Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

Es zeichnen sich Gewinner und Verlierer ab. Ich will nur an einigen Beispielen deutlich machen, dass wir über unvorstellbare Dinge sprechen: Eine Ärztin, ein Arzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie soll für einen Jugendlichen, der vielleicht einen sehr hohen Hilfebedarf hat, unter 100 € im Quartal bekommen. Für eine solche Bezahlung würde kein Handwerker eine entsprechende Leistung erbringen. – Ein Augenarzt soll für das Quartal 19 € bekommen. Auch dafür würden Sie bei einem Handwerksunternehmen keinen Termin bekommen. Es kann nicht sein, dass ein Arzt mit einer solchen Summe ein Quartal lang verantwortungsbewusst Patienten behandeln soll. Da ist im System etwas falsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen müssen wir uns die Details ansehen, nämlich: In welchen Bereichen müssen welche Finanzierungen stattfinden? Schauen Sie sich den Bundesvergleich an: Mir soll einmal jemand erklären, warum in Niedersachsen bei einem Regelleistungsvolumen für Hausärzte 44,39 € angesetzt sind, aber in Nordrhein 35 € und in Westfalen 32,43 €. Es gibt keinen Grund, warum die Ärzte und Ärztinnen in Nordrhein-Westfalen in der Finanzierung dermaßen schlechter gestellt werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass wir aufgrund der Fondslösung mittler

weile in jedem Bundesland denselben Versicherungsbeitrag zahlen müssen, ist auch eine gleiche Erstattung für die Ärzte notwendig. Alles andere wäre fatal und für die Versicherten in diesem Land überhaupt nicht nachvollziehbar. Wir zahlen gleich ein, aber unser Ärzte und Ärztinnen bekommen, egal welche Berufsgruppen wir uns ansehen, weniger als in anderen Bundesländern. Das ist nicht gerecht, das ist nicht nachvollziehbar. Das kann es nicht sein.

Von daher gibt es eine Menge von Punkten, die im Detail nachgebessert werden müssen. Klar ist: Gerade die Ärzte, die keine Zusatzleistungen abrechnen können, die nur aus dem Regelleistungsvolumen finanziert werden – nicht operativ tätige Augenärzte, HNO-Ärzte, Nervenärzte, Neurologen, Psychiater, um nur ein paar Beispiele zu nennen –, sind jetzt die großen Verlierer. Auf diese Ärzte können wir aber nicht verzichten.

Deswegen müssen wir unabhängig von der Frage der Schuldzuweisung gemeinsam das Signal aus Nordrhein-Westfalen an den Bund geben, und zwar sowohl an die KBV als auch an die Minister und Ministerinnen im Bund und die Kanzlerin, dass wir fraktionsübergreifend nicht akzeptieren, dass die Gesundheitsversorgung in Nordrhein-Westfalen schlechter gestellt werden soll als die in anderen Bundesländern. Es ist wichtig, dass dieses Signal heute geschlossen von diesem Landtag ausgeht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Steffens. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Laumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich halte diese Aktuelle Stunde in der derzeitigen Debatte über die Gesundheitsversorgung in unserem Land wirklich für eine wichtige Sache.

(Beifall von der CDU)

Denn die Ärzteproteste, die wir jetzt haben, sind nach allem, was ich weiß, berechtigt.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Man muss es ganz einfach so ausdrücken: Wir haben in Nordrhein-Westfalen 23.000 niedergelassene Ärzte. Die gesetzlichen Krankenkassen stellen in Nordrhein-Westfalen für Ärztehonorare 6,1 Milliarden € zur Verfügung. Teilt man diese Summe durch 23.000 Ärzte, kommt man pro Arztpraxis auf 210.000 €.

Wenn eine Arztpraxis kaum PKV-Patienten, also Beihilfe- und Privatversicherte, hat, sagen Sie mir doch einmal, wie ein Freiberufler eine moderne Arztpraxis, die wir als Patientinnen und Patienten

heute erwarten, und Personal wie Sprechstundenhilfen aus einer solchen Summe finanzieren soll, damit am Ende für die Familie des Arztes noch ein für ein solches Studium angemessenes Gehalt übrigbleibt. – Das ist die Lage.

Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt. Die nordrhein-westfälischen Ärzte sind zusammen mit den Ärzten in Schleswig-Holstein die am schlechtesten bezahlten Ärzte in der Bundesrepublik Deutschland. In anderen Bundesländern verdienen die Ärzte bis zu einem Drittel mehr.

