Protokoll der Sitzung vom 11.02.2009

(Beifall von FDP und CDU)

Ich kenne niemanden, der sein Haus mit einem Kernkraftreaktor heizen oder damit im Verkehr unterwegs sein will. Das gibt es doch nicht, also müssen wir das miteinander vergleichen, was vergleichbar ist. Dann haben wir ganz andere Zahlen.

Als Nächstes ist gesagt worden, man sei hier Geisterfahrer. Meine Damen und Herren, wir haben hier Geisterfahrer: 45 % des Parlaments sind Geisterfahrer!

Belgien betreibt Kernkraft, will ausbauen. Die Niederlande, Schweden, Italien wollen es machen. Überall wird Kernkraft ausgebaut, werden deutliche Beschlüsse dazu gefasst. Meine Damen und Herren, ist „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, „Wir in Deutschland gehen voran“ immer noch Ihr altes Motto? Die Bauchlandung haben wir doch im Umweltschutz und in vielen anderen Bereichen erlebt.

Nein, hier ist rationale Politik gefordert. Deswegen ist es richtig, auch hier in Deutschland über das Problem der Laufzeitverlängerung zu diskutieren. Das ist zwangsläufig notwendig und wichtig.

Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch auf der Karte einmal an, wo überall Kernkraftwerke stehen. Was haben Kernkraftwerke, Mülldeponien

und Spielkasinos gemeinsam? – Sie stehen gerne an einer Landesgrenze. Das zeigt die Karte Europas. Wo liegt denn Cattenom? Wo liegt denn Temelin? Wir leben doch nicht auf einer Insel der Glückseligen. Nein, wir müssen uns in ein europäisches Gesamtkonzept einbinden und können uns dieser Argumentation und Diskussion nicht verweigern.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, worum geht es? – Zahlen sind genannt worden: Es sind derzeit 440 Kernkraftwerke in Betrieb, davon 197 in Europa, 17 in Deutschland. Was für einen tollen Erfolg hätten wir, wenn wir in Deutschland 17 Kernkraftwerke abschalten, aber 180 in Europa weiterlaufen? Das nur einmal, um die Dimensionen klar zu machen.

Im Übrigen – ich will es zwar nicht weiter vertiefen – : Wer Klimaschutz als Monstranz vor sich herträgt, aber Kernenergie ausblendet, ist nicht nur einäugig, der ist vollblind. Man muss sich entscheiden: Will ich Klimaschutz, dann muss ich viele Segmente des Klimaschutzes einbauen, auch die Kernkraft. Oder aber ich sage: Das ist doch nicht so wichtig. Dann kann ich das ausblenden.

Meine Damen und Herren, die Endlagerung ist die Achillesferse der Diskussion. Man muss ganz deutlich sagen: An der Stelle hat die Kernkraftwirtschaft in den 60er- und 70er-Jahren einen massiven Fehler gemacht und verantwortungslos gehandelt, indem sie gesagt hat: Wir müssen Sachzwänge schaffen, um die Entsorgung zu lösen. Asse ist ein GAU für die Entsorgungswirtschaft. Die HelmholtzGesellschaft ist in Verruf geraten. Es wird schwer sein, diesen Gesichtsverlust wettzumachen.

Gleichwohl ist es ein Stück aus dem Tollhaus – und da möchte ich den Kollegen Weisbrich zitieren –, wenn Herr Gabriel bei der Lösung der Entsorgungsfrage einerseits auf der Vollbremse steht, andererseits aber sagt: Ihr müsst die Entsorgung lösen. – Wenn man mir die Beine festbindet, kann ich die Entsorgung nicht lösen, weil ich stehenbleiben muss. Das ist die Verantwortung der SPD auf Bundesebene, das ist die Unverantwortung der SPD auch hier auf Landesebene, meine Damen und Herren.

