Protokoll der Sitzung vom 07.05.2009

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende 2007 haben die Robert Bosch Stiftung, Herr Tiefensee und das Centrum für Hochschulentwicklung das Programm und den Wettbewerb „Familie in der Hochschule“ initiiert, um die Familienfreundlichkeit deutscher Hochschulen zu verbessern.

Aus dem Wettbewerb sind acht Gewinnerhochschulen hervorgegangen, die zwei Jahre lang bei der Umsetzung ihrer prämierten Konzepte unterstützt werden. Dies sind die Freie Universität Berlin, die Technische Hochschule Berlin, die FriedrichSchiller-Universität Jena, die Medizinische Hochschule Hannover, die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim, die PhilippsUniversität Marburg, die Fachhochschule Potsdam und die Hochschule Wismar.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Sie haben es sicherlich gemerkt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Aus NRW mit der dichtesten Hochschullandschaft Europas ist leider keine einzige Hochschule dabei. Die Schwerpunkte für familienfreundliche Hochschulen scheinen also allesamt im Osten bzw. in Hessen zu liegen.

Die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage unterstreicht diese Einschätzung. Nordrhein-Westfalen hat zwar eine Reihe von unterschiedlichen Einzelmaßnahmen auf den Weg gebracht, zeichnet sich aber nicht durch ein herausragendes, besonders familienfreundliches Profil aus. Es gibt vor allem keine landeseinheitlichen verbindlichen Angebote und Strukturen, auf die sich Studierende und Wissenschaftlerinnen verlassen können. Dabei sind diese angesichts eines sich verschärfenden Wettbewerbs um wissenschaftlichen Nachwuchs längst überfällig. Familienfreundlichkeit ist ein unverzichtbarer Baustein für eine zukunftsfähige Hochschullandschaft.

Nehmen Sie sich doch einmal ein Bespiel am niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Herr Minister Pinkwart, das sich mit seinen Hochschulen einem Audit „Familiengerechte Hochschule“ in Niedersachsen stellt und entsprechende Workshops initiiert, um den Erfahrungsaustausch zu pflegen. Oder werfen Sie den Blick in die skandinavischen Länder: Da ist längst klar, dass eine familienbewusste Personalpolitik mehr bringt, als sie kostet.

Auch für unsere Hochschulen kommt es darauf an, das vorhandene Qualifikationspotenzial dort zu binden und eben nicht auf Dauer ins Ausland abwandern zu lassen. Eine familiengerechte Hochschule hat eben höhere Chancen, qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu behalten.

Schauen wir uns daraufhin die Zahlen in NordrheinWestfalen an: Von den 397.000 Studierenden sind nur 5,7 % Eltern. Demgegenüber steht Norwegen mit satten 21,7 %, gefolgt von Schweden mit 16,6 %. Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Sie zeigen auf, dass wir hier in NordrheinWestfalen Nachholbedarf bei der Familienfreundlichkeit haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das beginnt bei den Kinderbetreuungseinrichtungen, die immer noch nicht flächendeckend an allen Hochschulen vorhanden sind und die sowohl qualitativ als auch als quantitativ von Hochschule zu Hochschule sehr unterschiedlich sind. Studienstrukturen und Studienorganisation sind bislang nur in Einzelfällen so gestaltet, dass Elternschaft und Studium problemlos vereinbar sind. Auch die finanzielle Entlastung von den Studiengebühren variiert von Hochschule zu Hochschule. Es fehlt an einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten in der Qualifizierungsphase für junge Wissenschaftlerinnen, und erst recht fehlt aufgrund der befristeten Arbeitsverhältnisse eine sichere Perspektive für eine familienfreundliche Karriereplanung.

Vor diesem Hintergrund erwarten wir von Ihnen, Herr Minister Pinkwart, dass Sie die Voraussetzungen für mehr Exzellenz hinsichtlich der Familienfreundlichkeit an unseren Hochschulen schaffen. Wir fordern: Alle Hochschulen in NRW sollen an einem Audit zur Familienfreundlichkeit teilnehmen. Das Kinderbetreuungsangebot muss flächendeckend vorhanden sein und die besonderen Bedarfe von Studierenden und Wissenschaftlerinnen in der Qualifizierungsphase berücksichtigen. Wir brauchen endlich ein echtes Teilzeitstudium sowie eine Studiengestaltung, die auf die Bedürfnisse studierender Eltern zugeschnitten ist.

