Es stellt sich aber die Frage: Wie konnte das passieren? – Es gab kein Konzept, Herr Engel, für das Sie sich brav bedankt haben. Das war doch der Punkt. Eine Woche vor der Demonstration hatte der DGB-Vorsitzende beim Kooperationsgespräch mit der Polizei die Frage gestellt, ob dem Staatsschutz Hinweise auf mögliche Störungen der DGBDemonstration vorlägen. Es lagen keine Erkenntnisse vor.
Am Donnerstagnachmittag, also am 30. April 2009, war im Internet zu lesen, dass das vom Verwaltungsgericht Lüneburg ausgesprochene Verbot der Nazidemonstration in Hannover weiterhin Bestand hat. Da der Eilantrag vom Oberverwaltungsgericht nicht angenommen wurde, erging vonseiten der Rechten ein offener Aufruf, mit kreativen Aktivitäten bei den DGB-Demonstrationen tätig zu werden.
Am späten Donnerstagnachmittag informierte der DGB-Vorsitzende die Polizei über diesen Tatbestand. Der Polizei war bekannt, dass der eigentlich für Hannover geplante Aufmarsch der Nazis jetzt in Siegen stattfinden sollte. Daher befand sich die in Dortmund stationierte Einsatzhundertschaft auch auf dem Weg nach Siegen. Infolgedessen war die Polizeipräsenz am Dortmunder Hauptbahnhof mit seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt nicht ausreichend. Jeder Sonderzug zu einem Fußballspiel wird intensiver begleitet.
Nur so konnte es dazu kommen, dass sich am Morgen des 1. Mai eine Horde schwarz bekleideter Nazis am Dortmunder Hauptbahnhof sammeln konnte. Nach Aussage der Einsatzleitung der Polizei sollten diese nach Siegen zu einer Demonstration weitergeleitet werden. Das geschah aber nicht. Die Meute stürzte aus dem Dortmunder Hauptbahnhof in Richtung des Platzes der alten Synagoge, dem Treffpunkt der DGB-Maidemonstration.
Um 11:50 Uhr wurde dem DGB-Vorsitzenden vom Einsatzleiter der Polizei mitgeteilt, dass die Nazis im Sturmschritt auf die Demonstration des DGB zuliefen. Der Vorsitzende des DGB setzte daraufhin sofort den Demonstrationszug in Gang, um einen Puffer zwischen den friedlichen Demonstranten und dem tobenden braunen Mob zu schaffen. Für diese besonnene Entscheidung möchte ich mich hier im Parlament beim DGB und den Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich bedanken.
Damit dürfte auch dem Letzten klar sein, wie ernst diese Bedrohung unseres Rechtsstaates ist. Dies war keine Auseinandersetzung zwischen extremistischen Gruppen, wie es gerne dargestellt wird. Hier sind friedliche Bürgerinnen und Bürger ohne Vorwarnung und ohne Grund von randalierenden Nazihorden brutal angegriffen worden.
Es hat keine Provokation oder Dergleichen stattgefunden. Die Nazis haben zum wiederholten Male ihr wahres Gesicht gezeigt. Diese Menschen haben weder Respekt vor dem Gesetz noch vor Menschenleben.
Diese braune Brut hat bereits für den 5. September 2009 einen Aufmarsch in Dortmund geplant. Ich kann die Aussage des Polizeipräsidenten, vor dem Hintergrund dieser Vorgänge eine neue Bewertung vorzunehmen, nur unterstützen. Unter dem Eindruck des 1. Mai ist es nicht verantwortbar, eine derart große Zahl militanter Faschisten durch Dortmund marschieren zu lassen.
Ich komme zum Schluss. – Die Personen, die am 5. September 2009 zu erwarten sind, werden mit denen von letzter Woche fast identisch sein. Sie wollen das Demonstrationsrecht des Grundgesetzes in Anspruch nehmen, treten es aber gleichzeitig mit Füßen und verhöhnen die Demokratie sowie das Grundgesetz.
Enden möchte ich mit einem Zitat aus einem Lied der Arbeiterbewegung mit dem Titel „Gute Tradition“. Darin heißt es:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! „Kümmert euch um die Menschen!“, hat der Bundespräsident vor Kurzem den Parlamentariern zugerufen. Gleichzeitig hat er auch gesagt: „Vernachlässigt die parlamentarischen Auseinandersetzungen, die ohne Zweck sind.“
Wenn heute hier Kollegen etwas eingestimmt den Rechts- oder Linksradikalismus darstellen wollen, habe ich dafür ein gewisses Verständnis. Bevor ich Mitglied meiner Partei wurde, bin ich Ende der 60erJahre in alle politischen Gemeinschaften gegangen. Ich habe die NPD in Krefeld erlebt und war bei den Kommunisten; denn ich wollte einfach einmal reinriechen und herausfinden, was zu mir passt. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich die Parlamente nur stets aufs Neue sensibilisieren, den Rechts- und den Linksextremismus im Auge zu behalten und immer wieder zu stigmatisieren.
Vielleicht braucht man den Radikalismus aber für das eine oder andere Thema. Glücklich bin ich darüber nicht. Wenn ich das Konsensuale richtig erfasse, war das Ganze heute allerdings eine Stunde für die Polizei. Dafür danke ich allen Kollegen auch als Vorsitzender des Innenausschusses herzlich. Dass jeder die Ereignisse von seinem Standpunkt aus anders bewertet, kann ich nachvollziehen. Ich sage aber noch einmal: Heute wurde deutlich, welchen Respekt und welche Achtung wir vor der Leistung und dem Einsatz der Polizei haben.