Wir alle zusammen sollten mal schauen – da wird es sehr ernst, finde ich –, wo die jungen Leute bleiben, die in Nordrhein-Westfalen Arzt geworden sind. In der öffentlichen Debatte wird gesagt, sie gingen vermehrt ins Ausland. Das geben die Zahlen, die wir kennen, aber nicht her. Vielmehr gibt es eine Abwanderung junger Ärzte aus Nordrhein-Westfalen in süddeutsche Länder.

Wenn wir in unseren Wahlkreisen unterwegs sind, erleben wir, dass Krankenhäuser in ländlichen Regionen mittlerweile Probleme haben, genug Ärzte zu finden, um den Krankenhausbetrieb aufrechtzuerhalten. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie, die wir unbedingt einhalten wollen – ich stehe dahinter –, führt dazu, dass man heute mehr Ärzte braucht als früher, als diese Richtlinie nicht galt. Wenn wir operiert werden, wollen wir ja wohl alle, dass ein einigermaßen ausgeschlafener Arzt am Operationstisch steht. – Das ist die andere Seite der Medaille.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein erhebliches Problem, weil das Gesundheitssystem in NordrheinWestfalen das unterfinanzierteste in ganz Deutschland ist, sowohl im niedergelassenen Bereich wie im Krankenhausbereich. Das ist historisch entstanden, weil wir hier aus zwei Gründen ein relativ niedriges Entgeltniveau hatten: Im stationären Bereich gibt es relativ viele kirchlich geprägte Krankenhäuser, die in Bezug auf die Kostenstruktur früher billiger als staatliche Krankenhäuser waren; das hing zum Beispiel mit Ordensschwestern zusammen. Dann kam es hier im Land zur Stahlkrise und zur Textilkrise, sodass es in der 70er-Jahren nur mäßige Erhöhungen im Gesundheitssystem gab, während in anderen Ländern mehr gemacht worden ist. Dann kam die Budgetierung. Seitdem sind wir nicht hochgekommen.

Weil wir wissen, dass das wenig Geld ist, hat die Politik eine Entscheidung getroffen, nach der gut 3 Milliarden € mehr für ärztliche Honorare zur Verfügung gestellt werden. Sie sollen in ganz Deutschland von 27 Milliarden € auf gut 30 Milliarden € steigen. Bezogen auf 2007 hätte man die Ärztehonorare mit dieser Summe, wenn man sie gleichmäßig verteilt hätte, um 10 % erhöhen können.

Was aber wurde gemacht? Man hat von diesem Geld erst einmal 700 Millionen bis 800 Millionen € genommen – was ich nicht kritisiere –, um die Ärzte

in Ostdeutschland auf das Niveau der in Westdeutschland zu ziehen, weil der Ärztemangel in Ostdeutschland noch gravierender ist als bei uns. Jeder Arzt in den neuen Ländern verdient mittlerweile mehr als ein Arzt in Nordrhein-Westfalen, weil wir unter dem Bundesschnitt liegen. Die anderen 2,2 Milliarden € hat man so über das Land verteilt, dass man die Unterschiede eher vergrößert als verkleinert hat.

(Britta Altenkamp [SPD]: Wer ist „man“?)

Das ist geschehen, weil man sich entschieden hat, einen einheitlichen Punktwert zu nehmen. Einen Behandlungspunkt bezahlt man mit 3,5 Cent. Einige KVen wie die niedersächsische haben aber ganz viele Punktwerte, also Behandlungsbedarf, zugelassen und den einzelnen Punktwert im alten System nur noch mit 1,2 Cent bezahlt. Die Politik der nordrhein-westfälischen Kassen bestand dagegen darin, wenig Behandlungsbedarf zuzulassen und die zugelassenen Punkte anständig zu bezahlen. Deswegen lag der Punktwert zum Beispiel im Rheinland bei mehr als 3,5 Cent.

Daher ist durch die Entscheidung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, des Spitzenverbandes der Krankenkassen und des unabhängigen Schlichters Herrn Prof. Wasem, 3,5 Cent anzusetzen, der Punktwert im Rheinland sogar gesenkt worden. Das hat dazu geführt, dass die Honorare der Ärzte in Niedersachsen um 17 % erhöht werden, während bei den Ärzten in Nordrhein-Westfalen so gut wie nichts ankommt. – Das ist die Lage.