Vielleicht sehen Sie sich – last, not least – auch noch einmal die Best-Practice-Beispiele zur Familienfreundlichkeit bei den acht deutschen Gewinnerhochschulen an.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hieraus lassen sich noch viele Anregungen für Nordrhein-Westfalen übernehmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die SPD Fraktion spricht Frau Kollegin Preuß-Buchholz.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Studierende mit Kind studieren überdurchschnittlich lange, und überdurchschnittlich viele brechen ihre Studium ab, und zwar viermal so oft wie kinderlose Studierende. Mütter und Väter mit einem abgebrochenen Studium und oftmals auch ohne eine abgeschlossene Ausbildung bleiben in ihrer Berufsqualifikation unter ihren Möglichkeiten und arrangieren sich beruflich auf irgendeine, häufig zufallsabhängige Weise, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie müssen mit finanziellen Problemlagen klarkommen, die sie ohne die Familiengründung nicht gehabt hätten.

Hier bleibt Bildungspotenzial ungenutzt. Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten sind durch fehlende Abschlüsse verbaut. Es müssen später mühsame Umwege in der Bildung beschritten werden; Zickzack-Lebensläufe entstehen. Von Chancengleichheit kann da keine Rede sein.

Folglich verzichten viele Studentinnen und Studenten auf die Familiengründung oder verschieben sie auf eine nicht näher bestimmte Zeit nach dem Studium. Aber wir wissen, was sich im akademischen Bereich daran anschließt: befristete wissenschaftliche Beschäftigungen und Forschungsaufträge. Somit ist die Zeit nach dem Examen erst recht keine optimale Zeit für die Familiengründung.

Wenn wir also wollen, dass sich auch Akademiker wieder häufiger für ein Kind entscheiden, müssen die Rahmenbedingungen für ein Studium mit Kind deutlich verbessert werden. Das bedeutet: Die Hochschulen müssen familiengerechter und die Studienbedingungen flexibler werden.

(Beifall von der SPD)

Studierende müssen Studium, Kinderbetreuung und Job unter einen Hut bringen – ein Spagat, der vielen ganz offensichtlich nicht gelingt. Deshalb unterbrechen so viele ihr Studium. Im Schnitt dauert eine solche Unterbrechung etwa fünf Fachsemester und damit eindeutig zu lange. Das zeigt: Von flächendeckenden familienfreundlichen Studienbedingungen sind wir in Nordrhein-Westfalen noch weit entfernt.

Wie der Sonderbericht „Studieren mit Kind“ der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes zeigt, unterbrechen studierende Mütter ihr Studium deutlich häufiger als studierende Väter. Hier sind die Hochschulen aufgefordert, Belastungen gleichmäßiger zu verteilen und besondere Angebo

te der Kinderbetreuung und Beratung für studierende Väter anzubieten.

In vielen Fällen wird das Studium sogar ganz abgebrochen und nicht wieder aufgenommen, denn mit jedem weiteren Semester der Unterbrechung verlieren Studierende den Anschluss an die aktuelle wissenschaftliche Forschung und Fachdiskussion. Mit jedem weiteren Semester der Unterbrechung vergrößern sich somit der Umfang des Nachzuholenden und auch die Wahrscheinlichkeit des Studienabbruchs. Wartelisten für einen Betreuungsplatz führen dazu, dass schnell ein oder zwei weitere Fachsemester verstreichen.

Ein weiterer Punkt ist die unsichere Studienfinanzierung, die alles andere als eine gute Grundlage für ein erfolgreiches Studium ist.

Eine möglichst schnelle Wiedereingliederung nach einer Studienunterbrechung und ein möglichst reibungsloses Studium mit Kind müssen das Ziel sein. Wir brauchen eine Entlastung und Unterstützung der Eltern durch hochschulnahe Kindertagesstätten mit ausreichendem Angebot. Es mangelt jedoch an ausreichenden Kinderbetreuungsangeboten in Universitätsnähe und an flexiblen Betreuungszeiten. Lehrveranstaltungen finden auch am Abend oder am Wochenende statt. Zu diesen Zeiten ist ein ausreichendes Betreuungsangebot größtenteils überhaupt nicht vorhanden.

