Protokoll der Sitzung vom 06.05.2009

Thema verfehlt! Sechs – setzen!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir reden hier über ein neues Phänomen, und wir reden über Nordrhein-Westfalen. Wir könnten auch gern einmal über den 1. Mai in Berlin reden. Ich weiß aber nicht, ob sich der Landtag damit beschäftigen sollte. Wir reden aber jetzt über NordrheinWestfalen und über die Situation am 1. Mai. Wir tun das deshalb, weil wir eine neue Dimension rechts

extremistischer Gewalt in Dortmund zu verzeichnen haben

(Ralf Witzel [FDP]: Und linksextremistischer auch!)

und weil es einen solchen Vorfall bundesweit so noch nicht gegeben hat.

Es waren in Dortmund am 1. Mai keine Linksextremisten; es waren Rechtsextremisten, die die Polizei angegriffen haben. Und wir fragen: Warum war die Polizei nicht besser auf diesen Angriff vorbereitet?

(Beifall von GRÜNEN und Rüdiger Sagel [fraktionslos])

Jetzt bei dieser Fragestellung die Schuld bei der SPD in der Dortmunder Kommunalpolitik zu suchen,

(Wolfram Kuschke [SPD]: Abenteuerlich! – Zuruf von der SPD: Frechheit!)

finde ich schon sehr abenteuerlich.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Für die Polizei – ich hoffe, darüber sind wir uns doch einig; wir haben gerade sehr viel über das Gewaltmonopol geredet – ist immer noch der Kollege links von mir, Herr Dr. Wolf, zuständig und nicht die Kommunalpolitik in Dortmund.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Veranstalter der Demonstration haben sich im Übrigen auch über eine fehlende Unterstützung der Polizei zum Schutz ihrer Demonstration beschwert. Wir brauchen heute keine Abgrenzungsdebatte zu Links zu führen. Diese Debatte können wir gerne an einer anderen Stelle führen. Heute reden wir über ein Gewaltpotenzial im Bereich des Rechtsextremismus, das eine neue Qualität, eine neue Dimension hat und Antworten aus der Politik bedarf. Die Antwort auf Rechtsextremismus heißt nicht: Links ist aber auch böse! – Sie müssen sich schon ein bisschen mehr dazu einfallen lassen, was dieser Landtag in seiner Zuständigkeit dafür tut, in NordrheinWestfalen gegen dieses Phänomen vorzugehen.

Ich möchte ein tolles Projekt in Erinnerung rufen, das vor vielen Jahren sehr viel gebracht hat, und zwar zu den Zeiten, als wir gewalttätige Ausschreitungen auch in einem neuen Maße hatten. Damals gab es pauschal 1 Mark pro Einwohner für Projekte gegen Rechtsextremismus. Hören Sie sich einmal um, welche tollen Projekte und Strukturen in Ihren Kommunen daraus entstanden sind. So etwas könnten wir doch einmal wieder auflegen. Wir sollten hier lieber einmal darüber reden, wie wir die Akteure vor Ort stützen, statt sie zu beschimpfen, Herr Orth.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Innenminister Wolf ist auf dem rechten Auge blind. Das hat das Versagen bei der rechtsradikalen Demonstration in Dortmund mehr als deutlich gezeigt.

(Horst Engel [FDP]: Absolute Lüge, Herr Sa- gel!)

Herr Dr. Orth, wenn Sie hier eine solche Rede halten, will ich Sie daran erinnern, warum Sie hier eigentlich sitzen: Sie sitzen hier, weil es Herrn Möllemann gegeben hat. Sie erinnern sich wohl nicht mehr daran, wie gerade er versucht hat, das Rechtsextreme hier salonfähig zu machen. Können Sie sich daran noch erinnern? – Nein, daran wollen Sie sich nicht mehr erinnern.

(Lebhafter Widerspruch von Dr. Robert Orth [FDP])

Auch Herr Dr. Wolf, der Innenminister, sitzt hier, weil es Herrn Möllemann gegeben hat. So sieht Ihre Politik in der Vergangenheit aus. Sie haben versucht, den Rechtsextremismus hier salonfähig zu machen. Dafür sind Sie mitverantwortlich. So sieht das aus.

(Erneut lebhafter Widerspruch von Dr. Robert Orth [FDP])

Wir haben erlebt, wie die offizielle DGB-Kundgebung von 400 Nazis brutal gestört worden ist. Steine sind von den Rechtsextremisten und aus dem Spektrum der autonomen Nationalisten geflogen. Teilweise vermummte Demonstranten aus der rechtsextremen Szene warfen Steine und Knallkörper, griffen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der DGB-Kundgebung gezielt an. Die Dortmunder Polizei hat sie erst einmal gewähren lassen. Ab 9 Uhr haben die sich schon dort versammelt.

Man fragt sich in der Tat: Wo sind eigentlich Ihre Verfassungsschützer, Herr Dr. Wolf? Das, was Sie hier erzählt haben, ist eine glatte Lüge. Es hat nämlich schon vorher vom DGB Warnungen gegeben, dass es zu rechtsextremen Übergriffen kommen kann. Sie haben darauf nicht reagiert, sondern behauptet, solche Hinweise hätte es vorher nicht gegeben. So sieht die Realität aus.

Schon um 9 Uhr haben sich diese Nazi-Banden dort versammelt. Was haben Sie gemacht? Sie haben geguckt, was die Linken machen. Was hat die Polizei gemacht? Sie hat beobachtet, aber nicht eingegriffen. Das ist die Realität.

