Wo sind die Experten, die diese Reform und ihre Verästelungen noch durchschauen? Wohin fließen die versprochenen 2,7 Milliarden € und nach welchen Kriterien? Experten sind ratlos, Bürger schon lange. Deshalb werben wir Freien Demokraten für einen Neuanfang. Das wird sicher erst nach der Bundestagswahl gehen. Wir wollen ein transparentes und gerechtes System mit einem transparenten, einfachen und leistungsgerechten Vergütungssystem. Wir wollen feste Preise für Leistungen und Leistungskomplexe erreichen, mit denen ein Arzt vor Ort umgehen kann.
Wir wollen eine leistungsgerechte Vergütung, die eine qualitativ gute Patientenversorgung erst sicherstellt. Wer glaubt denn ernsthaft, dass mit einer Quartalspauschale von 30 € ein älterer, schwer erkrankter Mensch adäquat behandelt werden kann? Wer glaubt denn ernsthaft, dass die Versorgung mit Hausbesuchen gerade in ländlichen Regionen sichergestellt wird, wenn der Hausbesuch inklusive Entfernungspauschale mit rund 17 € vergütet wird? Kein Handwerker würde sich für 17 € auf den Weg machen, wenn die Heizung defekt ist oder das Licht nicht funktioniert.
Mit dieser Honorarreform ist der Arztberuf leider nicht attraktiver geworden. Schon jetzt fehlt der ärztliche Nachwuchs. Über 1.000 Arztstellen in nordrhein-westfälischen Krankenhäusern sind nicht besetzt. Dieser Mangel wird viel schneller in der ambulanten Versorgung ankommen, als heute noch viele denken. Denn in den nächsten fünf Jahren werden zahlreiche niedergelassene Ärzte in Nordrhein-Westfalen in den Ruhestand gehen. Der ärztliche Nachwuchs wird jedoch aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen weiter spärlicher werden.
Deshalb brauchen wir dringend ein leistungsgerechtes Vergütungssystem, damit Patienten auch in fünf Jahren noch flächendeckend und qualitativ hochwertig behandelt und versorgt werden, auch hier in Nordrhein-Westfalen. – Danke schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem komplexen Thema ist es wichtig, ein kleines Stück Historie vorwegzuschicken, damit alle hier im Saal wissen, worüber wir eigentlich sprechen und wer an welcher Stelle vergessen hat, seine Hausaufgaben zu erledigen.
Die Reform der Ärztehonorare ist ins Gerede gekommen, weil Ärzte über hohe Einkommenseinbußen klagen, gerade bei uns in Nordrhein-Westfalen. Dabei steht ab 2009 erheblich mehr Geld zur Verfügung, nämlich 3 Milliarden €. Aber deutlich wird: Es gibt Streit über dieses zusätzliche Geld, der in vielfacher Weise öffentlich ausgetragen wird. Der Streit hat viele Facetten, wobei es sich immer um die Frage einer gerechten Verteilung der Gelder dreht. Dabei geht es um alte Konflikte innerhalb der Ärzteschaft zwischen Haus- und Fachärzten. Es geht auch um die Rolle der Selbstverwaltung und um parteipolitische Bruchlinien. Das macht die Debatte so vertrackt.
Die Geschichte der ambulanten Krankenversorgung bei uns in Deutschland ist immer auch eine Geschichte der Honorarkämpfe gewesen. Hieran hat sich seit der Gründung der gesetzlichen Krankenversicherung vor mehr als 125 Jahren wenig geändert, allenfalls an der Intensität.
Seit Gründung der Ärzteverbände aus ökonomischen Motiven streiken Ärzte um Honorare. Dieses Streikrecht wurde ihnen mit der Notverordnung von 1932 genommen. Im Gegenzug wurde das selbstverwaltete System regionaler Kollektivverträge eingeführt und gilt bis heute. Krankenkassen handeln mit Kassenärztlichen Vereinigungen eine Honorarsumme für niedergelassene Ärzte aus. Die KV verteilt diese Honorarsumme an ihre Ärzte und garantiert im Gegenzug den Krankenkassen die ambulante Versorgung ihrer Patienten, den Sicherstellungsauftrag.
Anfang der 90er-Jahre wurde von allen großen Parteien im Bundestag ein Kostendämpfungsgesetz beschlossen, um die Entwicklung der Arzthonorare an die Grundlohnsumme zu knüpfen. Die Budgetierung erfolgte damals unter Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer. Sie führte zu einer Leistungseinschränkung der Ärzte. Zur gleichen Zeit wuchs jedoch die Zahl der niedergelassenen Ärzte stark an: seit 1990 knapp um die Hälfte auf 150.000. Diese Entwicklung konnte natürlich nur zu einem Honorarverfall führen. Das musste geändert werden. 2009 war es dann so weit.
Mit der Reform 2009 werden wichtige Forderungen der Ärzteschaft erfüllt. Das Honorarvolumen wird wieder vom Anstieg der Grundlohnsumme entkop
pelt. Das heißt, für einen erhöhten Behandlungsaufwand der Bevölkerung wird auch mehr Geld von den Kassen bezahlt.