Eine Umfrage an der Bergischen Universität ergab, dass sich Studierende neben einer regelmäßigen wöchentlichen Betreuung vor allem für Hilfen bei unregelmäßigen Betreuungssituationen interessieren. Dazu gehört die Betreuung der Kinder in den Schulferien, in Notfallsituationen oder in besonderen Zeiträumen wie Klausurphasen. Die Betreuungseinrichtungen an Hochschulen sind personell unterbesetzt und verfügen nicht über ausreichende finanzielle Ressourcen. Eine Flexibilisierung der Betreuungszeiten über alle drei Kontingente und innerhalb eines Kontingentes ist mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln nicht finanzierbar.

Optimalerweise bräuchten studentische Eltern flexiblere Studienstrukturen und mehr Möglichkeiten, Lehrveranstaltungen auch zu alternativen Zeiten zu belegen oder nachzuholen. Blockseminare für Studierende mit Kind, zu denen zeitgleich gebündelte Betreuung angeboten werden kann, wäre zum Beispiel eine Alternative.

Für eine familiengerechte Hochschule ist es zum einen erforderlich, erstens für eine solide Finanzierung der Betreuungseinrichtungen Sorge zu tragen, die es ermöglicht, auch flexiblere Betreuungszeiten anzubieten; zweitens die Verwaltungsanforderungen zu reduzieren, sodass sie nicht auf Kosten der Betreuungskapazitäten gehen; drittens die Fortbildungsanforderungen und den Fortbildungsbedarf des Betreuungspersonals so zu organisieren, dass

dies ohne größeren Ausfall von Betreuungsleistungen bei den Einrichtungen zu bewerkstelligen ist.

Zudem müssen Möglichkeiten für eine andere Studiengangs- und Studienveranstaltungsorganisation geschaffen und ausgebaut werden, zum Beispiel in Form eines Ausbaus der formalisierten Teilzeitstudiengänge. Präsenzveranstaltungen könnten in noch stärkerem Maße als bisher durch medial vermittelte Lern- und Austauschstrukturen teilweise ersetzt oder zumindest ergänzt werden.

Auch die Ausnahmeregelungen für befristet vorzulegende Studienleistungen, für Praxisanteile und Praktika sind im Hinblick darauf zu betrachten, ob sie für studierende Eltern einen ausreichenden Spielraum bieten.

Bei Seminarangeboten mit begrenzten Teilnehmerkapazitäten, für die sich Studierende gesondert anmelden müssen, ist zudem dafür Sorge zu tragen, dass Eltern durchgängig Vorrang vor Kommilitoninnen und Kommilitonen erhalten können.

Zuallererst brauchen wir aber umgehend die Auszahlung der zugesagten Bundes- und Landesmittel an die Studentenwerke für ihre Investitionskosten beim Ausbau der Förderung der unter Dreijährigen.

Wir haben in unserem Antrag die Kriterien für eine bessere Finanzierungsgrundlage angeführt. Es ist nun an Ihnen, dafür zu sorgen, dass NordrheinWestfalen zu einem Bundesland wird, in dem ein Studium mit Kind keine Schwierigkeit, sondern eine Normalität darstellt. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Preuß-Buchholz. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hollstein.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist wie immer wohlklingend und eignet sich wieder einmal hervorragend für einen Schaufensterantrag.

Erfreulicherweise gab es mit der Beantwortung der Großen Anfrage 10 der SPD-Fraktion zum Thema „Studierende in Nordrhein-Westfalen“ und dem speziellen Fragenkomplex „Studieren mit Kind“ vom November 2007 sowie mit der Beantwortung der Großen Anfrage 23 der Grünen-Fraktion mit dem Titel „Vereinbarkeit von Studium, Arbeit und Familie an den Universitäten, Fachhochschulen und Kunsthochschulen in Nordrhein-Westfalen“ vom März 2009 in Verbindung mit der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes und einem Sonderbericht vom März 2008 zu dem Thema eine Menge von Material, das sich steinbruchartig nutzen lässt. Jeder liest das heraus, was er lesen will und was in einer bestimmten Situation in das eigene Weltbild passt.