Dass wir keine Idealzustände schaffen, ist mir völlig klar – weder bei der Ausstattung noch bei den Stellenplänen noch bei der Vorinformation zu solchen Veranstaltungen. Auch das wurde heute deutlich. Eines ist aber sichtbar – dazu gehört auch die Anerkennung für die Leistung –: Wir haben hier in diesem Parlament allesamt Respekt vor der Arbeit der Polizei. Das sollte noch einmal hervorgetan werden.
Meine Damen und Herren, ich war in Dortmund nicht dabei und kann nur die Informationen wiedergeben, die mich erreichen. Nach 20 bis 30 Minuten waren aber doch – unabhängig davon, welche Einheiten der Polizei dabei waren, ob der Verfassungsschutz vor Ort war oder nicht – 404 Festnahmen möglich. Das ist ein Schlag gegen die rechtsextreme Szene.
Dafür kann man nur dankbar sein; das muss man hier auch einmal feststellen. Es ist in der Tat ein Schlag – auch wenn man von der Größenordnung her den Eindruck haben könnte, bei dem Gewaltpotenzial, das diese Gemeinschaft beherrscht, sei das nichts. 404 Festnahmen mit gleichzeitiger Feststellung der Personalien sind eine großartige Leistung der Polizei, die man würdigen und dabei anerkennen sollte, mit welcher Kraft und mit welchem Einsatz – das gilt auch in Bezug auf ihre Gesundheit – sich die Kolleginnen und Kollegen vor Ort eingesetzt haben.
Ich will heute keine Nachbereitung vornehmen – ganz im Gegenteil. Es ist viel wichtiger, das Vertrauen in den Innenminister zu setzen, auch wenn das vielleicht in der einen oder anderen Position auch im Innenausschuss nicht ausreichend und deutlich genug erklärt wird.
Aber über eines sollte man sich am heutigen Tag im Klaren sein – wer etwas anderes sieht, ist fehl am Platze –: Wir werden bei jeder Veranstaltung neu vorgehen und neu informieren müssen. Sie wissen ganz genau, dass sich der Radikalismustourismus, wie es Theo Kruse gesagt hat, verändert. Egal, welche Waffen und Mittel sie zeigen, meine Damen und Herren: Wir müssen sie stellen. Ich glaube,
Wir wissen, dass die Hemmschwelle sinkt. Auch das sollte man berücksichtigen. Ich sage aber noch einmal: Was mich am meisten beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass – egal, welche Vorschläge nach dem Landespräventionsrat oder nach dem Handlungskonzept gegen Gewalt und Rechtsextremismus vorgelegt werden sollen – gilt: Zu diesem Zeitpunkt kann die Polizei sagen, dass sie die parlamentarische Unterstützung des nordrheinwestfälischen Landtags hat. Das spricht auch für Ihre Arbeit, Herr Innenminister.
Unabhängig von der Frage, ob Kollege Sagel den heutigen Tagesordnungspunkt richtig verstanden hat – hat man den Eindruck: Der eine oder andere Erklärungsinhalt wäre verzichtbar gewesen. Aber der Konsens zwischen den parlamentarischen Gremien und den heute überwiegend zu Wort gekommenen Vertretern muss die Polizei zufrieden und gewissermaßen aufmerksam stimmen. Deshalb herzlichen Dank an Sie alle. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Schittges. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit darf ich die Aktuelle Stunde schließen.
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende SPD-Fraktion Frau Kollegin Altenkamp das Wort. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie arbeiten 10 oder 15 Jahre lang, nachdem Sie eine Ausbildung gemacht haben, als Kinderpflegerin in Kindertageseinrichtungen. Ihre Arbeit wird gelobt und gebraucht. Trägervertreter, aber auch Ihre Kita-Leitung versichern Ihnen immer wieder, dass Ihre Arbeit wichtig und unersetzlich ist.
als der Landesgesetzgeber ein neues Gesetz verabschiedet, das Ihre Einsatzmöglichkeiten als Ergänzungskraft, wenn Sie Kinderpflegerin sind, deutlich einschränkt.
Die Trägervertreter gehen auf Sie zu und sagen Ihnen: Du hast jetzt die Möglichkeit – und um ehrlich zu sein: es besteht auch die Notwendigkeit –, dich weiterzubilden, um als Fachkraft weiterhin im System bleiben zu können. Dafür hast du genau drei Jahre bis 2011 Zeit.
Dann marschieren Sie los, suchen sich eine Weiterbildungsmöglichkeit und stellen fest: Das sieht gar nicht gut aus, denn es ist ganz schwer, sie zu bekommen. – Außerdem verlangt man von Ihnen, dass Sie eine solche Ausbildung zweieinhalb Jahre lang berufsbegleitend machen. Wenn Sie sich das Curriculum anschauen, erleben Sie, dass die Qualifikation, die Sie durch Ihre jahrelange Tätigkeit erworben haben, dabei überhaupt keine Rolle spielt.
Wenn das in einem von Männern dominierten Arbeitsfeld stattfinden würde, meine Damen und Herren, hätten wir hier Demonstrationen vor der Haustür.
Aber da wir es mit einem von Frauen dominierten Berufsfeld zu tun haben, nämlich dem der Erziehung und Bildung im frühen Kindesalter, nehmen die Frauen die Situation stillschweigend hin. Nur bei einigen wenigen Veranstaltungen machen sie ihren Unmut deutlich.