Ein paar Tage später stellt sich der Generalsekretär der CDU, Herr Wüst, hierhin und beteiligt sich wieder einmal an rechten Scharfmachereien, wie es so seine Art ist. Man weiß, dass der Wahlkampf droht.

Jetzt wird schwadroniert, die Linke sei an allem schuld.

Herr Engel, auch von Ihnen übrigens eine neue Lüge: Niemand von den Linken hat die Demonstration in Berlin angemeldet. Diese Demonstration ist von privater Seite angemeldet worden. Das, was Sie vorhin erzählt haben, stimmt nicht. Auch das ist Realität.

Aufgrund der Vorfälle in Dortmund muss man danach fragen, wo die Polizei eigentlich war, was sie gemacht hat. Das ist nicht Dortmunder Kommunalpolitik. Der Polizeipräsident wird nämlich vom Innenministerium ernannt. Das liegt in der Verantwortlichkeit des Innenministers. Er ist dafür verantwortlich, dass es diese Übergriffe gegeben hat. Der Verfassungsschutz hat offensichtlich auch nicht informiert. Der Innenminister ist auf dem rechten Auge blind und hat geschlafen. Das ist die Realität, die wir erleben.

Ich kann nur sagen: Der Polizeipräsident ist überfällig und muss abberufen werden. Schon in der Vergangenheit hat es übrigens eine ganze Menge Übergriffe gegeben, zum Beispiel auf das Büro des grünen Bundestagsabgeordneten Markus Kurth sowie auf das Büro der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke. Auch das ist in Dortmund schon längere Zeit Realität.

Deswegen fordere ich die Landesregierung auf, gegen die geplante Demonstration rechtsextremer Gruppierungen gerichtlich vorzugehen – auch das ist nicht gemacht worden, obwohl es vonseiten des Bundesverfassungsgerichts dafür ganz klare Möglichkeiten gibt –, die Vorfälle in Dortmund lückenlos aufzuklären und dem Landtag darüber einen Bericht zu erstatten, …

Herr Kollege.

… Rechtsextremismus entschlossen zu bekämpfen und im Landeshaushalt eine entsprechende Aufklärungsarbeit finanziell sicherzustellen und – zu guter Letzt – rechtsextreme Gruppierungen wie die Heimattreue Deutsche Jugend oder die Autonomen Nationalisten in NRW zu verbieten. Auch das haben Sie nicht gemacht. Auf Bundesebene ist das schon passiert. Sie haben es in NRW nicht gemacht. Sie machen hier eine völlig abwegige Politik und sorgen nicht dafür, dass die Rechtsextremen hier tatsächlich bekämpft werden.

Vielen Dank, Herr Kollege Sagel. Ich habe die herzliche Bitte an Sie, die Formulierung „Das ist eine Lüge“ zukünftig zu unterlassen.

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Das ist aber ei- ne Lüge! – Horst Engel [FDP]: Stimmt nicht! – Zuruf von der Ministerbank: Das kann man doch rügen!)

Jetzt hat für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Kieninger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als Dortmunder Abgeordnete, die auch vor Ort war, glaube ich, die Situation noch einmal beleuchten zu müssen.

In einem Lied der Arbeiterbewegung heißt es:

Der 1. Mai ist unser Feiertag. Er ist der Schulzen und der Meier Tag, weil wir an diesem Tag marschieren und unsere Einheit demonstrieren.

So sollte es auch am 1. Mai in Dortmund sein. Denn Dortmund ist eine weltoffene, tolerante Stadt, die dies mit ihren Verantwortlichen und ihren Bürgerinnen und Bürgern lebt.

Herr Orth, Sie sollten nicht einfach Äpfel mit Birnen verwechseln. Wenn Sie meinen, das sei Kommunalpolitik, dann sind Sie auf dem falschen Dampfer.

(Beifall von der SPD)

Sie haben zwar nicht zum Thema geredet, den Sinn wahrscheinlich aber auch nicht verstanden.

Der vom Oberbürgermeister ins Leben gerufene Aktionsplan für Vielfalt, Toleranz und Demokratie wird jährlich mit 100.000 € ausgestattet und dokumentiert, wie wichtig uns in der Stadt Dortmund ein friedliches Miteinander ist.

Diese Maikundgebung mit mehreren tausend Teilnehmenden – Männern, Frauen und Kindern, Jung und Alt –, die friedlich für Arbeitnehmerrechte demonstrieren wollten, wurde aber von über 300 Neonazis brutal angegriffen. Das ist eine weitere Eskalationsstufe in der Entwicklung der Neonaziszene in Nordrhein-Westfalen.

Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten waren völlig unvorbereitet. Ohne jegliche Schutzkleidung haben sie sich mutig und entschlossen diesem brutal angreifenden braunen Mob entgegengestellt. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank.

(Beifall von der SPD)

An die verletzten Beamtinnen und Beamten gehen von hier aus unsere besten Genesungswünsche.

Es stellt sich aber die Frage: Wie konnte das passieren? – Es gab kein Konzept, Herr Engel, für das Sie sich brav bedankt haben. Das war doch der Punkt. Eine Woche vor der Demonstration hatte der DGB-Vorsitzende beim Kooperationsgespräch mit der Polizei die Frage gestellt, ob dem Staatsschutz Hinweise auf mögliche Störungen der DGBDemonstration vorlägen. Es lagen keine Erkenntnisse vor.