(Beifall von FDP und CDU)

Wichtig ist es doch, dass wir keinen technischen Fadenriss bekommen. Machen wir uns doch nichts vor: Wir sind in Deutschland selbst mit dabei, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Kraftwerke und auch die Kerntechnik ins Ausland gehen. Was machen wir denn beispielsweise beim Emissionshandel? Wir verteufeln die Kerntechnik hier; also wird sie ins Ausland exportiert. Es ist zwar richtig, dass wir eine gesamteuropäische Konzeption fahren müssen. Aber nach dem Motto „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern – wir sind die Guten, wir setzen nicht auf Kernkraft, lass Kernkraft doch im Ausland bauen!“ zu handeln, wäre unverantwortlich.

Also müssen wir uns dem Problemkreis der Laufzeitverlängerung auf hohem Sicherheitsniveau stellen und gleichzeitig – hoffentlich gemeinsam – die Forderung erheben, dass die Endlagerung von der Wirtschaft angegangen und von der SPD in Berlin die Blockade aufgehoben wird. Das sind die zentralen Forderungen. Dafür müssten wir hier im Hause wohl eine Mehrheit bekommen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Ellerbrock. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Thoben.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn eine Klarstellung: Nirgendwo in Deutschland ist der Neubau eines Kernkraftwerks geplant.

Herr Römer, die SPD verteilt im Umfeld dieser Debatte eine Karte von Deutschland, auf der für Nordrhein-Westfalen zwei angebliche Standorte für neue Atomkraftwerke markiert sind. Sie wissen, dass wir längst die von Ihnen stammende LEP-Ausweisung energetischer Großvorhaben geändert und das öffentlich kommuniziert haben. Sie weisen zum Beispiel Datteln als angeblich geplanten Standort für ein neues Atomkraftwerk aus. Castrop-Rauxel ist doch nicht so weit weg. Sie wissen, dass wir dort New Park in den kommenden Wochen mit einem Bewilligungsbescheid begleiten. Das, was Sie hier machen, darf man nicht tun!

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, die frühere Bundesregierung hat die Energieversorgungsunternehmen zu einer Vereinbarung zum sogenannten Atomausstieg gedrängt. So wurde im Jahr 2000 verabredet, die kommerzielle Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland zu beenden. Zu diesem Zweck wurden den damals betriebenen 19 deutschen Kernkraftwerke bestimmte Restlaufzeiten zugebilligt. Diese ergaben sich aus den individuellen Reststrommengen, die ab dem 01.01.2000 in den einzelnen Anlagen noch erzeugt werden dürfen. Diese Reststrommengen wurden für die einzelnen Kernkraftwerke auf der Basis einer vorgegebenen Regellaufzeit von 32 Jahren abzüglich der bereits absolvierten Betriebsjahre aus einer errechneten durchschnittlichen Jahresproduktion ermittelt.

Aus den ursprünglichen Reststrommengen, den seit dem 01.01.2000 erzeugten Strommengen und den verbleibenden Reststrommengen lässt sich der voraussichtliche Stilllegungszeitpunkt der einzelnen Kraftwerke ableiten. Sie liegen aus heutiger Sicht zwischen dem aktuellen Jahr 2009 und dem Jahr 2022.

Wie ist man eigentlich auf die 32 Jahre gekommen? Kann man die Sicherheit von Kernkraftwerken so weit vorausschauend beurteilen oder gar begrenzen? Wahrscheinlich galt damals das Prinzip der aufgeklärten Willkür. Denn logisch ist die Verabredung nicht.

Wir setzen in diesem Zusammenhang auf Argumente, auf Vernunft und Sachverhalte. Wenn unsere Anlagen unsicher sind, dann müssten sie heute stillgelegt oder repariert werden. – Doch zu sagen, dass sie nach genau x Jahren unsicher werden, und daraus einen Abschaltplan abzuleiten, ist grün-rote Logik. Unsere sieht anders aus.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, eigentlich ist die Debatte heute ein Angebot an Rot-Grün, wieder auf den Weg der Vernunft einzuschwenken. So kann man sie auch einordnen. Wir stellen fest: Der Stromverbrauch in Deutschland hat von 2000 bis 2008 um mehr als 6 % zugenommen. Alles deutet darauf hin, dass von einem weiterhin moderat steigenden Stromverbrauch auszugehen ist. Hier gilt es, Vorsorge zu treffen.

