Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts dieser Debatte habe ich das Gefühl: Nichts Neues im Westen. Wir sind nämlich an einem Punkt, an dem wir schon immer waren: Es gibt das Bekenntnis zur Integration, ohne Integration und Inklusion wirklich zu realisieren. Wenn ich mir die Ausführungen von der FDP anhöre, dann kann ich nur „Armes Deutschland“ sagen, denn es wird keine Weiterentwicklung im Schulsystem geben, wenn diese FDP mehr Einfluss in dieser Regierung bekommen würde.
Frau Ministerin Sommer, auch in Ihrer Rede habe ich den roten Faden nicht gefunden. Sie haben zunächst einmal abgewiegelt und gesagt, was Sie an dieser Stelle immer sagen: Ihr habt …, Sie stellen …, ihr habt die kw-Stellen …, ihr habt dieses und jenes. – Diese Regierung ist seit vier Jahren im Amt. Vor zwei Jahren ist die UN-Konvention ratifiziert worden. Diesen Prozess haben Sie aktiv begleitet. Nun sind Sie am Zuge. Es geht darum, diese UN-Konvention in Nordrhein-Westfalen umzusetzen. Es geht nicht darum, eine Geschichtsstunde zu beschreiben, Frau Kastner, sondern es geht darum, offensiv nach vorne zu schauen und zu schauen, wie wir das, was gefordert ist, mit der Umsetzung der UN-Konvention realisiert bekommen.
Da sind die Menschen hier im Land natürlich hochsensibel, weil sie wissen, welche Rechte ihnen die UN-Konvention einräumt. Das Verwaltungsgericht in Freiburg hat gerade im Hinblick auf die UN– Konvention ein Urteil gefällt, das einer Schule das Recht gibt, von der Klasse 1 bis 12 Integration von behinderten Kindern, und zwar auch von geistig behinderten Kindern, zu praktizieren, weil sich die Richter auf die UN-Konvention bezogen haben.
Wenn Sie nicht anfangen, die UN-Konvention besser und rascher umzusetzen, als Sie das heute hier erklärt haben, werden die Gerichte entscheiden, wie die UN-Konvention in diesem Land umgesetzt werden muss. Dann ist die Politik aber ausgeschaltet. Ich finde, dass es nicht das Bestreben von Politikern sein kann, sich die Gestaltung von den Gerichten aus der Hand nehmen zu lassen – obwohl Sie in der Vergangenheit schon eine ganze Reihe von Erfahrungen damit gemacht haben.
(Ute Schäfer [SPD]: Damit haben Sie ja Er- fahrung! – Gegenruf von Christian Lindner [FDP]: Sie laufen doch immer zum Verfas- sungsgericht! – Bernhard Recker [CDU]: Wir doch nicht!)
Offensichtlich doch deshalb, weil Sie nicht verfassungskonform handeln. Das ist doch völlig klar. Sonst bräuchten wir das nicht zu tun.
Zunächst einmal: Wenn wir vor das Verfassungsgericht ziehen, haben wir unsere Gründe dafür. Und wenn wir dort obsiegen, ist doch völlig klar, dass Sie gegen Recht verstoßen haben. So einfach ist das.
(Ute Schäfer [SPD]: Herr Lindner, Sie sind fünfmal gescheitert! – Gegenruf von Christian Lindner [FDP])
Lassen uns jetzt aber wieder zur UN-Konvention zurückkommen und diese sehr polemische Diskussion hier beenden.
Nordrhein-Westfalen ist UN-Standort. Ich bin übrigens der Meinung, dass die Tatsache, dass wir UNStandort und UN-Land sind, eine ganz besondere Verpflichtung mit sich bringt, die UN-Konventionen auch umzusetzen.
Heute ist übrigens der UN-Tag der Autisten. Eigentlich besteht an diesem Tag auch eine besondere Verpflichtung, darüber zu diskutieren, wie Kinder mit Behinderungen ins Schulsystem integriert werden können. Gerade bei autistischen Kindern wird – wie bei vielen anderen auch – immer wieder deutlich, dass dieses Schulsystem nicht in der Lage ist, a) sie individuell zu fördern und b) sie so zu fördern, dass
„Wenn jede Berührung Angst macht“ überschreibt der „General-Anzeiger“ heute eine ganze Seite zum Thema Autismus. Gerade autistische Kinder können zum Abitur geführt werden. Viele von ihnen landen aber auf der Sonderschule für Lernbehinderte. Bei uns gibt es einen engen Zusammenhang zwischen der Herkunft und der Tatsache, ob Kinder auf der Sonderschule landen oder nicht. Arm und Ausländer – das sind die wesentlichen Merkmale, die eine große Wahrscheinlichkeit mit sich bringen, in Nordrhein-Westfalen auf der Sonderschule zu landen. Damit sind Menschenrechte hier in NordrheinWestfalen nicht umgesetzt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal daran erinnern, dass wir 30 Jahre Erfahrung mit dem Thema Integration haben. Wir haben Erfahrungen gesammelt, und wir wissen, dass es geht. Wir wissen auch, wie die Rahmenbedingungen aussehen müssen. Es geht nicht mehr darum, in Erfahrung zu bringen, wie es eigentlich laufen müsste, sondern darum, es durchzuführen.
