Protokoll der Sitzung vom 28.05.2009

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Schäfer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Beer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus den Debattenbeiträgen von Herrn Kaiser und Frau Pieper-von Heiden kann ich nur eine Forderung ableiten: Statistik ins Zentralabitur, bitte verbindlich für alle!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Aber dann müssen wir natürlich die Sorge haben, dass eine solche hochprekäre Aufgabe vom Politkommissar Winands aus dem Verkehr gezogen wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Parl. Staatssek- retär Manfred Palmen: Von wem?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist schon erstaunlich, dass wir heute hier von den Mitgliedern der Koalition der Ernüchterung mitbekommen, dass sie immer wieder der Versuchung erliegen, sich im Landtag bezüglich der Lehrerstellenfrage unsanft auf den Boden der Wirklichkeit holen zu lassen. Tatsachen und Schulrealitäten kommen bei ihnen offensichtlich leider nicht an. Wer hier manipuliert und wer peinlich ist, werden wir in der Tat noch sehen.

Beinahe täglich überbieten Sie sich in der Frage, wie viele Lehrerstellen neu geschaffen worden sind. Ich darf einmal kurz aufzählen, was so im Angebot ist. Laut Schulministerin Sommer – Pressemitteilung vom 20. Mai – werden bis zum Schuljahr 2009/2010 6.915 Stellen zusätzlich geschaffen. Der FDPVorsitzende Pinkwart sprach auf dem FDP-Parteitag von 7.000 Stellen.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist doch der gerunde- te Wert!)

Gerne wird die Zahl von 14.445 Stellen in den Raum geworfen, die sich aus der Zusammenzählung neuer Stellen und der aufgrund angeblicher Demografieeffekte frei werdenden Stellen errechnet. Auch Herr Kaiser hat das heute hier vorgetragen.

(Christian Lindner [FDP]: Die sollten von Ih- nen abgebaut werden!)

Herr Aldejohann, bekanntlich Abteilungsleiter im Schulministerium, hat auf der Tagung des VBE am 18. Mai verkündet – ich zitiere –:

Es sind mittlerweile mehr als 5.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer. Darüber hinaus wurden über 4.000 Stellen, die aus den rückläufigen Schülerzahlen frei wurden, im Schulbereich belassen.

Nach Adam Riese sind das zusammen 9.000 Stellen. In den Angaben haben wir also locker eine Schwankungsbreite von schlappen 5.445 Lehrerstellen. Alle Achtung, meine Damen und Herren! Die Bandbreitenregelung hatte ich bisher allerdings nicht so verstanden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ralf Witzel [FDP]: Das ist der Unterschied zwischen brut- to und netto! – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Witzel, seien Sie vor- sichtig mit brutto und netto!)

Jetzt nehmen wir einmal an, die Zahlen aus dem Ministerium – also irgendetwas zwischen 5.000 und 6.915 bis 2010 – würden stimmen. Dann will ich das einmal mit einer bisher unstrittigen Vergleichsgröße messen. Rot-Grün hat bis 2005, in finanzpolitisch schwieriger Zeit – auch über eine Arbeitszeiterhöhung, aber de facto –, 8.100 Stellen zusätzlich ins System gebracht, ohne Ersatz für Pensionen einzurechnen. Aber bleiben wir einmal bei Ihrer Bilanz.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ralf Witzel [FDP]: Weil die Schülerzahlen gestiegen sind!)

Herr Witzel, jetzt müssen Sie hier nicht das ideologische, marktradikale Kasperl geben. Bitte seien Sie doch einmal ruhig!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Nicht nur, dass Sie Ihre Zahlen nicht klar kriegen und ständig neue Mogelpackungen zu verkaufen suchen: Sie sind zudem auch noch unredlich, was die Zuordnung der Lehrerstellen zu den einzelnen Bedarfen angeht. Sie sind die einzigen staatlich lizenzierten Hütchenspieler, die ich hier kenne.

(Heiterkeit und Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn die Frau Ministerin ausführt, deshalb würden bis zum Schuljahr 2009/2010 real netto 6.915 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen, wird damit der Öffentlichkeit suggeriert, es würde tatsächlich in diesem Umfang Stellen für den Unterrichtsgrundbedarf und damit in Gänze gegen den Unterrichtsausfall geben. Das ist nachweislich falsch.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wer manipuliert? Wer ist peinlich? Es ist ein Taschenspielertrick, wenn die Landesregierung die simple Umwandlung von 900 Angestelltenstellen aus „Geld statt Stellen“ in Planstellen als die Schaffung zusätzlicher Stellen bezeichnet und in ihre Bilanz einrechnet.

Der Großteil der zusätzlichen Stellen wurde zudem für neue und – das sage ich deutlich – unbestritten wichtige und wünschenswerte bildungspolitische Maßnahmen geschaffen. Das trifft insbesondere auf den Ganztag zu und macht alleine 2.620 Stellen in den verschiedenen Schulformen aus. Das hat nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Grundbedarf zu tun.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Hinzu kommen Ihre Hütchenspielereien. Eine einzelne neue Stelle wird immer so angepriesen, als sei sie unter all den verschiedenen Hütchen gleichzeitig: unter dem Hütchen gegen Unterrichtsausfall oder für individuelle Förderung, unter dem Hütchen

für den Ganztagsausbau oder für ergänzendes Personal.

