfalen haben gewonnen!
Frau Kollegin Beer, ich möchte Sie wirklich bitten, noch einmal Ihre Rede – vielleicht heute Abend – in aller Ruhe zu überdenken.
Wissen Sie, ich finde, wenn man viele Jahre in der Landespolitik ist wie Sie, auch einige Jahre einer Regierungsfraktion angehört hat, und wenn man dann so eine Rede hält, ist es eigentlich eine Anklage Ihrer eigenen Politik.
Ich bin auch nicht bereit, das so stehen zu lassen, weil Sie ein Bild gezeichnet haben, das einfach nicht wahr ist. Es ist nicht so, dass in NordrheinWestfalen Kinder mit Behinderungen von verantwortungsbewussten Menschen ausgegrenzt werden. Es ist einfach nicht so!
Ich möchte einen weiteren Punkt sagen: Wenn wir über diese Fragen der Lebenschancen von Behinderten reden, müssen wir uns alle etwas den Spie
gel vorhalten. Jetzt, wo wieder diese Debatte geführt wird, ist die Realität in Nordrhein-Westfalen, dass wir noch einige hundert Behinderte in Mehrbettzimmern untergebracht haben. Das heißt, dass diese Menschen nicht einmal ein eigenes Zimmer haben.
Wenn ich einer Fraktion angehören würde, die vor Jahren in das Landespflegegesetz geschrieben hat, dass es ab 2018 in der Altenpflege einen Rechtsanspruch auf ein Einzelzimmer gibt,
während zur damaligen Zeit Ihre Landesregierung noch die Bewilligungsbescheide für Mehrbettzimmer herausgeschickt hat, dann würde ich zu dieser Frage den Mund halten.
Jetzt möchte ich einen weiteren Punkt ansprechen: Ich mache schon lange Sozialpolitik. Bei uns in Deutschland ist es oft so, dass wir von dem einen Extrem in das andere springen. Früher haben wir nur mit Sondereinrichtungen gearbeitet, und jetzt gibt es Menschen, die sagen, man könne alles integrieren. Ich möchte mich heute ausdrücklich hinter die Sondereinrichtungen stellen. Sie haben für einen Teil der Behinderten durchaus ihren Sinn, und dort wird eine erstklassige Arbeit gemacht.
Wenn man für solche Sondereinrichtungen ist, ist man doch überhaupt nicht gegen Integration. So gut wie für das eine Kind die Integration sein kann, so kann ein ganz anderes Kind mit einer ganz anderen Emotionalität vielleicht darunter leiden und fühlt sich in einer Sondereinrichtung sehr wohl, weil es dort möglicherweise zu den stärkeren Kindern im Leistungsspektrum gehört.
Wer selber Kinder hat, hat das vielleicht einmal erlebt: Wenn morgens ein Kind aus dem Haus geht und Bauchschmerzen hat, weil es vor der Schule Angst hat, dann ist mir wichtig, dass dieses Kind eine Schule findet, in der es sich wohlfühlt und der es sich vernünftig entwickeln kann.
Frau Beer, Sie sind eine Frau, die viel unterwegs ist und eigentlich ein passendes Herz für diese Sachen hat, so wie ich Sie kennengelernt habe; das will ich ausdrücklich sagen. Aber ich möchte Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe in meinem Wahlkreis zum Beispiel noch am Sonntag ein langes Gespräch mit einer verzweifelten Mutter und einem verzweifelten Vater gehabt, die mich zu Hause aufsuchten. Deren Kind leidet unter Autismus und war in einer Regelrealschule im Kreis Steinfurt integriert. Die zuständige Stadt hat sogar einen Schulbegleiter zur Verfügung gestellt. Trotzdem war dort – ich habe mich
am Montag noch selber darum gekümmert – eine Situation entstanden, dass die Schule sagte: Wir bekommen es nicht hin; die anderen in der Klasse leiden so unter den Bedingungen des Kindes, dass wir das im Interesse der anderen Kinder beenden müssen.
Ich habe also noch am Sonntag ganz praktisch an einem Fall gesehen, dass es auch Grenzen gibt und dass ein solches Kind in einer Förderschule, die für diesen Bereich besonders ausgestattet ist, vielleicht besser aufgehoben ist. Deswegen sollten wir uns davor hüten, später, wenn wir es umsetzen, alles gesetzlich in einer bestimmten Weise zu regeln. Ich wünsche mir vielmehr in diesen Fragen Einzelentscheidungen von verantwortungsbewussten Pädagogen, Beratern, Eltern und Lehrern, die dann den Einzelfall werten müssen – aber natürlich mit der Zielsetzung, dass das Kind, wenn es eben geht, integriert wird.