(Günter Garbrecht [SPD]: Hat das Ulla Schmidt mitgetragen?)

Das ist ein ganz klares Versagen der Selbstverwaltung.

(Beifall von CDU, SPD und GRÜNEN)

Der Bund hat vorgegeben, dass es einen einheitlichen Punktwert geben muss. Das steht im Gesetz. Aber wenn man so etwas macht, hätte die Selbstverwaltung wissen müssen – ich habe mit Herrn Köhler darüber diskutiert –, was sie in NordrheinWestfalen anrichtet. Dann hätte sie Ausgleichsmechanismen suchen müssen.

(Beifall von CDU, SPD und GRÜNEN)

Unser Job in Nordrhein-Westfalen ist es – dazu möchte ich die Fraktionen des Landtags einladen –, die Interessen der Ärzte, der Krankenhäuser und der Politik zu bündeln, um auf diese Unterschiede aufmerksam zu machen und um nordrheinwestfälische Interessen zu vertreten. Denn so kann es in Nordrhein-Westfalen nicht weitergehen.

(Beifall von CDU und GRÜNEN)

Ich komme zu einem anderen Punkt. Die Politik von Ulla Schmidt bedeutet in der Tendenz seit Jahren: Zentralisierung des Gesundheitssystems, immer mehr Lenkung aus dem Ministerium, immer mehr

Spitzenverbände, die vom Ministerium gegängelt werden.

(Theo Kruse [CDU]: So ist es!)

Damit werden regionale Lösungen immer schwieriger. Ich wäre froh, wenn diese Tendenz aufhörte.

Ich will eine letzte Frage ansprechen: Wie soll der niedergelassene Bereich in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland organisiert werden? Möchten wir, dass der Arzt Freiberufler bleibt? Ich will das, weil er dann nicht zum Beispiel von Krankenhäusern oder von Pharmakonzernen abhängig ist. Bei MVZ in Trägerschaft von Krankenhäusern haben die Ärzte den Auftrag, in dieses Krankenhaus einzuweisen. Wo ist da der unabhängige Rat? Wenn wir MVZ bekommen, hinter denen ganze Ketten stehen, ist die Unabhängigkeit des niedergelassenen Arztes weg. Ich, Karl-Josef Laumann, möchte aber einen Arzt haben, der mir, ohne finanzielle Interessen zu verfolgen, mit seinem Fachwissen rät, in welches Krankenhaus ich gehen soll, wenn ich krank bin.

(Beifall von CDU und GRÜNEN)

Aber wenn wir wollen, dass Ärzte Freiberufler bleiben, müssen sie auch wie Freiberufler bezahlt werden und nicht wie angestellte Handwerker. Das muss man zu dieser Frage ganz deutlich sagen. Deswegen will ich dieses Bündnis für NordrheinWestfalen.

(Beifall von der CDU)

Ich sage aber auch: Die ärztlichen Vertreter Nordrhein-Westfalens haben in Berlin in den letzten Monaten kein Ruhmesblatt erzielt. Die haben keine gute Arbeit gemacht!

(Zustimmung von der SPD)

Deswegen muss man auch einmal Strukturfragen stellen: ob es richtig ist, dass es einen eigenen Zweig in Westfalen und einen eigenen Zweig im Rheinland gibt, die in Berlin unterschiedliche Interessen vertreten und sich gegenseitig ausspielen lassen. Ich hätte gerne ein Nordrhein-Westfalen, das seine ganze Kraft und Bedeutung, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, bündelt.

(Beifall von CDU und GRÜNEN)

Zum Schluss – meine Redezeit ist um – möchte ich etwas Schönes sagen. Heute ist ein besonderer Tag, der 19. März. Ich möchte allen gratulieren, die Josef heißen.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall)

Josef ist ein ganz wichtiger Namenspatron. Er war der Ernährer Jesu, wie Sie wissen. Er ist der Schutzpatron der Arbeiter, deswegen der Liebling des Arbeitsministers. Er ist auch Patron derer, die den Kommunismus bekämpfen, und deswegen ist er mein Freund. – Schönen Dank.

(Allgemeine Heiterkeit – Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Minister. – Für die SPD spricht nun der Kollege Garbrecht.

Ich heiße nicht Josef, ich heiße Günter. Ich hoffe, dass das Hohe Haus mir trotzdem zuhört.

(Allgemeine Heiterkeit)