Natürlich leisten regenerative Energien heute einen größeren Beitrag auch bei der Stromerzeugung. Das ist gut und richtig. Aber wahr ist auch: An der Bruttostromerzeugung hat die Kernenergie aktuell bei uns einen Anteil von gut 23 %. Außerdem müssen wir die Stromerzeugung differenziert betrachten. Kernkraftwerke laufen kontinuierlich in der Grundlast: 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Vielleicht trifft dies ja zumindest irgendwann auch bei Windrädern im Offshore-Bereich zu.

Zur Solarenergie: Wird Photovoltaik 8.000 Stunden im Jahr gleichmäßig von der Sonne beschienen? Im Jahresmittel haben wir in Deutschland rund 150 Sonnenstunden pro Monat. Das sind 1.800 Stunden im Jahr, also knapp ein Viertel dessen, was ein Kernkraftwerk beiträgt.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Landesregierung selbst hat in ihrer Energie- und Klimaschutzstrategie ambitionierte Ziele zu den erneuerbaren Energien und zur Energieeffizienz formuliert. Wir sehen es so: Die regenerative Stromerzeugung ist gewünscht, sie ist wertvoll, sie soll und wird wachsen. Doch ihr Beitrag ist nach heutiger Kenntnis weniger stabil, nach klassischer Betrachtung derzeit nicht grundlastfähig. Deshalb wird auch nach Einschätzung aller Sachekundigen der Ersatz für den Beitrag der vorhandenen Kernkraftwerke auf absehbare Zeit darüber nicht sicherzustellen sein. Das ist die eine Seite.

Was hat die Europäische Union aktuell beschlossen? – Die aktuellen Vereinbarungen und die nationale Umsetzung zur Ausgestaltung der nächsten Periode des Emissionshandelssystems führen gerade in Deutschland zu erheblichen finanziellen Belastungen für die Stromerzeugung auf Basis fos

siler Primärenergieträger. Das gilt für den Erwerb der Zertifikate, das gilt auch für die Investition in CO2-arme und -freie Kohlekraftwerke. Deren großtechnische Realisierbarkeit ist noch mit einigen Unsicherheiten behaftet. Diese absehbare Kostenlawine ist in erster Linie dem Bundesumweltminister zu verdanken. Dem war bei seinen Verhandlungen mit der EU die Struktur der deutschen Stromerzeugung scheinbar völlig egal

(Beifall von CDU und FDP)

oder zumindest die finanzielle Mehrbelastung für alle deutschen Stromkunden in Haushalten, Industrie und Gewerbe. Oder er krankt an seinem Selbstverständnis: Erst mal den Dicken – das sind die Energieversorger – das Geld abnehmen, und dann nach Maßstäben verteilen, die mir wichtig sind! – Ich betrachte die Äußerungen, die jetzt von Tag zu Tag zunehmen, als allmähliche Rückkehr des Sachverstandes. Allerdings ist er bei der SPD noch nicht angekommen. Deshalb verzweifeln die Gewerkschaften in Gesprächen mit uns, weil sie nicht wissen, wie es mit energieintensiven Arbeitsplätzen in unserem Land überhaupt weitergehen kann.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie könnten über Ihren Umweltminister übrigens mithelfen. Wir sind uns im Ziel sicherlich einig, dass wir bei der Lösung der Frage der Endlagerung weiterkommen und dass die Blockade nicht laufend wieder aufgebaut werden darf.

