Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Wir hier in Deutschland sind nicht weit davon entfernt, dass wir die Flüchtlingsaufnahmerichtlinie, die die EU immerhin noch vorgibt, nicht einhalten. Es ist ganz klar, dass wir mit unserem Asylbewerberleistungsgesetz, in dem wir unseren Flüchtlingen minus 35 % zum Hartz-IV-Satz zugestehen, weit unter den Anforderungen der EU-Flüchtlingsaufnahmerichtlinie liegen.

Wie sieht es mit den Menschenrechten aus? – Ich weiß nicht, ob angesichts der Einrichtung von FRONTEX, die die EU-Außengrenzen kontrolliert und im Übrigen ohne jegliche parlamentarische Kontrolle agiert, der Menschenrechtsschutz wirklich in guten Händen ist; die Flüchtlingsorganisationen beklagen immer wieder, dass er dies nicht sei.

Ein Riesenthema ist auch die Arbeitsmigration. Wie kommen Menschen denn überhaupt noch legal in unsere Europäische Union? Wie steht es da mit einer Vereinheitlichung der Einwanderungsregelung? Es gibt Länder in der EU, die entsprechende Regelungen haben. Bei uns findet Einwanderung faktisch – außer über Familiennachzug – nicht mehr statt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in Europa die Zuwanderung aber aus demografischen Gründen und auch für unseren Wohlstand brauchen. Auch hier: Fehlanzeige. Es existiert keine wirkliche europäische Initiative. Wen lassen wir denn dann rein? Wie wollen wir für die Entwicklung unseres Wohlstandes über eine Arbeitsmigration stärken?

All das findet in Ihrem Antrag keinerlei Erwähnung, aber genau das sind meiner Ansicht nach die zentralen Defizite der EU-Asylpolitik. Hier einfach nachzubeten, was dort formuliert wird, kann man meines Erachtens auch sein lassen.

Der wesentliche Punkt, den Herr Kollege Kuschke bereits erwähnt hat, ist: Sie drücken sich vor Ihrer Verantwortung im eigenen Land. Bei uns gibt es in Sachen Flüchtlingspolitik weiß Gott genug zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie alle sind im Land wegen der Bleiberechtsregelung, die zum Ende des Jahres ausläuft, unterwegs. Gestern Abend gab es noch ein Forum „Bleiberecht“. In den Gemeinden finden die Debatten statt. In Nordrhein-Westfalen leben 30.000 Flüchtlinge, die nicht wissen, wie es am Ende des Jahres mit ihnen weitergehen wird, weil die Bleiberechtsregelung ausläuft. Hier ist doch konkreter Handlungsbedarf gegeben.

Herr Minister, Sie sagen: Damit habe ich doch nichts zu tun. Das machen die schon in Berlin. – Wenn nicht, dann legen wir hier in NRW die Hände in den Schoß? Andere Bundesländer thematisieren das im Bundesrat. Ein Drittel der in der Bundesrepublik lebenden langjährig geduldeten Flüchtlinge lebt in NRW, und das zum Teil seit vielen, vielen Jahren, zum Teil seit 20 Jahren. Diese Menschen wissen nicht, wie es am Ende des Jahres mit ihnen weitergehen wird, weil die Bleiberechtsregelung ausläuft.

Wir werden von all diesen Menschen – wenn es gut geht – ein Viertel in den sicheren Aufenthalt bringen. Was ist mit dem Rest? Kümmern Sie sich doch einmal um die Menschen, die hier vor der Haustür in Not sind, Frau von Boeselager,

(Beifall von den GRÜNEN)

und schwadronieren Sie im Landtag nicht so eine fehlgeleitete EU-Politik nach. Davon hat kein Flüchtling etwas, der nicht weiß, ob er am Ende des Jahres in den Flieger steigen soll oder ob er weiter mit seiner Familie bleiben kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Als nächster Redner hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Tote im Mittelmeer, tote Flüchtlinge vor der afrikanischen Küste. Das ist die bittere Realität, die wir tagtäglich erleben. Sie stellen sich hierhin und wollen die Aufnahme nicht überstrapazieren – so war gerade Ihre Aussage. Sie wollen Flüchtlinge zurückführen, so konnte man es gerade von der FDP hören.

Was heißt denn „Flüchtlinge zurückführen“? – Das heißt faktisch, auf die Müllhalden von Belgrad abschieben, das heißt faktisch, Leute in den Tod schicken. Das ist die Realität der Politik, die Sie hier gerade ganz lapidar vorgestellt haben.