Wenn die Eltern und Schulen die Hütchen aufdecken und darunter nichts finden, dann fühlen sie sich in der Tat auf den Arm genommen und getäuscht.

Seien Sie doch einmal ehrlich: In der Anhörung am Dienstag haben wir es genauso gehört. Die Bemühungen werden anerkannt, aber Sie wissen doch genau, was es aussagt, wenn auf einem Zeugnis steht: Sie bemühte sich.

(Ralf Jäger [SPD]: Stets bemüht!)

Ja, Sie haben es zwar gern in Ziffernoten, aber das verkneife ich mir. Nehmen Sie doch bitte lieber die Textfassung, in der bekommen Sie nämlich auch eine Lernentwicklungsberatung gleich dazu.

(Ingrid Pieper-von Heiden [FDP]: Von Ihnen, oder was?)

Erstens. Machen Sie Schluss mit der versuchten Wählertäuschung! Die Lehrerstellen, die Sie in Ihren Statistiken aufführen, sind zum Teil virtuelle Stellen, die nicht besetzt sind.

Zweitens. Machen Sie Schluss mit dem Schönen Ihrer Statistiken! Die Sprecherin der LandesschülerInnenvertretung hat doch eindrucksvoll verdeutlicht, was in ihrer Statistik alles gar nicht erst als Unterrichtsausfall auftaucht. EVA schlägt zu. Eigenverantwortliches Arbeiten heißt dann gern einmal: In der Mathestunde, in der kein Lehrer da ist, wäre eigentlich das folgende Thema behandelt worden. Dafür gibt es heute ein Arbeitsblatt extra. – Das ist Realität in den Schulen.

Dass der Unterrichtsausfall in diesem Land de facto viel größer ist, als Sie uns weismachen wollen, hat nicht nur die Auflistung der Kleinen Anfragen ergeben, sondern das haben Ihre eigenen Daten zur Unterrichtsausfallstatistik belegt. In einzelnen Schulen gibt es eine Unterdeckung bis zu 18 %. Die durchschnittliche Stellenbesetzung ist vom Jahr 2005 von 99,5 % auf 100,1 % im Jahr 2008 gewachsen. Das ist eine Steigerung von sage und schreibe 0,6 Prozentpunkten. Der Stellenplan weist zugleich 104,1 % aus. Das heißt, dass 4 % der Lehrerstellen nur virtuell sind, weil sie nicht besetzt sind.

Wenn Sie, Frau Ministerin, angesichts dieser Fakten von Lügenmärchen der Opposition sprechen, dann müssen Sie gewaltig aufpassen, wem die Pinocchio Nase wächst.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es wäre in der Tat gut, Frau Ministerin, wenn Sie Ihre eigenen Pressemitteilungen genauer lesen würden. So verkündeten Sie am 1. August 2008: NRW stellt zum 1. August 3.100 und zum Frühjahr 2.466 neue Lehrer/-innen ein.

(Ralf Witzel [FDP]: Und Lehrer!)

Das heißt: 5.566 insgesamt. Damit sollten auch die ausscheidenden Lehrkräfte ersetzt werden. Ihre eigenen Zahlen zum Einstellungsbedarf sagen allerdings, dass sie für diesen Zeitraum eigentlich 6.190 Lehrkräfte brauchen. Das heißt unterm Strich: Hier fehlen schon wieder 524 Stellen.

Aus der Beantragung der Aktuellen Stunde von CDU und FDP heute lernen wir, dass Papier geduldig ist. Ich finde, Ihr Papier ist hier wirklich dreist angesichts dessen, dass Sie Klarheit fordern und tagtäglich Wählertäuschung vollziehen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist der Versuch, eine Mogelpackung unter das Volk zu bringen. Bedarfe in der Schule werden falsch verbucht. Es sind virtuelle Lehrerstellen und nicht wirkliche Menschen, die in der Schule ankommen. So dumm sind Eltern, Schülerinnen und Kollegen nicht, dass sie das nicht merken. Nur Sie haben noch nicht gemerkt, dass Sie Pinocchio mit seiner Nasenlänge gegen Sie heute früh mal wieder keine Chance gegeben haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Beer. – Für die Landesregierung spricht nun Schulministerin Sommer.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mit einem Zitat beginnen:

Auch wenn das Angebot an Lehrkräften insgesamt knapp ist, kann der Fachunterricht in der Fläche weitestgehend erteilt werden.

(Zuruf von der SPD: Was heißt „weitestge- hend“?)

Dieses Zitat stammt aus einem Bericht der Schulministerin Schäfer von November 2003. Wir wissen weiter aus dem Bericht – ich darf noch einmal zitieren –, „dass der Besetzungsgrad überwiegend dicht an der 100%-Marke lag“. Aus diesem umständlichen Erklärungsversuch und den entsprechenden Tabellen erfuhr der Leser: Überwiegend dicht heißt drunter, nämlich 99,5 %. Das ist Ihre Bilanz.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)