Fakt ist zum Beispiel, dass die Zahl der Studierenden mit Kind im Erststudium in Nordrhein-Westfalen von 2003 bis 2006 gleich geblieben ist. Die Zahl der Promovierenden mit Kind ist dagegen leicht gesunken. Es lohnt sich sicherlich, diese Bereiche differenziert zu betrachten und nicht einfach zu addieren, damit es irgendwie in die Argumentation passt.

Fakt ist auch, dass die Zahl der Studierenden mit Kind im Erststudium bereits vor 2003 deutlich gesunken ist. Ich erinnere daran, wer damals die Verantwortung getragen hat. Ich habe keine Initiative von Ihnen gefunden, die das in irgendeiner Form als dramatisch angesehen hätte.

Zweifellos richtig ist, dass die Themen Familiengerechtigkeit, Familienfreundlichkeit und insbesondere Kinderbetreuung in den vergangenen Jahren unter Schwarz-Gelb einen deutlichen Aufschwung erlebt haben.

(Beifall von der CDU)

Eine Vervierfachung der U3-Betreuung, flexible Kinderbetreuung auf der Basis des KiBiz sowie der Ausbau der schulischen Ganztagsangebote sind Stichworte, die Sie zugegebenermaßen zwar nicht gerne hören wollen, weil sie Ihnen immer wieder die Verfehlungen der vergangenen Zeiten vor Augen führen, die aber richtig sind. Es hat sich seit 2005 eine ganze Menge getan.

Schauen Sie einmal in die Antwort auf die Große Anfrage 23. Dort finden Sie detailliert aufgelistet, welche Hochschulen über welche Kinderbetreuungseinrichtungen verfügen. Nehmen wir das Beispiel der Universität zu Köln. Auf dem Gelände der Uni befinden sich fünf Kinderbetreuungseinrichtungen, eine fünfgruppige städtische Kita, drei eingruppige Elterninitiativen und die Uni-Kids des Kölner Studentenwerkes. Übrigens hat sich daran auch seit KiBiz nichts geändert, zumindest nichts Negatives, wie von Ihrer Seite vorher immer geunkt worden ist.

Die Universität zu Köln ist darüber hinaus als erste Uni durch die Stadt Köln im Februar 2006 als Träger der Freien Jugendhilfe anerkannt worden.

Wir sind uns aber sicherlich darüber einig, dass Familienfreundlichkeit mehr ist als Kinderbetreuung. Ich empfehle Ihnen einen Blick auf die Katholische Fachhochschule Köln mit Hauptsitz in Köln. Die Katholische Fachhochschule beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik und erhielt im Sommer 2005 als erste Hochschule in NordrheinWestfalen ein Grundzertifikat des Audits „Familiengerechte Hochschule“ der Gemeinnützigen HertieStiftung. Nach Ablauf der drei Jahre überreichte Familienministerin Ursula von der Leyen im Sommer 2008 das Zertifikat „Familiengerechte Hochschule“. Auch dies, meine Damen und Herren, ist Wirklichkeit an den Hochschulen in unserem Land.

Kinder, Kleinkinder, sogar Säuglinge gehören seitdem zum Alltag der Katholischen Fachhochschule. Kinderstühle, Spielzeugautos, Puppen und Malbücher sind ebenso selbstverständlich wie eine kinderfreundliche Grundstimmung.

Das zeigt sich auch in der Rücksichtnahme auf einfache oder manchmal etwas schwierigere Bedingungen im Studienalltag oder beispielsweise in der Prüfungsordnung. Manchmal genügen ja schon ganz kleine organisatorische Veränderungen, wie beispielsweise die, das Sommersemester um eine Woche vorzuziehen, damit angesichts der Schulferien wenigstens drei zusammenhängende Ferienwochen möglich sind, oder die Ausdehnung des Freizeitausgleichs für Überstunden bei Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern auf bis zu eine Woche am Stück. Damit sind konkrete Hilfen geschaffen. Dazu gehören auch flexible Telearbeitsvereinbarungen und viele andere manchmal ganz kleine, konkrete Dinge.

Ihre Anträge – so ist zumindest mein Eindruck – sind weiterhin im alten dirigistischen Denken verwurzelt: Die Hochschulen vor Ort wissen nicht, wie es geht. Wir müssen alles staatlich regeln. – Das ist Ihr Problem, aus dem Sie immer noch nicht herausgekommen sind.