Die hier von Ihnen beantragten Punkte sind ein reiner Verschiebebahnhof. Sie zeigen auf die EU: Sie soll Probleme lösen, Probleme, die Sie eigentlich hier in Nordrhein-Westfalen oder auf Bundesebene lösen müssten. Fakt ist – wie das gerade auch schon von meiner Kollegin von den Grünen

gesagt wurde –: Wir haben die Festung Europa, und Deutschland ist mitten in dieser Festung.

Wir haben es erlebt: Der Asylkompromiss 1992 von CDU, SPD und FDP hat die Grenzen für Flüchtlinge weitgehend dichtgemacht. Deswegen erleben wir im Augenblick genau das, was ich anfangs als Szenario hier beschrieben habe: Tote in allen Meeren, die sich am Rande Europas befinden. Das ist die reale Situation.

Ich höre von Ihnen nichts, wirklich gar nichts dazu, wie diese Situation konkret verändert werden kann. Sie wollen weiterhin eine Politik der dichten Grenzen. Wie gesagt, Sie wollen Flüchtlinge, die es hierhin geschafft haben, sogar noch zurückschicken. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass auch die Innenminister nichts getan haben, um das Bleiberecht für die Menschen zu sichern, die zum Teil schon seit zehn, 20 Jahren hier leben, für Kinder, die hier geboren sind.

Ich kann nur feststellen, dass dieses Ergebnis, so wie es die Innenministerkonferenz bisher vorgelegt hat, eine Unverschämtheit ist. Die Innenminister – dazu gehören Sie auch, Herr Wolf – des Bundes und der Länder haben versagt.

Die schlimmste Folge ist die komplette Verunsicherung. Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe – so heißt es so schön – müssen erneut eine Abschiebung befürchten. Nach dieser Regelung erhält ein Flüchtling, der seinen Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern kann, eine Frist, sich Arbeit zu besorgen. Sie läuft jedoch am 31. Dezember 2009 aus. Das ist nicht mehr lange hin.

Wird eine solche Regelung in Zeiten eines Wirtschaftsbooms verabschiedet? – Nein, es ist Krise. Das ist die Realität. Wir gehen davon aus, dass 80 % dieser Flüchtlinge in die Duldung zurückfallen. Das ist die reale Situation. Das heißt auch ganz konkret: Wir werden demnächst noch verstärkt wieder Abschiebungen erleben – Abschiebungen genau vor dem Hintergrund, den ich gerade dargestellt habe.

Das Rückübernahmeabkommen zwischen dem Kosovo, dem Bund und einigen Bundesländern hat deutlich gemacht, dass Flüchtlinge auch dorthin zurückzuschieben sind. Konterkariert ist, was mit der gesetzlichen Altfallregelung versprochen wurde, nämlich eine Perspektive für langjährig in Deutschland integrierte Flüchtlinge zu schaffen. Der Abschiebestopp für Roma aus dem Kosovo ist aufgehoben, obgleich sie dort eine unterdrückte Minderheit sind. Vergessen wird offenbar, dass sie aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffs

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

der NATO vertrieben wurden. Auch das scheint in Ihren Köpfen nicht mehr vorhanden zu sein. Doch

die Verursacher sind nicht bereit, die Folgen durch ein Bleiberecht abzumildern.

Nichts, was Sie hier in Deutschland machen könnten, auch in Nordrhein-Westfalen tun könnten, wird von Ihnen gemacht. Nein. Stattdessen zeigen Sie auf die EU und sagen: Die EU soll irgendwelche Lösungen finden – Lösungen, die es natürlich – das ist ganz klar – so nicht geben wird.

Es braucht dringend einer Lösung für die Flüchtlinge, die hier sind, aber es braucht vor allem einer Lösung für die Flüchtlinge, die vom Tod bedroht sind. Dazu habe ich leider von Ihnen heute überhaupt nichts gehört. Ich kann nur feststellen: Die Politik, die Sie machen, ist zutiefst menschenfeindlich.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sagel. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Wolf das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Danke, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik steht Europa vor weiteren bedeutenden Weichenstellungen. Die Europäische Kommission hat am 10. Juni ihre Mitteilungen zum sogenannten Stockholmer Programm vorgelegt. Darin sind die Handlungsschwerpunkte skizziert. Ein zentraler Bereich sind die Themen Migration und Asyl.

Die Vorschläge der Kommission werden in den kommenden Monaten im Europäischen Parlament und im Rat diskutiert. Im Dezember soll der Europäische Rat den Nachfolger des Haager Programms verabschieden.

Beispiele für die weitreichenden Vorschläge: Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für Wirtschaftsmigration, Festlegung eines einheitlichen Rechtsstatus für legale Migranten, Aufbau eines gemeinsamen europäischen Asylraums, die Errichtung eines Systems, das möglicherweise die Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten über ein Unterstützungsbüro in die Hand nehmen soll, und die Verstärkung der Anstrengungen beim sogenannten Resettlement.

