Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

(Allgemeine Heiterkeit)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will für meine Fraktion zunächst eine Vorbemerkung machen. Wir hätten es begrüßt, wenn die Koalitionsfraktionen zu diesem Anlass einen konkreten Antrag eingebracht hätten, den wir hier parlamentarisch hätten beraten können. Die Differenziertheit dieses Themas wäre es wert gewesen – was auch die Diskussion hier zeigt –, dies zu tun.

Ich wiederhole noch einmal die gestrige Bemerkung zur Unterrichtung der Landesregierung: Die Parlamentsmehrheit dieses Hauses dehnt die Geschäftsordnung bis an den Rand. Wir halten das nicht für guten Stil.

(Beifall von der SPD – Minister Karl-Josef Laumann: Was ist denn jetzt wieder pas- siert?)

Zur Sache! Ich finde, man muss neben allen Problemlagen, die der Minister aus meiner Sicht richtig beschrieben hat, Folgendes an den Anfang stellen: Für die Versorgung im ambulanten Bereich gibt es ein Mehr an Geld, eine Steigerung um fast 10% von 22 Milliarden € auf 25 Milliarden €. Der erstaunte Beobachter fragt sich angesichts der Proteste doch: Ist dieses Geld eigentlich nur virtuell? Ist das in irgendeinem schwarzen Loch verschwunden? 16,1 Milliarden € der über 160 Milliarden €, die wir im Bereich der gesetzlichen Krankenkasse ausgeben, fließen in den ambulanten Bereich. Viele Menschen in unserem Land, die in wachsendem Maße Sorge um ihre Existenz, um ihren Arbeitsplatz haben, fragen sich: Wenn es da einen solchen Zuwachs gibt, über was diskutieren die eigentlich? Auf die Spitze treiben es da im Prinzip die Bayern.

Ich sage: Diese Diskussion, die hier im Lande zum Teil geführt wird, fußt nicht auf den Problemlagen, die wir tatsächlich haben.

Im Übrigen – Herr Henke hat es angesprochen – verlieren Sie in Ihrem Antrag kein Wort über die unberechtigten Vorkasseleistungen. Das zerstört das Vertrauen in das System.

(Beifall von der SPD)

Davor müssen wir die gesetzlich Versicherten in erster Linie schützen.

Der Gesundheitsbereich ist von massiven unterschiedlichen Partikularinteressen durchzogen; das wissen wir. „Haifischbecken“ ist in diesem Zusammenhang ein geflügeltes Wort.

Wir Sozialdemokraten sagen: Wir machen die Interessen der Patienten zur Leitschnur unseres Handelns. Daran sollten auch Sie sich orientieren. Wir glauben, dass der Kompass ein bisschen in eine andere Richtung schlägt und dass dafür das Magnetfeld des kommenden Wahltermins ursächlich ist. Sich die Interessen von Ärztegruppen vorschnell zu Eigen zu machen ist ein fataler Weg.

(Beifall von Britta Altenkamp [SPD])

Die Position einzelner Ärzte und Ärztegruppen und auch die Ungerechtigkeit in diesem neu geschaffenen System können wir nachvollziehen; auch wir sehen hier Nachsteuerungsbedarf.

Aber die Rolle der Verbände – ich bin froh, dass der Minister dies in deutlicher Klarheit angesprochen hat –, die zu dieser Reform und deren Umsetzung maßgeblich beigetragen haben, kann unsere Zustimmung nicht finden. Noch im Januar – meine Kollegin Howe hat darauf hingewiesen – hat Herr Köhler diese Reform gefeiert, nun wollen die Ärztefunktionäre davon nichts mehr wissen, und es organisieren sich rechtswidrige Proteste. Gegen diese rechtswidrigen Proteste, Herr Minister Laumann, müssen Sie einschreiten. Die Verkürzung des Anspruchs der gesetzlich Versicherten auf Leistungen ist unerträglich.

(Beifall von der SPD)

Ich bringe noch einmal den Vergleich: Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen in diesem Land Lohn- und Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, ist die Forderung nach noch mehr Geld im System nicht nachvollziehbar und maßlos.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen gestern die Sendung „hart aber fair“ gesehen hat. Da gab es einen ganz bemerkenswerten Dialog.

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: Wir hatten Ple- narsitzung, Herr Garbrecht!)

Nein, die Sendung lief gestern Abend um 24 Uhr. Da waren Sie nicht mehr im Plenarsaal. Ich weiß nicht, wo Sie waren, aber ich saß in meinem Büro und habe parallel diese Sendung gesehen.

In dieser Sendung sagte der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Herr Windhorst, dass die Ärzte doch die Abrechnungen am Ende des ersten Quartals abwarten sollten; dann würden die Ärzte sehen, was diese Honorarreform wirklich bringe. Darauf hat sich Herr Plasberg ganz verwundert die Augen gerieben und gefragt: Wie, sind das alles nur vorsorgliche Proteste? – Dazu gab es keinen Widerspruch, auch nicht von den dort Anwesenden.