Wie sieht es bei unserem Nachbarn aus? – In Europa nutzen neun Länder die Kernenergie ohne Ausstiegsbeschlüsse. Schweden hat soeben den Ausstieg revidiert. Von weiteren fünf Ländern überprüfen derzeit Belgien und die Niederlande ihre Ausstiegsbeschlüsse. Zudem führen die Niederlande auch gemeinsam mit Großbritannien Gespräche über die gemeinschaftliche Nutzung der Kernenergie. Auch Frankreich und Großbritannien haben ein Abkommen über die Nutzung der Kernenergie beschlossen. Zwölf Länder nutzen die Kernenergie nicht oder haben die Nutzung beendet.

Deutschland darf nach unserer Überzeugung nicht weiter hinter die führenden Staaten zurückfallen. In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP heißt es dazu:

Wir wollen das Know-how Deutschlands und Nordrhein-Westfalens in der Kernenergiesicherheitstechnik bewahren und ausbauen.

Das tun wir, das forcieren wir.

Ich werbe zum wiederholten Male für die Verlängerung der Laufzeiten vorhandener Kernkraftwerke. Nur so kann die Zeit überbrückt werden bis zur großmaßstäblichen Betriebsreife CO2-armer Kohlekraftwerke und der weiteren Erschließung erneuerbarer Energien. Deutschland braucht im Sinne einer sicheren, preiswerten und umweltverträglichen Energieversorgung gerade zur Deckung der Strom

nachfrage weiterhin den bewährten anteiligen Energiemix aus fossilen und erneuerbaren Energieträgern und der Kernenergie. Dies erfordert den verlängerten Betrieb heutiger Kernkraftwerke über die bislang gesetzlich fixierten Restlaufzeiten hinaus.

Meine Damen und Herren, das von SPD und Bündnis 90/Die Grünen völlig unreflektierte und stattdessen reflexartig propagierte Festhalten am Atomausstieg gefährdet hingegen die Preiswürdigkeit deutscher Stromerzeugung, gefährdet die Versorgungssicherheit und gefährdet die Klimaschutzziele.

Im Antrag der SPD-Fraktion wird von einer „Phantomdebatte“, die wir angeblich führten, gesprochen. Dabei sind Phantomdebatten die ureigene Spezialität der SPD. Sie debattieren doch so gern über das Phantom des Sockelbergbaus. Auch hier die Sachverhalte. Im Jahr 2012 wird der Anteil der deutschen Steinkohle an der Primärenergieerzeugung 2 % sein, Herr Römer. Die Zahl nennen Sie nicht gerne und machen die Leute mit irgendwelchen anderen Unterstellungen verrückt. Ich fände es gut, Sie würden einmal das lesen, was Herr Schmoldt in diesem Zusammenhang sagt.

(Norbert Römer [SPD]: Zum Sockelbergbau?)

Ich zitiere:

Wenn die zunehmenden Wettbewerbsnachteile der energieintensiven Unternehmen in Deutschland nicht umgehend behoben werden, sind weitere Hütten vom Untergang bedroht.

Weiter heißt es: Die Beschlüsse der Europäischen Union vom 17. Dezember 2008 überlassen jedem Mitgliedsland in Eigenverantwortung die durch Emissionshandel entstehenden Lasten zu kompensieren. Ein Vorschlag des Wirtschaftsministeriums liegt vor. Dagegen sperrt sich der Umweltminister mit dem Hinweis, die Erlöse aus dem Zertifikateverkauf seien schon verplant.

Meine Damen und Herren, da ist etwas versäumt und verpasst worden, was den Industriestandort gefährdet.

(Beifall von CDU und FDP)

Das Phantom des Sockelbergbaus taugt nicht für ein Erfolgsmusical. Und weil niemand mehr mit Ihnen debattieren will, ergehen Sie sich in Phantommonologen. Doch die will auch niemand mehr hören, Sie haben es nur noch nicht gemerkt. Lassen Sie uns lieber sachlich und ohne ideologische Scheuklappen über die Perspektiven der Kernenergie diskutieren!

(Beifall von CDU und FDP)