Meine Damen und Herren, die Vorschläge sind natürlich diskussionswürdig. Bei dem Für und Wider muss aber auch klar sein, dass wir mit unseren Kommunen in Nordrhein-Westfalen von vielen der geplanten Änderungen unmittelbar betroffen wären. Daher stimme ich der Forderung zu, die Belange der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften verstärkt in die europäische Willensbildung einzubeziehen.

Kreise, Städte und Gemeinden haben bereits jetzt die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Interessen im institutionellen Verfahren über den Ausschuss

der Regionen in den Diskussionsprozess einzubringen. Durch den noch nicht von allen Mitgliedsstaaten ratifizierten Vertrag von Lissabon gewinnt der Ausschuss nicht zuletzt durch das Klagerecht bei Subsidiaritätsverstößen und Verstößen gegen seine Mitwirkungsrechte eine größere Bedeutung.

Mit der gleichen Zielrichtung unterstütze ich aber die Forderung des vorliegenden Antrags nach vermehrten Konsultationen auf europäischer Ebene außerhalb des formalisierten Verfahrens, noch bevor die Kommission ihre Überlegungen zu neuen Rechtsakten zu Papier bringt.

Die Landesregierung wird sich hierfür auf ihren Ebenen weiterhin intensiv einsetzen. Dabei ist auch eines klar: Wir lehnen zusätzliche europäische Strukturen ab, die lediglich zu mehr Bürokratie führen, aber keinen im Verhältnis zum Aufwand stehenden praktischen Mehrwert bieten. Wir setzen uns für praxisgerechte Lösungen ein, die auf den Grundsatz der Subsidiarität und auf die Möglichkeiten und Erfordernisse der lokalen Ebene und hier insbesondere der Kommunen Rücksicht nehmen.

Lassen Sie mich in wenigen Sätzen noch etwas zum Bleiberecht sagen, weil das hier gerne thematisiert wird. Leider vergessen die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen in solchen Fällen immer, dass die Innenminister durch eine bundesgesetzliche Regelung sozusagen aus dem Spiel genommen worden sind. Das hat die Abgeordnete Düker damals zunächst großartig gefeiert, hinterher aber haben die Grünen dem Gesetz im Bund dann doch nicht zugestimmt. Jetzt muss ein Gesetz geändert werden. Das muss da geändert werden, wo es erlassen worden ist. Und das ist im Bund. Dort ist man zuständig. Deswegen erwarten wir, dass die jetzige oder die neu gewählte Regierung die entsprechenden Initiativen ergreift.

Sie haben damals die Innenminister in – ich möchte sagen – rüder Weise angegangen. Wir hatten Vorschläge gemacht. Das waren immer Kompromisse, die die Grünen nie anerkennen werden. Es geht immer um einen Kompromiss zwischen wirtschaftlicher Integration und der Problematik „Zuwanderung in Sozialsysteme“. Da haben nun einmal CDU, SPD und FDP grundsätzlich andere Vorstellungen. Ich glaube, da sind immer sehr sorgfältige Abwägungen vorgenommen worden. Es sind im Übrigen 11.000, nicht 30.000, die in Probeverhältnissen bei uns leben. Wir werden sehen, was sich auf Bundesebene ergibt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Jostmeier das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne zu folgendem Punkt kurz Stellung nehmen. Wir und die Europäische Union – es stimmt ja, was gesagt worden ist – erleben seit Jahren die größte illegale Einwanderungswelle, die die Welt je gesehen hat. Täglich landen Tausende von Booten mit illegalen Flüchtlingen an den Küsten Spaniens, Portugals, Griechenland, Italiens.

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Nicht alle kom- men an!)

Hintergrund für die Aktivitäten der Europäischen Union ist die Tatsache, dass man diese Länder mit diesen Nöten und mit diesen Sorgen, die sie mit diesen Flüchtlingen haben, nicht alleine lassen darf.

Sie haben natürlich recht, Frau Düker, wenn Sie auf die Probleme und Schicksale der langjährig geduldeten Flüchtlinge hinweisen. Allerdings hat dieses Problem – darauf ist dankenswerterweise seitens der Landesregierung aufmerksam gemacht worden – mit der Thematik, die wir in dem Antrag dargestellt haben, nichts zu tun.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist ja das Schlimme!)

Dass wir das Problem lösen müssen, Frau Düker, gestehe ich Ihnen zu. Aber es kann auch nicht sein, dass sich Kriminelle und Illegale hier weiterhin unter diesem gesetzlichen Schutz aufhalten dürfen.

Herr Kuschke hat auf die Stellungnahme des AdR hingewiesen.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)