Ich will jetzt einmal einen Vergleich aus dem Leben bringen. Es gibt für Beschäftigte in einem Industrie

zweig eine Tariferhöhung. Die Gewerkschaft sagt: Wir haben 8% ausgehandelt, aber es gibt viele Bestandteile. – Die Arbeitnehmer schauen auf ihre Abrechnung, sagen: „Hör mal, wir haben aber nur 3% mehr Gehalt“ und treten in einen wilden Streik. Wie wäre da die Reaktion der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren? Ich glaube, auch da muss man bei der Realität bleiben.

(Beifall von der SPD)

Nach der Sitzung der Bewertungskommission am letzten Dienstag muss sich auch der interessierte Beobachter erstaunt die Augen reiben, dass nicht 3 Milliarden €, sondern auf einmal 3,9 Milliarden € – also fast 4 Milliarden € – mehr zur Verfügung stehen. Das sind keine virtuellen Rechnungen, sondern das ist der Tatsache geschuldet, dass man zunächst die Ausgangszahlen von 2007 genommen hat und jetzt die Ausgangszahlen von 2008 nimmt.

Es gibt Wege – der Minister hat einen genannt –, die wir durchaus unterstützen. Die SchleswigHolsteiner, die angesprochen worden sind, haben im Prinzip einen Weg gefunden: im Rahmen einer Konvergenzphase die Zuwächse und die Verluste in Höhe von 5 % und 10 % zu begrenzen. Diesen Weg gehen jetzt die KVen. Ihren eigenen Anteil an dieser Misere hat der Minister überzeugend dargestellt.

Eine solche Konvergenzphase bietet sich im Übrigen auch mit Blick auf das Verhältnis der Länder untereinander an. Wir sind gerne bereit, diesen Weg mitzugehen.

Eine Abstimmung der KVen in Nordrhein-Westfalen halten wir für zwingend geboten. Sie müssen ihren Job wirklich machen. Das ist der Auftrag, der an die Funktionäre geht.

Neben aller Moderation – das will ich zum Abschluss sagen –, Unterstützung und Nachsteuerungsbedarf, der auch auf der Ebene der Politik liegt, müssen die Ärzte, die ihre Pflicht tun, vor denjenigen beschützt werden, die ihre Partikularinteressen versuchen durchzusetzen. Auch vonseiten der Politik muss im Interesse der Versicherten unseres Gesundheitssystems ein deutliches Wort dazu gesagt werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Garbrecht. – Für die CDU spricht nun der Kollege Henke.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Hallo Josef, du weißt ja, dass ich Rudolf heiße. – Hallo Günter, ich heiße Rudolf. – Herzlichen Glückwunsch den Josefen!

(Minister Karl-Josef Laumann: Es gibt viele davon!)

Davon gibt es viele! Ja, das gilt für alle.

Ich glaube, dass sich hier eine grundsätzliche Bereitschaft herauskristallisiert, diese in der Tat dramatische Benachteiligung Nordrhein-Westfalens anzugehen, und das auch in Koordination und gemeinsam mit unserem Minister Laumann.

Es ist eher klug, diese Debatte zunächst einmal als Aktuelle Stunde zu organisieren. Denn wenn jetzt wieder die politische Kaste kommt und sagt: „Wir sind die Oberschlaumeier und wissen schon, wie das geht“, dann bedeutet das auch, dass man ein weiteres Mal diejenigen, die die Ärztinnen und Ärzte vertreten, nicht mitnehmen wird.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Ich halte es für klug, in dem Bemühen um eine solche konzertierte Aktion im Gesundheitswesen zunächst einmal das Ministerium zu bitten, diejenigen, die im Gesundheitswesen aktiv sind, zusammenzuholen – das schließt meines Erachtens auch die Vertreter der in Nordrhein-Westfalen aktiven Krankenkassen ein – und zu gucken, ob man eine gemeinsame Positionierung hinbekommt.

Aber ich bin froh, wenn hier deutlich wird, dass bei der Abwehr der Benachteiligung NordrheinWestfalens eine große Übereinstimmung zwischen den Fraktionen besteht. Wir sollten dann auch als Fraktionen zusagen, dass wir eine solche Landesinitiative, eine solche konzertierte Aktion – oder wie immer man das nennt – unterstützen würden. Das ist ein wichtiges Ergebnis dieser Debatte.

Wir werden in der Tat nicht daran vorbeikommen, zu berücksichtigen, dass die Verantwortungen sehr unterschiedlich verteilt sind. Eine kleine Bemerkung am Rande: In der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sitzen seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz, GMG, inzwischen mehrheitlich hauptamtliche Vertreter der Ärzteschaft, die Angestellte der Kassenärztlichen Vereinigungen mit relativ hohen Gehältern sind. Das heißt, die niedergelassenen Ärzte sind in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung inzwischen in eine Minderheit geraten, was damit zu tun hat, dass es seit Jahren diese Zentralismustendenz gibt, die auch diese Selbstverwaltung der Ärzte in eine immer stärker von Zügen mittelbarer Staatsverwaltung geprägte Form der Selbstverwaltung verwandelt hat.