30 Jahre gemeinsames Leben und Lernen in Nordrhein-Westfalen machen deutlich, dass die Eltern heute berechtigterweise fordern, dass ihre Kinder ein Recht haben, in die Regelschule zu gehen.
Meine Damen und Herren, die Kultusminister wollen sich nun drei Jahre Zeit nehmen, um das Ganze umzusetzen.
Drei Jahre. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Man kann nur hoffen, dass die Gespräche mit den Kommunen sowie in Bezug auf die Lehrerausbildung und die Gründung von entsprechenden Lehrstühlen an den Hochschulen parallel verlaufen; denn sonst gibt es weitere drei Jahre Stagnation in diesem Land, und die Integration schreitet nicht so voran, wie Sie das gerade dargestellt haben, Frau Sommer. Im Übrigen bezweifle ich Ihre Zahlen, die ich zurzeit nicht nachprüfen kann.
In Bonn werden in der Sekundarstufe I derzeit in der Tat weniger Schüler für das kommende Jahr integriert als bisher.
Bei der Bezirksregierung Köln sind auch die Lehrerzuschläge gekürzt worden. Damit wird den Schulen der Mut genommen, die Integration tatsächlich zu praktizieren; denn in der Folge stimmt die Personalressource nicht. Wenn Sie die Personalressource so stricken, wie Sie es zurzeit tun, führt das dazu, dass Sie Integration unmöglich machen und den Integrationsbestrebungen Schaden zukommen lassen. Auf diese Art und Weise torpedieren Sie das,
Meine Damen und Herren, wo bleiben Ihre Signale? Ich habe in dieser Debatte eigentlich keine vernommen – außer Ihrer Aussage, Frau Sommer, dass Sie für die Förderschule sind und somit die UN-Konvention offensichtlich nicht umsetzen wollen. Dieses Signal, das ich heute vernommen habe, ist Resignation, und Resignation bedeutet Rückschritt. Das System betreibt Exklusion. Wenn Kinder in den Schulen Probleme machen, werden sie häufig auf die Sonderschulen abgezogen.
Wir, meine Damen und Herren, haben die Vision einer guten Schule für alle Kinder vor Augen – denn wir orientieren uns an den Kindern und nicht an den Strukturen –,
einer Schule, in der Individualität von Kindern und Jugendlichen gewürdigt, ihre Lernausgangslagen und besonderen Voraussetzungen respektiert und alle Kinder in einer vielfältigen Weise angeregt und zu hohen Leistungen geführt werden.
Meine Damen und Herren, Sie benötigen Nachhilfe in Pädagogik, in Menschlichkeit, in Vernunft und in Verantwortung.
Eine Gesellschaft kann nicht existieren, wenn fast ein Viertel ihrer Mitglieder nicht am Leben teilhaben kann, weil die jungen Menschen nicht lesen können oder Zeugnisse mit den Köpfen von Kommunen bekommen, da sie mit dem Zeugnis einer Sonderschule nicht ins Leben treten wollen.
Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass Sie sich auf den Weg machen und die Regierungsverantwortung in der Art und Weise übernehmen, dass Sie die Umsetzung der UN-Konvention in Nordrhein-Westfalen sicherstellen. Wir sind UN-Standort.
Meine Damen und Herren! Liebe Frau Hendricks, die letzten zwei Minuten Ihrer Rede hätten Sie besser gestrichen.
Sie haben gesagt, wir seien am Zuge. Diesen Ball will ich noch einmal aufnehmen. Wir sind am Zuge, und wir bleiben am Zuge. Vielleicht hätten Sie aufmerksamer zuhören sollen. Die Signale lauteten
und zwar ein Modell, das von der Verantwortung getragen wird. Man kann nicht einfach irgendwelche Schulen auslöschen und neue einsetzen. Vielmehr brauchen wir in Bezug auf den Umgang mit Kindern mit Behinderungen auch in Regelschulen eine Gemeinsamkeit und ein Miteinander-Lernen.
Das Modell, das Sie uns vorgelegt haben, ist überall dort gescheitert – darüber gibt es auch eine wissenschaftliche Evaluation –, wo man mit den Lehrerstunden auskommen musste, die Sie diesen Schulen zugewiesen haben.
Ihre gemeinsamen Unterrichtsversuche waren nur in den Orten erfolgreich, in denen beispielsweise Städte Erzieherinnen und ähnliches Personal noch zusätzlich eingesetzt haben. Ich weiß sehr genau, wovon wir hier reden, weil wir das in Münster getan haben. Deshalb war der gemeinsame Unterricht bei uns ein Stück erfolgreicher als dort, wo das nicht passiert ist.
Lassen Sie mich jetzt noch einmal auf das Recht der Eltern eingehen. Genau hier liegt das Problem. Ich möchte ja durchaus, dass Eltern wählen können.