Die Pauschalen – auch das ist neu – sollen bundesweit vereinheitlicht werden. Alle 17 Kassenärztlichen Vereinigungen – eine je Land, für NordrheinWestfalen sogar zwei – können mit den Kassen Zu- und auch Abschläge vereinbaren. Daneben gibt es eine Reihe von Leistungen, zum Beispiel Vorsorge, Impfungen etc., die zusätzlich zur Pauschale abgerechnet werden können. Eine Faustformel besagt: Zwei Drittel des Honorars werden durch die Regelleistung erzielt, ein weiteres Drittel durch die sogenannten Zusatzleistungen.
Bisher gab es höchst unterschiedlich gezahlte Honorare – im Süden mehr als im Norden, im Osten weniger als im Westen. Mit der politisch gewollten bundesweiten Angleichung der Honorare kommt es nun zu massiven Verschiebungen innerhalb des Honorarsystems, obwohl 3 Milliarden € dazugegeben werden. Die vielfältigen Wirkungen der Honorarreform treffen nun wohl vor allem Fachärzte in Bayern, Baden-Württemberg, NRW und SchleswigHolstein. Die Ärzte in NRW haben eine Pauschale je Quartal und Patient von ca. 32 bis 35 € beispielsweise für den Allgemeinarzt ausgewiesen und damit die rote Laterne, während die Ärzte in Bayern mit 85 € auf höchstem Niveau klagen. Seitens der Kassen wird darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um Schätzungen und Vorausberechnungen handelt; Genaues wisse man frühestens im Mai 2009.
Hinter vorgehaltener Hand wird mancher Kassenärztlichen Vereinigung vorgeworfen, sie jage ihre Mitglieder, die Ärzte, durch unzureichende Informationen auf die Bäume. Gleichzeitig gibt es nun in verschiedenen Regionen den Versuch, die Ärzte zum massenhaften Ausstieg aus den KVen zu bewegen, um so den Kollektivertrag weiter auszuhöhlen. Berufsverbände versuchen, sich auf Kosten der KVen zu profilieren.
Im Superwahljahr 2009 eskaliert verständlicherweise der Honorarstreit. Deshalb wird versucht, noch einmal 1,5 Milliarden € mehr zu bekommen. In der bayerischen Staatsregierung haben die Kassenärzte nun einen Verbündeten gefunden, nämlich den Ministerpräsidenten Horst Seehofer, dessen Partei die Gesundheitsreform mitverhandelt und mitbeschlossen hat.
Das ist Politik im Zeichen des Löwen, aber keine seriöse und an der Sache orientierte Politik, meine Damen und Herren.
Zum besseren Verständnis ein Zitat vom Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herrn Dr. Köhler:
Das gesetzliche Instrumentarium, das die Politik mit der jüngsten Honorarreform entwickelt hat, ist in enger Abstimmung mit der KBV entstanden. Damit lassen sich alte Forderungen der Ärzteschaft realisieren. Hierzu zählen:
Denn erst in der zusammenhängenden Betrachtung ergibt sich ein korrektes und vollständiges Bild Ihrer Honorarsituation.
Um es deutlich zu sagen: Wir können auf Grundlage der bestehenden Rechtslage die noch ausstehenden Probleme in der Selbstverwaltung mit den Krankenkassen selbst lösen, ohne dass Gesetzgeber oder Politik eingreifen müssen. In vielen Gesprächen bin ich derzeit dabei, die politische Unterstützung für die Erreichung unserer Ziele zu bekommen.
Das Thema hat also viele Facetten, die nicht vergessen werden sollten und die im System der Selbstverwaltung angesiedelt sind. Deshalb gilt: Risiken und Nebenwirkungen der Selbstverwaltung sind nicht ausgeschlossen. Hierzu fragen Sie aber bitte den Arzt und die Kassenärztliche Vereinigung.
Sehr geehrte Damen und Herren, es darf nicht sein, dass Ärzte ihre Patienten nun in Geiselhaft nehmen. Der Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte sagt zu Recht:
Diese Geiselnahme der Patienten wirft ein trauriges, aber bezeichnendes Licht auf Moral und Ethikvorstellungen von Standesvertretern und Teilen der Kollegenschaft. … Es gäbe … keinen Grund zur Klage, wenn diese fast 25 Milliarden Euro sinnvoll auf alle Kassenärzte verteilt würden.