Das ist auch ein Grund dafür, warum manche der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte es sehr schwierig finden, den hauptamtlichen Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung Glauben zu schenken, wenn sie etwas interpretieren. Dieses jetzt diskutierte Honorarsystem ist ja leider Gottes so kompliziert, dass man es in einer Aktuellen Stunde fast nicht einmal in den Grundelementen erläutern kann.

Das, was im Moment vor allem in der Kritik steht, ist das Regelleistungsvolumen. Laut Gesetz ist das Regelleistungsvolumen die von einem Arzt in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit den in der Euro-Gebührenordnung enthaltenen Preisen zu vergüten ist. Darüber hinausgehende Leistungen sind mit gestaffelten Preisen zu vergüten.

Das Bundesministerium für Gesundheit selbst hat in einem Brief an die Berliner Koalitionsabgeordneten von CDU/CSU und SPD dazu Folgendes erklären lassen:

Die Regelleistungsvolumen sind ein Instrument zur Mengensteuerung, mit dem verhindert werden soll, dass die Ärzte medizinisch nicht erforderliche Leistungen erbringen.

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das heißt doch: Der zentrale Bestandteil der ärztlichen Vergütung in den patientennahen Disziplinen ist ein Instrument zur Mengensteuerung, mit dem verhindert werden soll, dass die Ärzte medizinisch nicht erforderliche Leistungen erbringen.

Dazu passt dann, dass man fast schon Honorarakrobat und Schlangenmensch werden muss, wenn man sich in dem Dickicht an Bestimmungen zurechtfinden soll, die weitere Einnahmen ermöglichen. Ja, es sind weitere Einnahmen möglich! Nach einer Simulation des Instituts für den Bewertungsausschuss erzielen die Ärzte im Durchschnitt bundesweit fast 20 % ihres Gesamthonorars mit Leistungen, die komplett außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen als Einzelleistungen vergütet werden. Das betrifft aber eben nur die, die sie erbringen. Das sind Leistungen wie ambulante Operationen, belegärztliche Leistungen, Geburtshilfe, Mutterschaftsvorsorge, Früherkennungs-, Präventionsleistungen, neue Leistungen. Wer diese Leistungen nicht erbringt, der kann an dieses Geld auch nicht herankommen.

Weitere Einnahmen gibt es aus den morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen, die nicht unter die Mengensteuerung fallen und auch als Einzelleistung vergütet werden, also etwa genehmigungspflichtige Leistungen der Psychotherapie, Leistungen im organisierten Notfalldienst, dringende Besuche, von Nichtradiologen erbrachte diagnostische Radiologieleistungen, Akupunkturleistungen, bestimmte Schmerztherapieleistungen, Leistungen der Empfängnisregelung, Laborleistungen, histologische Leistungen, Sachkostenpauschalen.

Für Leistungen, welche zwar dem Regelleistungsvolumen unterliegen, aber darüber hinausgehen, gibt es nach dem Überschreiten noch einmal abgestaffelte Preise, die wieder auf 3 vom Hundert der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung begrenzt werden.

Meine Damen und Herren, das könnte ich jetzt noch seitenweise fortsetzen. Machen wir uns doch nur

einfach klar, dass es unter diesen Voraussetzungen so ist, dass die Leute, die wissen, was ihre Praxis kostet, welche Beträge sie ihrem Personal bezahlen müssen, welche Beträge sie ihrem Vermieter bezahlen müssen, welche Beträge sie für ihre Investitionen an die Bank bezahlen müssen, sagen: Wir stehen total auf der normativen Seife und überschauen nicht mehr, mit welchen Summen wir kalkulieren können; und das, obwohl man uns zu Zeiten des Beschlusses auch von der Spitze des Bundesministeriums für Gesundheit, von Ulla Schmidt, versprochen hat: Jetzt bekommt ihr ein kalkulierbares, berechenbares, transparentes und gerechteres System.

Darüber herrscht nun massive Enttäuschung. Sich diese Enttäuschung zu eigen zu machen, hat nach meiner Auffassung nichts mit parteipolitischer Instrumentalisierung zu tun. Ich glaube auch, dass die allermeisten Ärztinnen und Ärzte im niedergelassenen Bereich in Nordrhein-Westfalen treu zu ihren Patientinnen und Patienten stehen.

Deswegen habe ich erklärt und wiederhole es noch einmal: Wer da mit dem System Vorkasse arbeitet, der lenkt die ganze Debatte auf eine juristische Auseinandersetzung – das ist unzulässig, das ist nicht in Ordnung, da muss eingeschritten werden –, der erweist den Ärzten einen schlechten Dienst,