Am 26. März treffen sich die 17 KV-Vorsitzenden, um zu beraten, wie es weitergehen soll. Und auch Sie, Herr Minister Laumann, wären gut beraten, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Sie sollten die Selbstverwaltung ihre eigene Lösung aus dem hausgemachten Elend finden lassen. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf das Thema Honorarstreit eingehe, möchte ich noch einige Vorbemerkungen machen: Die Erwartungen, die zu Beginn der Großen Koalition an die Bundesregierung bezogen auf die Gesundheitspolitik gestellt worden sind, waren sehr hoch. Erstens sollte das Gesundheitssystem finanziell auf solide Füße gestellt werden. Das ist ihnen nicht gelungen. Zweitens sollte die Versorgungssicherheit hergestellt werden. Das ist auch nicht gelungen. Drittens ist die Qualitätssicherung nicht gelungen. Die Bilanz lautet also: Die Große Koalition, an die hohe Erwartungen in der Gesundheitspolitik gestellt worden sind, hat das gemeinsam – aus unterschiedlichen Gründen – nicht gestemmt bekommen.
Wir sind gesundheitspolitisch nicht weitergekommen und stehen immer noch da, wo wir zu Beginn dieser Legislaturperiode im Bund gestartet sind.
Der Gesundheitsfonds ist ein Bürokratiemonster ohne Ende. Er verursacht Kosten, ohne dem Patienten oder der Patientin auch nur einen Vorteil zu bringen. Wir haben Defizite in der Versorgung im ländlichen Raum, im Krankenhausbereich, uns fehlen Ärzte, und die Qualitätssicherung ist auch nicht gelungen. Von daher: Es gibt viel zu tun, was diese Koalition aber nicht auf die Reihe bringt und nicht gestemmt bekommt.
Wo stehen wir jetzt? Wir haben viele verantwortungsvolle Ärzte und Ärztinnen in diesem Land, aber keine faire Vergütung; das ist keine Frage. Die Vergütungsreform bringt nicht das, was sie versprochen hat. Es ist ein Etikettenschwindel. Es ist auch schwierig, dass nicht immer sachlich darüber berichtet wird – die Schlagzeile lautet: Honorarstreit –, welche Kritik es zu Recht oder zu Unrecht gibt. Natürlich hält auch der eine oder andere, wenn solch eine Stimmung aufkommt, in der man kritisieren kann, die Hand auf, obwohl es ihm mit diesem System nicht schlechter geht. Von daher brauchen wir eine differenzierte Diskussion.
Dabei würde ich mir aber auch wünschen, dass man bei der Schuld- und Verursacherfrage etwas tiefer geht und nicht nach dem Motto handelt: Für die eine Seite ist es Ulla Schmidt, für die andere Seite die KBV. So einfach ist es nicht, sondern beide Seiten sind an dem beteiligt, was auf dem Tisch liegt. Deswegen muss man sich das im Detail anschauen.
Nur wenn beide Seiten selbstkritisch damit umgehen und eingestehen würden, dass auf bei beiden Seiten einige Punkte anders laufen müssten, würde man es schaffen, die Defizite, die gerade für unser Bundesland vorhanden sind, zu durchbrechen. Aus nordrhein-westfälischer Blickrichtung hat sich niemand mit Ruhm bekleckert. Das vorliegende System ist unter dem Strich inakzeptabel.
Eine Ungerechtigkeit, die mit der Systemumstellung entstanden ist, sind mit Sicherheit fehlende Konvergenzphasen, die man in einem ganz anderen Maß gebraucht hätte. Wenn man sich die Umstellungsphasen und -zeiten im Krankenhausbereich zu den DRGs ansieht, dann erkennt man ein massives Problem. Auch stellt sich immer mehr heraus, dass man auf der Datengrundlage von 2007 – auch wenn man keine andere hatte – keine solche Reform aufbauen kann; sie ist mit den Daten von 2008 in Gänze überholt.
Klar ist: Es ist zwar mehr Geld im System, dies ist aber nicht unbedingt gerechter verteilt. Die Summe, die NRW abbekommt, hat nichts mit dem zu tun, was eigentlich hierhin fließen müsste.
Von daher steht schon eine Reihe von Problemen an. Wir wissen aber auch, dass wir die Auswirkungen, die auf die einzelnen Ärzte und Ärztinnen zukommen, erst am Ende des Quartals sehen werden, wenn spitz abgerechnet wird. In der heutigen Diskussion gibt es also noch eine Menge an Spekulationen und vagen Vermutungen. Deswegen diskutieren wir nicht das letzte Mal über diese Reform, sondern es werden weitere Debatten dazu folgen.
Es zeichnen sich Gewinner und Verlierer ab. Ich will nur an einigen Beispielen deutlich machen, dass wir über unvorstellbare Dinge sprechen: Eine Ärztin, ein Arzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie soll für einen Jugendlichen, der vielleicht einen sehr hohen Hilfebedarf hat, unter 100 € im Quartal bekommen. Für eine solche Bezahlung würde kein Handwerker eine entsprechende Leistung erbringen. – Ein Augenarzt soll für das Quartal 19 € bekommen. Auch dafür würden Sie bei einem Handwerksunternehmen keinen Termin bekommen. Es kann nicht sein, dass ein Arzt mit einer solchen Summe ein Quartal lang verantwortungsbewusst Patienten behandeln soll. Da ist im System etwas falsch.